Freitag, 20. Juli 2018

Milde Xenophobie – Teil II


Wenn man sich durch Sahra Wagenknechts Onlinepräsenzen klickt, muß man die effektive Öffentlichkeitsarbeit bewundern.
Obwohl sie nie ein Regierungsamt hatte, über keinerlei praktische Verwaltungserfahrung verfügt, nie einen Beruf außerhalb des Parlaments ausübte und sogar in ihrer eigenen Partei hochumstritten ist, schafft sie es immer spielend in die Liste der zehn wichtigsten Politiker.
Sie ist bekannter als fast alle Bundesminister, gilt als hoch authentisch, sitzt gefühlt in jeder zweiten Talkshow und ballert so klar formuliert ihre immer gleichen Kernthesen raus, daß auch völlig unpolitische Wähler verstehen wofür sie steht:
Macht der Banken und Konzerne brechen, den Hochvermögenden an den Geldbeutel, Lobbyisten rauswerfen, viel mehr Geld für die Ärmsten, Rüstungsexporte stoppen, radikale Demilitarisierung, Annäherung an Russland, Verdammung Amerikas und der NATO.
Das ist eine durchaus beachtliche Leitung in einer verschachtelten Medienwelt aus Informationsblasen, in der viele Politiker für den Laien ununterscheidbar, unkonkret und austauschbar wirken.
Seit Jahren wird (weitgehend zu Unrecht) der SPD attestiert, man wisse nicht wofür sie stehe und es mache gar keinen Unterschied, ob sie mitregiere oder nicht.
Ich halte das für eine falsche, zumindest aber verzerrte Wahrnehmung, konstatiere aber, daß viele es so sehen.
Offensichtlich haben es viele SPDler jedenfalls nicht geschafft sich ein auch nur annähernd so klares Profil wie Wagenknecht zuzulegen.
Wissen mehr als drei Prozent der Bevölkerung wofür Thorsten Schäfer-Gümbel, Svenja Schulze oder Carsten Sieling stehen, die alle ähnlich lang politisch aktiv sind? Was hat eigentlich Dietmar Woidke, immerhin seit fünf Jahren Ministerpräsident des Landes Brandenburg für politische Ansichten? Oder Doris Ahnen, die seit 17 Jahren Landesministerin ist und seit 11 Jahren dem SPD-Vorstand angehört? Trotz all der Zeit mit exekutiver Macht sind sie verglichen mit Wagenknecht, die nie eine Position in der Exekutive bekleidete völlig unbekannt.
Es kommt noch besser – Wagenknecht ist eine der wenigen, der man nicht zutrauen würde sich korrumpieren zu lassen, falls sie übermorgen durch ein Wunder Bundesministerin würde.
Sie erreicht das alle durch geschickte PR, zu der natürlich auch ihre ikonographische Optik gehört und die hunderttausendfach durchs Netz gejagten knackigen Zitate, die meistens aus der „wir Kleinen gegen die da oben“-Perspektive geschrieben, gut nachvollziehbar, sympathisch und eingänglich sind.
Es wäre schön, wenn irgendein Grüner oder Sozi das auch könnte. Wenigstens ein paar SPDler, die als reziproker Jens Spahn unterwegs wären; also ebenso öffentlichkeitsaffin und selbstdarstellerisch, aber im Gegensatz zu ihm mit sympathischen und positiven Botschaften.

Zur Ehrenrettung der Sozis sei erwähnt, daß Regieren selbstverständlich schwieriger ist, als draußen zu sitzen und Forderungen anzustellen.
Frau Wagenknecht wird das auch ganz genau von ihrem Ehemann wissen, der nach wenigen Wochen im absoluten Top-Job neben dem Bundeskanzler wie ein bockiges Gör alles hinwarf, Parteivorsitz und den Posten des Bundesfinanzministers in die Tonne trat und seither schmollend in der Ecke sitzt.

