Donnerstag, 12. August 2021

Der Siegerzug

Eine politische Konzeption hat er nicht, weiß keine Antworten auf die dringenden Fragen nach Klimaschutz, Afghanistan-Desaster, EU-Krise, Bildungs-Notstand, Digitalisierung oder Corona-Pandemie. Aber der FDP-Vorsitzende weiß, wie die Bundestagswahl am 26.09.2021 ausgehen wird. Die Wahl sei entscheiden, erklärt der Posterboy der Superreichen.

[….] In meinen Augen, nach meiner Erwartung hat sich bereits geklärt, wer in das Kanzleramt einziehen wird. Der Auftrag zur Regierungsbildung wird nahezu sicher an die CDU und ihren Kanzlerkandidaten Armin Laschet gehen. [….]

(Christian Lindner, 25.07.2021)

Es braucht keine Konzeption – die FDP steht demoskopisch glänzend da, darf sich wieder einmal als Kanzlermacherin fühlen. Der bisher nicht nur ahnungs-, sondern auch Amts-lose Linder, der über keinerlei Regierungserfahrung verfügt, reklamiert schon mal das zweiwichtigste Regierungsamt Deutschlands für sich – Bundesfinanzminister werde er!
Möglicherweise aber auch Bundeskanzler. Bundeskanzler Lindner. So stellt sich das der Haar-transplantierte Porsche-Fahrer vor, der in seinem bisherigen Leben immer weglief, wenn es schwierig wurde. Das geht auch ohne Expertise, ohne Konzepte.

[….] Immer noch irgendwie Pandemie. Delta voraus. Hochwasser und Gluthitze. Weltweit brennende Wälder und Radikalisierungen aller Art, von Ungarn bis Taliban. Tödliche Impfskepsis. Dazu die nationalen Klassiker Digitalisierungsdesaster, Infrastrukturmängel, Bildungselend, Rechtsextremismus, Integrationsprobleme, Wohnhohn, Pflegenotstand, Föderalschmerzen. Man kann das zwar so verdichtet für übertrieben halten oder für deutsches Klagen auf hohem Niveau. Aber eindeutig lässt sich feststellen: Die Zeiten verlangen geradezu verzweifelt nach politischen Lösungen. Nach verständlichen, einleuchtenden, kraftvollen Rezepten. Theoretisch also müsste sich die gegenwärtige Situation perfekt eignen für Wahlkämpfe. [….]

(Sascha Lobo, 11.08.2021)

Nun machen FDP-Marktliberale traditionell gern Prognosen, geben weise wirkende Ausblicke in die Zukunft. Das klingt kompetent, verliert aber ein wenig dadurch, daß sie nie eintreffen.

Mit einem zackigen „Jawohl“ begeistert sich der Reserveoffizier für seine eigenen vollständig inhaltslosen Wahlkampf-Blablas.

[….] „Ich bekenne mich dazu, dass die Betriebe, die Arbeitsplätze schaffen, eine gute Politik brauchen. Jawohl! Wer es nicht mag, der kann etwas anderes wählen.“ [….]

(C.L., 25.06.2021)

Als ob irgendeine Partei schlechte Politik für solche Betriebe verspräche!

Lindners Kumpel Laschet verwendet die gleiche Methode. Bloß nichts Konkretes sagen.

[….] "Angenommen, Sie wären jetzt Kanzlerin oder Kanzler. Wo würde denn Ihre erste Auslandsreise hingehen?" 

Annalena Baerbock: Brüssel (wegen Europa)

Olaf Scholz: Paris (wegen dt-frz. Freundschaft)

Armin Laschet: brabbel brabbel rhabarber rhabarber - keine Antwort - [….]

(L. Mayer, 12.08.2021)                      

Ob sich Lindner uns Laschets Vision von dem nahezu sicheren schwarzgelben Regierungsbündnis nach Merkel erfüllen (wahlweise als Jamaika oder „Deutschland-Koalition“) ist indes mehr als zweifelhaft.

Natürlich, die Deutschen sind konservativ und wählen meistens irgendwas mit CDU. Sie lieben Kontinuität, hassen Reformen und wollen für immer Merkel als Präsidialkanzlerin behalten.

