Mittwoch, 24. Mai 2017

Rechts und Links



Die ersten Grundzüge des SPD-Wahlprogramms kommen zu spät, sind zu vage?

Unverschämtheit, ruft die SPD-Generalin Katarina Barley und verweist auf die CDU, die noch vager und noch später dran wäre.

[….] "Unser Leitantrag enthält jetzt schon mehr Inhalte, als CDU und CSU haben verlautbaren lassen", sagte sie. Das Wahlprogramm der Union, das Politiker der CDU und CSU gerade erarbeiten, nannte Barley eine "Mogelpackung". [….]
(HuffPo, 22.05.2017)

Barley ist eine sympathische Frau und selbstverständlich hat sie Recht mit dieser Einschätzung. Welcher den Sozis wohlgesonnene Wähler ärgert sich nicht über das Wischiwaschi der CDU-Vorsitzenden?

Gleichzeitig illustriert Barley aber auch ihr fundamentales Missverständnis der deutschen Parteienlandschaft und den Anliegen der jeweiligen Wähler.
Sozis sind im „linken Lager“ (R2G-Sympathisanten) das schwierigste Klientel.
Sie sind nicht zufrieden mit dem Status Quo, ihnen reicht nicht Machttaktik, also das Übertrumpfen des Gegners allein.

Ein devotes „wenigstens sind wir etwas besser als die CDU“ holt keinen schmollenden Ex-SPD-Wähler vom Sofa an die Wahlurne.

Konservative verfügen in Deutschland über einen enormen strategischen Vorteil, weil ihre Anhänger viel unkritischer sind. CDU-Mitglieder putschen nicht gegen die Parteiführung, CDU-Abgeordnete votieren nicht gegen die Fraktion und CDU-Wähler nörgeln nicht, wenn Versprechen gebrochen werden.
CDUler wollen in erster Linie, daß einer der ihren ganz oben in der Regierung steht, sie wollen das linke Lager schlagen und begeistern sich daher für Führer wie Merkel und Kohl, die zwar intellektuell underperformen, keine Diskussionen anstoßen und als Phlegmaten regieren, aber die Wahlen gewinnen und die Macht sichern.

Ein bräsiger Führungsstil, den Merkel noch mehr als Ziehvater Kohl beherrscht – auch nach 12 Jahren als Kanzlerin weiß niemand wofür sie eigentlich steht – ist das beste Mittel, um CDU-affine Wähler bei der Stange zu halten. Es ist ein Erfolgsrezept.
Aber eben nur für die CDU.
Natürlich ist es frustrierend für SPD-Chefs zu sehen, daß sie intellektuell viel mehr leisten müssen, weil ihre Anhänger viel kritischer sind und leicht unzufrieden sind.
Aber wenn sie einfach die Vagheit des Konrad-Adenauer-Hauses kopieren, müssen sie auf die Nase fallen.

Ich staune wirklich, daß Martin Schulz nach Jahrzehnten in der SPD diesen grundlegenden Unterschied zwischen SPD- und CDU-Wählern immer noch nicht erkannt hat und ähnlich wie seine Generalin schmollend auf Merkel zeigt.

[….] Zur Ta­ges­po­li­tik hat­te sich Schulz wo­chen­lang nur spo­ra­disch ge­äu­ßert. Egal, ob es um die rechts­ex­tre­men Um­trie­be in der Bun­des­wehr, die Über­schüs­se im Haus­halt oder das The­ma Leit­kul­tur ging: Ins Bild hat­ten sich zu­meist an­de­re SPD-Po­li­ti­ker ge­drängt. Er­geb­nis: Ralf Steg­ner und Sig­mar Ga­bri­el, Rai­ner Ar­nold und Cars­ten Schnei­der ka­men in den Me­di­en vor, Mar­tin Schulz nicht.

Als ka­pi­ta­le Fehl­ein­schät­zung er­wies sich auch der Glau­be, der Kan­di­dat kön­ne wie die Kanz­le­rin im Va­gen blei­ben. Das CDU-Wahl­pro­gramm kommt erst im Juli? Schulz war das ge­ra­de recht. „So­lan­ge die nicht kon­kret wer­den, wer­de ich auch nicht kon­kret“, kon­ter­te er re­gel­mä­ßig. Und über­sah da­bei, dass er der Her­aus­for­de­rer war und Me­di­en, Öffent­lich­keit und die ei­ge­nen Mit­glie­der den So­zi­al­de­mo­kra­ten tra­di­tio­nell prä­zi­se­re Vor­ga­ben ab­ver­lan­gen als der Uni­on. [….]
(DER SPIEGEL, 21/2017 s.25 f)


Wenn man es sich leicht machen will, geht man in eine konservative Partei.
Da reicht ein vages „Weiter so“, Beschimpfung aller Linksgrünversifften und im Übrigen kann man das tun, wofür Lobbyisten am meisten zahlen.
Die Anhänger werden es lieben.

Als Linker ist man nie zufrieden damit anderen zu schaden und irgendwie an die Macht zu kommen, oder dort zu bleiben.
Da die gegenwärtige SPD-Zentrale das nicht versteht, hängt sie nun schon wieder fast 15 Prozentpunkte hinter der CDU/CSU. Es sieht nach einem sicheren Wahlsieg für Schwarzgelb am 24.09.2017 aus.

