Donnerstag, 11. April 2024

Wenn Rechte zu sehr mit dem Feuer spielen

Auch wenn sich die Welt generell eindeutig dem Orkus entgegen dreht und ich keine Hoffnung für die Zukunft habe, gibt es in den westlichen Demokratien Themen, die von den rechtsextremen Populisten nicht vollständig pervertiert werden.

Die Konservativen und Christen kämpfen so engagiert gegen Frauen-, und Schwulenrechte, weil das ihre Basis elektrisiert und reiche Parteispender Schecks ausschreiben lässt. Insbesondere im US-Mehrheitswahlrecht ist das enorm wichtig, weil Republikaner zwar über sehr viele sichere Wahlkreise verfügen, in denen immer der GOP-Kandidat gewinnt, aber nur der lauteste und schrillste Bewerber die vorgeschalteten parteiinternen Wahlen übersteht.

Lauter und schriller populistischer Wahlkampf funktioniert nur mit Antagonismus. Man muss gegen etwas sein und den gemeinsamen Hass anstacheln. Bei vielen Themen funktioniert das. Gegen Klimaschutz, gegen die da oben in Berlin/Washington, gegen Gendern, gegen Ausländer, gegen Haschisch, gegen Migration, gegen Flüchtlinge, gegen Bürgergeldempfänger, gegen die EU, gegen die Medien, gegen die Rundfunkgebühren, gegen Grüne, gegen Windräder, gegen gegen gegen.

Problematisch kann es werden, wenn Konservative mit ihrer „Wir sind dagegen“-Agenda versehentlich zu erfolgreich werden und sich plötzlich in einer Lage wiederfinden, in der sie die Dinge, die sie verabscheuen, wirklich abschaffen.

Vieles bleibt zwar populär beim Urnenpöbel, aber nicht alles.

Der schwulenfeindliche Kurs der CDU und insbesondere ihres Vorsitzenden Merz, wurde schon deutlich abgeschwächt und an CSU, AfD und Dunkelkatholiken ausgelagert. Der Grund ist einfach: Nachdem sich der homophobe politische Kurs 30 Jahre liberalisierte, sind Schwule und Lesben so sichtbar geworden, kommen in jeder Fernsehserie vor, daß sich große Teile des Pöbels schlicht an sie gewöhnt haben und sie gar nicht mehr hassen, weil sie sie kennen.

Deswegen ist es für afrikanische, russische, islamische Diktatoren auch so wichtig, drastisch gegen queere Sichtbarkeit in den Medien vorzugehen. Denn nur gegen etwas, das man nicht kennt, lässt sich dauerhaft Hass schüren.

Deswegen sind Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit in Sachsen sehr viel mehr verbreitet als in Hamburg. Bei den Ossis kennt kaum einer einen Juden oder einen Türken. In Hamburg ist der Migrantenanteil zehnmal höher, man begegnet ihnen viel öfter, lernt sie kennen, findet sie nett und wird dadurch weniger anfällig für die AfD.

Das gilt entsprechend für Homosexuelle.

Auch in den USA wollen die rechtsextremistischen Clowns wie Boebert und MTG Homo-Rechte schleifen. Insgeheim hoffen sie aber, daß es ihnen nicht gelingt. Denn nachdem inzwischen eine Generation heranwuchs, die ganz selbstverständlich schwule Sportler, Sänger, Serienfiguren und Mitschüler kennenlernte, ist Homophobie sehr viel unpopulärer als zu finsteren Zeiten, als alles Queere kriminalisiert wurde.

Auch die CDUCSU-Abgeordneten, die im Bundestag gegen die Homoehe agitierten, trauen sich heute nicht mehr, mit der Agenda hausieren zu gehen.

Fürchterlich die Finger verbrennen könnten sich die Rechten mit ihrem erstaunlich erfolgreichen Kurs gegen Frauenrechte. Die Trumpisten waren wohl selbst überrascht, als im Juli 2022 der ultrarechte Trump-Scotus plötzlich nach 50 Jahren "Roe vs. Wade" aufhob und der Weg für die erzkonservativen Bundestaaten frei war, finsterstes Mittelalter wieder einzuführen.

