Freitag, 19. März 2021

Geschlechtsidentität.

Vielleicht sind es einfach nur meine zufälligen Lebensumstände, daß ich nie mit männerbündnerischen Strukturen in Kontakt kam.

Meine Großväter waren schon lange vor meiner Geburt gestorben, meinen Vater sah ich nur sonntags; ihm genügte allerdings seine Kreativität als Künstler, um mit uns zu spielen. Seine eigenen Kindheitserfahrungen in der katholischen Kirche und Jungmann-Erfahrungen bei der US-Army hatten dazu geführt, daß er beide Organisationen zutiefst verachtete. Uniformität, Regeln, Hierarchien, Gehorsam waren wirklich keine Kategorien, in denen er dachte.

Heute fremdele ich mit dem Erziehungs-Zauberbegriff „male bonding“, das angeblich so wichtig für Jungs sein soll.

Das kann doch nur essentiell sein, wenn man davon ausgeht, daß Väter etwas qualitativ vollkommen anderes als Mütter bieten. Was sollte das sein, außer überkommenen Geschlechterklischees?

In Werbeclips gibt es gerne mit romantischer Tränenverdrücker-Musik untermalte Szenen, wie Papa dem eben pubertierende Sohn das Rasieren beibringt, mit ihm Fußball spielt. Die Fahrrad-Stützräder abmontiert oder den ersten Krawattenknoten bindet.

Ich halte das alles für pathetisch überladenen Popanz. In der Pubertät wacht man nicht über Nacht mit einem Vollbart auf; die Gesichtsbehaarung kommt langsam, so daß man automatisch lernen kann damit umzugehen. Das ist doch keine Raketenwissenschaft. Haar wächst, abschneiden, fertig.

Ich glaube, es war der Gärtner, der irgendwann meine Stützräder abschraubte. Offenbar hatte er dabei aber beobachtet, daß ich zuvor ohnehin nicht mehr mit vollem Gewicht nach links oder rechts driftete. Ohne die Räder schob er mich noch einmal kräftig an, damit ich Schwung bekam, fertig. Es ist nur Radfahren. Das kann jeder.

Fußball ist ohnehin ein Proletensport, den ich verachte und Krawattenknoten brauche ich bis heute nicht.

Daß ich ein Junge und kein Mädchen wie meine damalige beste Freundin aus dem Nachbarhaus war, musste auch nicht groß erklärt werden. Es waren liberalere Zeiten, es gab einen Teich und einen See, in dem wir als Kleinkinder nackt schwammen. Ich erinnere mich beim besten Willen nicht an besonderes Interesse an anderen Genitalien, aber daß es einen anatomischen Unterschied gab, war offensichtlich.

Als Pubertierender war ich kein Messdiener, kein Pfadfinder, sang in keinem Knabenchor, gehörte zu keinem Sportverein.

 Die einzige wirkliche Male-Only-Situation gab es im Sportunterricht 5. bis 10. Klasse.   Da ich mindestens ein Jahr jünger als die anderen war; die beliebtesten Klassenkameraden waren eher zwei oder drei Jahre älter; konnte ich bei den allgemeinen Pubertätsprahlereien nicht richtig mithalten. Die Älteren protzten wöchentlich mit erstem Bartflaum, übertrafen sich gegenseitig mit der Zahl ihrer Haare am Sack. Unser Klassensprecher verdankte fast alle männlichen Wahlstimmen der ungeheuerlichen Aussage während einer Klassenreise, er habe schon sechsundsechzig Haare da unten. Das war einerseits enorm, wenn man selbst mit der Lupe kontrollierte, ob man seine eigene Zahl nicht von zwei auf vier erhöhen könnte, aber andererseits schwante mir schon, daß der Typ seinen Altersvorteil ausspielte.   Ich müsste nur zweimal sitzenbleiben und könnte in der Sackhaar-Olympiade der Jungen-Umkleide in die Medaillenränge vorstoßen.

(Wie bestimmt man eigentlich im Jahr 2021 das Beliebtheitsranking in Unterstufen-Jungen-Umkleiden; nachdem nun die radikale Körperhaarlosigkeit Mode ist?)

Nach der Pubes-Zählungen wurden die Mädchen-Erfolgsgeschichten zu dem Thema der Sportumkleide. Küssen, Knutschen, Necking, Petting, Verkehr – wer hatte schon was gemacht und wie oft und wie lange?

