Dienstag, 15. Mai 2018

Ordinär und national


Das 2005 vom konservativen Journalisten Wolfram Weimer (WELT/FOCUS) gegründete Magazin „Cicero“ betrachtete ich zunächst mit Sympathie.
Lange Texte, wenig Buntes, namentliche Meinungsartikel, hochkarätige Gastautoren sind eine angenehme Alternative zu den ewig aufpoppenden belanglosen Bento-Häppchen, die durch unsere Onlinewelt appen.
Immerhin 67.000 verkaufte Exemplare beträgt die monatliche Auflage.
Und so konservativ konnte das Blatt ja auch nicht sein mit Gerhard Schröder im Ringier-Aufsichtsrat oder dem linken SPD-Mann Michael Naumann als Chefredakteur.
Ihm folgte der renommierte Christoph Schwennicke, den ich schon lange aus seiner Zeit bei der „Süddeutschen Zeitung“ und später beim  „SPIEGEL“ kannte.
Kulturchef ist der ebenfalls früher bei der SZ engagierte Alexander Kissler.
Das sind doch liberale Leute. Könnte man denken.
Stimmt aber nicht. Nicht mehr. Während Schwennnicke kontinuierlich immer Lindneriger wurde, vollzog Kissler sogar einen strammen Rechtsruck und vertritt als glühender Katholik problematische klerikale Ansichten, die weit außerhalb der Mitte liegen.
Aber bereits beim Cicero angekommen schrieb Schwennicke noch einen meiner liebsten Artikel der letzten zehn Jahre. Ein mutiges Meisterwerk, das ich seit 2013 immer wieder gelesen und verteilt habe.
Er stellt sich der übergroßen Mehrheit der deutschen Fußballfans entgegen. Er versucht nicht nur die Angelegenheit auf Normalmaß zu schrumpfen – es ist nur ein Sport; es gibt keinen Grund, daß alle Politiker und Journalisten ununterbrochen Fußballmetaphern  verwenden müssen, um sich volksnah zu zeigen – sondern zeigt den Mittelfinger.

 [….] Ich finde Fußball doof. Nein, ich finde Fußball grässlich – und ungemein langweilig. Ein Reigen alter Männer steht am Rand und schreit herum, viele mehr oder weniger junge Männer rennen auf einer Wiese herum, erst alle nach links, dann Ballverlust, dann wieder nach rechts, Ballverlust, wieder nach links. [….] Dieses Spiel ist unästhetisch und ordinär. Schon der Klang, wenn der Ball getreten wird, macht mich übellaunig. Es ist ein zutiefst ordinäres Geräusch, es klingt so ähnlich wie die Schläge von Bud Spencer in den alten Prügelfilmen mit Terence Hill. Die Spieler haben keine Manieren, tun sich absichtlich weh, sind nicht nur furchtbar verschwitzt, sondern oft auch noch sehr verdreckt und vom Regen pitschenass und rotzen dauernd auf die Wiese. Manchmal sogar ins Nackenhaar eines Gegners. Das ist so unappetitlich.
Viele Spieler sehen haarsträubend lächerlich aus, obwohl sie sich unwiderstehlich finden. Bei Bayern München gibt es einen, der hat sich sein glänzendes Hemdchen wie ein Ganzkörperkondom auf den Leib schneidern lassen, dazu tippelt er mit kleinen, wichtigen Schrittchen über den Platz, was so hühnerartig aussieht, dass man sich das Lachen verkneifen muss. Der Mann ist ein Star. Für mich ist er eine Witzfigur.
Vollends peinlich wird es, wenn versucht wird, diesem primitiven Sport eine politische oder philosophische Überhöhung zu geben. Dieser Theweleitismus ist noch schlimmer als die plumpe Fußballleidenschaft, die nach schalem Bier riechend, am Wochenende grölend die Bahnabteile füllt. Das ist wenigstens authentisch und stimmig. [….]

Für diese wahren Worte werde ich dem CICERO-Chef ewig dankbar sein.
Er hat so Recht; als Nicht-Fußballer gewinnt man so viel schöne Lebenszeit und erspart sich all die Frustration und schlechte Laune.

Ähnlich wie bei der Kirche möchte ich Fußball gar nicht verbieten. Wer das privat unbedingt betreiben möchte, soll das tun können.
Ich kann nur nicht einsehen, daß die konfessionsfreien Steuerzahler die Kirche zu großem Teil mitfinanzieren, Bischofsgehälter und Kirchenrestaurierungen bezahlen, obwohl die Kirchen selbst unermesslich reich sind.
Beim Fußball ist es genauso. Die Bundesligaspieler sind allesamt Millionäre, Trainer verdienen viele Millionen und der Bayern-Chef verspekulierte sogar hunderte Millionen. Er hat es ja. Und seine FC-Bayern-Fans lieben ihn wie eh und je.

