Ich bemühe mich nach Kräften, auch aus meiner Blase herauszugucken, nicht nur die zu abonnieren, deren Meinung ich teile.
Aber dennoch sind mein Facebook und mein Instagram eher linkslastig, Politik-lastig, USA-lastig und Religions-lastig. Sport, Lifestyle, Klatsch, Autos, Sex, Katzen und Gaming blende ich aus.
Wenn meiner Ansicht nach, sehr bedeutende Weltereignisse vor der Tür stehen – wie zum Beispiel eine US-Präsidentenwahl, bei der Donald Trump kandidiert – bin ich immer enttäuscht, wie sehr die Stellungnahmen dazu auf reine Politik-Influencer beschränkt sind. Die Typen mit Millionen-Reichweite versündigen sich, wenn sie krampfhaft neutral bleiben, um die rechten Konsumenten nicht zu verärgern.
Wenn über 100 Millionen wahlberechtigte US-Amerikaner zu desinteressiert, bzw desinformiert sind, um gegen die antidemokratische Trumpsche Umsturz-Agenda zu stimmen, haben alle Tiktok- und Instagram-Stars nicht nur versagt, sondern durch Unterlassung schwere Schuld auf sich geladen.
Umso erstaunter bin ich dieser Tage beim Scrollen. Seit ich Social Media nutze, habe ich noch nie so eine breite Empörung, wie die über Netanyahus Vorgehen in Gaza erlebt.
Die aus Indien initiierte „All Eyes On Rafah“-Kampagne geht megaviral.
Ich sehe das Titelbild heute auf enorm vielen Accounts, die sich sonst nie politisch äußern. Comedians, Models, Schauspieler, Sportler – offenbar sind weite Teile der Weltöffentlichkeit in Opposition zu denjenigen gegangen, die wie Friedrich Merz oder der CSU-General Huber bedingungslos Bibi Netanyahus Kurs unterstützen.
(…..) Für Merz stellt sich die Situation nämlich ganz simpel dar: Internationales Recht ist völlig irrelevant und soll von Deutschland mit Füßen getrampelt werden, um sich zu 100% hinter Bibi Netanyahu zu stellen, dessen Politik sich gerade als schwerster Schaden für Israel überhaupt herausstellt.
[…..] CDU-Chef Friedrich Merz hat das Vorgehen des Chefanklägers am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gegen Israel sowie die Reaktion der Bundesregierung darauf scharf kritisiert. Die gleichzeitige Beantragung von Haftbefehlen gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und die Führung der radikalislamischen Hamas sei „eine absurde Täter-Opfer-Umkehr“, sagte Merz der „Bild“-Zeitung am Mittwoch. „Aber das Schweigen der Bundesregierung bis hin zur Andeutung des Regierungssprechers, dass Netanjahu auf deutschem Boden verhaftet werden könnte, wird nun wirklich zum Skandal.“
Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatte zuvor auf die Frage, ob sich Deutschland an Entscheidungen des Strafgerichtshofs halten werde, geantwortet: „Ja, wir halten uns an Recht und Gesetz.“ Deutschland sei „grundsätzlich“ ein Unterstützter des IStGH. […..]
Für den Juristen und ehemaligen Amtsrichter Merz scheint die Vorstellung, sich an Recht und Gesetz zu halten, also nahezu absurd.
Einen Strafgerichtshof anzuerkennen, jazzt der Mann zum „Skandal“ hoch und stellt sich lieber an die Seite des völlig rechtstreuen und gar nicht kriminellen Rechtsradikalen Netanyahu.
So einer darf niemals Kanzler werden! (…..)
(Merz beweist wieder einmal seine Kanzler-Untauglichkeit, 23.05.2024)
Huber flippte regelrecht aus, als der deutsche Vizekanzler Robert Habeck es wagte, die Einhaltung internationaler Rechtsgrundsätze anzumahnen.
