Samstag, 27. Juli 2019

Indolent – Teil II


Demokraten, Humanisten, Bürgerrechtler, Liberale, Linke, Aufrechte, Anständige, Moralische, Nette finden vielfach nicht die Mittel sich gegen am rechtskonservativen Rand entspringende Formen faschistoiden Autokratismus zu wehren.


Je offensichtlicher Trump und seine GOP kriminell, hochverräterisch und verfassungswidrig agieren, desto paralysierter scheinen Opposition und seriöse Medien auf die Schlange zu starren.


[…..] Die Rassismusvorwürfe gegen Donald Trump. Die Robert-Mueller-Anhörung. Dazu die täglichen Turbulenzen. Trotzdem ist die Stimmung im Weißen Haus ein Jahr vor der Wahl offenbar sehr okay. Wie kann das sein?
[…..] Während sich Robert Mueller am Mittwoch durch die Anhörungen kämpfte und es nach Kräften vermied, auch nur eine einzige halbbrisante Aussage zu treffen, sich genau genommen nicht einmal zu einer viertelbrisanten Aussage hinreißen ließ und zwischendurch auch noch den Eindruck eines tüdelig gewordenen Onkels vermittelte, der beim Weihnachtsfest innerhalb von drei Stunden viermal denselben Witz erzählt, veröffentlichte die Präsidentengattin Melania Trump auf Twitter vier Fotos, die sie beim angelegentlichen Prüfen von Stoffen und Blumen zeigten, beim kritischen Studium eines Blattes Papier, im Gespräch mit einem jungenhaften Mitarbeiter in einem etwas zu blauen Anzug. Dazu der Text: "Die Weihnachtsplanung hat begonnen im Ostflügel des Weißen Hauses."
Gleich, was man von ihm hält: Kaum jemand wird bestreiten, dass Donald Trump ein Meister der Kommunikation ist. Doch was seine Frau da getan hatte, spielte noch einmal in einer ganz anderen Liga. Es war beinahe erhaben.  Auch diese Woche lehrt: Trump erlaubt sich, was er will. Und warum? Weil er es kann[…..] Die kleine Episode ist beispielhaft für die Präsidentschaft Trumps und den Umgang der Demokraten mit Trump.
Wieder und wieder empören sie sich, wieder und wieder sagen sie, dass er jetzt aber wirklich zu weit gegangen sei, wieder und wieder sagen sie,
dass es nun endlich Konsequenzen geben müsse. Mal soll er um   Entschuldigung bitten, was er niemals tut, mal muss nun dringend das Amtsenthebungsverfahren eingeleitet werden, mal stellen sie ihn als grenzdebilen Psychopathen dar, mal als berechnenden Rassisten, als Frauenfeind, als Diktatorenfreund, sie beschwören die amerikanische Geschichte, und gleich, wie viel Sinn in den Forderungen steckt und wie viel Wahrheit in den Anwürfen: Es macht einfach überhaupt keinen Unterschied. Immer steht am Ende doch bloß Weihnachten vor der Tür.
[…..]

Nicht nur östliche und ganz ferne Länder mit wenig demokratischer Erfahrung driften ganz ganz nach rechts und holen sich Autokraten in die Regierungspaläste – Philippinen, Brasilien, Russland, Türkei, Tschechien, Polen, Ungarn – sondern auch etablierte Demokratien der klassischen „westlichen Welt“ brechen weg: Die USA, Italien, Österreich und nun auch noch Großbritannien.

Für diese grauenvolle Entwicklung gibt es zwei tieferliegende Ursachen.

1.) Die generelle Schlechtigkeit des Menschen.
2.) Die ungehinderte Ausbreitung Derselben durch soziale Medien und die Schwächung seriöser Medien mit ihrer Gatekeeperfunktion.

Rassismus, Argwohn, Neid, Vorurteile, Hass, Verschwörungstheorien, Xenophobie, Antisemitismus, Misogynie, Bösartigkeit, Aufwiegelung – all das funktioniert von ganz allein, breitet sich Lawinen-artig im Internet aus.

Die Antonyme dazu, also humanistische Überzeugungen, Mitgefühl, Toleranz, Rücksicht, Besonnenheit, Akzeptanz hingegen müssen immer gegen große Widerstände erkämpft werden.
Solche Werte bleiben auch nicht bestehen, wo sie erst einmal erreicht wurden, sondern müssen stets verteidigt und gepflegt werden, weil sie sonst wieder verschwinden.