 
Sollen sie ihre Millionen haben.
Aber warum muss ich als Afußballist den Unsinn mitbezahlen, indem der Staat für die gigantischen Polizeieinsätze bei den notorisch gewalttätigen Bundesligaspielen aufkommt und indem durch meine Rundfunkgebühren dreistellige Millionenbeträge an hochkorrupte Fußballfunktionäre von FIFA, UEFA und DFB geleitet werden?
Warum müssen das die sprichwörtliche Krankenschwester und der Nachwächter mitbezahlen, während die Fußballspieler selbst nicht nur superreich werden, gelegentlich für über 100 Millionen Euro weiterbverkauft werden und dann noch nicht mal Steuern zahlen, sondern raffgierig ihr Vermögen in Steueroasen verschieben?

Fußballer sind in der Regel fast ohne Schulbildung furchtbar reich. Das verleitet zu Doofheit.
Immerhin bereichern Fußballer-Aussagen die humoristische Szene, wenn sie verkünden „Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien“ oder „wir fliegen irgendwo in den Süden – nach Kanada vielleicht“.

Als ich vor vielen Jahren in der ZEIT einen langen Artikel über einen Fußballer namens Hitzelsperger las, der seine Liebe zu Büchern entdeckte und autodidaktisch in einem bäuerlich-tumben Umfeld anfing sich die Welt der Literatur zu erschließen, war ich gerührt. Wie wir einige Jahre später erfuhren ist der Mann ohnehin nicht der typische Fußballer.
Ein anderer, Moritz Volz, schrieb sogar selbst ein kurzweiliges Buch über seine zehn Jahre in England – Unser Mann in London.
Das habe ich gern gelesen und fragte mich kurzzeitig, ob Fußball wirklich so schlimm ist, aber deswegen nun extra ein Spiel anzugucken war mir doch zu anstrengend.

Die beiden sind Ausnahmen. Üblicherweise sind Fußballer blöd.
Das an sich ist noch nicht das Problem. Viele Menschen sind blöd. Aber die Blödheit dieser tätowierten Wadensportler wird immer überinterpretiert.

[….] Nein, ein Fußball-Nationalspieler muss kein Bekenntnis zu Deutschland ablegen. Er muss auf dem Spielfeld nicht die Hymne mitsingen. Kein Mensch darf das verlangen. Und ja: Ein Nationalspieler darf, wenn er Mesut Özil oder İlkay Gündoğan heißt, der Welt zeigen, wie stolz er auf seine türkischen Wurzeln ist.
Aber darf er Wahlkampfhilfe leisten für einen türkischen Präsidenten, der demokratische Rechte in die Tonne tritt, Oppositionelle ins Gefängnis werfen lässt und deutsche Politiker als Faschisten beschimpft? Auch das darf er natürlich - doch den Anspruch, dass man ihn als Repräsentanten Deutschlands noch in irgendeiner Form ernst nimmt, hat er damit erst einmal verwirkt. [….]
(Josef Kelnberger, SZ, 14.05.2018)

Sämtliche Zeitungen quellen über mit Meinungen zu Mesut Özil und İlkay Gündoğan.

WARUM?
Haben die irgendeine Relevanz?
AfD und rechtsradikale Blogs wie Bergers Pipi-Hetze können ihr Glück nicht fassen; haben sie doch wieder einmal einen Vorwand nationalistisch zu raunen und gegen Migranten zu hetzen.

[….] „Das, was die zwei da vorgelegt haben, spottet jeder Beschreibung, das geht gar nicht“, meinte der Grünen-Politiker Cem Özdemir, der entrüstet reagierte. „Der Bundespräsident eines deutschen Fußball-Nationalspielers heißt Frank-Walter Steinmeier, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und das Parlament heißt Deutscher Bundestag“, sagte er. [….]
(FR, 14.05.2018)

Das ist auch ein Grund für die Widerlichkeit des Sports. Es ist eine Mannschaftssportart, bei der die Sympathien nicht individuell verteilt werden, sondern aufgrund ihrer lokalen oder nationalen Zugehörigkeit.
Deswegen werden Nationalhymnen vor den Spielen angestimmt und Nationalflaggen geschwenkt.
Und deswegen kann ich Fußball nicht ausstehen.
Ich kann mich da nicht positiv emotional einbringen.
Ich mag einzelne Amerikaner, einzelne Deutsche, einzelne Türken, einzelne Russen.
Ich mag aber ganz gestimmt keine Gruppe, nur weil sie alle einer Nation angehören und sich zu einer Hymne, einer Flagge, einem Präsidenten bekennen.
Ich finde es geradezu unsympathisch das zu tun.