Dienstag, 30. Oktober 2012

Christliches Menschenbild Teil III



Vor ein paar Jahren wurde eine Freundin von mir 65 und bekam pünktlich zu ihrem Geburtstag einen Anruf eines lokalen Kabelanbieters.
Nun wäre sie doch im richtigen Alter, um zu ihnen zu wechseln. Man habe ein spezielles Seniorenprogramm mit viel Volksmusik und volkstümlicher Unterhaltung, da man sich doch jetzt verstärkt an die gute alte Zeit erinnere.

Entgeistert fragte meine Freundin zurück was das mit ihrem Alter zu tun habe?

„Als ich jung war hörten wir die Rolling Stones und Elvis Presley, tanzten Rock n‘ Roll. Was habe ich mit Volksmusik zu tun?“

 Das ist eben das Pech, wenn man etwas älter wird. 
Automatisch nimmt die Umwelt an, daß man geistig retardiert ist.

Dieser äußere Druck ist so enorm, daß erstaunlich viele Rentner sich bereitwillig anpassen. 
Selbst wenn sie ihr Leben lang schicke Klamotten getragen haben, fangen sie mit 70 schlagartig an beige oder weiße Gesundheitsschuhe, hüftlange Steppwesten und Sophia-Petrillo-Einheitsfrisuren zu tragen.
 Der Mann jenseits des Rentenalters schlüpft entsprechend in Sandalen, hellblaue Anoraks und bindet sich eine Bauchtasche um.

Mit dieser äußerlichen Metamorphose scheint auch ein gewisser Hang zu Konservatismus und Frömmigkeit einherzugehen.

Mir kommt da die Causa Bettina Schardt in den Sinn. Die 79-Jährige hatte sich im Jahr 2007 mit Hilfe Roger Kuschs das Leben genommen.
 Darüber war Plappermäulchen Margot Käßmann so empört, daß sie gar nicht mehr aufhören konnte die kranke und inzwischen tote Frau noch a posteriori zu verdammen.



Da hat die alte Dame dann noch schneller zu den Pillen gegriffen - die Vorstellung, daß sie dereinst im Pflegeheim läge und von predigenden Pfaffen im Zimmer heimgesucht würde - unfähig sich gegen diese Zwangsbebetung zu wehren - war der letzte Sargnagel.

Wer könnte Bettina Schardt nicht verstehen?

Nur weil man alt ist, soll man auf einmal den ganzen Kirchismus-Humbug über sich ergehen lassen?

Seniorenheime werden nun mal sehr oft von kirchlichen Trägern geführt und das Tagesprogramm, welches beispielsweise die Caritas bietet, ist nicht jedermanns Sache.

Ich habe mal rein willkürlich ein solches Heim ausgegoogelt. Das St. Cyriak-Altenheim in Furtwangen im Schwarzwald bietet den Bewohnern:


Gottesdienst
mit Pater Hettel und Margarethe Dold

Märchen im Kaffeetreff
mit Christa Leber

Zitherspiel
mit Siegfried Enz

Bibelgespräch
mit Schwester Wilma

Evangl. Gottesdienst
mit Pfarrer Lutz Bauer Kapelle

Tanz im Pfarrsaal
mit Helmut Winterhalder Pfarrsaal

Singen
mit Schwester martinella


Und all das läuft wieder unter der Überschrift des menschenverachtenden „Christlichen Menschenbildes“


Grundsätze (aus unserem Leitbild)

Wir sehen unseren Dienst und unsere Dienstgemeinschaft auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes. Wir wissen um die Begrenztheit, die uns als Menschen ständig begleitet. Deshalb vertrauen wir darauf, dass der Glaube uns Kraft für den Dienst geben kann. Das Leben eines jeden Menschen verstehen wir als Geschenk Gottes. An jedem Einzelnen liegt es, dieses Leben zu achten und den uns anvertrauten Menschen auch bei Krankheit, physischen und psychischen Veränderungen die Würde zu erhalten. Wichtige Elemente für unseren Dienst sind: Zuwendung, Achtung, Zeit für Gespräche und das Angebot für Gebete und Gottesdienstbesuche.
Der individuelle Wunsch nach seelsorgerlichem Beistand wir selbstverständlich erfüllt. Wir helfen den Bewohnern und ihren Angehörigen mit der Endlichkeit des Lebens umzugehen. Auch Sterben und Tod sind für uns untrennbarer Teil des Lebens. Wir lassen Sterbende nicht allein, sondern begleiten und stützen sie. Die katholische und evangelische Gemeinde und die Ortsgruppe der Deutschen Hospizbewegung unterstützen uns dabei auf eine wunderbare und unschätzbar wertvolle Weise.
Die Seelsorger der katholischen und evangelischen Gemeinden und die Patres der Ordensgemeinschaft der Salesianer Don Boscos in Furtwangen sorgen in unserem Hause für eine kontinuierliche seelsorgerische Begleitung. In unserer Kapelle des Altenheimes finden wöchentlich mehrfach Gottesdienste statt. Drei Ehrwürdige Schwestern vom Kloster Hegne am Bodensee begleiten dabei unsere Bewohner und sind darüber hinaus sehr engagiert im gesamten Bereich der Altenbetreuung und der Seelsorge.


Typisch Christen. 
 An Wehrlose, die zu alt oder zu jung sind und deshalb nicht weglaufen können, machen sie sich ran. Sobald man bettlägerig ist, geht die Zwangsbebetung los.

