Sonntag, 27. Oktober 2019

Thüringer Trübsal


Wie vermisse ich die Zeiten als es noch richtig gute Kabarettisten gab, als man sich schon Tage vorher auf den „Scheibenwischer“ freute.
Ich glaube, es war der frühe Hagen Rether, der nach einer Wahl in Hessen darüber orakelte wie unsympathisch ihm Flächenbundesländer ohne Außengrenzen wären.
Was das mit der Bevölkerung mache, wenn man nur von Deutschland umgeben wäre.
Das trifft bekanntlich nur auf drei Länder zu – Hessen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – und tatsächlich sind die alle ziemlich seltsam.
Hessen hat durch den Frankfurter Flughafen und die Bankenansiedlungen immerhin so etwas wie einen internationalen Anknüpfungspunkt.
Aber wenn Dörfer wie Magdeburg oder Erfurt schon das Zentrum des Geschehens bilden, schmort man viel zu sehr im eigenen Saft.
In den AfD-Hochburgen Brandenburg und Sachsen gibt es mit Potsdam oder Leipzig immerhin urbane Orte, die Zuzug verzeichnen, wo junge Menschen hinmöchten, die nicht ganz close-minded sind. Daher gibt es in den Bundesländern auch Grüne Hochburgen.
In Thüringen hingegen nichts.
Die Höhenflug-Grünen, die auf Bundesebene schon davon träumen stärkste Partei zu werden und mit Robert Habeck den nächsten Bundeskanzler zu stellen, landeten bei der heutigen Landtagswahl bei gerade mal 5%.
Eigenartiges Volk, die Thüringer. Fast 60% sind mit der bestehenden rotrotgrünen Landesregierung „zufrieden“ oder gar „sehr zufrieden“. Aber wählen wollten sie die Leute, die seit vier Jahren zweifellos erfolgreiche Politik machen und das Land bei allen Kennzahlen nach vorn brachten, nicht.
Denn da gibt es noch den Faschisten Bernd Höcke, der Hitler nicht nur mit seiner Gestik imitiert, sondern so konsequent NS-Talking Points verwendet, daß noch nicht mal wohlmeinende Parteifreunde unterscheiden können, ob Sätze aus Hitlers „Mein Kampf“ oder der Höcke-Schrift "Nie zweimal in denselben Fluss“ kommen.
Dabei ist das Odo-Double keineswegs der Thüringische Rächer, als der er seinen Flügel-Figuren erscheint, sondern ist ein reines West-Gewächs:

Schon seine Geburt in Lünen (NRW) war ein Aprilscherz: *01.04.2019.
Die Familie siedelte nach Rheinland-Pfalz über, Klein Bernd besuchte die Braunsburg-Grundschule in Anhausen (Rheinland-Pfalz, 1.300 Einwohner) und das Gymnasium in Neuwied (Rheinland-Pfalz, 60.000 Einwohner). Bundeswehr, Lehramtsstudium (Sport und Geschichte) im Hessischen Marburg und bis 2014 dementsprechend Sport- und Geschichtslehrer in Bad Sooden-Allendorf (Hessen, 8.000 Einwohner).
Schon sein Vater hatte die Holocaust-leugnende und radikal antisemitische Zeitschrift Die Bauernschaft abonniert, der junge Provinzling Bernd/Landolf beschäftigte sich ausführlich mit geschichtsrevisionistischen Volksverhetzern.
Seine Schüler wußten um seine Vorliebe für die NSdAP.

[….] Er habe oft über Charisma gesprochen und von einem Treffen seines Großvaters mit Adolf Hitler erzählt. Dessen „unglaublich blaue Augen“ seien für Höcke zentrales Element des Führerkults gewesen. [….]
(Wiki)

Vom Binnen-Bundesland Hessen ins benachbarte Binnen-Bundesland Thüringen verschlug es den Hobby-Nazi, der unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ Hetzartikel für die NPD verfasste erst um 2013, als er dort die AfD mitgründete, für die er 2014 in den Landtag einzog.

[….] Sozialwissenschaftler, Historiker und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stellen in Höckes Positionen Rechtsextremismus bzw. Faschismus, Rassismus, Geschichtsrevisionismus, teilweise Antisemitismus und Übernahme von Sprache und Ideen des Nationalsozialismus fest. [….]