Plötzlich war der sehnlichste Wunsch der GOPer wahr geworden: Frauen diskriminieren, bevormunden, kriminalisieren. Sie wieder zu rostigen Stricknadeln und blutigen, schmerzvollen Methoden im Hinterhof zu verurteilen.

Was sie nicht bedachten: Diese Ansicht wurde im letzten halben Jahrhundert unpopulär.

[….]  Sieben Monate vor der Präsidentschaftswahl fällt den Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen im US-Bundesstaat Arizona eine Gerichtsentscheidung auf die Füße, die ideologisch eigentlich ganz in ihrem Sinne ist: Am Dienstag entschied der oberste Gerichtshof des Bundesstaates, dass ein Gesetz aus dem Jahre 1864, mit dem in Arizona Abtreibung außer bei Gefahr für das Leben der Mutter mit Gefängnis bestraft wird, automatisch wieder in Kraft treten kann. [….]

(taz, 10.04.2024)

Gegen die gleiche Wand scheint die CDU zu laufen, deren Frontfiguren Stimmung gegen eine Mögliche Entkriminalisierung in der §218-Frage machen.

[….]  Debatte über Schwangerschaftsabbrüche: Unionsfraktion droht Ampel mit Klage vor Verfassungsgericht

Eine von der Ampel eingesetzte Kommission empfiehlt, Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen zu erlauben. Die Unionsfraktion kritisiert den Bericht scharf – und will im Zweifel gegen eine Reform vorgehen. […..]

(SPON, 09.04.2024)

Mit Merz nach 1950!

Frauen, die selbst entscheiden? Das darf nicht sein.

Aber ob Merz und frei und Linnemann damit auf ein echtes Gewinnerthema setzen, bezweifele ich. Der misogyn-ideologische CDU-Mindeset ist unpopulär.

Die Zahlen in den USA sind ähnlich. Daher fürchten sich die Republikaner im Wahljahr 2024 vor ihrem eigenen größten Erfolg.

[…..] Es ist gut möglich, dass die kommenden US-Präsidentschaftswahlen in Arizona entschieden werden. Auf sechs bis sieben Bundesstaaten kommt es am Ende wohl an, der Rest des Landes wählt, wie er immer wählt. Arizona könnte der Staat werden, in dem es am knappsten zugeht. Im Jahr 2020 gewann Joe Biden dort mit nur 10 000 Stimmen Vorsprung. Wie es in sieben Monaten ausgehen wird, könnte nun maßgeblich von der aktuellen Entscheidung des Supreme Court von Arizona beeinflusst werden.

Dieser hat geurteilt, dass ein Gesetz von 1864 zur Anwendung kommen darf, das Schwangerschaftsabbrüche jederzeit verbietet - mit der einzigen Ausnahme, dass das Leben der Mutter in akuter Gefahr ist. Selbst im Fall von Vergewaltigung oder Inzest ist keine Ausnahme erlaubt. Dieses rückständige Gesetz stammt aus einer Zeit, in der Arizona noch nicht einmal ein US-Bundesstaat war und Frauen nicht wählen durften. So zynisch es klingt: Für die Demokraten könnte sich der Richterspruch als Glücksfall erweisen, für die Republikaner als fatal.

Seit der konservative Supreme Court in Washington vor zwei Jahren das landesweit verbriefte Recht auf Abtreibung gekippt hat, machen die Demokraten erfolgreich Wahlkampf mit dem Thema. Den Republikanern wird immer klarer, dass sie womöglich einen Pyrrhussieg errungen haben, denn letztlich ist ihnen die Macht näher als die Sache. Schon bei den Midterms 2022 schnitten die Demokraten besonders wegen dieses Themas deutlich besser ab als erwartet. Sie gewannen anschließend Wahlen auf lokaler Ebene, und bei allen regionalen Abstimmungen über das Recht auf Abtreibung setzte sich selbst in konservativen Staaten die Gruppe durch, die für die Beibehaltung votierte. […..]

(Christian Zaschke, 10.04.2024)

Die radikale Frauenfeindlichkeit des orangen Messias könnte schließlich doch noch zur Hoffnung für Joe Biden und „sane America“ werden.