Samstag und politisch ist alles sowieso großer Mist; wie immer.
Gelegenheit
mal eben schnell etwas aufzuschreiben, das mir schon lange an den Nerven nagt:
Das Wetter.
Das Wetter.
Also nicht
das Wetter an sich. OK, das geht mir natürlich auch seit Wochen auf die Nerven,
ist aber nicht so ohne weiteres zu ändern.
Ich
meine speziell dem Umgang der Boulevardzeitungen und des Fernsehens mit hohen
Temperaturen.
Vor
einiger Zeit hatte ich die Gelegenheit in Hamburg-Lokstedt beim NDR das
Tagesschau-Studio zu besichtigen. Der Raum ist fensterlos und von Klimaanlagen
stark runtergekühlt.
Da steht
es sich als Moderator (alle stehen jetzt am Pult – außer Claus-Erich Boetzkes.
Der ist so groß, daß er sitzen darf) leicht, während einem die Worte von den
erfreulich heißen Sommertagen über die Lippen kommen.
Hitze
und insbesondere die seit vielen Wochen in Norddeutschland herrschende
Dauerhitze mit Nächten, die in der Stadt nie kühler als 21°C werden, ist aber
nun einmal nicht für jeden erfreulich.
Die
Boulevardzeitungen wie die „Hamburger Morgenpost“ beschreiben die Wetterlage
aber ausschließlich aus der Perspektive von jungen, gesunden, sehr schlanken
Menschen, die offenbar auch nie arbeiten müssen, sondern den ganzen Tag im
Adamskostüm im Freibad zubringen.
Die typischen
Überschriften lauten dann „Sommer, Sonne, Hamburg - so genießen Sie das Traumwetter“
oder „Hurra! Noch zwei Wochen Tropenwetter in Hamburg“ oder „So genießen die Hamburger
das Wetter“ oder „das Traumwetter“ oder „Die nächsten Tagen
werden einfach traumhaft: Die Sonne scheint“ oder „After Work in der
Strandperle: Bei schönem Wetter ist die Aussicht
unschlagbar“ oder „Der Sommer gibt noch mal alles: Diese Woche bekommen wir
herrliches Badewetter“ oder „Endlich wieder strahlend blauer Himmel!“ oder „Super-Sommer im Norden und kein Ende in Sicht.
Bei 30 Grad und strahlend blauem Himmel fühlt es sich selbst in Norddeutschland
gerade ein wenig an wie am Mittelmeer. Und vorerst wird sich daran wohl auch
nichts ändern.“
Es
folgen die typischen Bildstrecken von knapp bekleideten „Studentinnen“ und
ähnlichen Brathirnen, die rund um die Uhr in Parks, am Elbstrand oder in den
Freibädern rumliegen.
Das ist schön für die jungen Frischen und darf auch berichtet werden. Aber es könnte
auch 10% des Zeitungsplatzes für die Temperatur-Jubelarien für diejenigen
freigeräumt werden, für die so ein Wetter tödlich ist. Und das meine ich nicht
metaphorisch.
Ich
kenne die meisten Kardiologien in Hamburg ganz gut.
Da werden die Temperaturen zum Killer, da nur
die OPs klimatisiert sind. Die beiden Intensivstationen des UHZs (Universitäres
Herzzentrum, erbaut 2006!) haben zwar angeblich eine Klimaanlage, aber die ist so schwach,
daß nur im Eingangsflur der herzchirurgischen Intensivstation ein leichter
Effekt bemerkbar ist. Die Patientenzimmer sind ebenso wie die gesamte
kardiologische Intensivstation bruttig aufgeheizt. Die Monitoringstation für
die postoperativen Patienten ist genauso wie die normalen Kardiologischen
Stationen mit keinerlei Klimaanlage ausgestattet. Hinzu kommt, daß auf der
gesamten Monitoringstation und den Isolierzimmern der Normalstationen generell
keine Fenster zu öffnen sind. Man liegt dort vor glühend heißen Fensterfronten.
Auch in
der Notaufnahme, der größten der 1,8 Millionenstadt Hamburg, in der laufend kollabierende
Pflegepatienten ankommen, herrschen 33°C. Eine einzige Tortur für die
Herz-Kreislaufpatienten.
Dabei
müßten die vielen alten Menschen mit schwerer Exsikkose gar nicht erst in
Notaufnahme, wenn sie in ihren Pflege- und Altenheimen wenigstens genug zu
trinken bekämen. Aber dafür fehlt Deutschland bekanntlich das Geld.
Myriaden
Menschen in Deutschland liegen in Heimen und verdursten während die Mopo den „Supersommer“
bejubelt.
Das
Problem der Exsikkose in Altenheimen wurde durch das Hoch „Michaela“ im Jahr
2003 europaweit diskutiert.
