Mittwoch, 23. Dezember 2015

Aufpassen, Presse!

Jedes Jahr muß man als Medien-Geront neue Begriffe lernen.
Begriffe, die auf einmal von allen verwendet werden, ohne daß man sie offiziell erklärt bekommen hat.

Frontex, TTIP, Montagsdemonstranten, Pegida, Querfront, Daesh und das letzte, das ich bewußt lernte war „Gatekeeper“.

Gatekeeping ist die Auswahl-Funktion des professionellen Journalismus. Sie bewerten, checken, prüfen und bearbeiten die unüberschaubare Masse der Meldungen, die täglich in die Welt geblasen werden.
Das ist eine unverzichtbare Funktion, denn die schiere Quantität der Nachrichten macht es unmöglich sich selbst das Relevante zuverlässig raus zu filtern.

Diese Schnittstelle ist aber auch Ausgangspunkt für Verschwörungstheorien aller Art. Pegisdisten und andere Debile bezweifeln nämlich, daß die klassischen Medien ihre Gatekeeping-Funktion seriös ausfüllen.
Daher skandieren sie bei jeder Gelegenheit in klassischem NS-Sprech „Lügenpresse! Lügenpresse!“
Im Internet finden sie leicht andere Gatekeeper und landen bei Kopp, PI, Kathnet, Deutsche Wirtschaftsnachrichten (DWN), Netzfrauen oder Russia Today (RT).
Auf solchen Plattformen finden sich in der Tat „andere“ Meldungen, die man üblicherweise nicht in der Tagesschau sieht.
Verschwörungstheoretiker glauben diesen „alternativen Medienplattformen“ schon deswegen, weil sie nicht das bringen, was in klassischen Medien berichtet wird. Außerdem passen diese Dinge so viel besser in das eigene verquere Weltbild.
Der Haken an der Geschichte ist, daß RT und DWN zwar spannende, aber leider keine seriösen Nachrichten bringen.

Ich halte diese Portale aus dem Eso-, Neonazi-, Tradi und Verschwörungsbereich für äußerst gefährlich, weil so Demagogie und Extremismus die Türen geöffnet werden. Factchecking und Recherche werden immer mehr in den Hintergrund gedrängt und am Ende macht sich jeder die Nachrichten so, wie er sie gerne hätte.
Schon jetzt leben die Nutzer der sozialen Netzwerke oft in ihren inzestuösen Blasen, in denen sie nur das wahrnehmen, was in ihr Weltbild passt.
Kommt es dann zu einem zufälligen Kontakt mit der guten alten 20Uhr-Tagesschau, wirkt diese so exotisch, daß sie umso leichter als „Lügenpresse“ geschmäht wird.
Dadurch leben Journalisten gefährlich, werden bei „Montagsdemos“ tätlich angegriffen.

Außerordentlich bedenklich ist es, wenn zur seriösen Presse gezählte Medien dem Populismus erliegen, auf einmal auch das bringen, was Peginesen gern hören und dies auch noch ökonomisch erfolgreich ist.
Das abschreckende Beispiel heißt Focus-Online. Mit xenophoben Flüchtlings-Berichten und Gerüchten, wurde die Burda-Tochter zur Nummer eins in den sozialen Netzwerken.

Ich verurteile das scharf.
Der einzige Weg mit Lügenpresse-Anfeindungen umzugehen, ist es streng faktenorientiert zu bleiben, oder wenn möglich noch genauer zu recherchieren und zu prüfen.

Tendenziöse journalistische Fehlleistungen, die nur zu offensichtlich einem bestimmten Freund-Feind-Bild entsprechen, dürfen nicht passieren.

Nach wie vor beobachte ich im Internet Gruppen wie „die Putinisten“ und staune über die Parallelwelt, in der diese Leute leben.
Dort ist Putin der unumstrittene Held. Jeglicher Widerspruch muß eine Lüge sein.

In der Diskussion mit Putinisten, Peginesen und anderen Panikern sind Häme und Besserwisserei nutzlos. Man kann lediglich die Quellen hinterfragen und versuchen diese Menschen für Fakten zu sensibilisieren.
Das ist kein leichtes Unterfangen, denn gerade bei genauer Beachtung der Faktenlage erkenne ich bei ARD, ZDF und SPIEGEL durchaus auch Parteilichkeit zu Ungunsten Russlands. Unglücklicherweise sitzen sie damit in einem Boot mit Merkel und Gauck, die sich beide klar von antirussischen Vorurteilen lenken lassen.

Außerordentlich kontraproduktiv ist es natürlich gerade beim Themenkomplex „Russland, Ukraine, Putin“ wenn „Mainstreammedien“ sogar noch bei Falschmeldungen ertappt werden. Dann sind sie in einer NoWin-Situation. Um den eigenen seriösen Ruf zu retten, bringen sie üblicherweise a posteriori Korrekturen und  Gegendarstellungen.  Aber das was als Ausweis der Seriosität gedacht war, verstehen Verschwörungstheoretiker nur als Beweis ihres Lügenpresse-Weltbildes.

