Meinen Großvater mütterlicherseits habe ich nicht
kennengelernt, da er einige Jahre vor meiner Geburt starb.
Ich habe aber im Laufe meines Lebens viel über ihn gehört,
weil er, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts geboren, offensichtlich sehr
moderne Ansichten hatte.
Ihm gehörte eine kleine, aber bekannte Hamburger Firma, in
der er seine soziale Verantwortung sehr ernst nahm. Als einer der Ersten führte
er eine Betriebsrente ein, kümmerte sich um alle Angestellten. Wenn der
Nachtwächter erkältet war, eilte er zu dessen Krankenbett und brachte heiße
Hühnersuppe.
Als später die NSdAP drängelte, er möge in die Partei
eintreten, verweigerte er sich, da er alle Menschen gleich behandelte und nicht
daran dachte Juden auszuschließen.
Als er starb, hatte er nur noch einen Sohn, der selbstverständlich
die Firma erbte. Seine Töchter, darunter meine Mutter, gingen ganz selbstverständlich
leer aus. Denn das waren ja bloß Mädchen, die sich nicht für das Geschäftsleben
eigneten. Die wurden auf eine Hauswirtschaftsschule geschickt. Eine höhere Bildung
wäre für Menschen ohne Penis schließlich Verschwendung gewesen.
Da mein Opa privat bescheiden lebte, sollten das auch seiner
Töchter und sofern ihnen die Lust nach Reichtum stand, gab er ihnen den Rat
einen wohlhabenden Kaufmann zu heiraten. Sowohl meiner Mutter als auch meiner
Tante stellte er jeweils einen jungen Mann aus einer guten Hamburger
Kaufmannsfamilie vor, der nach seinem Geschmack war und der zuvor beim ihm um
die Hand einer seiner Töchter angehalten hatte.
Daß meine Mutter die Heirat ablehnte, nur mit dem albernen
Grund, daß sie diesen Mann noch nie zuvor gesehen hatte, bestätigte seine
Ansicht, daß Frauen natürlich nicht für die Geschäftswelt taugen.
Überhaupt sollte er Recht behalten. Gleich Zwei heirateten
einen Künstler. Nette Männer, aber keine guten Partien, sondern eher brotlose
Künstler, die sich mit Buchillustrationen und Portraitmalereien mal gerade eben
so über den Monat retteten.
Zum Glück hatten die Töchter meines Opas nichts geerbt. Die
Wahl ihrer Gatten zeigte ja klar, daß sie damit gar nicht hätten umgehen
können.
Ich musste erst erstaunlich alt werden, bis sich in mir der
Gedanke manifestierte, wie ungerecht die damaligen Erbschaftsregelungen aus
heutiger Sicht gegenüber meiner Mutter waren.
Dabei war mein Opa ganz sicher kein konservativer Knochen,
sondern einfach ein Kind seiner Zeit.
Vielen Frauen, die heute die 80 durchschritten haben, ging
es genauso. Sie erlebten den Krieg als Kinder mit und in den schwierigen Zeiten
nach 1945 konzentrierte man sich ganz auf die Söhne. Der Sohn sollte es mal
besser haben, was Vernünftiges lernen, womöglich studieren, vorankommen.
Für die Penisträger gab es ausgetüftelte Zukunftspläne,
während für ihre Schwestern die allernötigste Ausbildung reichte. Dazu Kochen,
Hauswirtschaft und natürlich einen möglichst guten Ehemann, der dann ihre
Versorgung übernehmen sollte.
Es dauerte noch Jahrzehnte bis alle Zöpfe abgeschnitten
wurden.
(….) Verbot gemischtkonfessioneller Ehen, Frauenwahlrecht und
Homosexualität gab es ebenso wie die
legale Prügelstrafe, die Todesstrafe und Folter noch bis ins 20., teilweise
sogar bis ins 21. Jahrhundert wird man verblüfft ausrufen.
Und mit unserer wunderbaren deutschen Verfassung durften Frauen weder ohne
Zustimmung des Mannes eine Arbeitsstelle annehmen, noch ein Konto eröffnen. Sie
durften sogar in der Ehe straflos vergewaltigt werden.
