Montag, 19. Mai 2014

Reden, reden, reden!



Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln als eine Minute schießen.

Dieser kluge Satz des Altkanzlers wird mal wieder viel zitiert im Moment.
Er schmückt und ist sicherlich richtig. Ein sinnvoller Satz.

Man hält sich allerdings nicht so gerne dran.
Mit Assad und den Syrischen Bürgerkriegsparteien will keiner reden. Darum kümmert sich auch niemand. Es gibt keine hektischen Gespräche zwischen Kerry, Lawrow und Steinmeier.
Merkel redet gar nicht über Syrien.




Blicken wir noch einmal zum innerukrainischen Konflikt, den weite Teile der Presse und der Großkoalitionäre mit Isolation der russischen Regierung beenden wollen.
Am liebsten möchten die osteuropäischen Nato-Ländern und die USA sofort alle Gasleitungen nach Russland kappen.
So stellt sich Klein Fritzchen Politik vor:
Wladimir Putin ist der allmächtige Zampano des Ostens, der allein durch Willenskraft sämtliche Ukrainischen Konfliktparteien zur Raison bringen könnte – wenn er nur wollte. Um ihn dazu zu bringen das zu wollen, wird so lange die russischen Wirtschaft kaputt gemacht, bis der Präsident einknickt, bei Obama anruft und ihm sagt `du, Barack, du hattest doch recht, wir Russen waren böse, aber jetzt habe ich es eingesehen und werde zukünftig alle Interessen meines Landes dem Willen Washingtons unterordnen`.
Es ist ja bekannt, daß sich Supermächte immer gerne klaglos erpressen lassen.
Und man weiß ja auch, daß es immer nur die aus Millionären bestehende Regierung ist, die unter Wirtschaftssanktionen zu leiden hat, während es die einfachen Leute auf der Straße gar nicht tangiert, wenn man ihnen buchstäblich das Gas abdreht.
Diese in westlichen Kleinhirnen erdachte Strategie geht auch davon aus, daß die gegenwärtige russische Regierung klaglos alle ökonomischen Sanktionen hinnimmt und auf den Bodenschätzen sitzenbleibt, weil es ja weltweit auch gar keine anderen Abnehmer mit Öl- und Gashunger gibt.

Besondere Sorgen ruft in der deutschen Wirtschaft aktuell hervor, dass Putin sich unmittelbar vor dem St. Petersburger Forum in China aufhalten wird - um die Beziehungen zwischen Moskau und Beijing zu intensivieren. Dies betrifft insbesondere den Rohstoffexport, der gut 50 Prozent des gesamten russischen Staatshaushalts einbringt. […]  So sollen in den nächsten Tagen der Bau einer Erdgaspipeline aus Russland nach Nordostchina sowie umfangreiche Erdgaslieferungen beschlossen werden. Demnach wird Gazprom sich verpflichten, ab 2018 jedes Jahr 38 Milliarden Kubikmeter Erdgas in die Volksrepublik zu pumpen - 30 Jahre lang. Der Bau einer weiteren Pipeline ist schon im Gespräch. "China könnte sich zu einem der größten Abnehmer russischen Erdgases entwickeln und bis zu einem Drittel seines Erdgasbedarfs mit Lieferungen aus Russland decken", mutmaßen deutsche Experten: "Damit wäre für Russland der Ausfall von europäischen Abnehmerländern fast kompensiert." […]  

Wenn es wirklich so kommt, wäre das ein beachtlicher geopolitischer Flop, den sich Europa eingebrockt hätte:
Man stünde ohne den bisher verlässlichsten und größten Energielieferanten da, hätte seinen Einfluß auf Russland verloren und dabei geholfen eine stabile Ache aus den Supermächten zu bilden, die sich traditionell eher gar nicht um Menschenrechte und Demokratie im westeuropäischen Sinne kümmern.
Bravo, das hätten Verona Feldbusch und Lothar Matthäus als Außenminister auch nicht besser hinbekommen.

Kein Wunder, daß vielen gestandenen Sozialdemokraten – von Bahr über Schmidt bis Eppler – der Hut hochgeht.

Nicht immer kommt in Parteien Freude auf, wenn sich pensionierte Politiker wieder in das Alltagsgeschäft einmischen. In der Ukraine-Krise entsteht derzeit sogar der Eindruck, als ob eine ganze Garde früherer SPD-Politiker wieder aktiv wird - um gegen den Russland-Kurs der Großen Koalition mobil zu machen.
Am Samstag etwa lobte Altkanzler Helmut Schmidt den russischen Präsidenten Wladimir Putin in der "Bild"-Zeitung als "vorausschauenden Politiker", der keinen Krieg wolle.
Die von der Bundesregierung mitgetragenen EU-Sanktionen lehnt er ebenso ab wie der andere SPD-Altkanzler, Gerhard Schröder, eine Woche zuvor - und betont nebenbei, dass die Politik des Westens auf dem großen Irrtum beruhe, "dass es ein Volk der Ukrainer gäbe, eine nationale Identität".[….]   Dabei sind die Altkanzler nicht die einzigen, die vehement das Erbe der Entspannungspolitik verteidigen wollen. Auch die früheren SPD-Granden Erhard Eppler, Klaus von Dohnanyi und Matthias Platzeck, der heute Chef des deutsch-russischen Forums ist, fordern statt Sanktionen mehr Dialog mit Moskau.  […]

