Um 09.55 Uhr hatte ich heute Morgen die Nahles-Bombe in
meiner Mail-Box.
Immerhin, als SPD-Mitglied erfuhr man es als Erstes.
Zwei positive Sätze über Andrea
Nahles will ich ausdrücken:
1.
1.
Ich respektiere ihr Engagement.
Die SPD liegt ihr wirklich am Herzen. Sie wollte die Partei wieder aufrichten.
2.
Ich respektiere ihre Konsequenz.
Nahles läßt diesmal kein Hintertürchen offen. Parteivorsitz, Fraktionsvorsitz
und Bundestagsmandat legt sie nieder, also ist Schluss mit aktiver Politik.
Und ja, natürlich tut sie mir persönlich Leid, wie es mir
immer Leid tut, wenn eine öffentliche Figur total scheitert und ihr gesamtes
Lebenswerk atomisiert am Boden liegt. Theresa May erwischte es erst vor einer
Woche.
[…..] Ich wäre ein schlechter Richter, weil ich viel zu viel Mitleid
empfinde.
Mir tat sogar Saddam Hussein leid, als er bärtig und halbverhungert aus
seinem Erdloch gezerrt und später zu Tode gefoltert wurde. Oder Gaddafi, der
von seinen Häschern gepfählt wurde, bis es ihm den Darm zerriss.
Natürlich will ich nicht sagen, daß einer der beiden Ex-Diktatoren ein
netter Mensch war. Beide haben noch Schlimmeres veranlasst, als das was ihnen
final widerfuhr.
Ich mag mich dennoch nicht an Leid und Folter alter Leute erfreuen.
Die weinende May, die ihren Lebensinhalt – den Vorsitz der Tories –
aufgibt und gerade noch trotzig rausbrachte, sie liebe das Land, erlitt heute
auch die maximale Folterstrafe.
Sie wird in die Geschichte eingehen als größte Versagerin aller
britischen Regierungschefs, die in drei Jahren nicht einen einzigen politischen
Erfolg vorzuweisen hatte, ihre stolze Nation zum internationalen Gespött
machte, ihre heißgeliebte Partei, für die sie einst mit absoluter Mehrheit
Premierministerin wurde bei den gestrigen Europawahlen in die Einstelligkeit
führte und als Krönung auch noch auf der menschlichen Ebene jedes einzelne
Stück Porzellan zerschlug.
In ihrer eigenen Partei schlägt ihr blanker Hass entgegen, niemand
weint ihr eine Träne nach, jeder ist froh sie loszuwerden und hält diesen
Schritt für weit überfällig.
Was für ein bitteres Ende. [….]
Kevin Kühnert schämt sich sogar öffentlich dafür immerfort
an Nahles‘ Stuhl gesägt zu haben.
Alles beginnt mit einer einfachen Feststellung: Wer mit dem Versprechen nach Gerechtigkeit und Solidarität nun einen neuen Aufbruch wagen will, der darf nie, nie, nie wieder so miteinander umgehen, wie wir das in den letzten Wochen getan haben. Ich schäme mich dafür.— Kevin Kühnert (@KuehniKev) 2. Juni 2019
Und Lars Klingbeil, der für mich völlig unverständlich immer
noch als „Lichtblick“ eingeschätzt wird…
[….] Die SPD-Parteispitze ist ein Sammelsurium von Menschen, die es immer
weniger schaffen, den Nerv der Zeit zu treffen. Oder ihn nie getroffen haben
wie der notorische Wahlverlierer Ralf Stegner. Einzig Malu Dreyer und natürlich
der Generalsekretär Lars Klingbeil sind Lichtblicke. [….]
… übertrifft sich mal wieder selbst mit seinen hohlen
Phrasen.
[….] "Es muss ein Ruck durch diese Partei gehen"
Das fordert SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil anlässlich des
Rücktritts von Andrea Nahles – und wohl auch angesichts der desaströsen Wahl-
und Umfrageergebnisse. [….]
Klingbeil hatte am 26.05.2019 ex cathedra erklärt, nun dürfe
es keine Personaldiskussionen geben – eine Stunde bevor seine Chefin eine
riesige Personaldiskussion anzettelte.
Viele Sozialdemokraten streuen nun Asche auf ihr Haupt. Das
wäre doch irgendwie unfair, wie man mit Nahles verfahren wäre.
[…..] "Es macht mich fassungslos und sagt vieles aus über den Zustand
einer Partei und den Charakter handelnder Akteure wie man mit Andrea Nahles
umgegangen ist", sagte Harald Christ, Präsidiumsmitglied des SPD-Wirtschaftsforums,
dem SPIEGEL. "Es darf jetzt keine Gewinner geben die hinter diesem Angriff
stehen, es wäre grotesk wenn diese Methoden noch belohnt würden."
Auch der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD),
zeigte sich erschüttert über schlechten Stil in seiner Partei: "Liebe
Andrea Nahles! Der öffentliche Umgang mit Dir war schändlich. Einige in der SPD
sollten sich schämen. Du hast Dich nach Kräften bemüht, manche Wunde der
Vergangenheit endlich zu heilen. Danke für Deinen Einsatz! Respekt für diese
Entscheidung." […..]