Hilflose
und pflegebedürftige Menschen trinken fast nie von allein genug Wasser und es
reicht nicht ihnen einfach irgendwo ein Glas hinzustellen; es braucht eine
pflegende Person, die ihnen das Wasser auch einflößt.
Auf
dieses Weise starben 2003 mindestens 40.000 Menschen über 75 Jahren in
Westeuropa.
Der 11. und der 12.
August waren aufgrund der Windstille besonders belastend. Die Wirkung der
Hitzewelle wurde durch die sehr erhöhten Nachttemperaturen verstärkt, die
fehlende Luftbewegung verursachte einen steilen Anstieg der Stickoxide, die
sich bei der Entstehung des Ozons ansammelten. Die Leichenhallen waren sehr
schnell voll belegt, da man die Leichen wegen der beträchtlichen Hitze nicht in
ungekühlten Räumen lagern konnte. Ein gekühlter Hangar der Halles des Pariser
Vororts Rungis, das Logistikzentrum der Transporte für den Handel mit Lebensmitteln,
wurde zur Verfügung gestellt, damit dort die Leichen vorläufig abgelegt werden
konnten. Am 24. August gab es immer noch 300 Leichen in Paris, für die sich
keine Angehörigen gemeldet hatten und die in Rungis und in Kühllastern in
Ivry-sur-Seine ihrer Beisetzung harrten.
Wenn in
Deutschland ein alter Mensch in einem Heim zu vertrocknen droht, muß man 112
rufen und ihn schnellstens in Krankenhaus bringen lassen. Dort bekommt er dann
zwei bis drei Tage lang intravenös Ringerlösung oder NaCl-Lösung. Das kostet
ungefähr 2000 Euro inklusive der Krankenwageneinsätze und ist absolut
alltäglich in den Kliniken bei einem Wetter wie heute.
Natürlich
könnte man auch stattdessen für einen Bruchteil des Geldes etwas mehr Pflegepersonal
in den Heimen einstellen, so daß die alten Menschen a priori genug zu trinken
bekommen und gar nicht erst in Lebensgefahr geraten.
Die
Absurdität ist bekannt* und wurde in vielen Büchern (Stichwort Claus Fussek) beschrieben. Aber
die 2000 Euro für den Krankenhausaufenthalt kommen aus einem anderen Topf, dem
der Krankenkasse und nicht dem der Pflegekasse. Merkel und Co kümmern sich aber
nicht darum, weil es auch keinerlei Druck auf sie in dieser Angelegenheit gibt.
Die Presse versagt hier vollkommen bei ihrer einseitigen Sommerbejubelung. Sie verweigert
ihren Job auch auf die Missstände hinzuweisen.
Es ist
ein bißchen ähnlich bei der leidigen Diskussion Auto versus Fahrrad, die
vermutlich in allen deutschen Großstädten läuft. Die Straßen sind ursprünglich
für Autos geplant worden, da aber heute glücklicherweise mehr Menschen Rad
fahren verlangen sie überall Fahrradwege, die auf Kosten der Auto-Straßen
abgezwackt werden.
Zumindest
die Hamburger Lokalpresse steht ausnahmslos auf der Seite der Radfahrer und
brandmarkt genau wie fast alle Parteien die sturen Autofahrer, die weiter auch
in der Innenstadt fahren wollen. Dadurch haben die Radfahrer so starkes Oberwasser,
daß sie zunehmend aggressiv werden. Tatsächlich muß man sein
(Auto-)Fahrverhalten ändern. Beim Rechtsabbiegen genügt kein kurzer
Schulterblick mehr; nein man muß sich einmal komplett umdrehen, weil auf
Fußwegen, Fahrradwegen und Straßen bei grün UND rot jederzeit irgendein Irrer
auf seinem 4000-Euro-Mountainbike einem vor die Kühlerhaube rasen kann.
Natürlich
ist es aus ökologischen Erwägungen unstrittig, daß der Umstieg möglichst vieler
PKW-Nutzer auf das Rad zu wünschen ist.
Aber die
Presse hätte verdammt noch mal auch die Pflicht an diejenigen zu denken, für
die das nicht möglich ist.
Ist gibt jede Menge Alte, Pflegefälle,
Herzkranke, Behinderte, oder einfach junge Leute mit Mitralklappeninsuffizienz,
die nicht die Puste zum Strampeln haben, also die schlicht und ergreifend nicht
in der Lage sind Rad zu fahren.
Es wäre
ganz nett zu berücksichtigen, daß auch diese Menschen Zugang zu Krankenhäusern
und Pflegeeinrichtungen haben müssen.
Verblüffenderweise
gibt es immerhin gelegentlich für die nichthumane Natur Mitleid, obwohl jeder immer
nur den Sommer bejubelt.
Die
Natur leidet. Dazu muß ich nur aus dem Fenster sehen – alle Büsche und Gräser
sind braun und vertrocknet. Natürlich trifft es auch die Fauna.
