Dienstag, 28. Mai 2019

AKK-Lob


Als gestern eine beleidigte CDU-Chefin vor die Kameras trat, sich um Kopf und Kragen redete, war mir wie so vielen anderen sofort klar, was nach diesem Rezo-tripling-down käme: Ein massiverer Shitstorm als all die anderen Shitstorms (#Gendertoilette, #verkrampftesvolk, #homoehe-inzest, #Intersexuellenwitze #gretabashing), die Kramp-Karrenbauer in ihrer kurzen Zeit als Parteivorsitzende ausgelöst hatte.





Es schwirrten schon gehässige Bosheiten in meinem Kopf, die ich gegen AKK loslassen wollte.
Heute erübrigt sich das allerdings, weil nicht nur die Online- und #Hashtag-Welt der U30-Generation mit Anti-AKK-Stellungnähmchen geflutet ist, sondern auch die „herkömmlichen Medien“ bis in den konservativen Bereich hinein den erbärmlichen Auftritt der Saarländerin brutal unter Feuer nahmen. „Kann sie überhaupt Kanzlerin?

[…..]  Selbst wenn man es darauf anlegen wollte, man könnte wohl gar nicht so viel falsch machen wie Kramp-Karrenbauer in dieser Situation. Oder sagen wir so: Die CDU hat endlich eine Antwort auf den Zorn der YouTuber gefunden. Es ist ein Videoclip in der Länge von einer Minute und 7 Sekunden: die Selbstentblößung der @AKK.
Auffällig zunächst der beleidigte Tonfall der Wahlverliererin: "Lassen Sie mich an der einen Stelle mal etwas sagen", spricht Kramp-Karrenbauer, als sei sie nicht Vorsitzende der Regierungspartei mit allen denkbaren Möglichkeiten zur Kommunikation, sondern die Stimme einer  
unterdrückten Minderheit, die endlich auch mal zu Wort kommen möchte. Und von da an geht es rapide bergab.
Als sie von der Anti-CDU/SPD-Wahlempfehlung der YouTuber gehört habe, da habe sie sich gefragt, was eigentlich los wäre in diesem Land, wenn 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl einen ähnlichen Aufruf gestartet hätten. Das wäre "klare Meinungsmache" gewesen, sprach Kramp-Karrenbauer. […..]  "Ja oder nein", wie bitte? Na gut, im Zweifel ja. Soweit an dieser Stelle bekannt, gibt es da durchaus eine Regel, analog und digital. Sie gilt für Redaktionen, YouTuber und auch für alle anderen. Sie steht im Artikel 5 unseres jüngst gefeierten Grundgesetzes: Die Verfassung garantiert das Recht eines jeden, "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten".
Selbstverständlich kann das auch bedeuten, dass sich zwei, drei, dreißig oder dreihundert Menschen in freier Entscheidung zusammentun und gemeinsam zum Beispiel feststellen, dass die Regierungspolitik der Koalition etwa beim Klimaschutz vollkommen unzureichend ist und die Regierungsparteien deshalb unwählbar sind. Ob es der CDU-Vorsitzenden nun passt oder nicht.
[…..]  Wie man es auch dreht: Es bleibt erschreckender Unsinn. Es bleibt der verheerende Eindruck, die CDU-Vorsitzende wolle den Bürgern den Mund verbieten. Es bleibt die bittere Erkenntnis, dass die Frau mit der Ambition auf das mächtigste Amt des Landes keine Widerrede vertragen kann. […..] 

Wie ist nur so ein schlechtes Krisenmanagement möglich? Die Chefin war ja nicht etwa heimlich betrunken in einer Oligarchen-Suite gefilmt worden, sondern trat gebrieft und vorbereitet vor die Presse.
Nur um wenige Stunden später klarzustellen, daß sie das was sie eben gesagt hatte, gar nicht gesagt, aber jedenfalls nicht so gemeint hätte, es aber auch nicht zurücknehmen werde, weil es „absurd“ wäre ihr zu unterstellen, das gemeint zu haben, was sie gesagt hätte.

Sogar konservative, sehr CDU-freundliche Autoren wenden sich gruselnd ab.