Houston, wir haben ein Problem.
Einerseits möchte die aktuelle SPD-Führung sich als entschlossen handelnde Regierungspartei zeigen, die einen Außenminister stellt, auf den sich Angela Merkel verlassen kann. Und dabei kann man auch noch eine stabile SPD-CDU-Abwehrfront gegen die CSU bilden.

Andererseits kommt die konfrontative Politik an der Basis gar nicht gut an und man ahnt wohl selbst, daß es nicht schlau ist Putin zu dämonisieren und auszugrenzen.
Gar nicht mehr mit den Russen reden und so wie Frau von der Leyen schon die konventionelle Schlagkraft des NATO-Waffenarsenals zu betonen, ist so ziemlich das Letzte, das man unter dem Stichwort „sozialdemokratische Friedenspolitik“ subsummieren könnte.
Diesen Widerspruch quittiert die SPD mit wortreichem Schweigen.

Erst nach einer Abbitte in der Fraktionssitzung der Union am Dienstag und einer öffentlichen Rüge von Fraktionschef Volker Kauder konnte [Philipp Mißfelder] sich seines Amtes wieder sicher sein.
Der Vorfall ist symptomatisch dafür, wie sehr angesichts der Eskalation in der Ukraine in allen drei Regierungsparteien CDU, CSU und SPD über den richtigen Umgang mit Putin gestritten wird. Die einen unterstellen Putin nach dem Griff nach der ukrainischen Krim, sich nun die ganze Ukraine unterwerfen zu wollen. Die anderen pochen immer wieder auf mehr Verständnis für russische Anliegen. […]
In der Union aber ist zwischen "Russland-Verstehern" und Russland-Kritikern eine offene Schlacht ausgebrochen - auch weil CDU und CSU auf dem falschen Fuß erwischt wurden. […] Zum medialen Gau avancierte die Unionsdebatte über Russland nach Meinung vieler Abgeordneter aber erst durch den stellvertretenden CSU-Chef Peter Gauweiler, der die gefangengenommenen deutschen OSZE-Militärbeobachter in einem "Spiegel"-Interview kritisierte und gleichzeitig viel Verständnis für Russland äußerte. Noch in der Sitzung der Unionsaußenpolitiker am Dienstagmorgen tobte Gauweiler nach Teilnehmerangaben, dass der eigentliche Skandal in der Ukraine-Krise nicht im Verhalten Russlands, sondern "der Radikalisierung der USA" läge. Obwohl dies Kopfschütteln auslöste und sich Parteichef Horst Seehofer und Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt öffentlich von den Gauweiler-Äußerungen distanzierten, muss der Rechtsanwalt und Bundestag-Hinterbänkler nicht um sein Parteiamt zittern. […]

Es kommt zu einer grotesken Situation im Seelenleben der Angela Merkel.
Üblicherweise tut sie das was Wirtschaftslobbyisten von ihr wollen. In den mittlerweile fast neun Jahren ihrer Kanzlerschaft wurde kräftig von unten nach oben umverteilt.
Spekulationsgewinne und Kapitalerträge werden weit weniger besteuert als Arbeitseinkommen. Lästige Umweltschutzrichtlinien bügelt sie genauso zu Gunsten der Industrie ab, wie sie auf Verbraucherschutz verzichten lässt, wenn es die großen Handelskonzerne so wollen (Stichwort TTIP).
Die einzig andere politische Konstante in Angelas Welt ist die bedingungslos bis zur völligen Selbstverleugnung reichende devote Treue zu Amerika.

Normalerweise sind diese beiden Denkschulen weitgehend kongruent.
Diesmal aber will Washington einen radikalen Bruch der ökonomischen Beziehungen zu Russland; mithin das diametrale Gegenteil der Wünsche der deutsche Industrie.
Gerade die ganz großen Konzerne, die mit einem riesigen Lobbyistenheer in Berlin vertreten sind, wollen mit Russland weiter Geschäfte machen.

Funny coincidence: Genau das möchten auch Gregor Gysi, die Friedensbewegung und die alten Sozialdemokraten des Schlages Eppler und Bahr. Eine nicht gerade übliche Interessengemeinschaft.