Gegen Waffen und für Frieden – wer würde das nicht unterschreiben?
Man muss aber auch kein Bellizist sein, um zu verstehen, daß man ohne Waffen nichts erreicht, wenn der IS Hunderttausende jesidische Frauen und Kinder abschlachtet.
Bei Genoziden hilft nur eine schlagkräftige Armee von außen und eine entsprechende Regierung, die es wagt sich die Hände schmutzig zu machen.
Es war eben richtig, als Joschka Fischer nach Srebrenica den Casus belli anerkannte, während sich Kirche und Linke einen schlanken Fuß machten.

(….) Nach dem Massaker von Srebrenica im Juli 1995, als Ratko Mladić bis zu 10.000 Bosniaken umbringen ließ, konnte man dem nicht mehr zusehen.
Das war ein Genozid mitten in Europa und Slobodan Milošević dachte gar nicht daran damit in Zukunft aufzuhören.
Joschka Fischer reiste immer wieder zu ihm und verhandelte in harten langen Vieraugengesprächen mit ihm, malte ihm aus, was sein Kurs für Serbien für Konsequenzen haben würde.
Es war eine sehr harte, aber richtige Entscheidung, die Deutschland dann traf. Deutschland durfte einem Genozid in Europa nicht weiterhin zusehen.
Und bis heute habe ich von denjenigen, die damals so extrem den angeblichen Kriegskurs der rotgrünen Bundesregierung kritisierten keinen einzigen Satz dazu gehört, was sie denn an der Stelle der Schröder-Fischer-Regierung gemacht hätten – außer mit bequemen Abstand zusehen wie weiterhin Myriaden Menschen massakriert werden. (….)

Die Linke hat es so schön einfach.
Krieg?
Da sind wir dagegen.
Waffen?
Dagegen.
Hartz IV?
Dagegen.

Aber dagegen zu sein hilft den unter Bombenteppichen sterben Syrern und Jemeniten leider überhaupt nicht.
Und gegen Hartz IV zu sein, bedeutet noch lange nicht ein Konzept zu haben was stattdessen kommen soll und erst recht ist damit nicht gesagt, wie man dafür eine realistische Mehrheit finden soll.

Persönliche Anmerkung: Ich unterstütze übrigens sie Idee von einem bedingungslosen Grundeinkommen von 1.500 Euro/Kopf. Ich halte das sogar für finanzierbar, wenn man die gewaltige bürokratische Maschinerie, die dann entfallen kann damit verrechnet und 100.000 Finanzbeamte stattdessen auf Jagd nach Steuerflüchtlingen und Steuerbetrügern schicken könnte. Eine politische und parlamentarische Mehrheit wird es dafür aber in den nächsten 50 Jahren garantiert nicht geben. Insofern ist das Konzept sinnlos.

Aber das ist das Privileg aller Oppositionsparteien. Sie können fordern und müssen sich nicht an der Realität messen.
Die SPD hat es in der Opposition versucht immer seriös zu sein, sich Gegenfinanzierungen zu erarbeiten, genau zu berechnen, welche Forderungen finanziell umsetzbar sind. Was hat es ihr genützt? GAR NICHTS.
Die Parteien ganz ohne Konzepte (AfD, FDP) waren die großen Wahlgewinner.
Ich werfe diesbezüglich der LINKEn nichts vor.

Sehr abgestoßen bin ich aber von Sahra Wagenknechts Bereitschaft populistisch im braunen AfD-Sumpf zu fischen.

(….) Nicht jeder, der ein mulmiges Gefühl bei Muslimen und dunkelhäutigen Ausländern bekommt, ist zwangsweise ein AfD-affiner Rassist. Offenkundig gibt es auch Abstufungen von Xenophobie zwischen den Extremen Gauland und mir.
Es gibt Leute, die meiner Auffassung von der völligen Grenzöffnung nicht folgen können und unbedingt weniger Migranten in Deutschland haben wollen, die aber dennoch Mitleid mit Flüchtlingen haben und noch lange nicht Seehofer folgen.
Diesen milden Xenophoben versucht auch Sahra Wagenknecht nachzulaufen, wenn sie immer mal wieder AfD-Rhetorik verwendet, oder neuerdings auch noch gegen Schwule agitiert. Das ist zwar widerlich und macht die LINKE für mich unwählbar, aber Wagenknecht ist nur skrupellos und unsensibel. Sie ist nicht selbst eine derartige Ausländerhasserin wie Pegidioten, Storch oder Höcke.
Diese moderaten Ausländer-Ablehner möchten gern, daß im Krankenhaus alle deutsch sprechen, daß die hier lebenden Migranten schön still und möglichst angepasst leben und nicht etwa als Kurden für ihre Rechte demonstrieren. Sie wollen aber nicht jeden einzelnen rauswerfen und gruseln sich bei herzzerreißenden Szenen, wenn Familien bei nächtlichen Abschiebungen auseinandergerissen werden.
Kurzum, sie sind eben nicht so mies wie Söder. (….)