Wer am meisten vorweisen konnte, stieg in der Umkleide-Hierarchie weit auf.

Das Thema war, a posteriori betrachtet, wenigstens insofern interessant, da ich glücklicherweise in der Zeit vor Internet und Klugtelefon aufwuchs.

Wir hatten alle noch nie einen Porno gesehen, machten unsere ersten sexuellen Erfahrungen selbst.

Aber dennoch war ich mit 12, 13 Jahren schlau genug, um den Mitschülern, die von ihren ausschweifenden sexuellen Erfahrungen berichteten, nicht zu glauben.

Später, als ich auch etwas zu erzählen gehabt hätte, war ich im Gegensatz zu vielen älteren Mitschülern reif genug, um das eben nicht in der Umkleide allgemein zu besprechen.

Ich war froh, als ab der elften Klasse, in die ich im Alter von 15 Jahren kam, die Sportgeschlechtertrennung aufhörte.

Den Sportunterricht hasste und verachtete ich zwar noch viel mehr, weil ich inzwischen Revoluzzer war und grundsätzlich die Notenvergabe aufgrund körperlicher Fähigkeiten ablehnte, aber die Jungs-Sex-Prahlerei aus der Umkleide vermisste ich nicht.

Nach der Schule musste ich als US-Amerikaner nicht zur Bundeswehr oder dem Zivildienst, es gibt in Hamburg keine Schützenvereine und schon gar nicht zog es mich jemals in Segelvereine, die damals immer noch keine Frauen aufnahmen.

Für den erzkatholischen heiligen CSU-Gral Männerverein Tuntenhausen (KMVT), den 1945 vom Alois Hundhammer gegründeten ultrakonservativen Verein, habe ich nur Verachtung übrig.

Unter welchen Störungen leiden diese Cis-Heteros, daß sie neben ihrem Katholizismus, der ohnehin schon Frauen als so minderwertig erachtet, daß sie noch nicht mal das minderste geistliche Amt annehmen können, einen noch exklusiveren frauenfreien Club benötigen?

Fehlt mir irgendwas; bin ich fehlentwickelt?
Ich kann mir keine Situation vorstellen, die mich dazu triebe, mein Heil in 100% männlicher Umgebung zu suchen.
   Wieso reagieren Männer bis heute dermaßen hysterisch, wenn Frauen in bisherige Men-only-Berufe wie Bundeswehr, Schiffskapitän oder DAX-Chefetage vordringen?

Geschlechtsexklusivität ist sicherlich ein Vorteil, wenn es sich um Lesben oder Schwule handelt, die gezielt Kopulationen anbahnen.

Dafür kann ich zur Not Verständnis aufbringen; Lesben-Abschleppschuppen oder schwule Dark Rooms.    Aber wenn man nicht nach homosexueller Triebabfuhr strebt, macht es doch keinen Sinn, eine Hälfte der Gesellschaft auszuschließen.

Es gibt allerdings kulturelle, meist religiöse Zwänge, welche die heterosexuelle Triebbefriedigung erschweren, so daß männliche Homosexualität zu einem Ventil werden kann.

(….) Das ist eigentlich gar nicht merkwürdig, daß Männerbünde – freiwillige und unfreiwillige – mit unterdrückter Homosexualität erfüllt sind.

Freiwillige Frauenfreiheit wie in Priesterseminaren, bei den US-Boyscouts oder dem Vatikan haben a priori einen überproportional hohen Schwulen-Anteil, weil sie für die Männer besonders attraktiv sind, die kein Interesse an Frauen haben.

Dieses Argument entfällt beispielsweise bei deutschen Protestanten, weil dort auch und gerade Frauen Geistliche werden. Dementsprechend gibt es unter evangelischen Pastoren ganz durchschnittlich viele Schwule, während sie bei den Katholiken extrem geballt auftreten.

In andere männerbündnerische Verhältnisse begibt man sich nicht unbedingt freiwillig; oder zumindest nicht explizit wegen der Abwesenheit von Frauen:
Gefängnis, Wehrdienst, Jungsinternate, Sportvereine, Armee, Messdiener.

Auch hier kommt es zu überdurchschnittlich viele homosexuellen Handlungen.

Ursache dafür ist aber nicht der grundsätzlich höhere Schwulenanteil, sondern die Kombination aus bei fast allen Menschen vorhandener partieller Bisexualität und dem Mangel an heterosexuellen Gelegenheiten.