In Deutschland gibt es natürlich die inzwischen quasi auf NPD-Niveau abgeglittene AfD, um die sich womöglich bald das Verfassungsgericht kümmern muss.

[…..] Die AfD ist eine Partei i.V., eine Partei in Verwandlung. Sie verwandelt sich seit ihrer Gründung, aber jetzt nähert sie sich mehr und mehr dem finalen Stadium. Das finale Stadium ist - braun.
Die AfD rückt immer mehr dorthin, wo einst, weniger erfolgreich, die NPD ihren Platz hatte: dorthin, wo der Verfassungsbogen nicht mehr hinreicht. Die AfD wird zu einem völkischen Kampfverband, der von Björn Höcke, dem Fraktionsvorsitzenden in Thüringen, und von Andreas Kalbitz, dem Parteivorsitzenden in Brandenburg, repräsentiert wird; beide stehen für eine Art Radikal-Salvinisierung der AfD. […..]  Wenn Neonazis sich nun das Fell der AfD überziehen und so deren parlamentarisches Gewicht für sich nutzen, dann ist es an der Zeit, die Waffen des Grundgesetzes zu schärfen. Besser wäre es freilich, wenn es gelänge, eine gefährliche Potentialität dieser AfD bei und mit den Wahlen zu verhindern. Die deutschen Farben sind Schwarz-Rot-Gold. Daraus darf nicht Schwarz-Rot-Braun werden. […..]

Aber es sind nicht nur die Fanatiker am Rand, die Sorgen bereiten.
Mehrere Minister von Merkels „den christlichen Werten verpflichteter“ Bundesregierung haben sich schon in humanistischer Hinsicht sehr problematisch geäußert, auf Minderheiten eingedroschen und an Grundfesten der Verfassung gerüttelt:
Spahn, Seehofer, Kramp-Karrenbauer und Scheuer.


Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen reist auf radikal-evangelikalem Ticket und kam mit Stimmen der rechtsextremen Babiš, Orbán und Morawiecki ins Amt, bei denen sie sich auch sofort erkenntlich zeigte, als in ihren Ländern die Rechtsstaatlichkeit weiter abgebaut wurde.
Im pfälzischen Frankenstein bildet die CDU-Gemeinderätin Monika Schirdewahn bereits eine Fraktionsgemeinschaft mit der AFD.

Wie in den USA, England oder Polen sind die Linken und Liberalen auch in Deutschland zu schwach die AfD aufzuhalten.
Daß die Braunen anders als Salvini noch nicht regieren, liegt nicht an deutscher Widerständigkeit, sondern nur an der eigenen Doofheit der AfDler.


Die Ultrarechten blockieren und bekämpfen sich gern auch gegenseitig.
So bilden sie anders als die in den USA artig und homogen Trump unterstützende GOP immer noch einen heterogenen Haufen.
Im Osten ist sie stärker und  viel radikaler, aber im Westen gibt es wesentlich mehr Wähler.

[…..] Vor den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen: Wenn es etwas gibt, das der AfD wirklich gefährlich werden kann, dann ist es die AfD. […..] Der 47-jährige Höcke und der ein Jahr jüngere Kalbitz sind beim deutschnationalen "Flügel" die zentralen Akteure des Machtkampfs, der die AfD mehr erschüttert als alle Angriffe ihrer politischen Gegner. Er bringt die Spitze um Parteichef Jörg Meuthen in Not. […..] Die AfD, da sind sich beide einig, soll erst den Osten und dann den Westen erobern. Für einige Parteifreunde im Westen ist das eine Drohung. Sie fürchten, dass der rechte Aufschwung Ost bei ihnen bürgerliche Wähler verschreckt. Auf Facebook rechnen sie vor, dass wegen der geringen Einwohnerzahl im Osten selbst die größten Erfolge dort nicht so viel wert seien. […..] Aus der Berliner AfD kommen regelmäßig Appelle zur Mäßigung, die regelmäßig überhört werden. […..]
Höcke [ließ sich beim Kyffhäuser-Treffen] mit einer Fahnenzeremonie begrüßen, über die sogar sein Parteifreund Gauland sich entsetzt äußerte, der ihn sonst stets verteidigt. In einer langen Rede verdammte Höcke innerparteiliche Kritiker. Er nannte sie "Feindzeugen", weil sie Parteikollegen kritisieren und so dem politischen Gegner dienten. […..]  (Jens Schneider, SZ vom 26.07.2019)