Donnerstag, 13. September 2018

Verständnis und Unverständnis.


Ab 2003 die großen Arbeitsmarktreformen einzuführen war mutig und richtig von Gerd Schröder, der SPD und den Grünen.
Schröder hat damit dem Land nachhaltig und selbstlos einen Dienst erwiesen.
Anders als Angela Merkel klebte er nicht an seinem Posten und lavierte sich den Weg des geringsten Widerstands entlang, sondern tat das was getan werden musste, um Deutschland zukunftsfähig zu machen.
Er tat das äußerst erfolgreich, wie man in der Mega-Bankenkrise 2008/2009 sehen konnte. Kein anderes Land in Europa war so gut gewappnet und so krisenfest.

Bundeskanzler Schröder hatte sich – das wird heute gern vergessen – auf eine mit vielen Gewerkschaftlern und Ökonomen und Sozialpolitikern besetzte Expertenkommission verlassen. Er hatte nicht etwa selbst die Agenda-Politik erdacht.

Angesichts der demographischen Entwicklung, die dazu führen wird, daß immer weniger Arbeiter immer mehr Rentner finanzieren, war es klug und auch Konsens eine „dritte Säule in der Rentenpolitik“ einzuführen. Private Vorsorge für alle – mit staatlichen Zuschüssen für die Kleinverdiener. Riester und Rürup wurden geboren.

Niemand konnte damit rechnen was für eine Dauer-Niedrigzinsperiode 15 Jahre später folgen würde. So etwas hat es in den letzten hundert Jahren nicht gegeben.
Bei dauerhaften 0%-Zinsen am Kapitalmarkt funktionieren Riester und Rürup nicht, wie wir heute alle wissen.
Die rotgrüne Agenda-Politik ist aber glücklicherweise keine dogmatische Schrift wie Bibel oder Koran, sondern ein gewaltiges Gesetzeskonglomerat, mit dem Neuland beschritten wurde. Es gab also logischerweise keine Erfahrungen und daher waren a priori Evaluierungen vorgesehen.
Mit der Agenda 2010 hörte Politik nicht auf zu existieren. Wir haben weiterhin gesetzgebende Parlamente und handelnde Regierungen.
Offensichtlich nicht funktionierende Teile der Hartz-Gesetzespakete müssen selbstverständlich kontinuierlich aussortiert/gestrichen/angepasst/verbessert werden.
Geringverdienern zu sagen „sorgt doch mit Riester selbst vor!“ ist schon seit Jahren offensichtlicher Unsinn.
Hier hätte die Bundesregierung längst handeln sollen – zumal die negativen Aspekte der Niedrigzinsen für private Kleinsparer für die Bundesregierung die Kehrseite von unerwarteten zehnstelligen Überschüssen haben, weil viel weniger Geld für den Schuldendienst gebraucht wird und die Anleger in deutsche Anleihen fliehen.
Es gibt aber auch andere Methoden die Rente zu stabilisieren. Man könnte wie in Westungarn viel mehr Menschen einzahlen lassen – zB Beamte, Unternehmer oder gar Bundestagsabgeordnete.

Wäre Gerd Schröder 2005 noch einmal Bundeskanzler geworden – was ihm ja fast gelungen wäre – hätte er mir seiner Tatkraft nach meiner festen Überzeugung längst gehandelt.
Es war richtig durch die Agenda-Gesetze Millionen Menschen in Arbeit zu bringen und schnell zu einer sehr viel höheren Beschäftigungsquote zu kommen. Es haben mehr Deutsche denn je sozialversicherungspflichtige Jobs.

Daß aber 15 Jahre nach Schröders Ankündigungen in einer Boom-Phase mit überquellenden öffentlichen Kassen immer noch zugesehen wird, wie eine Million Leiharbeiter schlechter bezahlt werden, als ihre Kollegen, die das Gleiche tun, ist unverzeihlich.

Es gibt keine Rechtfertigung, daß nach fünf Jahren SPD-Arbeitsministern (Nahles und Heil) der METRO-Konzern einfach aus dem Tarifverträgen aussteigt und seinen ohnehin schlecht bezahlten Kassiererinnen den Bruttolohn von 1.444,- auf 997,- kürzt.

[….] Gut 1.400 Euro brutto hat Renate jetzt. Damit kommt sie gerade so über die Runden. Über Altersvorsorge denkt sie gar nicht erst nach. Renate würde gerne mehr arbeiten. Aber mehr als 21 Stunden pro Woche bekommt sie nicht, damit man sie möglichst flexibel einsetzen kann. Ganz normal im Einzelhandel, auch bei real. Aber jetzt will die Warenhauskette auch noch den Lohn senken. Wenn Betriebsräte wie Isolde Droefke anfangen zu rechnen, schauen sie oft in ziemlich leere Augen.

Isolde Droefke: „Du verdienst jetzt aktuell ein Brutto von 1.444 Euro. Würde man einen Anschlussarbeitsvertrag machen, dann hättest du nur noch ein Brutto von 997 Euro.“

Renate H.: „Ne.“

Isolde Droefke: „Doch, das haben die so entschieden. Das sind 400, knappe 50 Euro weniger.“

Renate H.: „Ja. Ich habe vorher zwei Jahre für gutes Geld gearbeitet und jetzt auf einmal soll ich, was war das, 450 oder wie viel war das weniger bekommen. Warum? Warum, das frage ich mich.“

Reporter: „Weil Sie zu teuer sind.“

Renate H.: „Ja, zu teuer, klar, wir sind alle zu teuer. Das kann es nicht sein …“ [….]

