Sonntag, 9. Januar 2022

Modus Vivendi

Da heute Sonntag ist und ich ein frommer Mann bin, beschäftigte ich mich heute mit einem ethisch-moralischen Problem aus dem SZ-Feuilleton der letzten Woche.

Es geht um Pornos!

Mehrere deutsche Landesmedienanstalten finden es einfach bähbäh, daß Jugendliche, Teenager, Kinder – überhaupt jeder Mensch mit Internetzugang – nur einen Klick von Pornographie entfernt ist. Schüler gucken rund um die Uhr Pornos und masturbieren sich die Finger wund. Das soll nicht so weitergehen.

Das ist einer der Indikatoren, an denen ich bemerke „alt“ zu sein, zu einer ganz anderen Generation zu gehören.  Ich brauchte zwar nicht im klassischen Sinne „aufgeklärt“ werden, weil ich nicht aus einem total verklemmten Elternhaus stamme, alles fragen konnte und außerdem in ganz frühen Teeanger-Jahren die „BRAVO“ in der Schule kursierte. Aber die erste echte Darstellung von Geschlechtsverkehr habe ich erst als Erwachsener auf der Hamburger Reeperbahn gesehen. Zum Glück, nachdem ich eigene Erfahrungen gemacht hatte.

Das lag daran, daß in den 1970ern und 1980ern Pornographie nicht zugänglich war. Es gab kein Internet und auch keine schmuddeligen Privat-Sender, bei denen man nachts entsprechende Werbung hätte sehen können. Natürlich gab es Porno-Zeitschriften, aber die begegneten einem nicht im Alltag. Dafür hätte man gezielt in einen Beate-Uhse-Shop gehen müssen, oder nach dem Aufkommen der Heim-Videorekorder in die „schlimme Abteilung“ einer Videothek gehen müssen.  Aber erstens waren Videorekorder so teuer, daß ich als Jugendlicher natürlich keinen eigenen hatte und zweitens wäre ich in solche Shops ohnehin nicht reingekommen, bevor ich 18 Jahre alt war.

Für mich als Ü50er ist es im Wortsinne unvorstellbar, daß in der jetzigen Teenager-Generation jedes Kind schon Hardcore-Pornos gesehen hat. Was das für psychische Folgen hat oder auch nicht hat, ist eine Frage für Psychologen. Ich halte mich für inkompetent das zu beantworten.

Sehr eigenartig ist aber, daß „die Jugend von heute“ gleichzeitig extrem überprotegiert wird. Helikoptereltern bringen noch ihre erwachsenen Kinder mit dem Auto zur Uni.  Der Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch hält deswegen gar nichts mehr von den Kindern von heute.

[…..]  SPIEGEL: Herr Wunsch, Sie sind der Meinung, Kinder in Deutschland seien zunehmend verweichlicht. Woran machen Sie das fest?

Wunsch: Ich arbeite seit Jahrzehnten an Schulen und Universitäten, berate in meiner Praxis zudem Familien mit Erziehungsproblemen – und stelle dabei fest, dass die Kinder heute ein ziemlich geringes Durchhaltevermögen haben, schnell aufgeben, kaum belastbar sind. Gleichzeitig haben sie oft ein übersteigertes Selbstbewusstsein, bilden sich ein, sie könnten unwahrscheinlich viel, was aber nicht stimmt. Und das führt natürlich dazu, dass sie für die Herausforderungen des Lebens nicht gut gerüstet sind. […..] Die Eltern betrachten ihre Kinder zu oft als ihr großes Projekt, als kleine Supermänner und Superfrauen. Sie versuchen, sich über die Kinder zu definieren. Daher bekommen Kinder heute ein zu großes Maß an Aufmerksamkeit, das ihnen nicht guttut, und das dazu führt, dass sie ein überzogenes »Ich« entwickeln.  […..] Heute sitzen in einer ersten Klasse viele Prinzen und Prinzessinnen, die alle meinen, sie seien der Nabel der Welt. Die sich uneingeschränkt mitteilen wollen, Lob erwarten und mit einem Stopp oder Kritik nicht umgehen können. [….]

(SPON, 08.01.2022)

Wie passt das eigentlich zusammen? Kinder, die zart und verweichlicht sind, die nicht belastet werden können und völlig unselbstständig sind und andererseits total abgebrüht beim Porno-Konsum und Online-Mobbing agieren.

Aber wie gesagt; ich habe keine Kinder und auch keine pädagogische oder psychologische Bildung, so daß ich nicht kompetent dazu urteilen kann.

Inkompetent bezügliche des Einflusses von Dauerporno-Konsum auf Pubertierende sind auch Kirchenvertreter und Konservative.  Die lassen sich allerdings nicht davon abhalten, dennoch zu urteilen und ihren Senf dazu mitzuteilen.

Damit sind wir wieder bei den eingangs erwähnten Medienanstalten, die immer massiver damit drohen, den Zugang zu Pornoseiten zu sperren, weil diese viel zu lasch kontrollierten, ob die User wirklich schon 18 Jahre alt sind. Die 14 Landesmedienanstalten verschreiben sich dem Jugendschutz. Also überprüfen sie Medieninhalte auf ihr Gefährdungspotenzial und wollen erreichen, alle deutschen Kinderlein frei von jeglichen Ferkeleien, in einem 18-jährigen „Schonraum“ erwachsen zu werden.

