Mittwoch, 31. Oktober 2012

Anstand, was ist das?



Es gibt diese regionalen Krätz-Meldungen, die verglichen mit “Sandy” oder Syrien vollkommen lächerlich sind, aber dennoch das Potential haben, mich in Rage zu versetzen.

Die Straße, in der ich ständig einkaufe, die in den letzten drei Jahren zweimal komplett neu gemacht wurde und nun so aussieht, daß man vom Boden essen könnte, soll ein drittes Mal umgebaut werden.
 Wie immer in der Innenstadt gibt es natürlich viel zu wenige Parkplätze. Das treibt Anwohner und Leute, die da shoppen wollen regelmäßig zur Verzweiflung.  
 Da bietet es sich doch an, wieder ein paar Millionen Euro in die Hand zu nehmen, um noch mal zwei Dutzend Parkplätze wegzunehmen.
Auch die [xxx] Straße könnte von drastischen Umbauten betroffen sein. Der Bezirk prüft hier, nur noch Längsparkplätze einzurichten - 22 Stellplätze würden damit wegfallen. [….]
Ziel des Busbeschleunigungsprogramms ist die Schaffung zusätzlicher Fahrgastkapazitäten auf den wichtigsten Metrobuslinien. Dieses Ziel soll durch eine konsequente Bevorzugung an Ampeln, die Einrichtung von Busspuren und den Umbau von Haltestellen erreicht werden.
 Warum ärgert einen sowas so sehr?

Ich nehme an, weil es einem mal wieder aufzeigt, daß in diesem Land irgendwas mit der Verteilungsgerechtigkeit nicht stimmt.
„Bund, Länder und Gemeinden steuern in diesem Jahr auf Steuereinnahmen in der Rekordhöhe von 602,4 Milliarden Euro zu. Das sind 5,9 Milliarden Euro mehr als zuletzt erwartet, wie der Arbeitskreis Steuerschätzung mitteilte.“
 Scheinbar sprudelt es ja nur so rein, während Millionen Deutsche in „prekären Jobs“ des Niedriglohnsektors ausharren und man anfängt demente Omen und Open nach Osteuropa abzuschieben, weil der Staat ja leider kein Geld hat, um ihnen in Deutschland eine adäquate Betreuung zukommen zu lassen.

Heute kann man es sich nicht mehr leisten sich nicht für Politik zu interessieren. 
Denn dieser Luxus ist nur verfügbar, wenn man einen Funken Vertrauen zu den handelnden Personen generieren konnte.
Glaubte ich Merkel wäre eine grundlegend anständige Person und wüßte was sich gehört, müßte ich mich nicht mehr mit Details des politischen Streits rumplagen.


Jakob Augstein hat dazu diese Woche anlässlich des Grünen Durchmarsches in Stuttgart (und BW) ein paar treffende Sätze formuliert.
Die Grünen sind für die Moderne zuständig, die CDU für das Ressentiment. Darum siegt die Öko-Partei in Stuttgart. Und die Union führt Wahlkampf auf dem Rücken von Asylbewerbern.
Die Nächte sind jetzt kalt. Aber die Berliner Polizei ist noch kälter: Sie hat den Asylbewerbern, die seit Tagen vor dem Brandenburger Tor ausharren, die Decken weggenommen. Nach Polizeiangaben verstoße der "Einsatz von Übernachtungs-Utensilien" gegen geltendes Recht. So geht eine CDU-geführte Behörde gegen die Ärmsten der Armen vor. Das passt. Gleichzeitig hat Merkels Innenminister Friedrich den Kampf gegen angeblichen Asylmissbrauch entdeckt. Er will Sinti und Roma daran hindern, nach Deutschland zu flüchten. Trotz allen Geredes von der modernisierten Union: CDU und CSU sind immer noch die Parteien des Ressentiments.
[…] Die Grüne Claudia Roth musste nicht übertreiben, als sie am Wochenende sagte: "Zur Union fällt mir Mappus ein, fallen mir Plagiate ein, fällt mir die Art und Weise ein, wie sie mit Griechenland in der Euro-Krise umgehen. Das ist alles andere als bürgerlich und anständig." Das ist das Problem der Union: Vom Plagiator Guttenberg über den Schnäppchenjäger Wulff bis zum Innenminister Friedrich, der seinen Wahlkampf auf dem Rücken von Sinti und Roma führen will, hat die Union vergessen, was sich gehört.
 (J. Augstein 29.10.12)