Wagenknecht ist viel zu intelligent, als daß ihr sowas einfach rausrutschen würde.


Sie benutzt die ausländerfeindlichen Trigger dosiert und wohlüberlegt.

[…..] Mein Aufschlag zur linken Flüchtlingspolitik: Es geht nicht darum, Positionen über Bord zu werfen, sondern um ein realitätstaugliches Konzept. Und es geht darum, sensibler mit den Ängsten von Menschen umzugehen, statt sie als "rassistisch" zu diffamieren und damit Wähler regelrecht zu vertreiben. Dass Angela Merkels Integrationspolitik zu Lasten der weniger Wohlhabenden geht, sollte unstrittig sein. Die Konkurrenz um Sozialwohnungen und um Jobs, gerade im Niedriglohnbereich, verschärft sich, Schulen in ärmeren Wohnvierteln werden noch mehr überfordert. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Begriff der Weltoffenheit für einen ehemaligen Erasmus-Studenten, dem aufgrund hoher Qualifikation und fundierter Sprachkenntnisse ein globaler Arbeitsmarkt offen steht, einen ganz anderen Klang hat als für einen Arbeitslosen, der seinen Job vielleicht gerade durch eine Betriebsverlagerung in einen Billiglohnstandort verloren hat. Oder für einen im Niedriglohnsektor Beschäftigten, der jetzt noch mehr Konkurrenz und damit Druck auf sein Einkommen erlebt. Statt mit der Forderung "Offene Grenzen für alle" Ängste gerade bei denen zu befördern, die seit Jahren vom Abbau des Sozialstaates und zunehmender Lebensunsicherheit betroffen sind, sollten wir uns darauf konzentrieren, das Asylrecht zu verteidigen. Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht, das nicht immer weiter ausgehöhlt werden darf. Aber es bedeutet nicht, dass jeder, der möchte, nach Deutschland kommen und hier bleiben kann. Deshalb muss unser Schwerpunkt auf der Hilfe vor Ort und der Bekämpfung von Fluchtursachen liegen, wie unfaire Freihandelsabkommen, Interventionskriege und Waffenexporte. […..]

Wagenknecht eben – eine ihrer typischen öffentlichen Stellungnahmen, in der sie viel Richtiges sagt, aber wenigstens auch ein bißchen gegen Ausländer agitiert und der AfD der Hintern leckt.


Wagenknecht-Quotes finden sich immer öfter auch in den Twitter-Accounts und FB-Timelines von richtig Rechten.
Typischerweise mit dem Vermerk „Ich mag die Linken zwar nicht, ABER damit hat sie recht“.
Mutmaßlich gewinnt das braune Paar aus Saarbrücken, das so sehr von einer neuen Sammlungsbewegung träumt, damit auch ein paar Anhänger hinzu.
Wenn die dann nicht AfD wählen, wäre es auch sogar zu begrüßen.


Ich meine aber, daß sie auf der anderen Seite noch mehr Wähler verlieren, weil sie von diesen ständigen Spitzen gegen Flüchtlinge/Zuwanderer/Asylanten abgestoßen sind.

Aus grundsätzlichen moralischen Überlegungen könnte ich als erklärter R2G-Befürworter niemals die Linke wählen solange Lafontaine/Wagenknecht an der Spitze mitmischen und unablässig ihre xenophobe Melodie singen.