Wenn Angela Merkel reist und offiziell die Bundesrepublik
Deutschland vertritt, setzt sie natürlich keine Glanzpunkte, wie Brandt oder
Schmidt, wie aber auch gelegentlich Schröder oder Fischer.
Sie ist keine Charismatikerin, wird nie an schillernde
Persönlichkeiten wie Jitzchak Rabin, Felipe González, Olof
Palme, Bruno Kreisky, Ylva Anna Lindh, José Luis Zapatero, Zoran Đinđić, Anwar
as-Sadat, Bill Clinton, Golda Meir oder Susanna Agnelli heranreichen.
Sie ist halt bloß die pyknische Physikerin aus der
Uckermark, die hinter dem Eisernen Vorhang in ganz kleinen Verhältnissen als
Pfarrerstochter aufwuchs.
Sie ist diese erstaunlich unprätentiöse, umodische,
unwitzige, nicht schlagfertige Frau mit den ungepflegten Fingern, den viel zu
kurzen, schlecht sitzenden Blazern, der Helmut Kohl hinterherschleuderte, als
sie schon Kanzlerin war, daß sie nicht ordentlich mit Messer und Gabel essen
könne und nicht wisse, wie man sich bei Auslandsbesuchen zu benehmen habe.
Sie wird nie eine mitreißende Rednerin werden, entwickelt
keinerlei Gespür für die Stimmung im Publikum. Sie verbreitet rhetorische
Landweile, vermag keinen Enthusiasmus zu wecken. Wie auch, wenn sie selbst nie weiß in welche Richtung sie will?
[….] Im Kern plagen das Kanzleramt zwei Defizite: ein personelles und ein strukturelles. Zum einen mangelt es an straffer Leitung; dem Amt fehlt Führung an der Spitze, auch wichtige Abteilungen waren schon stärker besetzt.
Zum anderen ist die Organisation der Regierung überholt: Nach wie vor
dominiert das Ressortprinzip. Gemäß Grundgesetz ist die Regierungsgewalt
geteilt zwischen den Ministerien. Das Kanzleramt soll kontrollieren und
koordinieren. Doch in einer Zeit, in der viele Probleme Ressortgrenzen
sprengen, steigt zwangsläufig die Bedeutung der Zentrale.
So erscheint das Merkel-Amt als real existierendes Paradoxon: An der
Spitze steht eine Kanzlerin mit Richtlinienkompetenz, die aber, wenn irgend
möglich, keine Richtlinien vorgibt. Ihr assistiert ein Kanzleramtschef, der
Konflikte ausräumen und Entscheidungen beschleunigen soll, stattdessen aber
Streit schürt und Beschlüsse ausbremst.
[…] Der eigentliche Hebel einer
Kanzlerschaft besteht in der Deutungshoheit. Wirkmächtig agieren kann der
Regierungschef, wenn er Strategien formuliert - indem er Volk und Welt eine
Idee davon vermittelt, wohin man gemeinsam will, und diese Idee dann
konkretisiert. Verfassungsrechtler nennen das Richtlinienkompetenz.
Im Zentrum der Macht herrscht inhaltliche Leere
Ideen? Konzepte? Strategien? All das ist Merkels Sache nicht. Im
Zentrum der Macht herrscht eine bedrückende inhaltliche Leere.
Das beklagen auch Topentscheider des Regierungsapparats selbst, die die
Stiftung Neue Verantwortung kürzlich befragen ließ. Um in einem immer
unsichereren Umfeld managen zu können und den Ereignissen seltener
hinterherzurennen - "vor die Lage" zu kommen, wie Ministeriale das
nennen -, wünschen sich die meisten Befragten mehr strategisches Denken und
mehr Koordination.
Ihr weltpolitisches Gewicht verdankt sie ihrer Fähigkeit das
einzige durchzusetzen, das ihr wirklich wichtig ist: Sie mag gern Kanzlerin
sein.
Nach fast zwei Dekaden CDU-Vorsitz, 29 Jahren als Ministerin/
Oppositionsführerin/Kanzlerin an der absoluten Spitze der Politik kennt sie
jeder und sie kennt jeden. Insbesondere zeigt diese fast drei Jahrzehnte währende Spanne als Toppolitikerin, daß sie fähig ist
alle anderen zu überleben.
Diese Zähigkeit verdankt sie ihrer Taktiererei, ihrer Vorsicht, ihrem Desinteresse
und insbesondere ihrer persönlichen Geheimwaffe: Sie ist immun gegen
Beleidigungen. Alpha-Männer in aller Welt und jede Menge Beta-Männchen zu Hause
haben versucht ihr ans Schienbein zu pinkeln. Aber sie bemerkt das gar nicht.
Hillary Clinton charakterisierte Trump zutreffend als
extrem leicht zu provozierenden Mann.
"A man you can
bait with a tweet is not a man we can trust with nuclear weapons."
Merkel ist das diametrale Gegenteil. Falls Deutschland jemals
mit Atomwaffen angegriffen werden sollte, ist es gut möglich, daß sie das bloß
achselzuckend zur Kenntnis nehmen würde.
Seehofer kann sie minutenlang wie ein Schulmädchen auf
offener Bühne unter dem Gejohle angetrunkener rotnäsiger CSUler abkanzeln. Ministerpräsident
Berlusconi versuchte es bei einem Gipfel mit einer ähnlichen Methode. Er gab 2009 beim Natogipfel am Rhein den Seehofer als er
Gastgeberin Merkel minutenlang auf
dem roten Teppich stehen ließ und erst mal telefonierte. Eine
extreme diplomatische Unflätigkeit.
