Sonntag, 21. August 2016

Kirche in Watte



Unter der Überschrift „Das Abendland wird christlich bleiben“ veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung bedauerlicherweise mal wieder prominent auf Seite Zwei („Thema des Tages“) einen dieser langen, langen sinnlosen weder Fisch-noch-Fleisch-Kirchenartikel von Matthias Drobinski, 52.

Das ist einer der von mir immer wieder beklagten Presse-Missstände.
Alle Kirchenthemen werden von frommen Gläubigen behandelt.
Dafür hat Springer Badde und Englisch, der Tagesspiegel die unvermeidliche Claudia Keller, die Zeit Frau Finger und die SZ eben Matthias Drobinski.
(……) Man stelle sich vor über die CDU würden nur noch CDU-Mitglieder schreiben. Oder nur noch Soldaten über die Bundeswehr. 

Geht es um die Grundfrage des Christentums in Deutschland – was geht da eigentlich so sagenhaft schief, daß jedes Jahr Hunderttausende aus der Religionsgemeinschaft flüchten, während aus anderen Kontinenten ein reger Zulauf herrscht – wird es bei den großen Zeitungen ganz gediegen.

Der Oberkirchenjournalist der Münchner schafft es dabei erneut in epischer Breite (=1.492 Worte, 10.489 Zeichen) im Grunde nichts auszusagen.
Es ist die typischer Drobinski-Larmoyanz mit der er das Schrumpfen der beiden Kirchen in Deutschland beklagt, den Bedeutungsverlust der Glaubens beschreibt, unterschwellig ein paar Bosheiten einfügt (Atheismus erwähnt er nur als Gegenmodell zum Glauben in Form von Pegida und Nationalsozialismus), ein bißchen die Ungerechtigkeit der Menschen beklagt, die sich trotz des lieben Papstes und der selbstlosen sozialen Wohltaten der Kirchen abwenden und schließlich noch ein bißchen Emulgator beifügt.
Alles sei irgendwie komplex und kompliziert.

Es gibt Regionen mit nach wie vor hoher Kirchenbindung wie die Gegend um Passau oder das Münsterland. Es gibt Gegenden in Ostdeutschland, in denen nur noch jeder Zehnte Mitglied einer Kirche ist - oft Regionen, in denen die Säkularisierung schon mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert begann; 40 Jahre DDR haben den Prozess beschleunigt.
Es löst sich zudem die Religiosität zumindest teilweise von der Kirchenzugehörigkeit. Es gibt das faktisch nichtgläubige Paar, das nur deshalb kirchlich heiratet, damit die Großeltern zufrieden sind; und es gibt den Ausgetretenen, der irgendwie doch an Gott glaubt und täglich betet.
Das ist anders, als die Soziologen lange dachten, nämlich dass in modernen Gesellschaften der Glaube quasi von allein verschwindet, erst bei den Gebildeten in den Städten, zuletzt bei den Hinterwäldlern auf dem Land. Das Stadt-Land-Gefälle gibt es, doch die Religiosität ist vor allem bei den Armen und weniger Gebildeten verschwunden. […..]

Das war ja klar; den mußte der SZ-Mann uns noch mitgeben: Nicht die Klugen und Gebildeten gehen seiner Ansicht nach aus der Kirche, sondern die Doofen.
Und Ätschibätschi, auch wenn viele aus der Kirche austräten, bliebe das Abendland doch christlich, weil die Menschen dennoch an Gott glaubten.

Und wer sich darüber lustig macht, wird verklagt.
Drobinski ging tatsächlich gegen den „Eulenspiegel“ vor, der sich satirisch mit ihm auseinandergesetzt hatte.
Sagenhaft. Damit beging Drobinski den dramatischen Fehler des von ihm so verehrten Ratzingers, der mit seiner Klage gegen die Titanic dem Magazin erst die gewaltige Aufmerksamkeit zukommen ließ, noch einmal.

Ob die Satire gelungen ist – sie beginnt bushidoesk mit den Worten Schwuchteln, Homo, Schwanzlutscher –, kann man bezweifeln: Sie ist eher was für Freunde des gepflegten Schulhofhumors.
Nicht aber, dass sie dem Eulenspiegel, der permanent im Schatten der Titanic segelt, nun einiges an Aufmerksamkeit einbringen wird. Als sich die Titanic vor einem Jahr mit einer Papstsatire mit dem Vatikan anlegte, bekam das Heft dafür wochenlang Schlagzeilen.
Der eine Experte, den Eulenspiegel-Redakteur Gregor Füller in seiner Satire auftreten lässt, trägt den Namen Andreas Englisch – wie der langjährige Vatikankorrespondent der Bild. Der andere Experte heißt Matthias Drobinski. Drobinski, das ist im echten Leben der Kirchenfachmann der Süddeutschen Zeitung. Und der ist nun gegen die Satire vorgegangen.

Ohne es zu wollen offenbart der studierte Theologe und lebenslang kirchlich Engagierte weswegen die Kirchen schrumpfen:
Christen sind humorlos und latent unterbelichtet. Da wendet man sich ab.