[….] Der deutsche Vizekanzler hat Israel nach der jüngsten Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs für das Vorgehen im Gazakrieg kritisiert. In der Union ist man außer sich.
CSU-Generalsekretär Martin Huber hat Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) in der Israelfrage scharf kritisiert. Habeck hatte Israel wegen des Gazakriegs einen Bruch des Völkerrechts vorgeworfen. »Die Aussagen von Robert Habeck sind unfassbar und beschämend«, sagte CSU-Mann Huber. Der Vizekanzler gieße »Öl ins Feuer der ohnehin schon antisemitisch aufgeheizten Stimmung in Deutschland«.
Habeck hatte am Samstag in Berlin gesagt: »Selbstverständlich muss Israel sich an das Völkerrecht halten. Und die Hungersnot, das Leid der palästinensischen Bevölkerung, die Angriffe im Gazastreifen sind – wie wir jetzt auch ja gerichtlich sehen – mit dem Völkerrecht nicht vereinbar.« Israel habe Grenzen überschritten – »und das darf es nicht tun«.
CSU-Mann Huber warf Habeck vor, »das Narrativ der Hamas und der Israelhasser« zu bedienen. Die Position des Vizekanzlers grenze an Täter-Opfer-Umkehr. »Er reiht sich damit ein in die antiisraelischen Propagandisten des linken Antisemitismus. Dieser darf keinen Platz in unserer Gesellschaft haben«, so Huber. [….] Habeck hatte Israel knapp eine Woche nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober in einer emotionalen Videobotschaft die »uneingeschränkte Solidarität« Deutschlands zugesichert. »Israel hat alles Recht, sich zu verteidigen. Und wir werden es dabei unterstützen, wo immer es unsere Unterstützung braucht«, sagte er damals. [….]
Ob sich die Union einen Gefallen damit tut, derart hysterisch zu reagieren, wenn die Bundesregierung feststellt, das Völkerrecht sei einzuhalten?
Huber und Merz sind völlig auf dem Holzweg; denn gerade die Feinde Israels, also der Iran und die Hamas, wollen erreichen, daß Netanyahu völkerrechtswidrig agiert und damit den internationalen Zorn auf sich zieht. Genau das war der Plan bei der Hamas-Attacke vom 07.10.2023.
Die Freunde Israels hingegen möchten nicht, daß Jerusalem in diese Falle tappt und mahnen daher ganz im Sinne Israels die Einhaltung internationaler rechtlicher Regeln an.
Habeck mahnt deshalb, Israel habe Grenzen überschritten, weil er als Freund der Nation sieht, in welche katastrophale Lage Bibi sein Volk manövriert.
[….] Der Internationale Gerichtshof (IGH) hatte Israel am Freitag angewiesen, die umstrittene Offensive in Rafah umgehend zu stoppen. Das Gericht ordnete aber keine Waffenruhe für Gaza an. Seine Entscheidungen sind bindend. Allerdings haben die UN-Richter keine Mittel, um einen Staat zur Umsetzung zu zwingen. […..]
Huber und Merz stellen sich aber gegen den IGH.
Ein anderer Vizekanzler Deutschlands, der zweifellos ein großer Freund und Unterstützer Israels ist, konstatiert traurig das israelische Versagen.
[….] Joschka Fischer versteht das humanitäre Anliegen der Pro-Palästina-Demonstranten. Er warnt aber, wer die Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober und damit den Kriegsgrund ausblende, gerate »auf eine schiefe argumentative Bahn«.[….] Der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hält die propalästinensischen Proteste an Hochschulen als politische Indikatoren für sehr ernst zu nehmend. »Israel hat den Krieg der Meinungen um die Legitimation für den Staat Israel, das Recht, sich wehren zu dürfen, schon verloren«, sagte Fischer dem »Tagesspiegel« (Samstag).
Natürlich sei es legitim, infrage zu stellen, was die israelische Regierung tue. »Aber das Recht, ja die Pflicht eines Staates, sich nach einer barbarischen Tötung von 1200 Bürgern aller Altersgruppen und der Entführung von 200 weiteren Bürgern zu wehren, halte ich für selbstverständlich«, sagte Fischer der Zeitung.
