Als ich vor Äonen anfing zu studieren; es ist bald dreieinhalb Jahrzehnte her; kam die Nachricht über den Studienplatz erst eine gute Woche nach Semesterbeginn vom „Akademischen Auslandsamt“. Es war Sommersemester, in dem eigentlich kein Platz für Nichtdeutsche vorgesehen war. Ich rückte nach, als ein Biodeutscher absagte.
Schlau wie ich war, hatte ich mich vorher noch keine Sekunde mit der Uni beschäftigt, wußte nicht wo die Gebäude sind, geschweige denn wo mein Fachbereich war. Es war eine sehr peinliche Durchfragerei bis ich in einem Bibliotheks-Nebensaal landete, in dem die sechswöchige STEP (Studieneingangsphase) stattfand. Jeden Tag von 08.00 bis 18.00 mit durchgetaktetem Stundenplan. Ich kam um 10.00 Uhr. Wie früher in der Schule, waren mehrere kleine Tische zu Gruppen à 10 bis 12 Leute zusammen geschoben. Es gab sechs dieser Gruppen und alle waren mit „gruppendynamischen Spielen“ zum vertieften Kennenlernen beschäftigt. Natürlich kannten sich nach zehn Tagen schon alle per Namen, wußten wo sich welche Labore befinden, verstanden die bizarren Akronyme der Stundenpläne. Gruppendynamische Spiele sind schon per se sagenhaft peinlich, aber für mich steigerte sich die Peinlichkeit ins Unendliche, da ich a) nicht wußte zu welcher Gruppe ich sollte, mich b) auch keiner aufnehmen wollte und ich c) dann aufgefordert wurde mich vorzustellen. „Erzähl‘ mal was von Dir, wieso bist Du hier, was sind Deine Hobbys, was erwartest Du von dem Studium“.
Da wir unter Naturwissenschaftlern waren, handelte es sich bei den Typen vor mir (unter ihnen nur eine Frau) ausschließlich um Nerds, die große Brillen, Bundfaltenhosen und irgendwelche unscheinbaren Shirts trugen.
Sie starrten mich ungläubig an, denn ich war definitiv kein Nerd, sondern erschien als Cure-hörendes Kind der 80er mit sehr sehr viel Haarspray in den sehr vielen, blauschwarz gefärbten Haaren, spitzen Schnallen-Schuhen und trug selbstverständlich ausschließlich schwarz.
In meinem Bemühen, keine privaten Einblicke zu geben, plapperte ich irgendetwas darüber, wie ich mir Studenten vorstellte. Alle drehten sich um, plärrten mich mit „das heißt StudenTINNEN!“ an.
Hamburg, 1980er und es wurde eifrig gegendert. Gerade in der sehr stark männlich dominierten Naturwissenschaftler-Szene, gab man sich große Mühe bei jeder Gelegenheit Frauen sprachlich zu inkludieren.
Einmal versuchte ich die Verwendung des Wortes „Professoren“, satt „ProfessorInnen“ zu rechtfertigen, weil wir in unserer Fakultät tatsächlich nur Männer auf den C2-, C3 und C4-Stellen sitzen hatten.
Wozu von ProfessorIn sprechen, wenn es ohnehin nur Männer sind?
Es gehe ums Prinzip, wurde mir bedeutet. Schließlich gäbe es Doktorantinnen und auch Habilitantinnen. Wir würden sprachlich schon darauf hinarbeiten, daß bald auch die erste Professorin eingestellt würde.
Mir kam es damals so mittelsinnvoll vor, aber um nicht anzuecken, gewöhnte ich mir Umschreibungen an, die dem Ohr nicht wehtaten. Die Studierenden. Die Lehrenden.
Spoiler; ich erinnere mich deshalb so gut an diese peinliche Situation, da ich nach meinem Vordiplom selbst vier Semester als STEP-Tutor arbeitete und versuchte die zehn mir jeweils anvertrauten Menschen dazu zu bringen, sich im Labor nicht selbst umzubringen und dabei möglichst die peinlichen Gruppendynamik-Spiele zu umschiffen. Es stellte sich allerdings raus, daß anderen Menschen viel weniger peinlich ist als mir.
Ich traute mich als Neuling beispielsweise kaum einen der Tutoren/Assis mit Laborfragen anzusprechen, weil ich immer überlegte, ob es sich dabei womöglich um etwas handelt, das man eigentlich an meiner Stelle längst wissen sollte. War nicht der Unterschied zwischen Schule und Uni, daß man nun selbstständig lernte?
Als ich später Tutor war, kamen meine ehemaligen Tutanden auch noch lange nach dem STEP-Ende zu mir und erklärten mir abendfüllend, welche Versuche sie gerade durchführten. Sehr rätselhaft, denn ich hatte die gleichen Versuche nicht nur als Erstsemester selbst absolviert, sondern auch noch mehrfach als Tutor betreut. Ich wußte was das sollte. Wieso erzählt mir ein blutiger Anfänger noch mal alles? Ebenso gut könnte ich zu Hertha Müller gehen, um ihr zu erklären, wie man ein Buch schreibt.