Und wenn man noch intensivere Pflege braucht wird man von den dem Christlichen Menschenbild Verpflichteten noch weiter gen Osten abgeschoben.

Dies passierte auch dem 88-jährigen Österreicher Emil Bergmann, der in die Slowakei verschoben wurde.

Früher, zu Zeiten des Kommunismus, beherbergte der u-förmige Plattenbau noch das Kreiskrankenhaus. Nun steht der eine Teil leer und verfällt langsam. Im anderen Teil ist ein privates Altersheim untergebracht. Die Kunststofffenster sind frisch eingesetzt, die Böden blank geschrubbt, die Betten neu. Aber sonst wirkt das karge Mobiliar billig und abgewohnt.
Tut mir leid, dass ich zur Begrüßung nicht aufstehen kann, sagt Herr Bergmann. Um zu verhindern, dass er womöglich umkippt, hat man ihn mit einem improvisierten Sicherheitsgurt aus Stoffresten an seinen Fauteuil gebunden. Vor zwei Jahren hatte er eine schwere Gehirnblutung, wurde über Nacht zum Pflegefall.
[…] Heimbetreuung in Österreich oder Deutschland, das kann sich doch keiner mehr leisten, legt der deutsche Geschäftsmann Artur Frank seinen Finger in die tiefste Wunde unseres Sozialsystems. 1.500 bis 3.500 Euro pro Monat bezahlt man in Österreich für die Unterbringung in einem öffentlichen Pflegeheim, in den privaten Residenzen können die Kosten auf bis zu 7.000 Euro steigen. […]
Rein rechtlich spricht nichts gegen den organisierten Rentner-Export, ethisch ist das Modell aber höchst umstritten. Pionierarbeit nennt es Frank, Vermögensschonung für Angehörige Johannes Wallner, Präsident des Bundesverbands der Pflegeheime. Ein Grenzgang zwischen Geld und Gewissen.
Sechs hochbetagte Österreicher hat Frank, meist auf Betreiben der Angehörigen, bereits in den alles andere als nahen Osten transferiert, weitere sollen bald folgen. Ein Betroffener aus Klagenfurt ist sogar in der Grenzregion zur Ukraine untergebracht, fristet seinen Lebensabend somit 800 Kilometer von zuhause entfernt.
Drei der von mir vermittelten Österreicher sind zwar körperlich mobil, leben aber psychisch in ihrer ganz eigenen Welt, erzählt Frank. Bei denen sei es ja letztendlich egal, wo sie untergebracht sind.

In den Tagesthemen von gestern wurde ein weiterer „Fall“ beschrieben.
 Gerti Ludl, 82, aus Bayern wurde in ein Heim in Zlatna na Ostrove (Slowakei) verfrachtet. 
Dort kostet die Pflege der vergesslichen Frau nur rund ein Drittel. Die Heimleiterin räumt zwar gegenüber der ARD ein, daß keiner der Pfleger deutsch spreche, aber wen kümmert das schon? 

Aus den Augen, aus dem Sinn. 

Pech für Frau Ludl und der CDU-Pflegeexperte Willi Zylajew findet es super:
„Wir wollen keinen Pflegetourismus, aber wenn Menschen sich aus freien Stücken für das Ausland entscheiden, dann muß es diese Möglichkeit geben!“

Dazu braucht man wohl wieder eine besondere Portion „Christliches Menschenbild“ um bei einem Demenzkranken zu erkennen, daß er/sie aus freien Stücken in die Slowakei will.

Ein Pflegeheim in Deutschland wäre zu teuer gewesen. Das zumindest hat der Sohn, der zu Hause ein Spielwarengeschäft führt, ein paar Tage zuvor am Telefon erzählt. "Meine Mutter hat eine kleine Rente und muss davon auch noch 500 Euro Beitrag für ihre private Krankenversicherung zahlen. Ein deutsches Heim wäre so teuer, dass ich 1000 Euro pro Monat selbst beisteuern müsste."
Die letzte Reise führt für immer mehr Deutsche in ein Pflegeheim im Ausland. In Ländern wie der Slowakei, Tschechien oder Ungarn, aber auch Spanien und Thailand gibt es eine wachsende Zahl an Einrichtungen, die sich speziell an westeuropäische Kunden wenden und häufig von deutschen Betreibern geführt werden. Gemeinsam haben sie, dass die Pflege dort weit günstiger geleistet wird als in deutschen Einrichtungen.
Die Auslandsheime erleben regen Zuwachs. Schuld daran ist offenbar, dass die Heimkosten in Deutschland stetig steigen – knapp 2900 Euro waren es zuletzt für Pflegestufe 3 – die Rentenhöhe gleichzeitig aber stagniert. Eine Folge dessen ist, dass die Zahl an pflegebedürftigen Sozialhilfeempfängern deutlich steigt.
[Gerti Ludl bleiben nur noch ein paar Photos] In der Mitte hängt prominent ein Bild von Ludls "G’schäft", wie sie stolz sagt: Ein Lotto- und Schreibwarenladen in ihrer Heimatstadt, den sie jahrzehntelang geführt hat. Frau Ludls große Liebe. "Jetzt ist mein G’schäft da draußen irgendwo, aber ich kann ja nicht mehr hin", sagt sie und schaut sehnsuchtsvoll aus dem Fenster.
(DieWelt 28.10.12)