Peer Steinbrück verweist angesichts der dramatischen
Warnungen von internationalen Ökonomen gerne auf den Wahlkampf 2013.
Genau das was jetzt unter Merkel so furchtbar aus dem
Ruder läuft, hatte er tatsächlich kommen sehen und eine Alternative angeboten.
Finanztransaktionssteuer, Schuldenschnitt, Bürgerversicherung,
Gleichberechtigung, Vermögenssteuer, Abschaffung des
Zweiklassengesundheitssystems.
Das wurde plakatiert, kommuniziert und multipliziert.
Für die Doofen wurde das SPD-Wahlprogramm 2013-2017 sogar in „leichter Sprache“ stark vereinfacht
veröffentlicht.
Für die gleiche Arbeit soll jede Frau und jeder Mann den gleichen Lohn
bekommen. Egal, ob man in einer Firma einen festen Arbeitsplatz hat. Oder ob
man in einer Firma für eine kurze Zeit aushilft.
Die Firmen und Banken, die die Krise gemacht haben, sollen nun auch die
Kosten bezahlen. Deswegen wollen wir
Steuern auf Geld-Geschäfte. Das bedeutet: Auch wenn man nur mit Geld handelt, muss
man Steuern bezahlen
Sehr reiche Menschen sollen mehr Steuern bezahlen. Manche reiche Menschen
bezahlen keine Steuern, obwohl sie das müssen. Das ist Betrug. Wir wollen mehr gegen den Betrug machen
Viele ausländische Menschen leben schon lange in Deutschland.
Und sie arbeiten oft schon lange hier.
Aber einen deutschen Pass haben sie nicht. Denn man darf nur einen Pass von einem Land
haben. Man muss sich für einen Pass
entscheiden. Das finden wir ungerecht.
Darum wollen wir: Ausländische
Menschen dürfen zwei Pässe haben:
Den ausländischen Pass und den deutschen Pass.
Alle Menschen in Deutschland sollen Geld in eine Bürgerversicherung
einzahlen.
Das ist eine Kranken-Versicherung und eine Pflege-Versicherung.
Wer mehr verdient, zahlt mehr in die Versicherung ein.
Wer weniger verdient, zahlt weniger ein.
Das alles wollte die Mehrheit der Wähler aber
offensichtlich keinesfalls. Das beweist der enorme Stimmenzuwachs von fast acht
Prozentpunkten für Merkel und die CDU, die auf 41,5% kamen und um ein Haar die
absolute Mehrheit schafften, da mehr als 15% der Stimmen (Piraten, AfD, FDP und
NPD) unter der 5%-Hürde hängenblieben.
Offensichtlich verwechselt der Urnenpöbel Mehltau, Phlegma,
Entscheidungsschwäche und Stillstand mit Kontinuität und Stabilität.
Aus lauter Angst etwas könne sich ändern, womöglich
werde einen etwas abverlangt oder gar weggenommen, scharen sich die Wähler
hinter der stets schweigenden Merkel. Regierende Parteien einfach abwählen???
Das mag der obrigkeitshörige Deutsche gar nicht! Bei 18 Wahlen zum deutschen Bundestag
wurde nur ein einziges mal – nämlich 1998 – eine bestehende Regierung komplett
abgewählt und durch neue Parteien ersetzt. In den anderen 17 Fällen wurde
mindestens eine Regierungspartei wiedergewählt.
Es gärt in Europa. Der politische Protest ist zurück, bei den Griechen,
Italienern, Briten. Nur in der Bundesrepublik nicht. Hier ist die Demokratie
eingeschlafen. Denn die Deutschen verwechseln Apathie mit Stabilität.
[….] Die Mitte
ist der Ort der politischen Korruption. Die Demokratie stirbt in der Mitte. Wir
vergessen leicht: Mit der reinen Demokratie haben wir es im Westen ohnehin
nicht zu tun. Sondern mit gemischten Staatsformen, in denen die Macht von
Repräsentanten des Volkes und einer neuen Aristokratie gemeinsam ausgeübt wird.
Das erfordert eine feine Balance. [….] Ja,
die deutsche Politik hat einen zu engen Horizont. Unter dem bleiernen Himmel
der "Alternativlosigkeit" erstickt die Demokratie. Wenn das Volk von
einem Machtwechsel immer weniger hat, dann bleibt ihm nur, der Politik den
Rücken zu kehren oder sich gegen die ganze Politik zu wenden. Beides geschieht.
[….] Bislang
gelingt es in Deutschland nicht, die Unzufriedenheit in produktive Politik
umzumünzen. AfD und Pegida sind der Aufstand der Ohnmächtigen, die Renaissance
des Ressentiments. Da wird das "Nein" zur einzig schöpferischen Tat.
Und das Netz, das anderswo zur Quelle des Protests wurde, hat in Deutschland
nur das gescheiterte "Piraten"-Projekt hervorgebracht. [….]
Seitdem Merkel und Schäuble die Axt an Europa anlegen
und der Rassismus immer mehr auflebt, sind die
C-Parteien sogar noch beliebter.
Der Urnenpöbel steht auf Merkel und will sie liebend
gern in eine vierte Legislaturperiode schicken – diesmal mit absoluter Mehrheit.
Die Verzweiflung der SPD ist angesichts dieser
Merkelphilie verständlich.
Schadet man sich nicht selbst am meisten, wenn man
ausgerechnet diese in Deutschland so ungeheuer beliebte und geachtete Frau
angreift?
Das wäre in etwa so, wie zu gestehen, daß man Fußball
und Hunde hasst.
Damit macht man sich auf jeden Fall bei der Mehrheit
der Leute fürchterlich unbeliebt.
