Der gute
Jakob Augstein entgleitet mir zunehmend. Er ist zwar nie so brillant und
intelligent wie seine Schwester Franziska, aber seine Kolumnen im SPIEGEL und
bei SPON habe ich immer gern gelesen. Ich lese sie auch noch, natürlich.
Aber
während ich früher nur gelegentliche Unvernünftigkeiten feststellte und ihn generell
mutig fand, weil er sich als einer der wenigen gegen den Journalistischen
Mainstream stellt, wird er nun zunehmend seichter und greift öfter daneben.
In
seiner aktuellen Kolumne sieht Augstein fünf Gründe zur Dankbarkeit für die Trump-Präsidentschaft.
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Der US-Präsident hat in nur sieben Wochen
die Welt verändert. Nicht nur zum Schlechten. Trump erzeugt Widerstand - das
belebt die Demokratie. Plötzlich gibt es Hoffnung: Vielleicht hat der liberale
Westen doch eine Zukunft. […..]
Der
orange Lügner macht ihn so glücklich, weil so wieder der Wert der Freiheit
erkannt werde, Liberale gegen Autoritäre aufstünden, der Journalismus so gut
wie nie wäre, die EU aufblühe und schließlich die AfD eingedämmt werde.
Es ist
nicht ganz abwegig diese Auswirkungen zu diagnostizieren, aber sie sind doch
eher Hoffnungen, denn Realität.
Ich
befürchte Augstein ist Opfer seiner optimistischen, aber eingeschränkten Informationsblase.
Ja,
einige amerikanische Zeitungen recherchieren mehr, haben Abonnenten
hinzugewonnen. Aber vor allem fluten die autoritären Lügner aus Trumps
Dunstkreis die US-Newssendungen. Und wenn sie noch so oft der Hetze und Lüge
überführt wurden, so treten sie ungehindert immer wieder auf.
Radikal-rassistische Verschwörungs-Journalisten wie die Breitbart-Bande
gewinnen enorm an Einfluss. Und in Deutschland beruft Augstein den 75-jährigen
CDU-Mann Jürgen Todenhöfer, der sich gerade scharf gegen Böhmermann und auf die
Seite Erdoğans stellte zum Herausgeber des FREITAG. Zudem wird der freie
Journalismus in der Türkei, in Russland, in Polen und Ungarn gerade komplett
abgeschafft.
Es geht journalistisch
eher bergab. Augstein sieht es aber so.
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Der Journalismus findet wieder zu sich
selbst. Die Profession, die durch das Netz in eine Sinnkrise gestürzt war,
nutzt die Gelegenheit, sich selbst und der Welt ihren Wert zu beweisen.
Politischer Journalismus war - vielleicht weltweit - niemals besser als heute.
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Ich kann
ebenfalls nicht erkennen inwiefern sich Liberale und Freiheitsliebende im
Aufwind befinden.
Es gab
nur in Spanien, dem einzigen EU-Land ohne nennenswerte rechtsradikale und
nationalistische Parteien eine größere Demonstration für die Aufnahme von
Bürgerkriegsflüchtlingen. Spanien ist aber ein liberaler Solitär.
Alle anderen europäischen Länder, inklusive Deutschland, betrieben hingegen das
Gegenteil von freiheitlicher und liberaler Flüchtlingspolitik. Mauerbau, Frontex, Zäune, Abschiebungen, Internierungslager
und Massensterben der Heimatvertriebenen.
Augstein
diagnostiziert das diametrale Gegenteil.
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Die rechte Revolution hat die politischen
Grenzen verschoben und dadurch eine neue Solidarität der Demokraten geschaffen.[…..]
Die öffentliche Debatte erlebt eine neue Blüte
- der Streit, das Gespräch, das Argument. […..]