Es gibt einerseits diejenigen, die aus intellektueller Überzeugung bewußt für eine radikale Trennung von Kirchen und Staat eintreten.
Die Mehrheit der Austrittswilligen wird aber weniger gut informiert sein, nicht so genau die finanziellen Verflechtungen der Kirchen und ihre amoralischen Taten kennen, sondern lediglich die Vertreter des Christentums immer unattraktiver empfinden.
Der Grund dafür sind sagenhaft oberflächliche und dümmliche protestantische Prediger und eben nichtssagende müde journalistische Kirchenvertreter wie Drobinski.

Sehr viel mehr los ist im Oberstübchen des SZ-Mannes Cornelius Pollmer, 32, Studium VWL und Journalistik.
Der Sachse brachte ebenfalls in der letzten Wochenendausgabe der SZ in der Gesellschaftsrubrik (s.51) einen ganzseitigen Artikel über den Lutherwahn der frommen Thüringer und Sachsen-Anhaltiner unter.
Anders als Kollege Drobinski verfügt Pollmer über Humor und verfolgt mit seinem Text ein erkennbares Konzept.
Er macht sich über die abstrusen Merchandising-Auswüchse im Vor-Lutherjahr lustig.
Anders als das journalistische Elend von Seite Zwei, liest man Pollmer gern und zügig.

Ministerpräsident Reiner Haseloff hatte geladen, der vertraute Empfangsadel und die Häppchenjäger waren gern gekommen. Haseloff, dessen Vorfahren Luther persönlich gekannt haben, baute sich vor der Abendgesellschaft auf und hielt eine Rede. 2016, sagte er, gebe es leider nicht so viele Jubiläen. Aber danach komme 2017 und damit das Lutherjahr, und schon jetzt müsse und sollte man, dürfe man aber auch, denn es könnte ja. Das eben erst beginnende Jahr? Eine Opfergabe, gerade gut genug als Countdown für die großen Lutherfestspiele im Jahr darauf.
In Wahrheit wird das Jubiläum schon totbegangen, bevor es überhaupt begonnen hat. [….]

Bezeichnenderweise erwähnt Pollmer die unvermeidliche Lutherbotschafterin Margot Käßmann kein einziges mal.
Dafür bekommen die frommen Landespolitiker, die sich verzweifelt an die Protestantenparty klammern ihr Fett weg.

Besonders in Sachsen-Anhalt und Thüringen kartografieren Werbetreibende noch den letzten Ort, in dem Luther bei der Durchfahrt vielleicht mal zum Pinkeln gehalten haben könnte. Überall wird man zugeluthert, und die Touristiker der Ost-Länder jubeln: endlich mal ein Anschlag, der sich vermarkten lässt! [….]

Auch ganz nett:

Wozu führt dieses Überangebot? Nun, es führt zu noch mehr Angeboten. In Thüringen gibt der Staat 350 000 Euro für eine Geschäftsstelle, die zwei Aufgaben hat. Erstens: dafür sorgen, dass trotz der vielen Luther-Aktionen niemand den Überblick verliert. Zweitens: die Produktion von "Broschüren, Präsentationen, Imagefilm", worin Fachabteilung eins sowohl Legitimation als auch Bürde erkennen mag. Nicht ganz klar ist, in welchem Verhältnis die Geschäftsstelle zum "Lutherinformationszentrum" in Mühlhausen steht, gefördert vom Land mit knapp 200 000 Euro. Der zuständige Staatssekretär Maier begründete die Zuwendung seines Hauses mit Transparenz und argumentativer Kraft gleichermaßen: "Auch wenn Luther selbst nie in Mühlhausen war, spielt die Stadt . . . eine zentrale Rolle im Lutherjahr". Denkbar wäre jetzt noch eine übergeordnete Geschäftsstelle, die die Aktivitäten aller Geschäftsstellen koordiniert und nicht minder kraftvoll bündelt. [….]

Als atheistischer Spielverderber muß ich allerdings rügen, daß Pollmers ausführlicher Artikel in 30 Absätzen, 209 Zeilen, 2.029 Worten und 14.066 Zeichen nicht einen einzigen Luther-kritischen Gedanken formuliert.

Luther war ein rasender Hassfanatiker, der mit seinem bestialischen Antisemitismus die ganz große Inspiration Adolf Hitlers war.
Hitler lobpreiste Luther immer wieder und die evangelischen „Deutschen Christen“ lobpreisten Hitler bei jeder Gelegenheit.


Luther. Ein widerlicher Geselle, ein Verbrecher an der Menschheit. Den haben wir noch nicht richtig aufgearbeitet. Wir gehen mit Luther um, als sei er ein „Heiliger“ der evangelischen Kirche. Er war aber ein für die damalige Zeit untypisch aggressiver Antisemit, Frauen verachtend bis ins Mark und vom Denken her völlig mittelalterlich. Teufel war sein Lieblingswort. Die Gesellschaft war sehr viel weiter.