Er könne die humanitären Anliegen hinter den propalästinensischen Protesten an Hochschulen gegen den Krieg in Gaza verstehen, so Fischer. »Aber das kann nicht dazu führen, dass man den Verstand ausschaltet. Und plötzlich auf der Seite der Hamas steht«, sagte er. »Bei allem legitimen Protest gegen diesen Krieg: Man darf nicht vergessen, was die Ursache war, nämlich der 7. Oktober. Wer das ausblendet, gerät auf eine schiefe argumentative Bahn.«
International wächst der Druck auf Israel derweil weiter. Spanien und Irland haben Israel zur sofortigen Beendigung des Militäreinsatzes in Rafah im Süden des Gazastreifens aufgefordert, wie es der Internationale Gerichtshof angeordnet hatte. [….]
Selbstverständlich, alle die besonnenen Stimmen, die versuchen einen kühlen Kopf zu bewahren und gerade aus deutscher Perspektive ungern auf einen jüdischen Staat eindreschen, haben Recht mit ihren gebetsmühlenartig vorgetragenen Argumenten:
· Die Hamas hat angefangen und genau diese Reaktion am 07.10.2023 provoziert.
· Die Hamas könnte die Palästinensische Bevölkerung Gazas schützen, indem sie nicht Frauen und Kinder als menschliche Schutzschilde missbrauchen würde.
· Die Hamas hat es in der Hand den Gaza-Krieg sofort zu beenden, indem sie die Geiseln freilässt und sich ergibt.
· Israel hat das Recht sich gegen einen so schweren Terrorangriff zu verteidigen.
Das alles stimmt, klingt aber nach acht Monaten Bombardement, einem total zerstörten Landstrich, in dem 1,5 Millionen Menschen leb(t)en, 35.000 Toten und Hungersnot, ziemlich nach Whatabboutism.
Oder auf die simple Formel gebracht: Weil die Hamas verbrecherisch handelt, darf Israel nicht auch immer verbrecherischer handeln.
Die Zerstörungen in Gaza, daß menschliche Leid, haben ein Ausmaß angenommen, welches offenbar alle internationalen Rechtsexperten als nicht mehr zu gerechtfertigten ansehen. Der UN-Generalsekretär, der Internationale Gerichtshof, der amerikanische und der französische Präsident, der UN-Sicherheitsrat, alle Menschenrechtsorganisationen sind nicht kollektiv israelfeindlich oder antisemitisch.
Ich behaupte, Bibi Netanyahu versündigt sich an den Opfern des Holokaust, wenn er Kritik von internationalen humanitären Institutionen als „antisemitisch“ wegwischt.
[….] Die Bombardierung einer Hamas-Kommandozentrale, bei der nach israelischen Militärangaben zwei Terroristen getötet wurden, hatte zur Folge, dass Dutzende unschuldige Menschen starben.
Israels Premierminister Benjamin Netanyahu spricht von einem tragischen Fehler. Er verschweigt aber, worin der Fehler bestand. Wurde das falsche Ziel ausgewählt? Waren die Geheimdienstinformationen doch nicht so präzise wie das israelische Militär vorgibt? Und wer hat den Fehler begangen? Wer übernimmt die Verantwortung?
Rafah ist ein weiterer Mosaikstein einer katastrophalen Kriegsführung, ein weiterer Beleg, wie wenig durchdacht die israelische Militäroperation war und ist. Und das ist sie, wenn Flüchtlinge, die durch den Krieg ohnehin schon alles verloren haben, zu Schaden kommen.
Ja, Israel wurde am 7. Oktober 2023 brutal, menschenverachtend angegriffen. Diese Terrorattacke hat das Land und seine Menschen tief in der Seele getroffen. Und ja, Israel hat das Recht, sich gegen die Hamas-Terroristen zu verteidigen. Doch dieser Krieg hat diese Rechtfertigung längst hinter sich gelassen.
