Mittwoch, 22. Juli 2015

Föderales



Wenn ich gegen „die Bayern“, „die Amerikaner“ oder „die Ossis“ hetze, ist das natürlich immer eine eigentlich nicht zulässige Pauschalisierung.
Es gibt nicht „die Amerikaner.“ Auch die größten Amerikahasser von ganz links müssen verstehen, daß die USA riesengroß und heterogen sind.
Verallgemeinernde Aussagen können maximal Momentaufnahmen zu bestimmten Themen sein.
„Die Amerikaner“ waren natürlich scheiße, als sie am 02.11.2004 mit absoluter Mehrheit trotz der illegalen Kriege und Lügen GWBs erneut für ihn stimmten.
Das ist etwas, das ich den Amerikanern auch nicht verzeihen kann.
Denkt man zwei Minuten länger über den damaligen Wahltag nach, lässt sich die Aussage aber auch nicht mehr halten.
Ja, es war ganz schlimm, daß 62 Millionen Menschen, bzw 50,7% der abgegebenen Stimmen auf den Kriegsverbrecher Bush stimmten.
Aber 59 Millionen Amerikaner wollten das auch explizit NICHT und wählten John Kerry.
Betrachtet man die Gesamtzahl der Amerikaner von damals rund 300 Millionen Menschen, waren es sogar nur rund 20% der Amis, die ein Kreuz bei GWB machten.

Wenn solche politischen Stimmungsbilder immer wieder vorkommen, indem zum Beispiel über Dekaden große Mehrheiten der abgegebenen Wahlstimmen auf die CSU entfallen, kann man andererseits „den Bayern“ schon unterstellen, daß sie wissen wofür sie da stimmen und welche Politik sie immer wieder bestätigen.
Da kann man schon mal sauer werden und die Millionen Bayern, die mit der CSU nichts am Hut haben wollen, kurzzeitig vergessen.
Zu viel ist zu viel. Fünf Mal Berlusconi zu wählen, 16 Jahre lang Kohl, ein halbes Jahrhundert CSU, 12 Jahre Merkel, vier Mal Roland Koch, zehn Jahre von Beust, 25 Jahre Sachsen-CDU-Regierung – das lädt dann schon dazu ein, verachtet werden zu wollen.

Die gegenwärtig ventilierten Studien zum Ost-West-Unterschied 25 Jahre nach der „Wieder“vereinigung öden mich etwas an.
„Zum Glück!“ sage ich dazu. Wer will denn in einem völlig homogenen Land leben, in dem alle das gleiche denken und sich gleich benehmen?
Das ist doch das Schöne daran, wenn ein Land eine gewisse Größe hat.
Wenn sich ein junger Schwuler aus einem konservativen bayerischen Dorf diskriminiert oder gelangweilt fühlt, kann er nach Berlin ziehen.
Und wer Mieten, Lärm, Dreck und Unruhe der Berliner City nicht mehr ertragen kann, dem steht es frei sich in einem idyllischen Dörfchen mit sauberer Luft in Niederbayern einzuquartieren.
So funktioniert das sogar innerhalb der Städte.

Diese Bewegungen habe ich mehrfach in Hamburg beobachtet:
Menschen wachsen in netten Außenbezirken wie zB „den Walddörfern“ auf, machen dort ihren Schulabschluss und sobald sie erwachsen sind, zieht es sie in die Innenstadt, wo es nicht mehr so öde ist.
Dort haben sie ein Partyleben, studieren oder machen Karriere, heiraten.
Spätestens bei der Geburt des zweiten Kindes suchen sie sich dann eine Bleibe in einem der Hamburger Randbezirke, wo man sich mehr Zimmer leisten kann, Garten und gute Schulen vor der Tür hat. Mit Mitte 50, wenn die Kinder aus dem Haus sind, beginnt  die viele Arbeit mit dem Haus und Garten zu nerven und man hat keine Lust mehr eine Stunde zu fahren, wenn man mal in die Oper will. Also sucht man sich wieder eine viel kleinere, praktische Wohnmöglichkeit in zentraler Lage.
Ich sehe es als Privileg an, wenn man sich ungezwungen in seiner Stadt, in seinem Land so bewegen kann.
Für die USA passt das erst Recht. New York und L.A. sind voll von jungen Leuten, die in Kaffs des Biblebelts aufgewachsen sind und umgekehrt ziehen Städter aufs Land, die sich eine ruhige Nachbarschaft und mehr Platz wünschen.

Es ist also ganz wunderbar, daß „der Osten“ noch anders tickt, als Westdeutschland.
Ich hoffe genauso, daß sich die Lebenseinstellung der Hamburger Innenstädtler niemals an die der Bayern anpasst.
Und der rheinische Frohsinns-Karnevalist wird seine gewohnte Kultur hoffentlich nicht eines Tages auch in Kiel wiederfinden.

Sachsen und Thüringer können nicht nur, sondern sollten sogar aus meiner Hanseatischen Perspektive merkwürdig sein. Umgekehrt müssen und sollen Schwaben und Hessen nicht Hamburger Gepflogenheiten, wie die grundsätzliche Ablehnung von Orden oder das Nichtmitsprechen von akademischen Titeln adaptieren.

Ganz allgemein gesprochen, kann man aber doch einiges sagen:             

In den neuen Bundesländern lebt fast keiner der 500 reichsten Deutschen. Sie sind milliardärsfreie Zone.
Drei Viertel der Ossis sind keiner religiösen Gemeinschaft angeschlossen - sehr sympathisch!

Daß „die Ossis“ anders ticken als Westdeutsche, ist aber nicht nur wegen ihrer völlig anderen Geschichte vor 1990 selbstverständlich, sondern liegt auch daran, daß von den 15 Millionen Einwohnern im Jahr 1990 mehr als zwei Millionen Jüngere und gut Ausgebildete „rübergemacht haben“.
Die abfällig Bezeichnung „DDR = Der doofe Rest“ hat also tatsächlich eine gewisse Berechtigung.

Während im Westen durchaus auch hilfsbereit und freundlich auf Flüchtlinge reagiert wird, in Hamburg sogar eine „überwältigende Hilfsbereitschaft“ zu erkennen ist, bleibt es ein wesentliches Ost-Merkmal, daß sie weit überdurchschnittlich xenophob und rassistisch sind. Widerlich.

Angst vor Einwanderung: Extreme Urteile über Ausländer fällen immer noch vor allem Ostdeutsche. Auch zu diesem ernüchternden Urteil kommt die Erhebung. Das ist bemerkenswert, denn in den neuen Bundesländern leben mit großem Abstand die wenigsten Migranten. Zudem weisen Zuwanderer im Osten oft deutlich bessere Bildungsabschlüsse auf als Einheimische - sie können sich auf dem Arbeitsmarkt aber kaum behaupten.

Ich glaube, ich kann „die Ossis“ doch nicht leiden!