So oft stimme ich nicht mit katholischen Theologen überein, aber wenn einer Recht hat, kann ich nicht nur aus Bockigkeit widersprechen.
Bernhard Emunds, geboren 1962, ist Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie und leitet das Nell-Breuning-Institut in Frankfurt am Main. Der Pflegeexperte sagt zum Thema Kostensteigerung in der Pflegebranche noch mehr Unheil voraus. Das System ist derzeit unterfinanziert und wird garantiert immer teurer werden.
Noch werden 84% der zu Pflegenden durch Ausbeutung der Angehörigen oder minimal bezahlter osteuropäischer 24/7-Kräfte irgendwie versorgt. Das geschieht oft nicht professionell und verlangt enorme Opfer.
[….] Das ist die Geringschätzung von Sorgearbeit in Deutschland. Sorgearbeit in der Familie bleibt nicht nur unbezahlt. Vielmehr wird, wer viel Sorgearbeit leistet, vom Staat kaum unterstützt. Zudem liegt das Lohnniveau für soziale Berufe immer noch knapp 20 Prozent unter dem vergleichbarer Berufe. Sorgearbeit zählt einfach nicht viel in unserer industrie- und exportfixierten Gesellschaft! [….] Arbeit, die mit dem Körper eines anderen Menschen oder mit unserer körperlichen Präsenz im Raum zu tun hat, wird in der Öffentlichkeit abgewertet; geistige Arbeit, aber auch Industriearbeit wird als wichtiger angesehen. Diese Abwertung ist zudem eng mit den Geschlechterverhältnissen verbunden, die Sorgearbeit ist klassischerweise Frauenaufgabe. [….] Auch wenn Pflegedienste im Einsatz sind, tragen die Angehörigen die Hauptverantwortung. Zumeist jedoch sind sie ganz auf sich gestellt. Viele geraten in soziale Isolation oder werden chronisch krank. Manche rutschen in Armut. […..] Pflegegeld ersetzen durch ein Pflegendengeld. Das bekommen Angehörige, wenn sie im Job kürzertreten oder vorübergehend ganz aussteigen. Es sichert die Menschen materiell ab und sollte sich am Mindestlohn orientieren. Wer daneben in Teilzeit im alten Job bleibt, bekommt es anteilig. Beratung und Sachleistungen in der häuslichen Pflege wären davon unabhängig, auch die Leistungen der Pflegeversicherung für die stationäre Pflege würden dadurch nicht tangiert. [….]
In den USA und in Deutschland werden aber durch ein Potpourri von Ursachen alle Parteien gehasst und abgewählt, die mehr Mittel für die soziale Versorgung ausgeben wollen. Lindners, Merzens, Trumps, Spahns, Weidels, Söders sozialpolitische Vorstellungen sind weitgehend deckungsgleich: Massiv bei den Ärmsten kürzen. Sozialleistungen streichen und dafür die Superreichen entlasten.
Und nein, sie machen damit nicht „Politik gegen das Volk“. Das Volk will es offenbar genauso. 70-80% der Wähler in Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wählen so. Das Bürgergeld der SPD ist höchst unpopulär. Merz versteckt seine einseitig Millionärs-fördernden Ansichten nicht, sondern posaunt sie laut hinaus. Der Urnenpöbel liebt es scheinbar und so steigen die CDUCSU-Werte, während Linken und Sozis die Wähler weglaufen.
Die Söders und Merzens und Lindners hetzen auf, streuen Falschinformationen und schüren Neid. Aber es sind die Wähler, die den Mist kaufen, die schwarz, gelb und braun wählen, mit Mehrheiten versehen.
So wie auch die US-Wähler mit einer bewußten und demokratischen Entscheidung dafür votierten, Millionen Amerikanern die Krankenversicherung zu nehmen, sie zur Obdachlosigkeit und Straßen-Opioiden zu verdammen, Schusswaffengewalt auszusetzen und dafür Trillionen neues Staatsdefizit anzuhäufen, um die Billionäre mit einer nie dagewesenen Geldflut zu übergießen.
So werden auch die Deutschen CDUCSUFDP-Superspender von Steuerfahndern oder Vermögenssteuer verschont, während es den Ärmsten und Schwächsten an den Kragen geht. Der Urnenpöbel will es so.
Für drei Millionen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen wird es brutal, wenn Merz im Kanzleramt sitzt. Denn ob Braun, ob Schwarz, ob Blau, ob Gelb – alle wollen „den Staat verschlanken“, das Bürgergeld abschaffen und Sozialleistungen zusammenstreichen. Sie alle propagieren, daß Pflege und Gesundheit billiger gehen müsste.
Jens Spahn war bereits vier Jahre Gesundheitsminister und hatte dazu die entsprechenden Ideen offen kommuniziert: Mehrarbeit in diePflegeberufen.