Das
leichte Abschmelzen der demoskopischen AfD-Zahlen hat anders als Augstein schreibt,
in Wahrheit wohl wenig mit Trump zu tun, sondern einerseits mit dem Auftauchen
eines Kanzlerkandidaten, der erstmals seit vielen Jahren eine realistische
Alternative zu Merkel darstellt und andererseits damit, daß innerhalb der AfD
die ganz, ganz Rechtsextremen wie Höcke, Poggenburg und Gauland in den letzten
Monaten deutlich überzogen. Positiv über Hitler zu sprechen und vom
1000-Jährigen Reich zu orakeln schreckt in Deutschland (glücklicherweise noch)
einige konservative Wähler ab.
Es wäre
schön, wenn in den USA und Europa mehr und mehr Menschen für die
Zivilgesellschaft aktiv würden und sich gegen autoritäre Tendenzen stellten.
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Das Erstarken der Rechten ist das Fieber
der Demokratie. Die Zivilgesellschaft ist ihr Immunsystem. Und wir Einzelnen,
die wir uns fragen, was ist unsere Aufgabe, was unser Auftrag, unser Ort - wir
sind die Abwehrkörper. Wir müssen dorthin, wo die Infektion sich ausbreitet.
Und den Kampf aufnehmen.
Sicher
gibt Trump den Bürgerrechtsaktivisten Auftrieb, aber Augstein scheint völlig zu
übersehen, wie fest die GOP im Sattel sitzt!
Die
Republikaner stellen 33 und die Demokraten 16 Gouverneure. Trumps GOPer haben
als mehr als doppelt so viele Regierungschefs in den Ländern. Eine
Zweidrittelmehrheit.
Die Landkarte
nach politischen Farben sieht verdammt rot aus.
Im US-Senat
(100 Sitze) verfügen die Republikaner mit 52 Senatoren über die absolute
Mehrheit (Demokraten 46)
Auch im
wichtigen US-Repräsentantenhaus stellt Trumps Partei mit 237 von insgesamt 435
Sitzen eine sichere absolute Mehrheit. Die Demokraten dümpeln bei 193
Abgeordneten weit dahinter.
Darüber hinaus
baut Trumps Administration gerade die gesamte Justiz um und wird in Kürze
überall ultrakonservative Juristen installiert haben.
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Alle 46 US-Bundesanwälte, die während der
Amtszeit Barack Obamas ernannt worden waren, sollten zurücktreten. So hat es
die Regierung Donald Trumps gefordert. Preet Bharara, prominenter Bundesanwalt
in Manhatten, weigerte sich offenbar und wurde jetzt nach eigener Aussage bei
Twitter gefeuert. [….]
Wesentlich
dramatischer könnten Trumps Ernennungen für den Supreme Court sein, da auch
zukünftige Präsidenten diese nicht rückgängig machen können. Die obersten
Richter amtieren auf Lebenszeit und so könnten die Weichen für Dekaden auf
ultrakonservativ gestellt werden.
Kommen wir
schließlich zu den Beliebtheitswerten Trumps. Verglichen mit anderen
Präsidenten zu Beginn ihrer Amtszeit sieht es zwar mau aus, aber was bedeutet
das schon in einem Land, in dem höchsten die Hälfte zur Wahl geht und ein Mann
wie Trump mit drei Millionen Stimmen weniger als seine Konkurrentin Präsident
wurde?
Nur
jeder fünfte Amerikaner stimmte für ihn. 20% aller Amis reichen.
Da sind
seine 40-50% Zustimmung eine solide Basis, weil diese Fanatiker auch alle
wählen gehen.
Die Trump-Wähler sind immer noch von ihm begeistert; vielleicht sogar noch mehr als vor
der Wahl.
Indem
Trump sie mit seinen Lügen-Tweets bei der Stange hält, sichert er also
ausreichend seine Macht.
Anders
als Augstein mutmaße ich also, daß wir allen Grund zum Pessimismus haben. Ich
sehe keinen Grund mich über Trump zu freuen.
Und
schon gar keine fünf Gründe.