[…..]  Nach einem miesen Wahlergebnis eine Regulierung von Meinungen im Internet zu fordern, zeigt, dass Annegret Kramp-Karrenbauer wie eine Amateurin von vorvorgestern agiert. Die Frau soll Kanzlerin werden? Besser nicht.
Manchmal fällt das Kind in den Brunnen: Pech gehabt, passiert halt. Aber man kann es auch mit voller Wucht in die Wassergrube hinein schubsen und noch ein paar Mühlsteine hinterher kippen. So macht es Annegret Kramp-Karrenbauer im Falle des Youtubers Rezo. Erst schnappte sie ein und ließ ein "Gegenvideo" mit dem jungen CDU-Abgeordneten Philipp Amthor drehen, das zum Glück nie veröffentlicht wurde, weil es sicher mega-peinlich gewesen wäre.
 Dann versuchte es Kramp-Karrenbauer mit einem missratenen Witz: "Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eigentlich auch noch verantwortlich sind für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab." Und blamierte sich als Vorsitzende einer Christen-Partei, weil Ägypten laut Bibel von zehn Plagen heimgesucht wurde. Jemandem das Verdrehen von Fakten vorzuwerfen, aber selbst Fehler zu machen, ist nicht sehr glaubhaft.
[…..]  Doch einen Tag nach einem wenig glorreichen Ergebnis bei der Europawahl eine Diskussion über "Meinungsmache" im Internet anzustoßen - das schlägt dem Fass den Boden aus. Denn das kann nur so rüberkommen wie: Wer gegen uns stänkert, muss an die Kette gelegt werden. […..]  […..] 
Ihren ganzen provinziellen Dilettantismus zeigt Kramp-Karrenbauer, als sie nach Kritik wiederum einschnappte und weiter Öl ins Feuer goss: "Es ist absurd, mir zu unterstellen, Meinungsäußerungen regulieren zu wollen. Meinungsfreiheit ist hohes Gut in der Demokratie. Worüber wir aber sprechen müssen, sind Regeln, die im Wahlkampf gelten."
Wir "müssen" gar nichts. […..]  Die besondere Tragik dabei ist: Das war garantiert kein Ausrutscher, kein Verplappern, sondern voller Ernst. Der Vorstoß ist utopisch, sinnlos und antidemokratisch. Und man muss sagen: So etwas wäre Angela Merkel niemals passiert. […..] 

[….] Die unglücklichen Aussagen zu Internet-Regeln und der ungelenke Umgang mit der Kritik des Youtubers Rezo sind nur die Fortsetzung einer Fehlerkette von Kramp-Karrenbauer.
Die Folge: Angela Merkels scheinbar geregelte Nachfolge könnte doch noch Sprengkraft für die Christdemokraten bekommen. Politikberater Michael Spreng sagte dazu am Montagabend bei "Hart aber fair": „Die CDU bekommt ein massives AKK-Problem. Sie ist ein Malus für die CDU. Die CDU sollte darauf achten, ob sie mit AKK auf das richtige Pferd setzt.“
In der Bevölkerung ist das Vertrauen in Kramp-Karrenbauers Kanzler-Eignung zuletzt stark gesunken. Anfang Mai wünschten sich nur noch 11 Prozent der Deutschen AKK als Kanzlerin. Womöglich hat sich die CDU-Chefin schon zu viele Fehltritte geleistet. […..]



Nach ihrem ersten Shitstorm zum Karneval, den sie mit ihrer „verkrampftetes Volk“-Pöbelei down doublete, wurde sie noch insbesondere vom rechten CDU-Parteiflügel für ihre Standhaftigkeit gefeiert. Man war froh, daß sie endlich mal die erzkonservative Merkel-müde Basis bauchpinselt und nicht vor der Multikulti-Political Correctness einknickt. Schließlich würden die Intersexuellen-freundlichen Linksgrünversifften ohnehin nicht CDU wählen. Mit knackigen Minderheitenbashing könne AKK aber Nicht- und AfD-Wähler zur Union zurückholen.

Die Wahlergebnisse, das dramatische Wegbrechen der demoskopischen Werte für die Parteichefin widersprechen aber dieser Sicht. Mal einen Shitstorm durchzustehen mag für Rückgrat sprechen; deswegen ist es aber noch lange keine Erfolgsstrategie immer mehr und heftigere Shitstorms auszulösen und auf die CDU-Wahlkämpfer niederregnen zu lassen.

Ich halte AKKs Patzer-Parade aus SPD-Sicht natürlich für angenehm. So macht sie von innen heraus die CDU klein, ähnlich wie auch Ratzinger die Menschen aus der RKK trieb.