Hitzewelle löst
Fischsterben in der Elbe aus
Fischer sprechen von
einer Katastrophe. Bisher schon 100 Tonnen Kadaver. Einer der Gründe: die
verstärkte Algenblüte.
Die Hamburger
Umweltbehörde warnt vor dem Kontakt mit giftigen Blaualgen in der Binnen-und
Außenalster. Vor allem in Höhe Lombards- und Kennedy-Brücke haben sich dort in
den vergangenen Tagen ganze Algenteppiche gebildet.
Und ja,
falls jemand fragt, ich bin persönlich in vielerlei Hinsicht betroffen.
Ich
breite hier nicht meinen Gesundheitszustand aus, aber meine Wohnung ist nicht
isoliert und da ich ein vorbildlich ökologisch denkender Mensch bin auch ohne
Klimaanlage. Seit Wochen ist in meinem Schlafzimmer auch nachts niemals unter
29 oder 30°C, so daß an Schlaf nicht zu denken ist.
Und ja,
das NERVT, da bekommt man GANZ GANZ SCHELCHTE LAUNE, wenn einem die
Radiomoderatoren vorsäuseln wie glücklich wir uns schätzen können, daß es
dauerhaft heiß bleibt.
*Constanze
Kleis
Sterben Sie bloß nicht im Sommer
Dumont, 224 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3-8321-9657-8
Sterben Sie bloß nicht im Sommer
Dumont, 224 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3-8321-9657-8
*Die ganze Abartigkeit dieser Zustände wird
noch dadurch getoppt, daß dies alles seit vielen Jahren bekannt ist. Herr
Fussek hat darüber viele Bücher geschrieben, trat oft in Talkshows auf und das
Thema wird immer wieder von den relevanten Periodika und TV-Magazinen
aufgegriffen.
Aber ¾
der Deutschen sind begeistert von der Kanzlerin, die dieses Millionenfache
Foltersystem in Deutschland geschehen läßt.
Claus Fussek und der Gottlob Schober sprechen in der AZ
über menschenunwürdige Bedingungen in der Altenpflege – und einen Skandal, der
keinen interessiert, bis er selbst betroffen ist
AZ: Herr Fussek, Herr Schober, vor fünf Jahren haben
sie schon einmal ein Buch über den Zustand der Pflege in Deutschland
geschrieben: „Im Netz der Pflegemafia“. Was hat sich seitdem geändert?
GOTTLOB SCHOBER: Wir dachten eigentlich, wir hätten
alles aufgedeckt. Fünf Jahre später müssen wir feststellen: Es hat sich nichts
überhaupt geändert. Es kann doch nicht sein, dass sich bei diesen Missständen
gar nichts tut.
CLAUS FUSSEK: Völlig zu Recht haben die Flüchtlinge am
Rindermarkt so viel Aufmerksamkeit bekommen. Aber ich würde mir die gleiche
Aufmerksamkeit wünschen für unsere alten Menschen, die täglich nichts zu essen
und zu trinken bekommen. Die nie an die frische Luft kommen.
S: Bilder von gefesselten Alten – das weckt in den
Leuten keine Empörung mehr.
F: Die Politik hat sich daran gewöhnt, die Medien auch.
Für pflegebedürftige Menschen bedeutet das gesellschaftliche Desinteresse
menschenunwürdige Bedingungen.
S: Wenn Sie sich die Kriterien von Folter anschauen –
Fixierung, Freiheitsberaubung etwa – für uns ist das Folter, und der einzige
legitime Bereich dafür sind die Pflegeheime.
F: Alle wissen Bescheid, von der Putzfrau bis zum
Bestatter. Das ist eine Allianz des Schweigens. Und wie das funktionieren kann
in unserer Gesellschaft, ist mir schleierhaft.
Diese Solidarisierung mit den Hochwasser-Opfern – so
etwas brauchen wir für die pflegebedürftigen Menschen. […] Es gibt so viel Unvorstellbares. Das glaubt
man nicht, wenn man es nicht selbst gesehen hat. Die Menschen kommen tagelang
nicht aus dem Bett, werden mit Psychopharmaka ruhig gestellt, dämmern nur vor
sich hin. Bekommen aus Zeitmangel nichts zu essen und zu trinken. Sie kommen
nicht zum Klo und müssen ihre Notdurft in Windeln verrichten. […]
S: Ich war schon in Heimen, da hat nie ein Angehöriger
vorbeigeschaut. Sie müssen sich kümmern. Ihre Anwesenheit erzeugt Druck. […] Was wir fordern ist kein
Luxus, sondern absolute Mindeststandards. Grundrechte. Menschen müssen zu Essen
und zu Trinken bekommen. Auf die Toilette dürfen. Selbst im Knast haben die
Insassen Hofgang. Das ist doch absurd, dass man das überhaupt einfordern muss.