Bernd Höckes faschistische, rassistische und völkische Überzeugungen sind seit Jahren so wohldokumentiert, daß beim besten Willen niemand mehr behaupten kann nicht gewußt zu haben wen er heute am 27.10.19 mit Rekordergebnis ins Parlament schickte.
Es gibt einige interessante Parallelen zum Trumpismus.
Höcke lügt sehr viel, ist genau wie IQ45 unfassbar weinerlich, beklagt sich fast kontinuierlich darüber schlecht behandelt zu werden und wird von seinen Anhängern nicht trotz seiner rassistischen Nazi-Sprüche gewählt, sondern gerade deswegen.
100.000 Stimmen aus dem Nichtwählerlager zog Höcke heute zur AfD und laut ZDF-Analysedaten geben ¾ der AfD-Wähler an, Höcke eben nicht aus Protest, sondern wegen der politischen Inhalte gewählt zu haben.
Wie nicht anders zu erwarten, rekrutieren sich die meisten braunen Wähler aus den Dummen und den abgehängten, schrumpfenden Landesteilen, wo die Deutschen unter sich sind und niemand mehr hinziehen möchte.


 
Wie bei allen Landtagswahlen werden wir auch heute mit so vielen Analysedaten versorgt, daß sich auch die brutal abgestraften Parteien mit historisch schlechten Ergebnissen irgendetwas herauspicken können, um doch irgendwie gut dazustehen. Irgendeine Relation lässt sich immer finden, die das Licht rosiger erscheinen lässt.

Dennoch sind solche Perspektiven nicht falsch.
Die abgestürzten Grünen haben natürlich einen großen Nachteil in einem schrumpfenden Bundesland ohne urbane Milieus.
Und auch das von allen Verlierern bemühte Argument, es habe in der Endphase der Wahl eine solche Zuspitzung zwischen dem Ministerpräsidenten und den Rechtsradikalen gegeben, daß viele vernünftige Wähler von Grünen und SPD, aber sogar auch der CDU gegeben, die taktisch Ramelow wählten, damit bloß nicht die AfD stärkste Partei wird.
Das Kalkül ging auf; der konservative und gläubige Ramelow taugt ohnehin nicht mehr als Bürgerschreck und vereinte sagenhafte 31% auf die Linke.
Rekord. Stärkste Partei. Die CDU wurde mit zehn Prozentpunkten deutlich überholt.


(FDP 5,0005%! Hätten das nicht 4,9999% werden können?)

Am heutigen Wahlabend schockte die Dreistigkeit der AfD-Frontmänner wieder einmal.
Der Lacher des Abends war CSU-General Blume, der in der Berliner Runde behauptete die CSU sei der Stabilitätsanker und Motor der Groko. Die Scheuer- und Seehofer-Partei, die verfassungswidrige Gaga-Gesetze macht, Untersuchungsausschüsse provoziert, Milliardenschäden verursacht und darüber hinaus das größte deutsche Strukturproblem, nämlich das steinzeitliche Internet verantwortet!

Den größten Fehler machte Paul Ziemiak, der die weitgehend sozialdemokratische Linke Thüringens, geführt von einem sehr gläubigen Christen aus dem Westen, die von ihren eigenen Wählern als „Partei der Mitte“ angesehen wird und die sich 2/3 der CDU-Wähler als Koalitionspartner wünschen, hartnäckig mit den NS-Sprechern der AfD verglich.
AKKs Wadenbeißer vollführte einen regelrechten Exzess der Ausschließeritis.
Also genau das, was die Wähler wirklich nicht mehr ertragen können.

Unnötig zu erwähnen, daß Kanzlerin und CDU-Parteichefin wie üblich in der Versenkung abgetaucht sind.

Wie es jetzt weiter geht?
Der Thüringer MP hat durch die Verfassung eine sehr starke Position. Er kann einfach im Amt bleiben, wenn sich keine andere Mehrheit findet. Das dürfte Ramelow durch sein ultrastarkes Wahlergebnis und die enormen persönlichen Zustimmungswerte noch leichter fallen.

Rechnerisch bleiben nur zwei andere Möglichkeiten: Linke, SPD, Grüne und FDP (R2G2), bei der die FDP womöglich nur toleriert. Oder Herr Ziemiak muss seinen Schuh fressen und die CDU wird doch Juniorpartner der Linken.

All das sind Konstellationen, die sich niemand wünscht, aber Wahlen in Deutschland sind schon lange kein Wunschkonzert mehr. Insbesondere nicht in Bundesländern, in denen jeder vierte Wähler bei echten Nazis sein Kreuz macht.