Der Anstand gebietet es einer so tief Gefallenen noch
nachzutreten.
Das ist schon richtig so. Im Augenblick der größten Qual
einer Vollblutpolitikerin soll man nicht gehässig sein und natürlich stinkt es,
wenn gerade die eifrigsten Nahles-Kritiker jetzt Krokodiltränen vergießen.
Den Angehörigen der Nahles-Kamarilla nehme ich ihre ehrliche Trauer ab.
Häme zieht ihr Vorvorgänger und Hauptkritiker Sigmar Gabriel
auf sich, weil er nun einen sachlichen Diskurs anmahnt.
[….] Zuvor hatte sich bereits Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel zu Wort gemeldet
und eine "Entgiftung" der SPD gefordert. "Solange die SPD sich
nur mit sich selbst beschäftigt, solange es nur um das Durchsetzen oder
Verhindern von innerparteilichen Machtpositionen geht, werden die Menschen sich
weiter von uns abwenden", sagte er der "Hannoverschen Allgemeinen
Zeitung" (HAZ). Auch künftig dürfe in der Partei hart über inhaltliche
Differenzen gestritten werden, sagte Gabriel, der in seiner Zeit häufig mit
Nahles über Kreuz lag. Nötig sei aber ein ehrliches Interesse an Menschen und
ein freundlicher und solidarischer Umgang "nach innen und außen".
[….]
Ich finde allerdings seine Einlassungen geradezu milde.
Schließlich hatte er mit offenen Visier Nahles kritisiert und hat allen Grund
sich über sie zu ärgern.
Gabriel wurde immerhin als beliebtester Politiker
Deutschlands und gegen seinen Willen von Nahles als Außenminister zu Gunsten
eines typischen Nahles-Hinterzimmerdeals abgesägt. Sie verkündete Schulz werde
neuer Außenminister und beendete Gabriels politische Karriere.
Es war nur einer der unzähligen brutalen Nahles-Mauscheleien,
bei denen sie sich auf Kosten Anderer Macht sichern wollte und dabei ob ihrer grandiosen Tölpelhaftigkeit der
Partei schwer schadete und verbrannte Erde hinterließ.
Auch wenn mir Nahles als Privatmensch Leid tut, gehe ich
nicht so weit wie Kühnert und schäme mich dafür wie böse ich ihr immer
zusetzte.
Ich nehme für mich in Anspruch kein Opportunist zu sein und
kritisiere die extrem fromme Katholikin schon öffentlich seit sie
Juso-Vorsitzende wurde.
Ich habe sie auch scharf kritisiert als die SPD Ende der
1990er im Zenit ihrer Macht war. Sie geht mir aus vielen Gründen, politisch
Relevanten und auch gänzlich Irrelevanten auf die Nerven.
Ich teile aber insbesondere ihr religiöses Weltbild, ihre
Papst-Verehrung, das Verbot säkularer Gruppen in der SPD, ihre Eintreten gegen
umfassende Patientenverfügungen und Sterbehilfe nicht.
Und ich halte sie für eine erbärmlich schlechte Strategin,
die der SPD unterm Strich immer mehr schadete als half.
Ihr Agieren in demn letzten Tagen war ein Paradebeispiel
dafür.
Selbst ihre wohlmeinendsten Freunde in der Fraktion schlugen
nur noch die Hände über dem Kopf zusammen angesichts der völlig
realitätsentkoppelten und beratungsresistenten Chefin.
[…..] Dann sprechen die Abgeordneten wieder über Nahles' Plan. Viele sind
dagegen, sie fürchten, dass die Vorsitzende mit ihrem Vorstoß die Fraktion erst
recht spalten wird. Manche sind regelrecht verzweifelt angesichts der Sturheit
ihrer Chefin.
"Ich halte die Entscheidung, nächste Woche die Entscheidung
herbeizuführen, für falsch", sagt Fraktionsvize Sören Bartol aus Hessen
nach übereinstimmenden Angaben. "Machtpolitisch entspricht das dem
Lehrbuch. Ich glaube aber, dass das Ergebnis uns alle umbringt." [….]
(DER SPIEGEL, 01.06.2019)
Genau das ist das Problem mit Nahles. Sie ist eine absolute
Instinktpolitikerin, die nur aus dem Bauch heraus entscheidet.
Leider hat sie aber einen sehr schlechten Instinkt und irrt
sich meistens.
Sie müsste die Optionen, die sich ergeben zu Ende
durchdenken, aber dazu fehlt ihr ganz offensichtlich die Intelligenz. Und so
führte sie auch diesmal ihre Partei in die Sackgasse.
Natürlich kann die SPD in dieser Megakrise keine handfeste
Führungskrise, die auch noch die gesamte Bundesregierung an den Abgrund führt,
gebrauchen.
Es wäre schön gewesen, wenn Nahles uns das erspart hätte.