Unser Theologe des Tages hingegen, erklärt, wieso das diametrale Gegenteil erforderlich ist. Es muss mehr Geld für Pflege ausgegeben werden. Ob durch Sozialabgaben, oder viel bessere durch Mittel aus dem Bundeshaushalt: Es muss mehr Geld ins System, auch wenn die Konservativen anderes versprechen.
[….] Emunds: [….] mehr öffentliches Geld für Pflege auszugeben, liegt daran, dass vielen ein ganz grundlegender Zusammenhang nicht klar ist: Pflegeleistungen, die von Erwerbstätigen erbracht werden, sind dazu verdammt, immer teurer zu werden. Da kann man so viel reformieren wie man will, diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten. [….] Das ist einfache Volkswirtschaftslehre: Bei der Industriearbeit sind starke Steigerungen der Arbeitsproduktivität möglich, durch Innovationen, durch Maschinen und Computer, durch KI. Das bedeutet, dass mit der gleichen Zahl von Arbeitskräften immer mehr Waren hergestellt werden können. Bleibt es in etwa bei den Absatzpreisen, dann können die Industrieunternehmen ohne Gewinneinbußen höhere Löhne zahlen und bessere Arbeitsbedingungen bieten. Bei Pflegearbeit sind solche Steigerungen der quantitativen Produktivität kaum möglich, weil die Arbeit immer am einzelnen Menschen erbracht wird. Wenn Menschen auch in Zukunft in der Pflege erwerbstätig sein sollen, müssen sich Löhne und Arbeitsbedingungen dort ebenfalls verbessern. Deshalb müssen professionelle Pflegeleistungen im Verhältnis zu industriell produzierten Waren auf die Dauer immer teurer werden. Das haben wir über Jahrzehnte erlebt.
SPIEGEL: Demnach müssten in Zukunft die Ausgaben der Gesellschaft für Pflege weiter steigen.
Emunds: Richtig. Leider geht die Politik fast immer den gegenteiligen Weg: Sie verspricht, dass die Sozialabgaben eben nicht steigen. Damit hungert sie den Pflegebereich aus. Das ist der Kern der Misere. [….]
Es ist verrückt. Wieso sind sich alle so einig, daß man im Gesundheitswesen sparen müsse? Selbstverständlich gehören Exzesse bei Pharmapreisen - Zolgensma, eine Spritze gegen die tödliche genetische „spinale Muskelatrophie“, kostet zwei Millionen Euro – und abstruse Chefarztgehälter abgeschafft. Aber wieso sind eine große Auto-Industrie und ein großer Maschinenbausektor gut, aber ein großer Gesundheitssektor grundsätzlich schlecht?
Wie absurd! Im medizinischen und Pflegebereich könnten noch viel mehr Menschen sehr gut verdienen. Das würde die Nachfrage stärken und damit die Wirtschaft ankurbeln. Pharmahersteller, soviel medizinisch Forschende, Pflegemittelhersteller könnten prosperieren, Patienten zufriedener sein und so könnte ein florierendes gesundes Gesundheitssystem auch international attraktiv sein. Man könnte Knowhow exportieren und reiche Scheichs zum Kuren und für Spezialoperationen nach Deutschland holen, die dann so viel bezahlen, daß das deutsche System insgesamt profitiert. Ein teures Gesundheitssystem ist nur schlecht, wenn es so unausgewogen ist, daß sich Beamte und Reiche per Privatversicherung der Solidarität entziehen und Milliardäre sich Helios- oder Asklepios-Konzerne schaffen, mit denen sie Milliarden Euro der Beitragszahler auf ihre privaten Konten umleiten. Natürlich müssen Kliniken gemeinnützig sein, um Millionenüberschüsse den Patienten zukommen zu lassen und nicht als Shareholder Value zu verpulvern.
Krankenhäuser dürfen nicht verpflichtet sein, Geld zu erwirtschaften, sondern sollen dem Patientenwohl dienen und das soll aus dem Steuerzahlertopf möglich gemacht werden. Das wäre leicht, wenn man statt weniger hundert Millionen bei Bürgergeldempfängern zu sparen, die Schleusen öffnete, um hunderte Milliarden bei der Steuerhinterziehung, Reichensteuer, Vermögenssteuer und auch durch Kredite reinzuholen. Anders als Lindner und Merz behaupten, sind Schulden etwas Gutes! Mit ihnen können staatliche Investitionen getätigt werden und wir müssten sie auch nicht wie die USAner beim chinesischen Staat aufnehmen.
Die deutsche private Sparquote ist enorm hoch. Staatskredite könnten von deutschen Durchschnittsverdienern in Form von rentenwirksamen Darlehen gegeben werden, so daß die Zinszahlungen des Staates im Land blieben, wieder den eigenen Bürgern und somit der ökonomischen Nachfrage zu Gute kämen.
Aber der Urnenpöbel will das nicht und läuft lieber Merz hinterher.