Aus der Zerschlagung der Hamas wird immer mehr die Zerstörung eines Lebensraumes von zwei Millionen Palästinensern, mit immer mehr zivilen Todesopfern. Verbündeten wie Deutschland oder die USA fällt es zunehmend schwer, an der Seite Israels zu stehen. Und immer mehr Länder erkennen Palästina als Staat an - was Israel unbedingt verhindern wollte.
Israel steht mit dem Rücken zur Wand. Das ist das Ergebnis einer völlig verfehlten Kriegsführung, die zu viele Opfer in Kauf nimmt. Es ist das Ergebnis einer politischen Führung, die auf jegliche Diplomatie verzichtet, und der das eigene Schicksal scheinbar wichtiger ist als das Wohl des Landes. [….]
(Julio Segador, ARD Tel Aviv, 28.05.2024)
Ich maße mir nicht an die kollektiven Traumata Israels beurteilen oder nachvollziehen zu können. Aber mit der großen Mehrheit der Israelis bin ich mir völlig einig, daß ihr Ministerpräsident nicht wieder gut zu machenden Schaden anrichtet. Wäre Netanyahu ein Israel-Freund und kein trumpscher Egomane, träte er zum Wohle seines Volkes sofort zurück.
[….] Es ist schon eine seltsame Erfahrung, Zeuge der Verurteilung des eigenen Landes durch den Internationalen Gerichtshof zu werden. In dem Dreivierteljahrhundert, das seit seiner Gründung vergangen ist, war Israel vielen verschiedenen Bedrohungen ausgesetzt, aber keiner seiner Bürger hätte je gedacht, dass der Tag kommen würde, an dem es wegen Völkermordes vor Gericht steht - ein bedenklicher Status, der sonst ausschließlich weithin verhassten tyrannischen Regimen vorbehalten bleibt. [….] Man braucht sich gar nicht erst die Mühe zu machen, nach einem roten Faden zu suchen, der all diese abstoßenden Ereignisse verbindet: Es gibt keinen umfassenden Plan, nur einen perfekten Sturm aus persönlichen Interessen, Egoismus, Dummheit und Sendungswahn.
Solche Taten sollte man nicht auf die gesamte israelische Öffentlichkeit übertragen, da sie von einer Minderheit begangen werden, die wenig Rückhalt in der Öffentlichkeit genießt. (Laut Umfragen, die seit Beginn des Krieges gemacht wurden, ist die Unterstützung der Israelis für Netanjahu auf etwa zwanzig Prozent gesunken.) Aber diese Minderheit hat nun einmal das Sagen. Und diese Minderheit versucht, die gesamte israelische Bevölkerung ihrer Autorität zu unterwerfen und sie auf einen Pfad der Verwüstung zu führen. [….] Es mag keine klare Richtung geben, die Entscheidungen mögen irre sein, aber ein Ziel gibt es auf jeden Fall: Premierminister Netanjahu möchte sich davor bewahren, in den drei gegen ihn laufenden Strafverfahren wegen Korruption und eines Vertrauensbruchs verurteilt zu werden. Angesichts dieser drohenden Verurteilung und Gefängnisstrafe scheint es, als seien die Zukunft des Staates, das Leben der israelischen Geiseln im Gazastreifen, die Notwendigkeit, vertriebenen Israelis ihre Häuser an der Nord- und Südgrenze zurückzugeben sowie die internationale Isolation, die aus seinen Entscheidungen resultiert, bei Weitem nicht die Hauptsorgen des Premierministers. Man achte genau auf das, was Netanjahu sagt. Denn er sagt vieles, hat aber nur ein Ziel: seine eigene Freiheit um jeden Preis zu sichern. Es ist tragisch, dass alle Bewohner der Region seit nunmehr sieben Monaten den Preis dafür zahlen müssen. [….]