R2G-Sympathisanten erwarten von den ihrigen an der Macht kein statisches Rumwurschteln, sondern Verbesserungen und deutliche Fortschritte an allen Fronten.
Dabei sind sie auch noch ungeduldig und erwarten simultane Erfüllung sich widersprechender Wünsche.
Wird das Partikularinteresse eines einzelnen SPD-Wählers scheinbar weniger gewürdigt, als andere, ist der Wähler sofort muksch und wählt die Partei nie wieder.
Daß die SPD in der aktuellen GroKo nur halb so stark wie CDU und CSU ist und daher nicht allein alles durchsetzen kann, wollen Sozi-Wähler nicht verstehen.
Daß auf dem Koalitionsaltar mangels Mehrheit – 75% der Wähler haben 2013 nicht die SPD gewählt – einige Anliegen geopfert werden mußten, wird der SPD-Spitze nachhaltig übel genommen. Doppelstaatsbürgerschaft, Mindestlohn, Homoehe, Kindergelderhöhung – jedem SPD-Wähler ist eins dieser Vorhaben wichtiger als  andere.

Diese unterschiedlichen Ansprüche Rechter und Linker sind nicht nur bei den normalen, demokratischen Wählern erkennbar, sondern zeigen sich auch bei Links- und Rechtsextremisten.
Dabei beziehe ich mich nicht nur auf Gewalttäter sondern auch auf Typen wie den „Antipapst“ Raymond Kardinal Burke, den man aus amerikanisch als „rad trad“ ("radical traditionalist") bezeichnen würde.

Wolfgang Brosche, der mutige Kämpfer wider die Homophobie und den Pegida-Sumpf charakterisierte in seinem Aufsatz über den „Homonationalismus“ sehr schön den Antrieb der Rechtsextremen.

[….] Die angeblich neue Rechte ist die alte. Der lärmende Aufwand, den sie betreibt, um ihre Ansprüche, Antriebe und Ziele zu rechtfertigen oder zu verschleiern mag andere Formen haben als vor 85 Jahren, seine Stoßrichtung führt jedoch genau wie damals ins Antizivilisatorische nach unten. Tatsächlich bietet die Rechte – auch wie damals – keine wirklich politischen Ziele, nichts Konstruktives, keine Bewältigungsversuche der sozialen, politischen, ökonomischen und ökologischen Probleme der Gegenwart, sondern nur Destruktion: Zerstörung, Gewalt, gigantische Fresssucht und letztendlich todessehnsüchtige Vernichtung dessen, was die Rechten nicht verstehen, geschweige denn meistern können. Die neue wie die alte Rechte legen eine barbarische Dummheit und ein gewalttätiges Unvermögen an den Tag, dessen End-Ziel die Beseitigung der Gegner, der „Anderen“, die mörderische Lust, der Lust-Mord ist. Das Pauken-Getöse um angeblich alte Werte, Traditionen, Patriotismus und Nationalismus ist nur Tarnung. Es geht tatsächlich um das primitive „Wir oder sie“, eine Maxime, vor deren endgültiger Konsequenz ihre Vertreter immer weniger zurückschrecken. [….]

Rechtsextremisten suchen sich die Schwächsten als Opfer, Linksextremisten die Stärksten.

(….) Da Rechtsextrem im Gegensatz zu Linksextremen grundsätzlich amoralisch und feige agieren, sind ihre Opfer ausschließlich unter den Schwachen zu finden:
Schwule, Flüchtlinge, Behinderte, Obdachlose.

Opfer, für die sich auch der Staat offensichtlich kaum interessiert.
Man stelle sich nur mal vor durch rechtsextreme Gewalt wären im Jahr 2016 schon 1.800 Gewalttaten gegen Millionäre verübt worden. Dann wäre aber Alarm im Bundesinnenministerium.
Der Wertekompass des Innenministers befindet sich also offensichtlich in gewaltiger Schieflage.
Wird gegen Arme und Schwache Gewalt ausgeübt, weil Rechte meinen damit ihren Werten zu frönen, stört es den wertkonservativen de Maizière scheinbar wenig.

Erst die Folgen der Folgen der Folgen, wenn statt der humanistischen Werte auch Sachwerte betroffen sind, wenn Arbeitgeber um ihre Profite bangen, alarmiert die Bundesregierung. (…..)

Vergleicht man Linksextremismus und Rechtsextremismus, gibt es sehr klare Unterschiede. Während sich die Rechten gewalttätig gegen Minderheiten, Schwache, Verletzliche, Ausgegrenzte und Friedliche wenden, versuchen Linke eben diesen Personenkreis zu schützen und wenden sich, wenn überhaupt, gegen die Starken.

Wenn ich also auch Gewalttätigkeit in JEDER Form ablehne, so ist die moralische Bewertung doch eindeutig: Rechts ist komplett amoralisch, Links nicht.

Das Aggressionspotential von Rechts- und Linksextremen ist völlig unterschiedlich, wenn man nicht gerade als Symbol einer gewaltigen Wirtschafts- oder Staatsmacht auftritt.

Wie so viele Menschen erlebte ich (insbesondere als Teenager) Situationen, in denen ich vor rechten Skinheads weglaufen mußte, oder zumindest einen großen Bogen machen mußte. Einmal wurde ich als 18-Jähriger von Nazis in einer Bahn verprügelt (mit glimpflichen Ausgang. Der Schock war größer.)
Wenn man sich hingegen in einer ausdrücklichen „linken Gegend“ bewegt, wie es sie in Berlin-Kreuzberg zumindest in den 80er Jahren gab und beispielsweise im Hamburger „Karoviertel“ oder „der Schanze“ (früher Hafenstraße) immer noch gibt, ist der große Unterschied, daß man dort eben nicht  um seine körperliche Unversehrtheit fürchten muß.
Man kann sogar schwarz oder offensichtlich schwul sein. Die linke Szene ist tolerant, die Rechte ist per Definition intolerant und agitiert gegen alles „Fremde“. (…..)