Das gemütliche, im Trance immer wieder sein Kreuz bei der Schlafwagen-CDU machen, wird allerdings durch das immer wieder so lästige Durchbrechen der Realität gestört.

Auch wer sich so gut wie gar nicht mit der Bundestagswahl beschäftigt, stellt zwei für ihn höchst unangenehme Augenöffner bloß:

1.
Merkel tritt tatsächlich ab und wird nicht noch einmal Kanzlerin.

2.

Da man sich unangenehmerweise gegen seine Gewohnheit für jemand anders entscheiden muß, fällt der Blick auf den ihr mutmaßlich Ähnlichsten; ihren Parteifreund Laschet. Der Mann ist aber offensichtlich eine Witzfigur, der von Panne zu Panne mäandert.

Es gibt prominente Merkel-Fans, die sich öffentlich damit brüsten, sie zu wählen, obwohl sie eigentlich zum linken Lager zählen. Beispielsweise Alice Schwarzer oder Wolf Biermann oder Klaus von Dohnanyi. Sie stehen exemplarisch für viele urbane Merkelianer, die mit dem erzkatholischen Rheinländer Laschet nicht viel anfangen können.

Daher bewegen sich die Umfragen ganz langsam.

Kantar und Forsa sehen schon ein Kopf an Kopf-Rennen von Grünen, SPD und CDU am Wahltag.


[….] Der Trend ist eindeutig: Wie eine neue Hochrechnung des Postillon ergab, ist die Union nur noch sechs Wochen Laschet-Wahlkampf davon entfernt, bei der Bundestagswahl unter 10 Prozent der abgegebenen Stimmen zu holen.   "Geht man von aktuellen Umfragen aus, dann bedeutet jede Woche Laschet-Wahlkampf den Verlust von etwa 2 bis 3 Prozentpunkten", bestätigt Parteienforscherin Alina Birchholm. "Sollte Laschet also bis zur Bundestagswahl weiter so gut und engagiert Wahlkampf führen wie aktuell, werden CDU und CSU auf ein Ergebnis von etwas über acht Prozent kommen." […]

(dpo, 12.08.2021)

Die öffentliche Wahrnehmung der Möglichkeit, daß Laschets Kanzlerschaft keineswegs sicher ist, zeigt einerseits wieder einmal, was für einen Unsinn Christian Lindner von sich gibt.

Sie ist aber insbesondere wahlpsychologisch wichtig.

Gerade wenn alle drei Kandidaten wenig überzeugen und keine inhaltlichen Debatten geführt werden, so daß sich besonders viele Wähler nicht enthusiastisch für eine Partei begeistern können, wollen sie wenigstens beim Sieger ihr Kreuz gemacht haben.  Wer schon die Programme nicht kennt und die Personen nicht einschätzen kann, möchte zumindest nicht zu den Wahlverlierern gehören.

Wähler empfinden ihre Wahlentscheidung als sinnlos, wenn ihre Partei anschließend in der Opposition landet. Daher verstärken sich Trends von selbst.

Eine Partei, die seit Wochen in den Umfragen nachlässt, verliert durch die Veröffentlichung dieser Umfragen zusätzlich an Zuspruch, weil immer einige Zweifelnde ihre Finger von dem vermeidlichen Verlierer lassen.

Es ist wie mit Laienanlegern an der Börse; sie können die gehandelten Konzerne  nicht kompetent beurteilen und setzen daher ihr Geld einfach auf den, dessen Zahlen nach oben zeigen. Man will auf den Siegerzug aufspringen.

Wegen dieser Wahlpsychologie ist es für eine ständig demoskopisch sinkende Partei wie die SPD so schwer den Trend zu drehen. Umgekehrt kann eine Seriensieger-Partei wie die CDU, die schon vier Bundestagswahlen in Folge gewonnen hat, zuversichtlich sein.

Es bedarf schon besonderer Umständen, viel Missgeschick oder außerordentlichem Geschick, um Umfragetrends zu drehen.

Genau das könnte nun aber der Fall sein.

Gut möglich, daß Olaf Scholz doch am Ende die Nase vorn haben wird.