Eine Groko, die nicht von selbst auf die Idee kommt, daß so etwas schwere Frustrationen und Politikerverdrossenheit auslöst, wundert sich womöglich auch über ihre miesen Umfragewerte.
Immerhin handelt es sich um ein prosperierendes Land mit einer funktionierende Regierung, die über stabile Mehrheiten verfügt. (Insbesondere 2009-2013)
Arbeitsministerin Nahles hätte längst handeln müssen. Es wäre möglich gewesen.

[….] „Die Politik fürchtet sich davor, hier die die Situation zu verbessern. Sie könnten es über das Instrument der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Natürlich könnten sie es. Das geht aber nur mit einem schweren Konflikt mit der Arbeitgeberseite. Und offensichtlich wird dieser Konflikt gemieden auf Kosten einer zunehmenden Frustration von - wohlgemerkt Millionen - Beschäftigten, die da unten angehängt werden von der Lohnentwicklung und von Verbesserungsperspektiven ihrer persönlichen Situation.“ [….]

Nahles und Heil waren also entweder zu feige – dann wären sie aber als Minister ungeeignet. Oder sie wurden von der übermächtigen Union gehindert. Dann hätten sie aber jeden Tag dreimal laut sagen müssen, daß Merkel und Seehofer den Kassiererinnen die Lohnkürzung einbrocken.


Blickt man auf die Verhältnisse in Ostdeutschland mit der AfD als stärksten Partei, sollten alle Groko-Politiker gewarnt sein, endlich ihre Arbeit zu machen.

Es ist tatsächlich verständlich, daß Geringverdiener, wie die bei MONITOR Erwähnten an den Groko-Parteien verzweifeln, weil sie die Politik aufgrund ihrer eigenen finanziellen Not sehr eindimensional sehen.
Da kommen weitergehende weltpolitische Erwägungen zu kurz.

Eine verantwortungsvolle Bundeskanzlerin und eine fähige Sozialministerin hätten längst gegengesteuert und soziale Härten abgewendet. Wie schwer kann das sein, wenn die öffentlichen Kassen ohnehin überquellen?

Ich wundere mich angesichts solcher Lohnkürzungen und der Aussicht auf Altersarmut nicht über einfache Wähler, die sich frustriert von der SPD abwenden.

Leider ist das Verhalten kontraproduktiv, denn so wird die SPD immer schwächer und kann noch weniger in der Groko durchsetzen.
Besser wäre es natürlich, wenn die SPD wenigstens gut erklären könnte was sie tut und alle Wähler rational abwägten welches das kleinste Übel für sie ist, statt frustriert gar nicht zu wählen.
Leider sitzen an der Partei- und Fraktionsspitze aber strategisch völlig unfähige Deppen wie Klingbeil, Heil, Nahles und Schäfer-Gümbel, die es alle vier zusammen gerade mal auf so viel Charisma bringen, wie es Helmut Schmidt oder Gerd Schröder im kleinen Finger haben.

Umso mehr verstehe ich den Frust der Wähler.

Diese Erwägungen sind aber keinerlei Rechtfertigung den eigenen Frust auf die einzigen, die noch schwächer als sie selbst sind zu lenken: Die Flüchtlinge.
Groko-Frust ist kein Freifahrtschein, um AfD zu wählen, montags in Dresden Nazi-Parolen zu grölen oder sich ungeniert braunen Hetzmobs auf der Straße anzuschließen.

Wer selbst so xenophobe Ansichten wie Sahra Wagenknecht hat und beinahe täglich mit ausländerfeindlichen Stimmungen spielt, sich ostentativ an Pegioten und Höcke-Fans heranwanzt, kann kein Partner für die Sozialdemokratie sein.

Volksparteien sind dafür da das Leben der Menschen allgemein zu verbessern, das Land für die Zukunft zu rüsten.
Dazu gehört es natürlich  für anständige Löhne und Renten zu sorgen.
Dazu gehört es aber keineswegs sich selbst gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu bedienen, um demoskopisch zu profitieren.

Ja, ich verstehe Menschen, die sauer auf die Alte Tante SPD sind.
Nein, ich verstehe deswegen noch lange nicht, wie man Fackelzüge gegen Asylunterkünfte veranstaltet, NPD/AfD-Fakenews in den sozialen Medien verbreitet und beginnt die noch Schwächeren zu hassen.

Wer den Rassismus der AfD teilt, sich nicht an Hitlergrüßen, Hakenkreuzen und Geschichtsrevanchismus stört, wer „Absaufen! Absaufen!“ grölt; wer sich wünscht, daß noch mehr Heimatvertriebene im Mittelmeer krepieren, ist kein von seinen niedrigen Löhnen zu Recht frustrierter Protestwähler, sondern ein verdammtes Arschloch.

Sollen Wagenknecht und Lafontaine denen nachlaufen.

Von der SPD erwarte ich hingegen ihre Arbeit zu machen.
Maas, Scholz und Barley machen das auch sehr gut. Giffey vermutlich auch.
Frau Schulze habe ich immer noch nicht bemerkt. Und Heil; siehe oben.