Ja, sicher, es gibt in Europa Länder, in denen große
ruhmreiche sozialdemokratische oder christlich-konservative Volksparteien
regelrecht untergegangen sind. Italien, Frankreich.
Die Umstände sind aber nur bedingt vergleichbar.
Ein strahlender neuer Vorsitzender, wie zum Beispiel der
Charismat Justin Trudeau, der 2013 im Alter von 41 Jahren neuer Vorsitzender
der „liberalen Partei Kanadas“ wurde und diese zweieinhalb Jahre später triumphal
zum Wahlsieg führte, kann viel erreichen.
Die holländischen Sozialdemokraten, die Partij van de Arbeid (PvdA) stürzten bei der Parlamentswahl von
2017 auf 5% ab, verloren unglaubliche 20 Prozentpunkte. Bei der Europawahl im
Mai 2019 wurden sie wieder stärkste Partei.
In Ländern mit Mehrheitswahlrecht, wie zum Beispiel England,
Frankreich und den USA, haben es große Parteien leichter, können aber mit
drögen Waschlappen (François Hollande) oder Skandalfiguren (Sarkozy) an der
Spitze, dennoch pulverisiert werden. In England scheint das Parteiensystem
trotz des nie dagewesenen Brexit-Chaos stabiler und in den USA ist das duale
System sogar geradezu zementiert.
Sogar Martin Schulz vermochte es im März 2017, als er mit
100% zum neuen SPD-Parteivorsitzenden gewählt wurde, die „alte Tante“ aus dem
Schlaf zu reißen, kletterte in Umfragen auf 33%, sogar vor der Union.
Das beweist; Wähler sind nicht grundsätzlich gegen
Volksparteien und durchaus bereit sich wieder hinter eine von ihnen zu stellen,
wenn sie von der Parteiführung überzeugt sind.
Natürlich machte Schulz in seinem Jahr als
SPD-Parteivorsitzender so ziemlich alles falsch, das man falsch machen kann,
wirkte auch dank eines unfähigen Willy-Brandt-Hauses
immer nur wie ein Jammerlappen, der sich über ungerechte Behandlung durch die
Medien beschwerte.
Ein charismatischer Wahlkämpfer mit einer Strategie, der wie
Gerd Schröder 1998 selbst die Agenda bestimmt hätte, oder wie Trudeau die
Amtsinhaberin unsympathisch und phlegmatisch aussehen lassen hätte, wäre durchaus
in der Lage gewesen im September 2017 einen großen Wahlsieg einzufahren.
Im Jahr 2019 zeigen die Vorsitzenden Habeck und Baerbock wie
man die kleinste Bundestagspartei (8,9% bei der Bundestagswahl 2017) auf 27% und zur stärksten Partei hochschraubt.
CDU/CSU, SPD und Linke nutzen ebenfalls die Kraft ihrer
Vorsitzenden als Aushängeschilder – allerdings mit negativer Wirkung. Nahles,
Seehofer, Wagenknecht und AKK treiben potentielle Wähler effektiv von ihren
Parteien weg. Sie sind gewissermaßen Anti-Hirten, wie es Tebartz-van-Elst in
Limburg war.
Nachdem Tölpelkönigin Nahles schon fast
vergessen scheint, rückt nun wieder die CDU-Chefin mehr in den Focus der
Öffentlichkeit.
Seit ihr ein blauhaariger Youtuber von seinem
Zweitkanal aus ans Bein pinkelte, macht Annegret Kramp-Karrenbauer alles falsch,
das man falsch machen kann.
[…..] „Der Vorstoß der konservativen Werte-Union, die Partei solle ihren
nächsten Kanzlerkandidaten per Urwahl bestimmen, ist ein offenes
Misstrauensvotum gegen Kramp-Karrenbauer und Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit
in Teilen der Union. (...) Werte-Union-Chef Alexander Mitsch hat die Büchse der
Pandora geöffnet - das Gift des Misstrauens breitet sich aus und kann nicht
mehr so einfach aus der Welt geschafft werden. Die Konservativen, die sich
nicht mit der Niederlage ihres Hoffnungsträgers Merz abgefunden haben, sägen
offen am Stuhl der Parteichefin und stellen ihre Autorität infrage. [….]
Sie wird dabei kongenial von ihren debakulierenden Stellvertretern unterstützt.
Aber die Shitstorm-Königin von der Saar (#Gendertoilette,
#verkrampftesvolk, #homoehe-inzest, #Intersexuellenwitze #gretabashing) scheint
ebenso unbelehrbar wie ihre katholische Ex-Kollegin Nahles.
[….] Konservative Katastrophenkaskaden
[….] Allein in den vergangenen zehn Tagen geschah Folgendes nur rund um den
YouTuber Rezo, der in der digitalöffentlichen Selbstzerstörung des
Konservatismus die Rolle des blauhaarigen Tsunamis übernommen hat und sie
glänzend fortführt:
Der konservativen
Verbraucherschutzministerin fliegt ein Twitter-Video mit einem Nestlé-Chef um
die Ohren, als Rezo drunterkommentiert, dass er exakt so eine Veröffentlichung
als Werbung kennzeichnen müsste.
