Freitag, 16. Februar 2018

Frau, gläubig, rechts

Angeregt von Oberclowns Frage denke ich mal wieder darüber nach was eigentlich links und was rechts ist.
Oftmals denke ich so radikal pragmatisch, daß ich sehr linke politische Ansichten nur noch als Hilfe für die politische Rechte ansehe.
Wer wie die französischen Sozialisten unter François Hollande 95% Vermögenssteuer fordert, überzieht vermutlich und bekommt so viel Widerstand, daß an Ende gar keine Vermögenssteuer eingeführt wird.
Was nützen radikale Maximalforderungen, wenn man damit machtlos in der Opposition sitzt? Ist es nicht besser kompromissbereit zu sein und „der Wirtschaft“ entgegen zu kommen, so daß man wenigstens ein paar linke Wünsche durchsetzen kann?
In den USA ist das Elend besonders groß, da die Demokraten für meinen Geschmack viel zu rechts sind.
Ich wünsche mir demokratische Kandidaten, die klar als Atheisten auftreten, die nicht pathetisch von „greatest country of all“ sprechen, die es wagen das Militär radikal zu beschneiden, Waffen verbieten, das Homeschooling abschaffen und eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherungspflicht einführen.
Allerdings wird so eine Person nicht die geringste Chance haben überhaupt als Kandidat nominiert zu werden.
Rep. Joe Kennedy (D-MA) wird auch vom USA-pathos erfasst, beendet seine Rede mit „god bless America!“. Für mich ist das blanke Idiotie. Aber so muss man eben reden, wenn man überhaupt Chancen in der amerikanischen Politik haben will.
Wer weiß schon, ob Hillary Clinton oder Barack Obama wirklich an Jesus glauben.
Sie sind beide recht intelligent, also spricht einiges dafür, daß sie den christlichen Unsinn nicht glauben. Aber es ist eben intelligent nicht zuzugeben, daß man Atheist ist, wenn man zum US-Präsident gewählt werden möchte.

Ein bißchen mit Wirtschaftslobbyisten zu kungeln, ein wenig auf konservative Christen zuzugehen, muss in Amerika also nicht bedeuten nicht links zu sein. Das kann auch ein Ausweis von Klugheit sein.

In Deutschland sind wir ein wenig weiter.
Der überzeugte Atheist Gerhard Schröder wurde zweimal zum Bundeskanzler gewählt; sein Vizekanzler Joschka Fischer brachte es als ebenso überzeugter Atheist zum beliebtesten deutschen Politiker.
Für deutsche Verhältnisse war die rotgrüne Bundesregierung allerdings nicht besonders links, auch wenn nie linkere Parteien eine Koalition auf Bundesebene bildeten.
Aber Schröder gab sich als „Genosse der Bosse“, hatte ein Ohr für die Autoindustrie und sein „schwarzer Scheriff“ Otto Schily drückte so knallharte Sicherheitsgesetze durch, daß Beckstein ihn kaum noch überfordern konnte.
Das pure Grauen für liberale Bürgerrechtler und Jusos.
Ich bin aber immer noch überzeugt, daß nach 9/11 ohne Schily 2002 Edmund Stoiber Bundeskanzler geworden wäre.
Also war es letztendlich doch links, daß Schily rechts war.

Aber mal Taktik beiseite; was unterscheidet links und rechts?
Früher galt einmal, Linke strebten nach Veränderungen, wollten Verbote niederreißen, während Rechte (=Konservative) das Bestehende zementieren wollten.
Inzwischen müssen aber Konservative manchmal sehr modern sein, radikal auf wirtschaftliche Innovationen setzen, weil das ihrer Meinung nach erforderlich ist, um den Wohlstand zu erhalten. Umgekehrt setzen Linke auf Bestehendes, wenn sie beispielsweise im Sinne des Umweltschutzes technologische Möglichkeiten verbieten und das Wachstum zügeln. Andererseits sind „linke Techniken“ wie regenerative Energien heute größere ökonomische Faktoren, als die „rechten Lieblinge“ wie Verbrennungsmotoren und Atomkraftwerke.
Da verschwimmt einiges, wenn man Links und Rechts wirtschaftlich definieren möchte.

Für mich ist der Unterschied zwischen links und rechts die generelle Stoßrichtung.
Links kämpft für die Schwachen, Rechts kämpft für die Starken.
Das gilt nicht nur politisch, sondern beispielsweise auch für den Terrorismus.
Rechte Terroristen ermorden die Schwächsten der Gesellschaft, rechte Hetzer pöbeln gegen Minderheiten: Schwule, Flüchtlinge, Behinderte, Obdachlose.
Linke Terroristen legen sich mit den Stärksten der Gesellschaft an, dem Militär, Bankdirektoren, Toppolitiker.

Von einer linken Partei wie der SPD erwarte ich, daß sie sich im Zweifelsfall immer für die Schwächsten einsetzt und mit ihnen gegen die Mächtigsten kämpft.

Was qualifiziert Andrea Nahles nun dazu innerhalb der SPD als links angesehen zu werden?
Nun, sie hat einiges dafür getan als Ikone des sehr linken Gewissens der SPD wahrgenommen zu werden.