Wussten Sie, [….] dass eine
Ehefrau bis in die 50er Jahre hinein nicht ohne Zustimmung ihres Mannes
arbeiten durfte? Unglaublich, aus heutiger Sicht, dass wir diese Rechte erst
seit ein oder zwei Generationen besitzen. Denn für uns sind das Recht auf
Arbeit sowie das Wahlrecht mittlerweile selbstverständlich.
[….] Die Möglichkeit zu arbeiten und
selbst über das eigene Leben zu entscheiden war in der Jugend unserer Eltern
und Großeltern noch alles anderes als selbstverständlich. Großmutters Satz
"Das hätte es früher nicht gegeben!" ist in vielen Fällen leider traurige
Wahrheit.
So galt bis Ende der 50er Jahre das "Letztentscheidungsrecht" des
Ehemannes in allen Eheangelegenheiten. Und dieses Recht hatte es in
sich: Beruf, Führerschein, Kindererziehung, eigenes Geld und Konto - all das
wurde per Gesetz zu Gunsten des Mannes geregelt. So hatte der Ehemann das
Recht, über das Geld seiner Ehefrau frei zu verfügen. Und das betraf nicht nur
ihr Einkommen, sondern auch das Geld, das sie mit in die Ehe gebracht hatte.
Frauen konnten noch nicht einmal ein eigenes Konto eröffnen. Der Mann konnte
sogar den Job seiner Frau ohne deren Zustimmung kündigen.
Diesen Missständen wurde erstmals am
1. Juli 1958 begegnet, als das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und
Frau auf Grundlage des bürgerlichen Rechts in Kraft trat. Mit dem neuen Gesetz
wurden unter anderem die Vorrechte des Vaters bei der Kindererziehung
eingeschränkt. Es sollte jedoch noch bis
zum Jahr 1977 dauern, bis Frauen
ohne Einverständnis ihres Mannes erwerbstätig sein durften und es keine
gesetzlich vorgeschrieben Aufgabenteilung in der Ehe mehr gab.
[….] Frauen durften [….] bis 1958 nur dann ihren Führerschein machen,
wenn ihr Mann oder ihr Vater die Erlaubnis dazu erteilte.
(….) Auch aktuelle Koalitionspolitiker stimmten noch 1997 gegen das Verbot von Vergewaltigung in der Ehe,
weil sie offensichtlich der Ansicht waren, es wäre das natürliche Recht eines
Mannes die Frau sexuell zu penetrieren, auch wenn sie sich dagegen wehre.
25 Jahre sperrten sich CDU und CSU erfolgreich gegen die Strafbarkeit von
Ehefrauen-Vergewaltigung. Erst 17 Jahre nach einer entsprechenden UN-Konvention
folgte das deutsche Parlament.
Am 15. Mai 1997 stimmten von den
anwesenden 644 Abgeordneten 471 für den Gruppenantrag und 138 dagegen, 35
enthielten sich der Stimme.
Alle Abgeordneten der Linken, der Grünen und der SPD stimmten für Ulla
Schmidts Gruppenantrag.
Die Unions- und FDP-Politiker, die weiterhin Männer straflos sexuelle Gewalt anwenden lassen wollten
waren: (……..)
Die Schweizer Eidgenossen führten das Frauenwahlrecht erst
im März 1971 ein und ließen fast 20 Jahre vergehen bis tatsächlich in jedem
Kanton ein Penis keine Voraussetzung mehr für das Abstimmrecht war.
[….] Am 27. November 1990 gab das Bundesgericht einer Klage von Frauen aus
dem Kanton Appenzell Innerrhoden Recht und bestätigte damit die
Verfassungswidrigkeit der Innerrhoder Kantonsverfassung in diesem Punkt. So
führte Appenzell Innerrhoden als letzter Kanton das Stimmrecht für Frauen auf
kantonaler Ebene ein, entgegen einem Mehrheitsentscheid der Männer an der
Landsgemeinde am 29. April 1990. […..]
Die ehemalige Firma meines Opas existiert heute übrigens
noch und wird von einer Frau geleitet.
Es gibt noch sehr männerdominierte Berufswelten, aber auch
die beginnen sich daran zu gewöhnen nicht mehr unter sich zu sein.