Es gibt sogar Begriffe dafür wie „knastschwul“. Damit ist eine Art Generalentschuldigung für rein heterosexuelle Männer gemeint, die wegen der Alternativlosigkeit mit anderen Männern kopulieren.

Die homophilien Schwingungen altehrwürdiger Bildungsanstalten wie englischen Eliteschulen sind legendär und seit Jahrhunderten Gegenstand der Literatur.

Dafür stehen beispielsweise Robert Musils „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ von 1906 oder das 1981 von Julian Mitchell verfasste Theaterstück „Another Country“, welches im Jahre 1984 kongenial von Marek Kanievska mit Rupert Everett und Colin Firth verfilmt wurde. Hier wird das Eton College der 1930er Jahre in seiner ganzen Pracht ausgebreitet.

Evelyn Waugh schildert in seinem Jahrhundertroman „Wiedersehen mit Brideshead“ von 1944 genauso erotische Schwingungen zwischen den Hauptpersonen im England der 1920er wie dem 1913 geschriebenen und 1971 posthum veröffentlichten E.M. Forster-Roman „Maurice“, der im viktorianischen Cambridge spielt.

Ob so viele derartige Romanzen unter Männern überhaupt stattgefunden hätten, wenn sie während ihrer Pubertät nicht strikt von Mädchen abgeschirmt gewesen wären und in Schlafsäle mit vielen anderen hormonüberfluteten Jungs gestopft worden wären, wage ich zu bezweifeln.

Offensichtlich sind sie diejenigen Mächtigen, die so sehr darauf dringen keine Frauen in ihre Institutionen zu lassen durchaus darüber bewußt damit den perfekten Nährboden für nächtliches Necking unter Nackten zu schaffen. (…..)

(Wenn Frauen fehlen, 20.09.2020)

Tatsächlich kann ich aufgrund meiner bisherigen Lebensumstände, die frei von jeden Männerbünden waren, keine derartigen Erfahrungen beisteuern und nur ganz nüchtern feststellen, als rein zufällig als weißer Cis-Mann Geborener, nicht den geringsten Antrieb zu verspüren mich einer frauenfreien Umgebung anzuschließen.

Ich möchte nicht mit Männern jagen gehen, nach dem Fußball „grab’em by the pu**y“-boytalk machen und fühle mich nicht wohl in einer zufälligen Feierabend-Männerrunde, in der alle mehr oder weniger scherzhaft über ihre Ehefrauen klagen. Dieses Al Bundy-Syndrom der Lang-Verheirateten ist lächerlich.

Ich verstehe auch nicht den scheinbar ganz natürlich eintretenden Hang zur Vulgarität und Aufschneiderei, wenn Männer unter sich sind.

Typische Männer, die Männerdinge machen, interessieren mich nicht.

Selbst wenn ich selbst eine männliche Episode habe – zum Beispiel verwandele ich mich bedauerlicherweise im Baumarkt in einen Klischeemann und verspüre einen extremen inneren Drang, mir Werkzeuge, Schrauben und Nägel zu kaufen – finde ich mich selbst dabei lächerlich.

Da ich zufällig ein Mann bin, habe ich zwar wenig, aber doch etwas Einblick in reine Männerwelten.   Es bleibt die Frage, ob reine Frauenwelten die Besseren sind.

Im Gegensatz zu unnützen freiwilligen Männerbünden, gibt es durchaus sinnvolle Frauenbünde dort, wo sie bisher drastisch minderrepräsentiert waren, oder wo Frauen gefährdet sind, Opfer zu sein.    Frauenhäuser sind natürlich notwendig.    Frauen sind gezwungen mehr zu netzwerken, weil sie einen religiös bedingten 2.000-jährigen Rückstand aufholen müssen.

Ich mutmaße aber weiterhin, daß frau sich nicht auf Frauensolidarität verlassen sollte, sondern auch von ihren Geschlechtsgenossinnen gnadenlos gemobbt werden kann.

Und ich nehme an, daß ich nicht nur ein merkwürdiger Mann bin, sondern als Frau ähnlich merkwürdig wäre.    Ich war noch nie Frau und kann mich mutmaßlich nicht in alles hineindenken, aber Frauenliteratur à la Hera Lindh und Gaby Kaufmann ist grauenvoll, Frauen-TV wie Heidi Klumps Modelshow ist abartig und die Frauenzeitschriften von Das Goldene Blatt bis Frau im Spiegel sind das Unterste des Unteren.