Als Tutor hätte ich niemals den frisch bei mir eintrudelnden AbiturientInnen und Abiturienten, einen besonderen Sprachgebrauch aufgezwungen, verwendete aber selbst nicht das gesprochene „Binnen-I“ und formulierte meine Aufgabentexte an die Quietscher neutral.
Nach meinem damaligen Gefühl war die perfekt ausgewogene Gendersprache eine Milieu-Frage. Im Hochsicherheits-Biochemielabor würde einem sicher niemand den Kopf abreißen, wenn man die Privatdozenten ansprach, ohne mit dem Wort „PrivatdozentInnen“ die Notwendigkeit zu betonen, auch Frauen den Job zu geben.
Bewarb man sich auf einer Liste für das „Studierenden-Parlament“ und diskutierte im ASTA über Hochschulentwicklung, war das ein politisches Umfeld, in dem sensible, inkludierende Sprache wichtig wurde.
Aber schon in den 80ern war die Zeit der politisch aktiven StudentINNEN lange vorbei. Das StudentINNEN-Parlament wurde mit einer beschämenden 15%-Wahlbeteiligung gewählt; kaum einer interessierte sich angesichts der randvoll gepackten Prä-Bologna-Studienpläne für Aktivitäten, die nicht unbedingt für Prüfungen notwendig waren.
Das Verb „gendern“ war damals noch nicht erfunden; daher hatte ich auch keine Meinung dazu. Das geschriebene Binnen-I empfand ich als studentische Kuriosität. So what? Studenten sind in der Regel ohnehin sehr eigenartig und meistens unsympathisch in ihrer Überzeugung, eine künftige Elite zu sein und unheimlich wichtig zu erscheinen. Dann sprach ich eben unter StudentInnen auch feminin-sensibel und in meinem privaten Umfeld nicht.
Als ganz junger Mann war ich durchaus Feminist, hielt es für beschämend, vor einem rein männlichen Lehrkörper zu stehen. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, Frauen könnten grundsätzlich weniger als Hochschullehrkräfte qualifiziert sein.
Es dauerte aber noch zehn, 20 Jahre bis ich mir vollständig über systemische Misogynie im Klaren war, begriff was es für die Generation meiner Mutter bedeutete, von ihren Eltern selbstverständlich auf eine Hauswirtschaftsschule geschickt zu werden, während der Bruder studierte oder das Geschäft übernahm, den Namen weiterführte.
Das kam alles nur in Frage, weil er einen Penis hatte, während die Kinder mit Vagina kein Abitur brauchten und (wie mein Opa noch in den 1950ern befand) eben reich heiraten müssten, wenn sie es mal besser haben wollten.
Ich wußte schon als ganz junger Mann, daß es „früher“ nun mal so war, nur den männlichen Kindern alle Chancen einzuräumen, obwohl natürlich auch die Töchter geliebt wurden.
Aber erst später wurden mir die psychologischen Auswirkungen bewußt, die es haben musste, wenn man als in den 1920ern, 1930ern oder 1940ern geborenes Mädchen a priori von dem gesamten Umfeld ganz selbstverständlich wahrnimmt, für anspruchsvolle, verantwortungsvolle Positionen ohnehin nicht in Frage zu kommen. Natürlich gab es schon viel früher einzelne sehr bedeutende Wissenschaftlerinnen und intellektuelle Frauen. Marie Curie (*1867), Marion Gräfin Dönhoff (*1909) oder die promovierte Chemikerin Hildegard Hamm-Brücher (*1921).
Aber das waren nicht einfach Frauen, die zufällig intelligent geboren wurden und sich durchbissen, sondern das waren außergewöhnliche Genies, die viel besser als die allermeisten Männer waren.
Was ist mit einer Frau, die einen IQ wie ein durchschnittlicher Physiker oder Mathematiker hat? Wird sie auch Physikerin oder Mathematikerin?
Leider nur mit einer kleineren Wahrscheinlichkeit als ein Mann, weil ihr mutmaßlich unterbewußt schon als Kleinkind suggeriert wurde, welches ihre passende Rolle ist.
Einige Frauen tun sich in der Fahrschule sehr schwer mit dem Einparken. Das ist nicht so, weil sie in irgendeiner Form geistig benachteiligt wären, sondern ein psychologischer Effekt davon, 18 Jahre lang immer Witze darüber zu hören, daß Frauen nicht einparken könnten. Natürlich gibt es durch gezielte staatliche Bemühungen die MINT-Fächer für Mädchen attraktiv zu machen Fortschritte. Höhere Frauenanteile unter den MINT-Studierenden.
