Donnerstag, 3. Januar 2019

Fliegen, Flirten, Fleisch


Als Bewohner eines Industrielandes mit hoher Wirtschaftskraft lebe ich mit der zweifelhaften Gewissheit Hauptverursacher des Elends in südlichen ärmeren Ländern zu sein. Hungersnöte, Kriege und Klimawandel werden insbesondere durch die Export-, Agrar- und Klimapolitik des Westens befeuert.


Gleichzeitig lassen sich in Deutschland die katastrophalen Folgen der globalen Temperatur und des steigenden Meeresspiegels am beste ignorieren, weil wir reich genug sind hohe Deiche und stabile Häuser zu bauen.
Von immer höheren Sturmfluten bekommen wir Hamburger fast nichts mit, während in Bangladesch  immer wieder Tausende ertrinken und ganze Inselstaaten des Pazifiks überflutet werden.

Die allermeisten Amerikaner und Europäer ignorieren diese Zusammenhänge; einige wenige setzen sich aktiv dafür ein den Irrsinn zu beenden und einige überprüfen und verändern ihr eigenes Konsumverhalten.

Meine persönliche Klimaweste ist relativ rein.
Die drei allergrößten Klimasünden eines Deutschen oder Amerikaners sind

1.) Kinder bekommen
2.) Fleisch essen und
3.) Flugreisen

Ich bin geradezu vorbildlich: Kinderlos, letzter Flug war 1995 und seit 30 Jahren Vegetarier.

Diesen persönlichen CO2-Footprint könnte ich stolz wie eine Monstranz vor mir hertragen.
Aber ehrlich gesagt habe ich diese Entscheidungen weitgehend schon getroffen, als ich noch gar nicht die konkreten Zusammenhänge von Fleischproduktion und Kohlendioxid-Ausstoß kannte, Kinder wollte ich ob meiner misanthropen Überzeugung noch nie.
Nur meine Einsicht in die katastrophalen Folgen des Massentourismus‘ und Kerosion-Ausstoßes in hohen Atmosphärenschichten ist schon sehr alt.

In den vergangenen Dekaden habe ich sehr viele Diskussionen über diese Themen geführt und eine gewisse Äquidistanz zu Veganern und Fleischfressern aufgebaut.
Nach meiner Überzeugung ist eine radikale Einschränkung des Fleischkonsums dringend notwendig, der Planet ist eklatant überbevölkert und sowohl der Klimawandel, als auch die Endlichkeit der Ressource Erdöl werden das private Gefliege für 10 EURO nach Mallorca ohnehin eines Tages unmöglich machen.
Da können sich die Fleischesser noch so sehr echauffieren; die Zeit der extrem billigen Verfügbarkeit und Massenproduktion von Fleisch wird ohnehin vorbei gehen, in 50 Jahren wird Fliegen ein seltener Luxus sein (es sei denn, es werden völlig emissionsfreie Antriebe entwickelt) und das explosionsartige Vermehren der Gattung Mensch muss drastisch eingedämmt sein.
Diese Schritte sind zwar nicht alternativlos, aber die einzige Alternative ist eben das Aussterben der Menschheit. Das wäre natürlich die beste Option.

Gesetzt den Fall man wünscht sich ein Überleben der Menschheit, weil man zufällig selbst Kinder hat, fragt sich wie man diese grundlegenden Konsumveränderungen bewirkt.
Meiner Ansicht nach wird das schlecht mit Maximalforderungen funktionieren.
Der flexitarische Weg wird eher funktionieren als der Vegane, weil zu wenige sich radikal ändern wollen.

Ich zum Beispiel bin Lakto-Vegetarier. Ich esse viel Milchprodukte, aber keine Eier und grundsätzlich nichts, das im Wasser lebt.
Das sind zwei unideologische Einschränkungen. Ich mag Geruch, Geschmack und Konsistenz von Fisch und Eiern nicht. Fand ich schon als kleines Kind ekelhaft.
Fleisch hingegen gewöhnte ich mir absichtlich ab.
Dafür gibt es drei Gründe.

1.) Fleischesser sind ungesünder und leben kürzer
2.) Grundsätzliche moralische Erwägungen zum Tiere töten
3.) Klimatischer Aspekt.

Völlig konsequent wäre es vegan zu leben, aber da ich gern Käse, Joghurt und Quark esse und die Milch irgendwo herkommen muss, akzeptiere ich ja offensichtlich Tierhaltung. Natürlich möchte ich, daß Milchkühe nicht gequält werden, sondern glücklich und zufrieden frei auf saftigen Wiesen rumlaufen und schließlich eines natürlichen Todes sterben.
Die Kadaver dann nicht zu verwenden, sondern zu beerdigen, wäre natürlich Blödsinn.
Also fiele in meiner perfekten Traumwelt auch ein wenig Fleisch zum Verzehr an.
Ich mag auch sehr gern freilaufende Hühner und Enten. Warum sollten die kein glückliches Leben in Coexistenz mit dem Menschen führen? Sie könnten nach ihrem eigenen Rhythmus Eier legen und wenn sie mal alt sind und sterben, soll sie auch jemand essen dürfen.

