Sonntag, 17. Dezember 2017

Gabriels Gedanken



Da stimme ich mit Peter Altmaier überein. Und mit Sigmar Gabriel. Und mit Martin Schulz; Emanuel Macron ist ein absoluter Glücksfall für Europa.
Nach Trump und Brexit hätte nicht viel gefehlt und Marine Le Pen wäre französische Präsidentin geworden, hätte die EU beerdigt.
So aber haben wir einen eloquenten, mutigen und tatkräftigen Typen an der Spitze einer großen EU-Nation, der das tut, wozu Merkel viel zu schwach ist.
Marcon entwickelt ein positives Narrativ für Europa, wendet sich klar gegen die Trumpisten und Nationalisten.

Wäre nur schön, wenn es in Berlin endlich eine Regierung gäbe, die ihn zu 100% unterstützt. Die Chance ist da nachdem sich Merkel endlich von Wolfgang Schäuble als Finanzminister trennte. Den Mann weglobte, der acht Jahre lang alles dafür tat die EU zu spalten, Nationalismen zu fördern und die Menschen in krisengeschüttelten Regionen gegen Brüssel aufbrachte.
Wird hohe Zeit das ekelhaft besserwisserische deutsche Lehrmeisterum zu überwinden und mit dem destruktiv-egoistischen Austeritäts-Mantra aufzuhören bevor es die EU ganz zerstört.

Martin Schulz würde Macron gern unterstützen, ruft ihn regelmäßig an.
Wie DER SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe schreibt, schätzt der junge Präsident auch durchaus Schulz' exzellente französisch-Kenntnisse.
Unglücklicherweise ist das aber auch alles. Schulz wird als absolutes Leichtgewicht, der planlos durch den deutschen Wahlkampf irrlichterte gar nicht ernst genommen.

[….] Schulz, so sieht man das im Élysée, kann Mer­kel nicht das Was­ser reichen. In­halt­lich hat sein Wahl­kampf auf der an­de­ren Rhein­sei­te kei­ne Marken hinterlassen, er war halt der­je­ni­ge, der ge­gen Mer­kel an­tre­ten muss­te. Schulz hat in Pa­ris im­mer noch das Pro­fil ei­nes ge­ra­de aufgestellten Papp­ka­me­ra­den. In den Au­gen der fran­zö­si­schen Nach­barn hat er nicht ein­mal ei­nen Ach­tungs­er­folg er­run­gen, zu mut­los war sein Wahl­kampf, zu unbehol­fen sein Vor­ge­hen nach der Wahl.

Für sein An­se­hen bei den Ma­cro­nis­ten war es auch nicht hilf­reich, dass Schulz sich noch kurz vor den fran­zö­si­schen Prä­si­dent­schafts­wah­len hin­ter den ziem­lich aus­sichts­lo­sen Kan­di­da­ten der So­zia­lis­ten stell­te. Be­noît Hamon, als ra­di­kal­lin­ker Uto­pist eine po­li­ti­sche Rand­er­schei­nung, verkörper­te da­mals schon den ra­san­ten Nie­der­gang der re­gie­ren­den Sozialis­ten.

Schul­z' Auf­trit­te nach der Wahl ha­ben Ma­cron und sei­ne Leu­te in ih­rer Wahr­neh­mung be­stärkt, dass sein po­li­ti­scher In­stinkt Gren­zen kennt. [….]
(DER SPIEGEL 51/2017, s.28)

Ja, so ist das mit unserem Opa Martin; er hat die besten Absichten; ist aber hoffnungslos unfähig als Politiker.
Mit dem ist kein Staat zu machen; das weiß man auch in den anderen europäischen Regierungszentralen.

Merkel verfügt ganz im Gegensatz zu Schulz zwar über einen hervorragenden Machtinstinkt, wagt sich aber grundsätzlich nie mit neuen Ideen nach vorn. Ihr „erst-mal-abwarten“-Naturell ist für die große europäische Krise mitverantwortlich.
Macron streckt eher die Finger nach Sigmar Gabriel aus, mit dem er gut befreundet ist.
Mein ehemaliger Parteichef ist aus ganz anderem Holz geschnitzt. Was Schulz zu wenig hat, hat Gabriel zu viel.
Er sprüht nur so von Ideen und Konzepten, die er auch zu gern überall verbreitet und die Aufmerksamkeit genießt.
Ein wirklich kluger Kerl, dieser ehemalige Lehrer aus Goslar.
Nur eben ein bißchen blöd, daß er seine Konzepte nie länger als fünf Minuten vertritt und dann gern das diametrale Gegenteil als neuen Kurs vorgibt.
Das Etikett „Zickzack-Siggi“ ist wohlverdient.