Ich bin aber ganz bei Alice Schwarzer und Anja Rützel, wenn ich einen gewissen Backlash durch die elenden sozialen Medien und die vielen Trash-TV-Sendungen diagnostiziere. Unendlich viele „Influencerinnen“ transportieren ein Frauenbild, das nur äußerlich definiert ist. Gestraffte Brüste, gespritzte Lippen, extensionierte Haare, perfekte Schminke – und all das, um den Traummann zu finden. Den Versorger und Beschützer, für den sie stets möglichst bumsbereit bei der GNTM-Bachelor-Love Island posiert.
Das Uni-Gendern der 1980er störte mich nicht; es war nur Sprache, die man kurios finden konnte und nach Belieben mit verwendete oder nicht.
Sehr viel schlimmer fand ich die Rechtschreibreform von 1996, weil dort tatsächlich Regeln verändert wurden. Damit wurde das bisherige Schreiben ausdrücklich falsch.
Im Gegensatz zum Gendern gab es für die Rechtschreibreform gar keinen Sinn. Sie war absurd und überflüssig. Angeblich sollte sie die Schriftsprache vereinfachen. So wurde aus „daß“ ein „dass“. Das ist hochgradig absurd, weil die grammatikalischen Regeln, die zwischen DAS als Artikel und DASS als Konjunktion unterscheiden, dieselben blieben. Wer vorher nicht wußte, ob es „das“ oder „daß“ heißen muss, wußte anschließend genauso wenig, ob es „das“ oder „dass“ geschrieben wird. Gegen diese hanebüchenen Unsinn wehre ich mich bis heute, indem ich privat weiter das „ß“ verwende.
Eine sich verändernde Sprache, die wie beim Binnen-I oder dem Binnen-* auch neue Schreibweisen mit sich bringt, ist aber kein Zwang, sondern Angebot. Ein Angebot, welches nicht willkürlich und ohne Sinn aus „daß“ ein „dass“ macht, sondern das humanistische Werte ausdrückt.
Ein deutscher Landesparteichef, der stramm rechts stehende Hamburger CDU-Vorsitzende Ploß, der 1985 in Hamburg geboren wurde, als man schon das Binnen-I an der Uni Hamburg sprach, kannte im Bundestagswahlkampf 2021 nur ein Thema , nämlich das Gendern zu verbieten. Er will also einen Zwang einführen, mit der Begründung, es dürfe kein Zwang eingeführt werden. Ich bin froh, daß er statt eines Direktmandates wie 2017 dieses mal nur auf Platz drei landet, landesweit überdurchschnittlich 12 Prozentpunkte verliert und damit die Hamburger CDU bei nur 15% aufsetzt. Das ist die gerechte Strafe.
Eine Berliner Juristin erzählte mir neulich empört, sie habe ihr Tagesspiegel-Abo gekündigt, weil sie das Gendern nicht ertrage und sich weigere diese „Vergewaltigung der Sprache“ zu finanzieren. Nun soll es ein FAZ-Abo werden; da werde die schöne deutsche Sprache noch gepflegt.
Ich kann mich nur wundern. Wir haben ungefähr zur gleichen Zeit studiert; wie kann ihr das Binnen-I nun nach 35 Jahren erstmals so störend auffallen? Ich lese gendernde Presse (taz, mopo) und nicht Gendernde (SZ, Abendblatt, Spiegel).
Vereinzelte „*“ und „I“ in den Worten stören mich nicht. Es bleibt schließlich mir überlassen, wie ich rede und ich verstehe die gute Absicht dahinter.
Ganz anders ist es bei Rezo-Videos. Der Mann schreibt nicht; ich muss ihm zumindest hören und das ist mir nahezu unmöglich, da er die deutsche Sprache mit einer Vielzahl von völlig überflüssigen Anglizismen derartig verballhornt, daß es meinen Ohren weh tut. Ich kann beim besten Willen keine Notwendigkeit dafür erkennen „walken“ statt gehen, „talken“ statt sprechen, „weird“ statt eigenartig zu verwenden.
Und ich behaupte, dabei handelt es sich eben nicht um Jugendsprache, weil die Mehrzahl der Teens und Twens sich nicht dieser denglisch-Kunstsprache der selbsternannten Influencer bedient.
Wie jeder Ü50 zu allen Zeiten, finde ich einige Jugend-Ausdrücke albern und nervig – cringe, krass, OMG – aber das ging der Generation vor mir auch nicht anders, als ich jung war. Sprache darf und soll sich verändern. Natürlich kommen neue Vokabeln hinzu. Wer wußte vor drei Jahren schon, was ein heute so gebräuchliches Wort wie „Pandemie“ oder „Inzidenz“ bedeutet?
Wenn man aber sein Vokabular künstlich mit Entlehnungen aus dem Englischen versucht hipp und jugendlich klingen zu lassen, schmerzt das. Ich ertrage das nicht und kann daher Rezo-Videos nur wenn es absolut sein muss (zB, wenn es wahlkampfrelevant wird) ertragen. Selbstverständlich darf er reden wie er möchte. Ob es einem 20 Jahre Älteren in Hamburg gefällt, soll und darf ihm herzlich egal sein.