Kapitäninnen befehligen Containerriesen, Frauen sind
Verteidigungsministerin, führen Tischlereien, boxen und machen sogar
Stabhochsprung.
Ganz sicher würde mein Opa, wenn er heute lebte nicht noch
mal ein derartiges Testament aufsetzen, wie damals.
Er war schließlich liberal und neugierig auf die Moderne.
Bei den steinreichen Familie Brenninkmeyer, deren mindestens
25 Milliarden Vermögen in der Cofra Holding AG (u.a. C&A Mode KG) steckt,
herrschen noch strenge katholische Sitten. Erst im Jahr 1990 wurden Brenninkmeyer-Töchtern
überhaupt erlaubt in der Firma zu arbeiten. Seit dem 17. Jahrhundert blieben
alle Entscheidungen den Söhnen vorbehalten.
Auch ein anderes Produkt, das ganz sicher jeder von uns
schon mal in der Hand hatte, stammt aus einem Unternehmen, in dem Frauen bis
heute nicht mitreden dürfen: ABUS-Vorhängeschlösser.
[…..] Andrea
Bremicker […..] stammt aus einer
streng christlichen Unternehmerfamilie, das hat ihr Leben bestimmt, das
private, das berufliche. […..] Bei vielen deutschen Mittelständlern sagen
die Patriarchen, wo es langgeht. Wolfgang Grupp bei Trigema, Klaus-Michael
Kühne von Kühne + Nagel, Theo Müller von der Unternehmensgruppe Theo Müller.
Meist ist das konservative Tradition, eher selten ist der Grund dafür
christlicher Fundamentalismus. Bei Andrea Bremicker ist es Letzteres. Das
Unternehmen ihrer Familie ist die Abus August Bremicker Söhne KG, ein
Weltmarktführer in der Sicherheitstechnik. […..] Die Gründerfamilie hängt der Brüderbewegung
an, einer evangelikalen Glaubensgemeinschaft. Nach dem Gebot dieses Glaubens
seien Erbverzichtsverträge für Frauen bei Abus seit Jahrzehnten üblich, sagt
jemand, der die Firma sehr gut kennt. […..]
[…..] Welche Rolle haben Töchter im
Unternehmen? Sie durfte nie Gesellschafterin werden, und auch sonst steht im
Handelsregister seit Jahrzehnten keine einzige Frau, die diese Rolle bei der
Abus KG dauerhaft ausgeübt hat. […..]
Zu diesen Erinnerungen passen
Bibelkommentare, die Ernst-August Bremicker veröffentlichte - langjähriger
Komplementär von Abus, also ein wichtiger Manager. Er schreibt in dem Text
"Spannungsfeld Ehe - Fluch oder Segen", in der Bibel "verurteilt
Gott gleichgeschlechtliche Liebe und damit auch gleichgeschlechtliche
Partnerschaften. Sie sind gegen Gottes Wort." Zum Umgang mit einem
Werteverfall empfiehlt er: "Wenn sich diese Dinge - Unreinigkeit, böse
Lust, Gier, Lustbefriedigung - bei uns breitmachen wollen, dann müssen wir sie
töten. Töten heißt radikal ausreißen, ihnen den Garaus machen. Mit solchen
Dingen kann man nicht spielen, sondern da muss man radikal Schluss machen.
TÖTET diese Glieder, sagt uns Gottes Wort." Und in dem Text "Männer
und Frauen nach Gottes Plan" schreibt er, die Frau müsse sich ihrem Mann
unterordnen, komme was wolle: "So wie die Knechte nicht nur den guten und
angenehmen Herren gehorchen sollten, gilt die Aufforderung der Unterordnung der
Frau unabhängig von dem Charakter ihres Mannes." […..]
Wer sich nun über ABUS und C&A ärgert, sollte aber erst
einmal an das größte misogyne Unternehmen der Welt denken: Die
Römisch-Katholische Kirche:
1 Papst, 120 Kardinäle, 5.000 Bischöfe, 400.000 Priester – darunter keine einzige Frau.
1 Papst, 120 Kardinäle, 5.000 Bischöfe, 400.000 Priester – darunter keine einzige Frau.
Für so einen Konzern werben sehr mächtige Frauen wie Andrea
Nahles und Annegret Kramp-Karrenbauer.