Im aktuellen SPIEGEL erschien unter dem Titel „Sehnsucht nach Heimat“ ein längerer Gabriel-Gastbeitrag, mit dem er mal eben die Sozialdemokratie und Europa retten will.


In „der Moderne“ (1945 bis 1989) waren die Sozialdemokraten stark, sorgten für soziale Absicherung, steigende Löhne und Geborgenheit in Vereinen, Nation und Familie.
In „der Postmoderne“ (1989-2017) wurden Sozialdemokraten schwächer. Stattdessen wurden Linke und Liberale sehr stark, die ein „Anything Goes“ durchsetzen. Das sind bröckelnde Familienverbände, Globalisierung, Internationalität, Homoehe, volatilere Arbeitsverhältnisse, abnehmende Bindungen an Vereine, Kirchen und Gewerkschaften.

Diese „Postmoderne“ habe die armen Rechtsradikalen so verunsichert, daß sie sich jetzt in die sozialdemokratische „Moderne“ zurücksehnten. Wir Sozis geben ihnen aber keinen Halt mehr, weil wir uns getrieben von den Linksliberalen auch zu sehr über sowas wie die „Ehe für alle“ freuten.

Mit Heimat und Leitkultur die SPD retten?
Das gefällt nicht jedem.


Gabriel ist schlau genug, um Widerspruch zu erwarten; also formuliert er vorsichtig.

[….]Der Auf­stieg des rech­ten wie des lin­ken Po­pu­lis­mus wird oft als Re­ak­ti­on auf die Er­run­gen­schaf­ten der Mo­der­ne be­grif­fen, ge­wis­ser­ma­ßen als an­ti­mo­der­ne Auf­leh­nung ge­gen den Sta­tus quo. Ich wage eine Ge­gen­the­se, die auf den ers­ten Blick ku­ri­os wir­ken mag: Der Rechts­po­pu­lis­mus ist kei­ne Ge­gen­be­we­gung zu die­ser Mo­der­ne, son­dern im Ge­gen­teil Aus­druck ei­ner Sehn­sucht nach ge­nau die­ser Mo­der­ne. Er ist weit­aus eher eine Ge­gen­be­we­gung ge­gen die Ende des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts ent­stan­de­ne Post­mo­der­ne.
Der mo­der­ne Na­tio­nal- und Wohl­fahrts­staat ge­riet be­reits Ende des vo­ri­gen Jahr­hun­derts un­ter Druck. Gleich­zei­tig ver­lo­ren die Fa­mi­lie und die bis da­hin ge­sell­schaft­lich do­mi­nan­te Ord­nung der Ge­schlech­ter­ver­hält­nis­se durch In­di­vi­dua­li­sie­rung und Eman­zi­pa­ti­on an Kraft und Re­le­vanz. An mei­ner ei­ge­nen Fa­mi­li­en­ge­schich­te habe ich er­fah­ren, wie be­frei­end das wirk­te. Aber auch die­se Frei­heit war eine dop­pel­te: Es ver­schwan­den nicht nur die Au­to­ri­tä­ren, son­dern auch die Au­to­ri­tä­ten. [….]
(Sigmar Gabriel im SPIEGEL Nr 51/2017, s.30)

Ja, blöd, die Frauen dürfen heute selbst entscheiden, die Kirchen ungezogene Kinder nicht mehr schlagen und Schwule kommen nicht in den Knast, sondern werden Minister. Da ist dann die ganze „dominante Ordnung“ dahin und man läuft eben David Berger, Trixi Storch und Gauland hinterher, weil man sich nicht mehr zu Recht findet.

Die AfD dürfte entzückt sein, weil sie nun Gabriel für ihre eigene volle Hose als Kronzeuge heranziehen kann.