Sie gründete 2000 das Forum Demokratische Linke 21, den Nachfolgeverein, des „Frankfurter Kreises“, der sie Linken in der SPD bündeln sollte und blieb acht Jahre DL21-Vorsitzende.
2014 trat sie aus, weil sie als Ministerin im Sinne der Arbeitgeber großzügige Ausnahmen beim Mindestlohn zuließ.
Heute kämpft das DL 21 gegen die einstige Vorsitzende und argumentiert scharf gegen die neue Groko.

Nahles war (ist?) Mitglied der Denkfabrik in der SPD-Bundestagsfraktion, die sich als Forum für junge und linke SPD-Abgeordnete versteht.

[….] Die DENKFABRIK existiert seit Sommer 2004. Wir – Abgeordnete und MitarbeiterInnen – haben sie ins Leben gerufen, weil wir einen Raum schaffen wollten, in dem Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ungeschminkt und abseits der Schnelligkeit von Tagespolitik diskutieren können. Wir verstehen die DENKFABRIK als kreativen Impulsgeber innerhalb der SPD und sehen uns in einer besonderen Verantwortung, unseren Beitrag zur Stärkung des sozialdemokratischen Profils und zur Zukunftsfähigkeit der SPD zu leisten. [….] Vielfältig sind unsere Vorstellungen darüber, wie unsere Gesellschaft einmal aussehen könnte und vor allem auch, welche politischen Werte uns bewegen. Darüber diskutieren wir auch gemeinsam mit Politikerinnen und Politikern der Grünen, der SPD sowie der Linken. Resultate dieses #r2g Diskurses stellen wir regelmäßig vor. Wir sehen viele programmatische Überschneidungen. [….]

Dort soll Nahles wegen ihrer Abneigung gegenüber den Linken inzwischen ausgetreten sein. Diese Information konnte ich aber nicht verifizieren bisher.

Nahles war bis vor wenigen Wochen ebenfalls Mitglied der PL, der Gegenspielerin der Seeheimer.

[….] Die Parlamentarische Linke (PL) ist ein Zusammenschluss von sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten. Unser Ziel ist es, Diskussionen anzustoßen, politische Ideen zu entwickeln und ihre Umsetzung voranzutreiben – innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion und auch darüber hinaus. Dabei eint uns unsere Zugehörigkeit zur SPD-Linken und das damit verbundene Eintreten für Freiheit, Gleichheit und gesellschaftlichen Fortschritt. Mit über 70 Mitgliedern ist die Parlamentarische Linke der größte Zusammenschluss innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion. [….]

Am 13.01.2018 verkündete Nahles zum Entsetzen ihrer PL-Freunde ihre dortige Mitgliedschaft ruhen zu lassen.

Überrascht gewesen sind sie vermutlich nicht. Nahles ist recht CSU-affin geworden in ihrer Zeit als Ministerin.

[…] Sie hat, zumal als Arbeitsministerin, mitunter einen klaren Blick für die Wirklichkeit an den Tag gelegt - gemessen an dem Umstand, dass sie einst aus dem linken Juso-Verband kam, der sich gerne in Nischenthemen einrichtet. Es war ausgerechnet Nahles, die vor zwei Jahren dem Kabinett einen Gesetzentwurf vorlegte, der bestimmt, dass EU-Ausländer erst dann Sozialleistungen bekommen können, wenn sie fünf Jahre in Deutschland gearbeitet haben. Das Gesetz der damaligen Großen Koalition war eine Botschaft an EU-Neulinge wie Rumänien und Bulgarien, von wo eine Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme beobachtet wurde.
Nahles reagierte damals - unausgesprochen auch unter dem Eindruck des vorherigen Flüchtlingsandrangs - auf das Abschmelzen der Kernklientel der SPD, der klassischen Industriearbeiter. Diese Gruppe misstraut einem liberalen Migrationskurs, flüchtet sich in die Wahlabstinenz oder wendet sich gleich der rechtspopulistischen AfD zu. Der "rechte" Kurs der "linken" Nahles wurde damals von vielen nur am Rande wahrgenommen, zeigt aber, wie unideologisch sie agieren kann. [….]

Schließlich galt Nahles natürlich wegen ihres Buches „Frau, gläubig, links. Was mir wichtig ist. Pattloch Verlag, München 2009, ISBN 978-3-629-02239-4“ als links.

Sehr eigenartig. Als Vertreterin einer stramm konservativen und bis heute rein patriarchalischen Organisation wie der RKK, die in den letzten 1500 Jahren massiv jeden gesellschaftlichen Fortschritt bekämpfte, kann man meines Erachtens nicht links sein.
Die RKK ist die Beharrungsorganisation schlechthin. Sie ist das große Instrument der Mächtigen.
Zu ihrem Engagement für den homophoben und misogynen Papst spricht auch eine andere nicht gerade linke Eigenschaft der Andrea Nahles.
Sie kann ausgesprochen biestig werden, wenn ihre Machtambitionen durchkreuzt werden.

[….] Von der Männerwelt in ihrer Partei lernte sie als Juso-Chefin in den Neunzigerjahren, worauf es ankommt - auf Bündnisse, auf einen Kreis von Vertrauten, auf Absprachen, auf Berechenbarkeit. Wer Nahles erlebt hat, weiß, dass sie sehr unangenehm werden kann, wenn ihr Vertrauen missbraucht wird. Diese Härte ist im politischen Überlebenskampf notwendig. [……]