Aber auch grundsätzlich ist Kramp-Karrenbauers gestriger Auftritt zu begrüßen, weil er ehrlich war.
Sie hat eben NICHT aus Versehen etwas gesagt, das sie gar nicht so meinte.
Sie hat aus Versehen etwas gesagt, das sie genau so meinte.
Die CDU ist tatsächlich verärgert wieso diese jungen Youtuber, die von nichts eine Ahnung haben so frech agieren und ihre schönen Wahlergebnisse ruinieren.
Das ist tatsächlich ein ur-konservativer Impuls, den AKK da losließ: Die Jugendlichen sollen die Klappe halten und alles was der CDU irgendwie nicht gefällt, wird verboten.
 Genau das tun auch andere Konservative, wenn sie die Macht dazu haben. In Polen, Ungarn, Russland, der USA, in Israel und in der Türkei wird massiv in die Pressefreiheit eingegriffen. Sobald Konservative an der Regierung mächtig genug sind, verfallen sie antidemokratischen Trieben und verbitten sich Kritik.
Auch in der Bundesrepublik und in der CDU/CSU hat das lange Tradition. Man erinnere sich nur an den Fall des ZDF-Chefredakteurs Nikolas Brender, der es gewagt hatte CDU-Politikern kritische Fragen zu stellen. Sofort wurden erzkonservative CDUler wie Roland Koch, aber auch Angela Merkel aktiv in den Fernsehräten, um Brender entfernen zu lassen. Erfolgreich! Für die CSU ist es ganz selbstverständlich den BR als Haussender zu verstehen, deren Redakteure sofort in die Staatskanzlei einbestellt werden, wenn sie die CSU kritisieren.
Das ZDF und auch die Sat1/Kirch-Sendergruppe wurden ausdrücklich von CDU-Regierungsmitgliedern auf den Weg gebracht, um konservativophil zu berichten. Viktor Orban, der in Ungarn alle regierungskritischen Journalisten mundtot machte, wird von der CSU immer wieder als Vorbild und Ehrengast geladen; galt bis zum Schluss als engster politischer Freund Helmut Kohls.

Angela Merkels enge persönliche Freundschaften mit den beiden mächtigsten Medienmachern Deutschlands – Friede Springer und Liz Mohn – sind legendär.
Die konservative Unions-Basis ist da völlig auf Kurs und johlt vor Vergnügen laut auf, wenn ihre Bosse gegen Schwule, Transgender, Flüchtlinge oder kritische Schreiberlingen hetzen.

Die im Volk beliebtesten CDU/CSU-Politiker poltern in geschlossenen Runden wie Parteitagen, Bierzeltevents oder Wahlkampfauftritten ebenso rabiat, können aber bei offiziellen Statements endlose wolkige, wohlklingende Nicht-Aussagen verbreiten.
Dieses schwammige Nicht-Festlegen, also viel reden, ohne etwas zu sagen, wird gern von frustrierten Journalisten kritisiert. „Die Wähler“ wünschten sich angeblich alle Klartext!
Ja, möglicherweise glauben die meisten Wähler selbst, sie wollten Klartext.
Sie wählen aber nicht so, sondern wenden sich immer lieber den wolkigen Blabla-Nichtssager, weil sie sich vor Klartext à la Steinbrück gruseln.
Spätestens bei der Bundestagswahl 1990 wurde das eindeutig bewiesen. Kandidat Lafontaine sprach klar die gewaltigen finanziellen Folgen der deutschen Einheit an, schwor das Volk auf schwere Zeiten ein. Man ahnte auch, daß der SPD-Spitzenkandidat Recht hat. Gewählt wurde aber mit haushoher Mehrheit Kohl, der pauschal „blühende Landschaften“ versprach, es werden keine Steuererhöhungen geben, alles sei „aus der Portokasse“ zu bezahlen.
Lafontaine sprach Klartext und verlor.  Kohl log, entzog sich den Fakten und gewann.

Die Königin des schwammigen Sowohlalsauch ist natürlich Angela Merkel. Nach fast drei Jahrzehnten an der absoluten Spitze der Bundespolitik rätseln die allermeisten Analytiker immer noch was sie eigentlich denkt, welche Agenda sie verfolgt.
Über Merkels wahre Haltung weiß man nur, daß sie volatil ist.
AKK ist auf dem Weg zur totalen Merkel-Kommunikation weit fortgeschritten und kann fast wie eine Große stundenlang reden, ohne sich auf irgendetwas festzulegen.

Statt #AKK sollte ihr Hashtag lieber #Blablabla lauten.