In meiner Traumwelt dürfte es Kobe-Rindfleisch auf Speisekarten geben. Tiere, deren Leben vergnüglich und stressfrei gestaltet wird. Mit der allerbesten Pflege, dem allerbesten Futter, Massagen und den tiergerechtesten Lebensräumen.

Der Planet kann es auch fraglos verkraften, wenn ab und zu mal einzelne Flugzeuge umherfliegen. Man könnte argumentieren, daß Regierungsmitglieder fliegen können müssen, daß Katastrophenhilfe und ähnliches nicht ohne Flugzeuge möglich ist.

Die massenhafte und extrem billige Verfügbarkeit muss aber aufhören. Nicht jeder der 82 Millionen Deutschen kann drei Mal im Jahr eine Fernreise unternehmen.

Vor 50 Jahren gab es diese Klimaproblematik noch nicht in dem Maße, weil Fleisch viel zu teuer war. Da gab es einmal in der Woche Fleisch und nicht drei Mal am Tag für einen Spottpreis.
Meine Mutter ist noch in den 1960er Jahren mit dem Schiff nach Amerika gereist, weil Flugtickets für Normalbürger total unerschwinglich waren.

Der soziale Fortschritt und die allgemeine Erschwinglichkeit haben zu einer völligen Perversion der Freiheit geführt. Homo Demens meint nun ein Recht auf spottbillige Flugreisen mehrfach im Jahr zu haben.
Weil es alle machen. Wer auch nur daran denkt das ein bißchen einzuschränken, wird mit Shitstorms überzogen.
Insbesondere, wenn derjenige sich nicht selbst sklavisch an vegane Prinzipien hält.

Die bayerische Grünen-Vorsitzende Schulze erlebt das gerade nach ihrem Silvesterposting auf Instagram.


Der ehemalige Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir tat es ihr nach.


Das Internet ist erstaunlich. Welche enorme Masse abgrundtiefer Hass sich da binnen Stunden zusammenrottet.

[……] Ganz entspannt ist Katharina Schulze, Vorsitzende der Grünen in Bayern, 10.000 km nach Kalifornien geflogen, um dort ins neue Jahr zu schaukeln. Zumindest ist davon auszugehen, dass sie nicht im CO2-neutralen Floß nach Amerika gepaddelt ist.
Im Wahlkampf setzt sie sich hingegen dafür ein, dass der Münchener Flughafen aus Klimaschutzgründen nicht ausgebaut wird.
In den Hashtags möchte sie ihr grünes Ich dann aber nicht verschweigen und ihrer politischen Linie treu bleiben. #sonnestattböller dürfte ein Verweis auf die gravierenden Feinstaubbelastungen durch Feuerwerkskörper und die eigene fortschrittliche Haltung in diesem Bereich sein, die Ausdruck des gelebten Umweltbewusstseins ist.
Der Verzicht auf Feuerwerkskörper wird ihren ökologischen Fußabdruck nach der Aufrechnung mit einem Transatlantikflug nicht verbessern. Katharina Schulze predigt Wasser und trinkt Wein. [….]

Ja, und dann geht es los….





So absurd diese Hassattacken sind, so wenig überraschend sind sie.
Daher finde ich etwas besorgniserregend, wenn Spitzenpolitiker solche Scheißestürme nicht kommen sehen, sondern mit Kalifornischen Schaukelbildern dazu einladen.

Träfe das zu, was die AfD-Fans den Grünen unterstellten – Autos, Flugreisen, Fleisch nur noch für Bonzen und andere Superreiche, während das arme deutsche Volk zu Hause bleiben und Salat fressen muss – wäre der Umwelt und dem Klima übrigens tatsächlich geholfen.
Ein Steak 1000 Euro. Ein Flug nach Mallorca 50.000 Euro. Kinder bekommen nur gegen eine Gebühr von 1.000.000 Euro.
Ja, das wäre eine klimapolitisch höchst effektive Maßnahme, die allen Lebewesen letztendlich zu Gute käme.

Gerecht wäre das natürlich nicht, aber es ist nicht sehr schwer sich sozialverträgliche Modelle zu überlegen, die zu einer ähnlichen Konsumeinschränkung führten.
Man könnte beispielsweise ähnlich wie beim Emissionshandel jedem Menschen auf der Welt jährlich die Erlaubnis zum Verzehr einer geringen Menge Fleisch, ein paar Flugmeilen und alle 10 Jahre ein Kind zusprechen.

Diese individuellen Kontingente wären verkäuflich.
Wer sein Jahreskilo Rindfleisch nicht isst, könnte das Recht dazu an einen reichen Menschen verkaufen. Wer seine Flugmeilen nicht nutzen will ebenso.

Damit könnte ein Superreicher immer noch nach Australien fliegen. Aber er wäre gezwungen seinen Reichtum erheblich nach unten umzuverteilen.