Ich mutmaße weiterhin, daß viele Frauen mir in den Punkten zustimmen. Wieso sollte es überhaupt eine leichtere und intellektuell verzwergte Literatur-Form extra für Frauen geben?

Die unendlichen Weiten der Medienwelt klärten mich just via VOX darüber auf, wie sich die moderne Frau in Berlin-Mitte entspannt und sich ihres Frauseins bewußt wird.

Der Megatrend seit 2019 lautet „Yoni-Steaming“.   Dabei wird die eigene Vulva mit einer Kräutermischung bedampft.   Natürlich ist das keine neue Erfindung, sondern wie alle Esoterik-Trends aus Asien, in diesem Fall Indien, adaptiert.

[….] Zuerst machen wir eine kurze Meditation zum erden und ankommen. Dann erkläre ich nochmal den Ablauf und du hast die Möglichkeit dir Gedanken zu machen, was deine Intention für diesen Steam sein kann (falls du das nicht schon getan hast). Jede bekommt einen speziellen Yoni Steam Hocker und wir stellen den heißen Kräutersud darunter und sorgen dafür, dass die Temperatur angenehm ist. Sobald alles fertig vorbereitet ist, setzt du dich mit deinem Handtuch und einem langen Rock über das Loch vom Hocker. Dann leite ich den Yoni Steam mit geführter Meditation, Visualisierungen und Atemübungen an. Nach dem Steam gibt es noch mal eine Entspannung im liegen.  [….] Die Yoni Steam Zeremonie dauert ungefähr zwei Stunden. Es gibt maximal sechs Teilnehmerinnen. Du musst zu keinem Zeitpunkt nackt vor den anderen Teilnehmerinnen sein (wir tragen einen langen Rock). Mit meiner Anleitung macht jede das Ritual ganz für sich. [….]

(Mahina-Leipzig)

Man kann beispielsweise im Berliner Waxing-Geschäft „Honigseele“ für günstige 490 Euro ein Schoßgesundheitspaket erwerben.

[…..] Für Deine Schoßgesundheit biete ich Dir folgendes Paket an: 490 €

    4 Yonisteamingsessions inkl. Massage, Wert 360 Euro

    eingehende Beratung/Anamnese und abgestimmte Kräuterrezepturen, Wert 90 Euro

    8 Yonisteaming Heilkräutersets für zu Hause, Wert 40 Euro

    daily-stress-release Videoanleitung inkl. Audioversion, Wert 50 Euro

    Yonisteaming at home Videoanleitung, Wert 50 Euro

Yonisteaming Einzelsession basic

45€ 30 min

Ein Yonisteaming mit kurzer Anamnese zum Ausprobieren oder als Folgebehandlung.

Yonisteaming Einzelsession grande

90€ 70 min

Ein Yonisteaming mit ausführlicher Anamnese und anschließender Heilbehandlung. […..]

(Honigseele Heilwissen)

Mitten im Laden, vor der Theke, setzt frau sich also auf einen IKEA-Hocker, dem vorher die Sitzfläche entfernt wurde.

Sie ist dabei unten ohne wie Oskar Matzeraths berühmte Kaschubische Oma aus Günther Grass‘ Blechtrommel, die unter ihren vielen Röcken einen glühenden Ziegel verbarg, um sich den Hintern warm zu halten. Und gelegentlich desertierende Soldaten darunter zu verstecken, die zum Dank…., aber das ist eine andere Geschichte.

Der moderne Berlinerin sitzt also nur notdürftig durch halbdurchsichtige Vorhänge im Schaufenster von der Außenwelt getrennt, breitbeinig auf dem halben IKEA-Hocker; man schiebt ihr einen Topf mit heißem Wasser und ein paar Kamillenteebeuteln unter die Röcke, spricht ein paar bedeutungsschwangere OMs, um sich dann coram publico die Vagina ätherisch ölen zu lassen.

Da das so etwas albern klingt, sagt man natürlich nicht „Scheide“ sondern auf Sanskrit „Yoni“, kombiniert mit dem englischen Wort für Dampf.

Nein, das würde ich als Frau nicht machen.  Da bin ich sicher.

Zumal ich eben entdeckt habe, daß es auch das männliche Gegenstück, das LINGAM-Steaming im esoterischen Angebot gibt.

Das gemeinsame Kräuterliche Bedampfen des Penis.

Machen das vielleicht die konservativen CSUler in Tuntenhausen?