[….] Schonraum für eine positive Entwicklung

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf spezielle, von den Erwachsenen abgegrenzte Lebensräume, in denen sie vor negativen Einflüssen geschützt werden. So können junge Menschen ihre Gefühle, Neigungen und Bedürfnisse ohne Störungen aus der Erwachsenenwelt erleben, eine eigene Identität ausbilden und sich in das bestehende Sozialgefüge integrieren. Mediale Schonräume schafft der gesetzliche Jugendmedienschutz. In Deutschland basiert er auf dem Jugendschutzgesetz des Bundes (JuSchG) und dem „Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien“ (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, kurz JMStV). [….]

(Die Medienanstalten)

Ich gebe zu; im nostalgischen „früher war alles besser“-Rückblick auf meine eigene Jugend, ist es ein reizvoller Gedanke, der Jugend von heute, die rund um die Uhr-Porno-Berieselung zu ersparen.

Die schlauen Mitglieder der Medienanstalten; in NRW sind es beispielsweise Volker König von der evangelischen Kirchen, Ulrich Lota von der katholischen Kirche, Zwi Hermann Rappoport von den jüdischen Gemeinden, Christine Ehrig von der Landesgemeinschaft der Arbeitgeberverbände, Hermann-Josef Arentz CDU-MdL und Andrea Stullich CDU-MdL; stellen sich das Pornogeschehen zukünftig so vor:
Alle Pornowebseiten der Welt verhalten sich brav nach deutschem Recht, stellen ein Heer von Administratoren ein und die lassen sich per Videochat von jedem einzelnen Wichs-Willigen den Personalausweis in die Web-cam halten, um zu kontrollieren, ob sie schon über 18 Jahre alt sind und ob es wirklich der Ausweisinhaber ist und nicht irgendein Jüngerer versucht mit einem fremden Ausweis Zugang zu bekommen. So ähnlich hatte sich das schon Familienministerin Von der Leyen 2009 bei ihren grandiosen „Netzsperren“ gedacht. Ein Projekt, das wie grundsätzlich jedes ihrer Vorhaben, katastrophal scheiterte.

An dieser Stelle steige ich in das erwähnte SZ-Feuilleton ein.

[….] Erschreckend freihändig hantiert die Politik mit der netzpolitischen Ultima Ratio: Teile des Internets, die sich nicht benehmen, einfach abzuschalten.  Das ist, wie vieles, was irgendwann gefährlich wird, zunächst einmal ziemlich albern. Netzsperren funktionieren nämlich nicht. Um sie zu umgehen, genügen ein paar Klicks in den Einstellungen des Browsers. Das schafft jeder, zumal jeder Jugendliche, der Pornos gucken will. Ausgesperrt würden wahrscheinlich eher die Alten als die Jungen. Es gibt auch noch andere technische Formen von Netzsperren als diejenigen, mit denen nun die Landesmedienanstalten drohen. Die Hürde, sie zu umgehen, liegt nur geringfügig höher. [….]

(Philipp Bovermann, SZ, 04.01.2022)

Auch als digital immigrant weiß ich, daß man irgendwo im Ausland gehostete Dienste wie Telegram eben nicht regulieren kann.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder ein Land hat wie Nordkorea gar kein Internet, oder man geht den chinesischen Weg und schaltet gleich die gesamte Freiheit ab.

[….] Die Netzsperren müssten der Grundstein für eine "Great Firewall" sein, wie sie China hat und Russland gern hätte. Ein deutsches Internet, in das nur hineindarf, was der wachsenden Zahl von Verordnungen und Gesetzen für das Internet entspricht. Möglicherweise ein deutsches Internet nur für Erwachsene, ein separates für Kinder. [….] Das Internet, das scheinen viele Menschen immer noch nicht begriffen zu haben, ist kein lineares Medium, mit Kanälen, die man einfach abschalten kann, und dann sind sie weg. Es ist, sofern man es nicht radikal umzubauen gewillt ist, ein dezentrales Netzwerk. Ein Weltgehirn. Man kriegt Erinnerungen nicht weg, indem man sich einen Teil des Kopfes abschneidet. Was einmal drin ist im Netz, das bleibt. Besonders, wenn es sich um Pornos handelt. [….][….] Warum sollten sich die kleinen Plattformen, die nach dem Scharfstellen der Netzsperren entstünden, an solche Standards halten? Sie wären darauf angewiesen, dass möglichst viele Menschen möglichst viel hochladen. Warum sollten sie auf Anfragen Betroffener reagieren, wenn ihnen ohnehin die Sperre droht? Aus welchen Mitteln sollten sie Löschteams bezahlen, die sich um solche Inhalte kümmern?  Das alles nur, um die paar wenigen Jugendlichen vom Pornogucken abzuhalten, die es weder schaffen, die nötigen Klicks in ihren Browsereinstellungen zu machen, noch sich eine andere Pornoseite zu suchen. Die Pornobranche mit Netzsperren in die grauen und schwarzen Bereiche des Internets zu drängen, löst kein einziges Problem, macht dafür vieles schlimmer.  [….]

(Philipp Bovermann, SZ, 04.01.2022)

Offensichtlich gibt es in Deutschland immer noch keine digitale Medienkompetenz. Noch nicht einmal in den 14 Landesmedienanstalten. Die Pornos wird man ebenso wenig aus dem Internet tilgen, wie Covidioten, Pegidisten, Reichsbürger, Chemtrail-Verschwörer oder Katholiken.

Das einzige Mittel dagegen ist Medienkompetenz der User.

So wie jedes Kind lernen muss, mit pornographischen Inhalten umzugehen, muss auch jeder Erwachse lernen, wie man Quellen beurteilt und man erkennt, welchen Meldungen im Internet man eben nicht glauben darf.

Da gibt es noch so viel zu tun, daß wir es wohl niemals schaffen werden.