[….] Die of­fe­nen Gren­zen von 2015 ste­hen in Deutsch­land für nicht we­ni­ge Men­schen des­halb als Sinn­bild für die Ex­trem­form von Mul­ti­kul­ti, Di­ver­si­tät und den Ver­lust jeg­li­cher Ord­nung. Un­ter ih­nen vie­le vor­mals so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler. Di­ver­si­tät, In­klu­si­on, Gleich­stel­lung, Po­li­ti­cal Cor­rect­ness – all das sind des­halb jetzt auch die Ziel­schei­ben der Neu­en Rech­ten. Sie sind im Kern kein Pro­dukt der Mo­der­ne, son­dern ei­ner Post­mo­der­ne, die zur ra­di­ka­len De­kon­struk­ti­on der Mo­der­ne an­ge­tre­ten war, da­bei er­staun­li­che Er­fol­ge fei­er­te und jetzt Op­fer ih­res ei­ge­nen Er­folgs wird. [….]
(Sigmar Gabriel im SPIEGEL Nr 51/2017, s.30)

Ich glaube auch, daß Rechte „Diversität“ als schauderhaft empfinden und sich nach homogener Ordnung sehnen.
Aber wie schon Wilfried Schmickler sagte, sollen wir diese braune Hasenfüßigkeit nicht adaptieren, sondern ihr entgegentreten.

Aber wir müssen die Ängste und Sorgen der Bürger doch ernstnehmen.
So ein Blödsinn!
Wir müssen den Bürgern die Ängste nehmen und ihre Sorgen zerstreuen.“
(Wilfried Schmickler 12.11.2015)

Sigmar Gabriel, der so gern weiter eine wichtige Rolle als Minister spielen will, begründet im Folgenden seine Thesen.
Dabei wird er schlampig und gibt führt in die Irre.

[….] Um­welt- und Kli­ma­schutz wa­ren uns manch­mal wich­ti­ger als der Erhalt unse­rer In­dus­trie­ar­beits­plät­ze, Da­ten­schutz war wich­ti­ger als in­ne­re Si­cher­heit [….]
(Sigmar Gabriel im SPIEGEL Nr 51/2017, s.30)

Minister Gabriel setzte aber die Vorratsdatenspeicherung gegen den Willen seiner Partei durch, intervenierte in Brüssel massiv gegen den Klimaschutz und für die deutsche Autoindustrie.
Bekanntlich führte das nicht zu einer Marginalisierung der AfD.

[….] Ein Blick auf die Ent­wick­lung der De­mo­kra­ten in den USA zeigt, wie ge­fähr­lich die­se Kon­zen­tra­ti­on auf die The­men der Post­mo­der­ne sein kann. Wer die Ar­bei­ter des Rust Belt ver­liert, dem wer­den die Hips­ter in Ka­li­for­ni­en auch nicht mehr hel­fen. [….]
(Sigmar Gabriel im SPIEGEL Nr 51/2017, s.30)

Falsch! Hillary Clinton bekam drei Millionen Stimmen mehr als Trump und wurde nur dank des antiquierten US-Wahlsystems nicht Präsidentin. Dabei war sie persönlich historisch unbeliebt. Gut möglich, daß ein anderer Demokrat Trump noch viel deutlicher geschlagen hätte.

[….] Und trotz­dem müs­sen wir uns in den so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen und pro­gres­si­ven Be­we­gun­gen fra­gen, ob wir kul­tu­rell noch nah ge­nug an den Tei­len un­se­rer Ge­sell­schaft dran sind, die mit die­sem Schlacht­ruf der Post­mo­der­ne „Any­thing goes“ nicht ein­ver­stan­den sind. Die sich un­wohl, oft nicht mehr hei­misch und manch­mal auch ge­fähr­det se­hen.
[….] Um es sehr bös­ar­tig zu sa­gen: Bei uns gibt es oft­mals zu viel Grü­nes und Li­be­ra­les und zu we­nig Ro­tes. [….]
(Sigmar Gabriel im SPIEGEL Nr 51/2017, s.30)

Falsch! Die AfD erzielte am 24.09. zwar 12,6%, aber das heißt auch, daß 87,4% sich nicht für die Anti-Postmodernisten erwärmen konnte.
Wahlanalysen zeigen zudem, daß gerade in den Bundesländern, in denen die Regierungen am stärksten Rücksicht auf die AfD nahmen – also Sachsen und Bayern – die AfD-Ergebnisse am besten waren. Dort, wo man ihnen eben nicht wie Gabriel nach dem Mund redete, waren die AfD-Ergebnisse schwächer.