[…..]   "Wir sind, die CDU ist die große Volkspartei in Deutschland. Und hier geht es, das haben ja auch alle Medien in Deutschland deutlich gemacht, um das große Thema der Zeit. Und es kann nicht sein, dass die CDU an dieser Debatte nicht teilnimmt und vor allen Dingen keine eigenen, konstruktiven Vorschläge macht. Und das genau ist der Ausgangspunkt unseres Konzepts.
    Es ist so, dass die Vorsitzende der CDU natürlich immer auch die Verantwortung hat, den Prozess natürlich bei einer nächsten Wahl vor allen Dingen so zu steuern, dass die CDU in der bestmöglichen Startformation aufsteht. Und diese Verantwortung werde ich auch wahrnehmen.
    Wir wollen mit eigenen Vorschlägen deutlich machen, dass jeder Vorschlag auch die wirtschaftliche Situation berücksichtigen muss und sie auch stärken muss. Es ist so, und das habe ich auch klar gesagt, dass es hier um eine große und wichtige Frage geht, die nicht nur uns, sondern auch unsere Kinder und Enkelkinder betrifft, gerade auch in Hinblick auf Europa, das uns unsere Eltern und Großeltern als Auftrag und Aufgabe und auch als Geschenk hinterlassen haben. Geschichte wiederholt sich nicht. Wer war denn von Ihnen vor Kurzem mal in Berlin, da seht ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen. Und auch darüber denken wir nach.
    Und da sind wir im Moment mit aller Leidenschaft dabei. Deswegen ist ja genau der Punkt, dass wir gesagt haben, was zum Beispiel immer auch ein Merksatz war, was wir genau wissen. Die Frage ist nur, was ist das beste System, und wenn wir darüber reden, dann reden wir über verschiedene Ansätze, im Übrigen auch in Anwesenheit von Armin Laschet und von Ralph Brinkhaus.
    Das heißt, wir setzen gerade keine Denkverbote, sondern freuen uns über eine spannende Debatte, auf die ich mich besonders freue, weil wir auch nicht vorschnell zu einem scheinbar einfachen Mittel greifen wollen.
    Um es ganz deutlich zu sagen: Das gehört zur Wahrheit dazu und diese Wahrheit haben wir auch immer sehr deutlich ausgesprochen. Das, worüber wir reden müssen, ist in einem Gesamtsystem wirklich die Frage, was tun wir und wie kommen unsere Taten an. Und es ist die Frage, was tun wir am besten.
    Darauf konzentrieren wir uns jetzt in der Diskussion, und am Ende des Tages wird es, wenn wir zurückblicken auf diese Zeit der lebendigen Diskussionen, zumindest in den Eckpunkten genau um die Frage gehen, welches Gesamtkonzept liegt auf dem Tisch.
    Sich darüber auch in einem demokratischen Streit wirklich den Kopf zu zerbrechen, das ist Aufgabe von Politik, und der stellen wir uns und an der Stelle gibt es auch überhaupt keinen Widerspruch innerhalb der CDU. Das ist überhaupt ganz unbestritten." [….]

Da ist kein Satz dabei, der absolut falsch klingt. Dieses BlablaKK-Sprech ist darauf ausgelegt möglichst vielen zu gefallen und die Rednerin unangreifbar zu machen, weil man sich ohnehin an keine sachliche Aussage erinnert.

Selbstverständlich versuchte AKK auch in der Post-Rezo-Phase ähnlich sinnfreie Sprechblasen abzulassen, um sich bloß nicht auf irgendetwas festzulegen.

[…..]  Annegret Kramp-Karrenbauer ist bekanntlich nicht mit der Fähigkeit zum klaren Ausdruck gesegnet, darauf ist Rücksicht zu nehmen bei jeder Bewertung ihrer Einlassungen. Zwar schlimm für eine Parteivorsitzende und Anwärterin aufs Kanzleramt, aber im Zweifel gilt bei Kramp-Karrenbauer stets die Unsinnsvermutung: Vielleicht hat sie ja alles ganz anders gemeint.  […..] 

Kramp-Karrenbauer ist nur noch nicht so professionell wie Merkel und so rutschte ihr versehentlich bei all der Faselei zwischendurch auch ihre tatsächliche Meinung raus, die immerhin ehrlich und aufschlussreich war:
Da ist eine Frau sehr verletzt, empört sich über einen 26-Jährigen mit blauen Haaren und träumt davon wie Erdogan oder Orban solchen Flegeln den Mund stopfen zu können.

Für den Wähler sind solche klare Haltungen sehr positiv, wirken gegen Politverdrossenheit und kurbeln die pluralistische Diskussion an.

Der Groß-Shitstrom wird allerdings wohl dafür sorgen, daß AKK sich zukünftig noch mehr kontrolliert. Sie wird drauf achten nie wieder ihre Meinung zu sagen, sondern stets konsequent beim blubberigen Merkel-Blabla zu bleiben.
Vielleicht wird sie dann auch eines Tages so beliebt wie die beliebteste Politikerin Deutschlands: Merkel, die keine Angriffspunkte liefert.