Einflussreiche Kreise der deutschen Wirtschaft sprechen sich seit je recht offen gegen eine Ausweitung der EU-Sanktionen gegen Russland aus. Hintergrund sind nicht nur die lukrativen Erdgasgeschäfte deutscher Konzerne und die langfristig zunehmende Bedeutung des russischen Absatzmarktes für die exportfixierte deutsche Industrie. Darüber hinaus hat eine nennenswerte Anzahl von Unternehmen in den letzten Jahren wichtige Handels- und Produktionsstandorte in Russland aufgebaut. Die Metro Group etwa, der nach Umsatz achtgrößte Konzern Deutschlands, führt das Land in seinem Auslands-Standortportfolio an dritter Stelle auf - nach Italien und Polen und deutlich vor Spanien und Frankreich. Volkswagen, nach Umsatz größter deutscher Konzern, will nächstes Jahr ein Motorenwerk im russischen Kaluga eröffnen und plant ein Logistikzentrum unweit Moskau; bis Ende 2018 will das Unternehmen 1,2 Milliarden Euro in Russland investieren. Schon heute verkaufe man dort über 300.000 Fahrzeuge im Jahr; es handle sich eindeutig um den "Wachstumsmarkt Nummer eins in Europa", heißt es bei VW. Im Falle einer Ausweitung der EU-Sanktionen gerate all dies in Gefahr. [….] Zwar werde die deutsche Wirtschaft Sanktionen im Zweifelsfalle "mittragen", teilt BDI-Präsident Ulrich Grillo mit. Dennoch solle man "mit Russland im Gespräch bleiben": "Die Politik weiß genau, was Wirtschaftssanktionen auslösen können". BdB-Präsident Jürgen Fitschen nennt es "grundfalsch", "alles auf(zu)geben, was (in Russland) in jahrelanger Zusammenarbeit aufgebaut wurde": "Letztlich brauchen wir ... den Dialog, um die Krise zu lösen." Vorstandsvorsitzende mehrerer deutscher Konzerne kündigen für den kommenden Donnerstag ihre Teilnahme am "International Economic Forum" in St. Petersburg an, darunter die Chefs von Metro, von BASF (nach Umsatz viertgrößter deutscher Konzern) und E.ON (nach Umsatz die deutsche Nummer zwei).

Und in drei Tagen trifft man sich in St Petersburg (Achtung Schröder-Putin-Umarmungsbilder-Trigger!) zum IEF (St. Petersburg International Economic Forum). Herr Putin wird auch da sein. Nicht da sein werden hingegen die Vertreter amerikanischer Konzerne, die politisch noch konservativer denken und dem antirussischen Kurs Washingtons bereitwilliger folgen. Die die Vorstände von Goldman Sachs, Morgan Stanley, Pepsi haben alle abgesagt. Freilich auch, weil sie viel weniger zu verlieren haben.

 [….]  2012 hatten Deutschland und Russland Waren im Wert von 80 Milliarden Euro ausgetauscht - ein Rekord. Angela Merkel verkündete optimistisch: "Die Hundert wollen wir erreichen." Und sie sprach sogar über ein mögliches Freihandelsabkommen - den großen Traum von Putin. [….]
Eckhard Cordes, den Vorsitzende[r] des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft [….] und viele Wirtschaftsvertreter warnen immer wieder eindringlich vor Sanktionen. Adidas-Chef Herbert Hainer fordert zudem nun eine Kurskorrektur von der Politik. "Wir müssen auf Russland zugehen. Aus meiner Sicht hat die westliche Diplomatie vor der Krise auch Fehler gemacht. Man hätte zum Beispiel Wladimir Putin und die russische Regierung früher einbinden müssen. Das sollte die Politik jetzt korrigieren", sagte er der Süddeutschen Zeitung. [….]  Deshalb nehmen am Petersburger Wirtschaftsforum auch einige Spitzenmanager aus Deutschland teil, darunter Cordes, Eon-Boss Johannes Teyssen oder Harald Schwager, Öl- und Gasvorstand von BASF. Russland ist für den Chemiekonzern aus Ludwigshafen einer der wichtigsten Märkte.
[….] Auch Metro-Chef Olaf Koch wird dabei sein. Der Handelskonzern aus Düsseldorf ist in Russland sehr aktiv und beschäftigt alleine dort 22 000 Mitarbeiter. [….]"Viele Exporteure sehen bereits deutliche Bremsspuren in ihrem Russlandgeschäft", sagt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Es werde ein Minus von mindestens zehn Prozent im Gesamtjahr erwartet, etwa drei Milliarden Euro. [….]

Als linker Großkonzernkritiker sage ich:
Richtig so, Konzernchefs! Fahrt nach Russland, trefft Putin und verwebt Euch weiter mit der russischen Ökonomie.
Denn letztendlich sind enge wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen der beste Schutz gegen Krieg und die eleganteste Weise Einfluss zu nehmen.

Friede ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.
Das sollte sich auch Bellizistin von der Leyen hinter die Ohren schreiben.