Sie konnte es aber nicht, weil sie einfach eine schlechte
Politikerin ist. Sie machte so viel falsch, daß die Option sie zu halten nicht
mehr blieb.
Als einfaches Parteimitglied fühle ich mich bei
Nahles-Auftritten immer wie Uwe Schmidt.
[….MdB] Uwe Schmidt, gelernter Hafenfacharbeiter aus Bremerhaven, erzählt, er
habe neulich bei einem missglückten Wahlkampfauftritt hinter Nahles gesessen.
Er habe seine Sonnenbrille nicht abgenommen – "weil ich nicht erkannt
werden wollte". [….]
(DER SPIEGEL, 01.06.2019)
Nahles mag fleißig sein und sich Mühe geben, aber man kann
nicht Parteichefin sein, wenn sich die Mitglieder für sie schämen müssen und
immer nur bangen nicht auf die Peinlichkeiten aus dem Willy-Brandt-Haus
angesprochen zu werden.
Sie ist nicht an den Intrigen und Lügen und Kabalen und
Durchstechereien gescheitert, denn darin ist sie selbst Meisterin. Sie ist die
Königin des Apparates, das Strippenziehen ist ihre erste Natur.
Sie ist nicht der arme Martin Schulz, der aus dem edlen,
aber fernen Brüssel in die Berliner Schlangengrube geworfen wurde, sondern sie
ist diejenige, die seit 30 Jahren Schlangen züchtet.
Wolfgang Thierse, der zweite Top-Katholiban der SPD, der
auch schon so viel dafür tat die Wähler von der Partei wegzutreiben, sprang
seiner Glaubensgenossin natürlich bei.
[….] Der
ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat seine Parteimitglieder nun
davor gewarnt, die SPD-Chefin zu stürzen. "Nachdem die SPD in ihrer großen
und langen Geschichte mit Andrea Nahles zum ersten Mal eine Frau an ihre Spitze
gewählt hat – welches Zeichen ist es, wenn diese Frau nach einem Jahr wieder
gestürzt wird?", schrieb Thierse laut einem Bericht des Tagesspiegels in
einem Appell an die SPD-Bundestagsabgeordneten.
"So sehr es menschlich verständlich ist, nach einer furchtbaren
Wahlniederlage Personalfragen zu diskutieren – es ist der falsche Weg." In
den vergangenen drei Jahrzehnten seiner SPD-Mitgliedschaft habe die Partei 13
Vorsitzende verschlissen "und damit den Niedergang der SPD nicht
aufgehalten, sondern vielmehr befördert". [….]
Auch Thierse, wie die meisten Religioten mit
sicherem Instinkt für den größtmöglichen Fehlschluss.
Natürlich möchte man nicht gern dauernd den Zug wechseln,
aber wenn dieser Kurs auf die Wand nimmt, muss man leider abspringen.
Ekelhaft finde ich allerdings, wenn so ein eifriger
Unterstützer der frauenfeindlichsten Großorganisation der Welt, ZdK-Mitglied Thierse nun die Frauenkarte
spielt. Was für ein Heuchler!
In diesem Blog gibt es hunderte Artikel mit scharfen
Angriffen gegen Andrea Nahles, weil sie immer wieder so viel falsch macht.
Das Einzige, das ich ihr genauso wenig wie andere ihr jemals
vorwarfen, ist es eine Frau zu sein.
Sie ist Politikerin und für ihre Rolle als Partei- und
Fraktionsvorsitzende spielt ihr Geschlecht keine Rolle.
England hatte schon zwei konservative Premierministerinnen,
Deutschland eine Kanzlerin, zwei CDU-Chefinnen. Es amtieren deutsche Ministerpräsidentinnen,
die Grünen haben seit Jahrzehnten weibliche Sprecher.
Jetzt soll ausgerechnet die SPD milder mit Nahles umgehen,
weil sie kein Mann ist?
Bei Thierse wundert mich gar nichts mehr, aber wieso kommt
der von mir hochgeschätzte MdB Lauterbach, Mitglied der Parlamentarischen Linken
(PL) ebenfalls mit diesem Argument? Er fragte öffentlich, ob man auch so unfair
mit Nahles umgegangen wäre, wenn sie ein Mann gewesen wäre?
Ja, wäre man. Als Beleg gelten all die Männer, mit denen
Nahles unfair umging und sie brutal wegmobbte – Müntefering, Schulz, Scharping,
Gabriel.
[…..] Für Fraktionsvize Karl Lauterbach brachte das Thema Frauenfeindlichkeit
ins Gespräch: „Da hat auch Frauenfeindlichkeit eine Rolle gespielt“, sagte
Lauterbach der Welt. In der SPD müsse man sich nun überlegen, in welchem Stil
man in Zukunft miteinander umgehen wolle. [….]
(RND, 02.06.19)
Nein, das weise ich empört zurück.
Man kann mir Katholikenfeindlichkeit oder vielleicht auch
Eifel-Feindlichkeit, ganz sicher sogar Karnevals-Feindlichkeit unterstellen.
Aber daß Nahles eine Frau ist, spielt keine Rolle.