[….] Im Kern geht es aber um eine kul­tu­rel­le Hal­tung und um Fra­gen nach Iden­ti­tät. In der un­über­sicht­lich ge­wor­de­nen Welt ist es ge­nau die­se Sehn­sucht nach Iden­ti­tät, die auch ei­nen gro­ßen Teil un­se­rer Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler um­treibt. Mit wem und vor al­lem mit was kön­nen sie sich iden­ti­fi­zie­ren? Ist der Wunsch nach si­che­rem Grund un­ter den Fü­ßen, der sich hin­ter dem Be­griff „Hei­mat“ hier in Deutsch­land ver­bin­det, et­was, was wir ver­ste­hen, oder se­hen wir dar­in ein rück­wärts­ge­wand­tes und so­gar re­ak­tio­nä­res Bild, dem wir nichts mehr ab­ge­win­nen kön­nen? Ist die Sehn­sucht nach ei­ner „Leit­kul­tur“ an­ge­sichts ei­ner weit­aus viel­fäl­ti­ge­ren Zu­sam­men­set­zung un­se­rer Ge­sell­schaft wirk­lich nur ein kon­ser­va­ti­ves Pro­pa­gan­da­in­stru­ment, oder ver­birgt sich da­hin­ter auch in un­se­rer Wäh­ler­schaft der Wunsch nach Ori­en­tie­rung in ei­ner schein­bar im­mer un­ver­bind­li­che­ren Welt der Post­mo­der­ne?
Es ist kein Zu­fall, dass sich die Vor­den­ker der Rechts­ex­tre­men in Eu­ro­pa häu­fig als „Iden­ti­tä­re Be­we­gung“ be­zeich­nen. Denn es geht um Iden­ti­tät und Iden­ti­fi­zie­rung. [….]
(Sigmar Gabriel im SPIEGEL Nr 51/2017, s.30)

Falsch, falsch! Gerade in den Zeiten der sozialen Netzwerke haben die Menschen immer weniger Probleme sich mit anderen zu identifizieren.
So etwas wie Leitkultur kann man noch nicht mal definieren; der Letzte, der es versuchte, war der Bundesinnenminister und er blamierte sich auf ganzer Linie.
Tatsächlich hatte die AfD im Bundesland Hamburg mit einem zehnmal höheren Migrantenanteil als in Sachsen das schwächste Ergebnis, erreichte aber gerade im am wenigsten multikulturellen Bundesland ihr Rekordergebnis.
Die Namenswahl rechtsradikaler Mörderbanden – die Identitären – als Beleg für seine Thesen zu nehmen, ist so absurd, daß man sich an Erika Steinbach erinnert fühlt, die belegen wollte, daß es sich bei Hitlers Nazis um Linksextreme handelte, weil es Nationalsozialismus“ hieß.

[….] Ich bin der Über­zeu­gung, dass die Kri­se der deut­schen So­zi­al­de­mo­kra­tie we­ni­ger et­was mit ei­nem Re­gie­rungs­bünd­nis mit den Kon­ser­va­ti­ven in Deutsch­land zu tun hat als mit die­sen völ­lig ver­än­der­ten Rah­men­be­din­gun­gen für so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Po­li­tik. Erst wenn wir uns wirk­lich zu die­sen Ver­än­de­run­gen be­ken­nen und dar­aus auch Kon­se­quen­zen zie­hen, wer­den sich un­se­re Wahl­er­geb­nis­se ver­bes­sern. [….]
(Sigmar Gabriel im SPIEGEL Nr 51/2017, s.30)

Falsch. Die Krise der Sozialdemokratie hat eher was mit miesem Führungspersonal und fragwürdigen Kabinettsmitgliedern zu tun, die als Energie-und Wirtschaftsminister dafür sorgten, daß es unter SPD-Mitwirkung mehr CO2-Ausstoß, mehr Waffenexporte, Vorratsdatenspeicherung und eine sich weiter verschärfende Vermögenskonzentration bei den Superreichen gab.

Man könnte auch als Partei etwas weniger unfähig auftreten als mit Bätschi-Andrea, Niemand-mag-mich-Martin und Zickzack-Siggi.

Also lieber Außenminister; ich schätze strategische Überlegungen und inhaltliche Diskussionen.
Immer weiter so, aber speziell dieser „Sehnsucht nach Heimat“-Aufsatz, der den Sozis empfiehlt tumbe AfD-Politik zu imitieren, war ein echter Griff ins Klo.