Beim Absturz/Abschuss des MH17-Jets über die Ukraine passierten viele dieser antirussischen Übersprunghandlungen. Unsere seriösen Medien betrachteten die Darstellungen aus Kiew als Fakten und misstrauten allen Meldungen aus Moskau. Man hätte aber beides gleichermaßen kritisch überprüfen müssen.
So kam es zu der bekannten Empörungswelle angesichts eines angeblichen „Pro-Russen“ der hämisch eine Puppe eines der Kinder an Bord in die Kamera hielt.
ARD, BILD und Co hätten das Video nur wenige Sekunden länger ansehen müssen, um festzustellen, daß genau das diametrale Gegenteil richtig war.

Der Rebell legte dann das Plüschtier auf den Boden zurück, nahm seine Mütze ab und bekreuzigte sich. Klar ersichtlich wird, dass er tief bewegt ist und trauert.

Auch bei dem Abschuss des russischen Jets im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei durch die Türkische Luftwaffen, wurde offensichtlich von vielen Medien nicht sauber gearbeitet.
Schnell waren die Russen als Luftraum-Rüpel ausgemacht, die schließlich zehnmal gewarnt worden wären und dann nun wirklich zu Recht abgeschossen wurden.

Recherchiert man etwas genauer, wie es dankenswerterweise Anja Reschkes PANORAMA-Team gemacht hat, stellt sich schon bei der Befragung von Jetpiloten der Bundeswehr schnell heraus, daß die Darstellungen der Türkei und NATO nicht stimmen können.
In dieser Causa sind offensichtlich eher die zur NATO gehörenden türkischen Jäger die „Bösen“ und die Russen die Opfer.

[….] Sprey glaubt auch, eine Erklärung zu haben, warum die Russen die Warnungen der Türkei über Funk nicht gehört haben. Das hänge damit zusammen, dass die russischen SU 24 im Regelfall Funksprüche auf der zivilen Frequenz nicht empfangen können, sondern nur Funksprüche auf der militärischen Frequenz. [….]
Wolfgang Richter, Oberst a.D. der Bundeswehr und Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, hat sich die Flugkurven der Russen und Türken angeschaut. Im Detail unterscheiden sie sich, aber eine Sache könne man allgemein feststellen: Die russischen Maschinen flogen parallel zur türkisch-syrischen Grenze, stellten also keine direkte Bedrohung für die Türkei dar. Richter vermutet ein strategisches Interesse der Türkei für den Abschuss: "Es ist sicherlich ein beabsichtigter Abschuss gewesen, der auch vorbereitet war. Ich glaube nicht, dass die Verletzung des Luftraums das eigentliche Problem ist, sondern es waren die russischen Angriffe auf turkmenische Ziele." [….]


Wladimir Putin selbst wird im deutschen Fernsehen grundsätzlich negativ dargestellt.

In russischen Medien kursieren schwere Vorwürfe gegen das ZDF. Auslöser ist eine Dokumentation mit dem Titel "Machtmensch Putin", die der öffentlich-rechtliche Sender am Dienstag der vergangenen Woche ausgestrahlt hatte.
In dem Film tritt ein Protagonist namens "Igor" auf, der behauptet, als Freiwilliger an der Seite der prorussischen Separatisten in der Ostukraine zu kämpfen. Er sagt auch, dass sich reguläre russische Truppen im Donbass befinden.
Später war dieser Igor dann unter dem angeblichen Klarnamen "Jurij" im russischen Fernsehsender Rossija 1 zu sehen, wo er als "Arbeitsloser aus Kaliningrad" beschrieben wurde. Das berichtet unter anderem der kremltreue Sender Russia Today in seiner deutschsprachigen Ausgabe. Er gab an, das ZDF habe ihm ein Drehbuch geschrieben, alles sei gelogen und inszeniert gewesen. Der Produzent, ein Mann mit Namen "Bob", habe ihm 50 000 Rubel (etwa 650 Euro) dafür versprochen.
Dem russischen Fernsehen zufolge ist Bob der Filmemacher Walerie Bobkow. In angeblichem Rohmaterial soll zu sehen sein, wie Bobkow dem Schauspieler Jurij zeigt, wie er ein Gewehr zu tragen habe. Bei einem Flüstern im Hintergrund soll es sich um Regie-Anweisungen für den jungen Mann handeln, der angeblich immer wieder den vorgegebenen Text vergaß. Diese Anweisungen seien in der später ausgestrahlten ZDF-Fassung durch die Stimme des Sprechers und dramatische Geräusche übertönt worden.

Es gibt weitere Fälle von antirussisch eingefärbter Berichterstattung.

Liebe seriöse Presse, ich möchte keinesfalls, daß noch mehr Menschen zu Verschwörungstheoretikern werden und sich dann Kopp, PI, RT und Co zuwenden.

Um das zu verhindern, müßt ihr aber dringend besser aufpassen und Euch nicht zu Anti-Putin-Propaganda hinreißen lassen.

Es gibt auch bei reiner Betrachtung der Fakten genügend an der gegenwärtigen Kreml-Führung zu kritisieren.
Seriöser Journalismus soll dazu Hintergründe aufzeigen und Fakten erklären.
Wenn ihr stattdessen mehrfach bei unsauberer Arbeit ertappt werdet und dies zufällig immer zu Ungunsten Russlands ausfällt, können sich Kopp, PI, RT und Co bei euch bedanken, wenn sie immer mehr Zulauf haben.
Dann seid ihr selbst schuld, daß man euch immer weniger glaubt.