Samstag, 13. Mai 2017

Britenfrust

Zweifellos bestehen alle menschlichen Volksgruppen und Nationalitäten hauptsächlich aus Widerlingen; so ist Homo Sapiens nun einmal.
Es ist daher absurd und ungerecht einzelne Völker zu lobpreisen und andere zu verdammen.
Aber wer ist schon fair und objektiv?
Natürlich stecke auch ich voller Vorurteile, hege Zu- und Abneigungen aufgrund willkürlicher subjektiver Kriterien.
Sehe ich einen Dreizentner-Texaner mit Cowboyhut und Schlangenlederstiefeln oder einen Glatzkopf mit schwerem sächsischem Akzent, erwarte ich, daß der irgendwas höchst Unsympathisches von sich gibt.
Dabei gibt es gelegentlich positive Überraschungen, wenn sich so einer als „nett“ herausstellt.
Umgekehrt ist es aber schlimmer, weil Enttäuschung hinzukommt.
Kommen aus einer Volksgruppe, die man bisher mit positiven Vorurteilen bedacht hatte, rechtsradikale Töne, bin ich ernsthaft deprimiert.

Ich liebe Dänen und Holländer – umso gräßlicher, wenn gerade die rechtspopulistisch wählen.

Insbesondere hege ich seit Dekaden eine große Vorliebe für die britischen Nationen.
Ich mag das Spleenige, die Popkultur, die angelsächsische Musik, das lustige Königshaus und natürlich erst recht den englischen Hang zur Exzentrik.

Wieso müssen also ausgerechnet die Briten so einen europafeindlichen Mist wie den Brexit anzetteln?
Rhetorische Frage; man kennt die Gründe: Miserable Berichterstattung, extrem tendenziöse Boulevardmedien, radikale-unverschämte Lügen der Brexiteers und enormes Phlegma der jüngeren Hälfte der Briten.

Nur wenige Tage nach der Abstimmung bedauerte Queen Elisabeths Volk schon die Entscheidung, räumte ein sich gar nicht mit den Konsequenzen beschäftigt zu haben.

Im vergangenen Jahr gab sich allerdings die neue britische Regierung große Mühe sich von ihrer unangenehmsten Seite zu präsentieren. Ungeniertes Einschleimen bei Donald Trump, unfaire Behandlung der europäischen Freunde und unerhörte Drohungen mit Erpressung.
Und was machen die englischen Wähler daraus, die am 08.06.2017 ein neues Parlament wählen? Sie werden mutmaßlich den Tories eine riesige Mehrheit bescheren. Die Konservativen führen mit 15-20 Prozentpunkten vor Labour.

Dabei sieht die britische Zukunft unter Tory-Führung düsterer aus, denn je.
Über 100 Milliarden Euro muß England womöglich an die EU zahlen.

[….] Bislang war die Rede von 60 Milliarden Euro. Diese Summe könnte Großbritannien beim Verlassen der Europäischen Union in Rechnung gestellt werden, hieß es stets. Premierministerin Theresa May lehnt das kategorisch ab, ihre Regierung werde "keine gewaltigen Summen an die EU zahlen".
Die "Financial Times" berichtet nun, die Forderung an Großbritannien könne noch deutlich höher ausfallen. Demnach sei in Brüssel die Rede von über 100 Milliarden Euro. Die höhere Summe gehe vor allem auf Deutschland und Frankreich zurück, heißt es in dem Bericht weiter. Die EU-Verhandlungsführer hätten ihre ersten, ursprünglichen Kalkulationen als Reaktion auf Anfragen von mehreren EU-Mitgliedsländern überarbeitet und dabei die maximalen Forderungen erstellt.
Bei den Zahlungen geht es um die Schlussrechnung für Großbritannien zu Verpflichtungen nach über 40 Jahren EU-Mitgliedschaft. Dazu zählen Haushaltsverpflichtungen, Zusagen gegenüber EU-Institutionen sowie Pensionskosten für Beamte und etliches mehr. [….]

Das ist, absolut betrachtet, ohnehin eine gewaltige Summe.
Sie ist relativ aber sogar noch schlimmer, da wie erwartet die britische Wirtschaft schon jetzt aufgrund ihres europhoben Kurses schrumpft.

[….] Schlechte Nachrichten für Großbritanniens Wirtschaft: Die Firmen im Vereinigten Königreich haben im März deutlich weniger produziert - und das bereits den dritten Monat in Folge. [….] In der Industrie fiel der Rückgang mit 0,6 Prozent ebenfalls überraschend stark aus. Fachleute hatten dort eigentlich keine Veränderung des Produktionsvolumens erwartet. Aus anderen Daten ging zudem hervor, dass sich das britische Handelsdefizit stärker ausgeweitet hat, als angenommen. [….]

Dabei ist Großbritannien noch EU-Mitglied; die Wirtschaft dürfte noch deutlich mehr schrumpfen, wenn der Austritt vollzogen wird. Schon jetzt setzt eine große Flucht der internationalen Unternehmen ein.


[….] BaFin rechnet mit Umzug vieler Londoner Banken nach Frankfurt
Zahlreiche Londoner Banken werden nach Einschätzung der Finanzaufsicht BaFin wegen des Brexit Geschäfte nach Deutschland verlagern.
Deutlich mehr als 20 in Großbritannien ansässige Banken haben inzwischen wegen des Brexits bei der deutschen Finanzaufsicht BaFin vorgesprochen. Eine zweistellige Zahl habe bisher signalisiert, dass sie sich für den Standort Frankfurt interessiere, sagte der Chef der Bankenaufsicht, Raimund Röseler. Viele Geldhäuser würden die Anträge auf eine Banklizenz in Deutschland vorbereiten und vermutlich im zweiten Halbjahr einreichen.
[….] Viele deutsche und französische Politiker fordern, dass auch die Abwicklung von Derivategeschäften in Euro von London auf den Kontinent verlagert werden muss. […]

Der britische Außenminister Johnson verbreitet unterdessen flotte Ideen zum Thema wer die 12-stelligen Kosten übernehmen könnte, die in der Hauptsache Johnson selbst verursacht hat: Die anderen EU-Nationen!

Kann man sich nicht ausdenken.

[…..]  Der Streit zwischen der EU und Großbritannien über die Kosten des Brexits verschärft sich zusehends. Außenminister Johnson hat nun einen neuen Vorschlag vorgelegt. Brüssel solle die gesamten Kosten übernehmen - und dafür nennt er Gründe.
[…..] Brüssel will Vermögenswerte wie EU-Gebäude bei den Scheidungskosten nicht verrechnen. Die Begründung: Sie gehören der EU als Rechtsperson, die bestehen bleibt. "EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker denkt, dass es das Hotel California ist, wo man auschecken kann, aber man kann niemals gehen. Er hat unrecht", sagte Johnson in Anspielung auf einen Eagles-Song. [….]