Ein konservativer
Bundesminister deutet eine hanebüchene Verschwörungstheorie über Rezo an, die
ursprünglich von einer rechtsextremen Internetseite stammt.
Ein konservativer
Großkommentator der "FAZ" teilt das irreführende, absurde
Anti-Rezo-Video eines antisemitischen, homophoben Islamisten unter Applaus
konservativer Bundestagsabgeordneter.
Das Gegenteil von "einen Lauf haben" ist "einen Einlauf
kriegen", und der kommt verlässlich durch die sozialmediale
Öffentlichkeit. In der üblichen Mischung aus giftigem Spott und plakativer
Fassungslosigkeit wird den konservativen Fehlleistern widersprochen. Deren
Reaktionen machen alles noch schlimmer, weil sie zu oft von Realitätsverlust,
Bockigkeit und maximaler Herablassung zeugen.
[….] Die digitale Vernetzung hat den klassischen Konservatismus in eine
umfassende Krise gestürzt. [….] Dann
fordern Konservative die Transparenz von politischen Akteuren im Netz, obwohl
sie seit Jahren ein Lobbyregister verhindern, also Transparenz von der Union
nahestehenden politischen Akteuren. Dann werden von einer Unionsfrau (in der
Digitaldebatte im EU-Parlament) die "rücksichtslosen kapitalistischen
Großkonzerne" übel gescholten, während keine Partei rücksichtsloser
Großkonzernpolitik macht als die Union. [….]
AKKs Wahlkämpfer im Osten, der sächsische CDU-Vorsitzende
und Ministerpräsident Michael Kretschmer, reist unterdessen nach Moskau, um für
Putin zu werben. Damit ist er, wieder einmal oberster Wahlhelfer der AfD, die schon zweimal
in Sachsen stärkste Partei vor der CDU wurde; Bundestagswahl 2017 und
Europawahl 2019.
Kramp-Karrenbauer reagiert nicht.
Aber sie findet einen Weg es noch blöder als Kretschmer
anzustellen, indem sie die Bundeskanzlerin vor den Bus wirft, die in Harvard
kritische Töne an Trump gerichtet hatte.
[….] Bei der Deutsch-Amerikanischen Konferenz in Berlin warnte sie vor
überzogener Kritik: "Wenn heute allzu oft auch in Diskussionen hier in
Deutschland in einem Atemzug die Präsidenten Trump, Putin und Erdogan genannt
werden, dann ist das eine Äquidistanz, die nicht hinzunehmen ist." Man könne Trump zwar kritisieren, sagte
Kramp-Karrenbauer. Aber: "Der entscheidende Unterschied zwischen den
Vereinigten Staaten und Russland zum Beispiel ist, dass Journalisten dort ihre
Arbeit unbeeinträchtigt machen können, während sie in Russland in
Schauprozessen vor Gericht gestellt werden." Sie bekannte sich klar zu der
von den USA geforderten Erhöhung der Verteidigungsausgaben und verzichtete
weitgehend auf Kritik an Trumps Außenpolitik.
Vor rund zwei Wochen hatte das bei Kanzlerin Merkel anders geklungen.
Sie rechnete damals in einer Ansprache vor Studenten der Eliteuniversität Harvard
mit der Politik von Trump ab, [….] Die
Kanzlerin kritisierte unter anderem nationale Alleingänge in der
internationalen Politik und die Gefährdung des freien Welthandels durch
Protektionismus.
Kramp-Karrenbauer dagegen hob in ihrer Rede in Berlin das "enge
Geflecht an Werten, an Überzeugungen, an demokratischer Struktur" hervor,
welches es mit den USA gebe. [….]
Fehlt nur noch eins, um die konservativen Wähler zu
verschrecken; eine kräftige Personaldebatte.
Natürlich liefert AKK.
[….] In der CDU hat eine Debatte über die nächste Kanzlerkandidatur
begonnen. [….] Kramp-Karrenbauer
selbst hatte bisher immer darauf hingewiesen, dass die Entscheidung erst auf
einem CDU-Parteitag Ende 2020 fallen solle. [….] Am Wochenende hatte zum Beispiel Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident
Armin Laschet deutlich gemacht, dass er sich noch nicht aus dem Rennen nehmen
will. [….] Der Vorsitzende der Jungen
Union, Tilman Kuban, forderte angesichts dieser Unstimmigkeiten "die
entscheidenden Köpfe in der Partei" auf, sich bereits jetzt darauf zu
verständigen, wie die CDU die Kanzlerkandidatur "angehen und vor allem
entscheiden" will. [….] Die Werteunion
verlangt, dass über die Kanzlerkandidatur sogar alle CDU-Mitglieder abstimmen
dürfen. Sie startete am Dienstag auf ihrer Homepage eine "Initiative
Urwahl". [….] Der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz
bezeichnete die Debatte sogar als "völlig irre Diskussion". [….]
Ich weiß nicht wie sich die SPD einen Habeck herzaubern
kann.
Aber angesichts der Performance aus dem
Konrad-Adenauer-Haus, scheint es eine durchaus vernünftige Strategie zu sein
den Sozi-Chefsessel vakant zu lassen und abzuwarten, wie sich die Schwarzen
selbst zerlegen.