Das perlt einfach an ihr ab.
Eine Episode aus dem Kanzler-Airbus im Mai 2011 zeigt das
sehr eindrücklich. Mit Merkel und Vizekanzler Westerwelle an Bord war die
Regierungsmaschine in Richtung Indien gestartet. Alle Staaten haben sich
verpflichtet andere Regierungsmaschinen stets passieren zu lassen; also war es
ein diplomatischer Eklat, als Iran plötzlich die Überflugrechte verweigerte und
die Kanzlermaschine zwang zwei Stunden über der Türkei zu kreisen.
Westerwelle, der wie kein Zweiter darauf achtete geehrt und
bewundert zu werden, tobte vor Wut. Mitreisende Journalisten erlebten einen
Chefdiplomaten im Rumpelstilzchen-Modus, der das Verhalten Teherans als
persönlichen Affront wertete und gespreizte Drohungen ausstieß.
Als schließlich auch Merkel vom zeternden Westerwelle geweckt
wurde, winkte sie nur ab. Diese Spielchen waren ihr ganz egal; im Gegenteil,
die zwei Stunden zusätzlichen Schlafes nahm sie gern.
[….] Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte daraufhin den iranischen
Botschafter einbestellt. Staatssekretär Born unterstrich bei dem Gespräch, dass
eine Überflug-Genehmigung vorgelegen habe und es sich deswegen um einen
"präzedenzlosen Vorfall" handele, der internationalen Gepflogenheiten
widerspreche. Born äußerte die Erwartung der Bundesregierung, dass sich so
etwas nicht wiederhole. Der iranische Botschafter habe zugesichert, seine
Regierung "unverzüglich über die Haltung der Bundesregierung zu
unterrichten", hieß es in der Mitteilung des Auswärtigen Amts.
Westerwelle hatte zunächst empört auf die Reisebehinderung der
Kanzlerin reagiert: "Das ist eine Respektlosigkeit gegenüber Deutschland,
die wir nicht hinnehmen werden", sagte er.
Die Bundeskanzlerin, die während des Zwischenfalls geschlafen hatte,
zeigte sich gelassener. Es sei "sicherlich vernünftig, mal zu fragen, was
gewesen ist", kommentierte die CDU-Politikerin die Einbestellung des
Botschafters. Dabei gehe es aber "überhaupt nicht um Verärgerung",
sondern um Aufklärung, betonte die Kanzlerin. [….]
In der Welt von 2019 vergleicht man Merkel aber nicht mehr
mit diplomatischen Ikonen und intellektuellen Staatsmännern, sondern mit
korrupten, malignen, bösartigen Narzissten wie Jarosław Kaczyński, Theresa May,
Boris Johnson, Silvio Berlusconi, Recep Tayyip Erdoğan, Mike Pence, Jair
Bolsonaro, Bibi Netanjahu, Rodrigo Duterte oder dem hier:
Merkels erste Auslandsreise als Kanzlerin führte sie nach London
und wurde wohlwollend rezipiert.
Volker Pispers regte sich noch jahrelang über die eigens für
Merkel erfundene Bewertungskategorie „besser als erwartet“ auf.
Mit der Methode absolvierte sie beispielsweise auch ihre
Kanzlerduelle im TV. Sie war dann doch besser als erwartet.
„Was haben die denn erwartet?“, giftete Pispers, „daß sie
auf den roten Teppich kotzt oder Tony Blair in den Schritt greift?“.
Das sind inzwischen keine allzu abwegigen Kategorien mehr in
Zeiten, in denen Politiker stolz sind anderen an die Pussy zu grabben, auf der
Bühne andere Regierungschefs wegschubsen, lügen wie gedruckt, Präsidenten die
Haare verwuscheln oder schlicht und ergreifend völlig desinformiert und
desinteressiert umherbanausen.
Immerhin, das muss man bei Merkel nicht befürchten.
Wenn sie irgendwo einfliegt, weiß sie doch in welchem Land
sie sich gerade befindet, ist in der Lage elementare Regeln der Höflichkeit
einzuhalten.
Sie gibt allen die Hand und die Deutschen müssen sich nicht
für sie in Grund und Boden schämen, wie es Amerikaner, Polen oder Ungarn
inzwischen für ihre Regierungen gewöhnt sind.
Wenn Merkel sich ausnahmsweise mal, wie zuletzt auf der
Münchner Sicherheitskonferenz halbwegs deutlich ausdrückt und zu einer
Selbstverständlichkeit, wie dem Multilaterismus bekennt, sind das in der
Trump-Pence-Erdogan-Welt schon Gründe geradezu zufrieden mit der CDU-Frau zu
sein.
Man wird ja so bescheiden. Da wallen in der deutschen Presse
sofort Huldigungsorien auf.
[….] Auf der Sicherheitskonferenz mahnte die Kanzlerin zu Zusammenarbeit.
Ihr Loblied auf den Multilateralismus fand Zustimmung, ihre Gedanken werden
lange nachwirken. [….]
[….] Merkels Bekenntnis. Kanzlerin Merkel wandte sich mit einer
Grundsatzrede an die Sicherheitskonferenz: Umweltverschmutzung, Klimawandel,
Kampf um Ressourcen - das alles habe globale Folgen. [….]