Vielleicht ist also ein Frontalangriff auf Merkel eher
etwas für unabhängige Blogger, während SPD-Spitzenpolitiker mehr Respekt zollen
sollten.
Das ist aber alles noch kein Grund dafür Merkel zu imitieren und gar in die Lobeshymnen einzufallen.
Das ist aber alles noch kein Grund dafür Merkel zu imitieren und gar in die Lobeshymnen einzufallen.
Politiker anderer Parteien müssen stets die
inhaltlichen Differenzen aufzeigen, die alternativen Konzepte hochhalten –
gerade in einer Zeit, in der die Kanzlerin von der „Alternativlosigkeit“ lügt.
Es gibt immer Alternativen.
Es darf aber nicht SPD-Politik sein gescheiterte und
falsche CDU-Politik zu übernehmen, nur weil man davon einen wahltaktischen
Vorteil erhofft.
Anders als bei den Rechten, für die Glaubwürdigkeit
kaum eine Rolle spielt – Merkel und insbesondere Seehofer vertreten zu jedem
Thema mindestens zwei sich diametral widersprechende Meinungen. Machterhalt
gilt in dem Obrigkeit-fixierten Kanzlerwahlverein alles.
Bei den Anhängern des eher linken Spektrums ist es
aber genau umgekehrt.
Dort ist „Zickzack-Siggi“ ein böses Schimpfwort, weil
Gabriels Kurswechsel bei TTIP oder der Vorratsdatenspeicherung überhaupt gar keine
inhaltlichen Begründungen bekamen.
Im SPIEGEL von gestern (08.08.2015) kann man in dem
Artikel „Die Geheimniskrämer“ (s.24 ff) detailliert über das Mauern und Versagen
der deutschen Geheimdienste nachlesen, wie sie von Regierung und Parteien dabei
unterstützt werden möglichst alle Skandale zu vertuschen und nun sogar gegen
kritische Journalisten, die im Aufklärung bemüht sind, unter Druck setzen.
So geht es nicht. Die SPD darf sich hier nicht wegducken
und den Kurs des Kanzleramts unterstützen.
Gerade wenn die SPD es aus eigener Macht nicht
durchsetzen kann, sollte sie jeden Tag offensiv vortragen, daß sie anders als
die CDU Snowden nach Deutschland holen möchte, daß sie Julian Assange befragen
möchte, daß sie die Selektorenliste veröffentlicht haben möchte, daß Maaßen
sofort entlassen werden muß und daß der USA mit harschen Reaktionen gedroht
werden muß, wenn sie nicht augenblicklich alle ihre Ausspähungspraktiken
offenlegt.
Und dann gibt es noch den Bereich Waffenexport, der
sogar wie TTIP ausdrücklich in Gabriels Verantwortungsbereich liegt.
Da einfach die Schleusen wieder zu öffnen und die
Krisenwelt mit deutschen Waffen zu versorgen ist moralisch untragbar. Den Konflikt
mit der CDU muß Gabriel aushalten, indem er wieder mehr Waffenexporte stoppt.
Wieder einmal hat der verdienstvolle Hamburger Linke Jan
von Aken nachgefragt und damit Gabriel geärgert.
Neben den Gesamtsummen hat das Ministerium auch den Wert der genehmigten
Exporte in die arabischen Staaten und Nordafrika veröffentlicht. Mit insgesamt
587 Millionen Euro liegt die Summe für die Region im ersten Halbjahr 2015 mehr
als doppelt so hoch wie im Vorjahreszeitraum. Dafür sorgen unter anderem Genehmigungen
für Algerien, Kuwait und Saudi-Arabien.
In den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 wurden
schon mehr Waffenexporte genehmigt als im gesamten Jahr 2014. Darunter 12
Spürpanzer Fuchs an die absolute Diktatur Kuwait und ein Dolphin-U-Boot an das
Land, das als einziges der Welt wie besessen eine Entspannung mit dem Iran
blockiert: Israel.
"Die deutschen Waffenexporte sind völlig außer Kontrolle",
kritisierte der Oppositionspolitiker. Die Grünen-Verteidigungsexpertin
Agnieszka Brugger warf dem zuständigen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel
(SPD) vor, mehr "Wert auf die Interessen der Rüstungslobby als auf
Menschenrechte und Frieden" zu legen.
[….] Nach
Angaben des Magazins "Der Spiegel" ist der Wert der sogenannten
Einzelgenehmigungen von Januar bis Juni 2015 um rund 50 Prozent auf 3,31
Milliarden Euro gestiegen. Rechnet man die Sammelausfuhrgenehmigungen hinzu,
zumeist Kooperationen mit NATO-Partnern, ergibt sich der Gesamtwert von 6,35
Milliarden Euro.
[….] "Das
sind dramatische Zahlen, die vor allem für Sigmar Gabriel und seine SPD
hochnotpeinlich sind", sagte van Aken. Daran zeige sich, "dass diese
Regierung genau so hemmungslos Waffen in alle Welt liefert wie ihre
Vorgänger". Grünen-Politikerin Brugger erklärte, "das wahre und
hässliche Antlitz der schwarz-roten Bundesregierung bei den
Waffengeschäften" werde deutlich. Gabriel habe Waffenexporte zwar als
Geschäft mit dem Tod bezeichnet, "jenseits von markigen Sprüchen und
leeren Versprechen aber kaum geliefert".
[….] Ungeachtet
der Euro-Krise steigert die deutsche Industrie ihre Ausfuhren in neue
Rekordhöhen und profitiert dabei insbesondere vom boomenden Geschäft mit den
USA. Hatten deutsche Firmen bereits im Jahr 2014 Produkte im Wert von 1,134 Billionen
Euro und damit mehr denn je zuvor ins Ausland verkauft, so liegen die
Exportbeträge in diesem Jahr bislang sogar noch deutlich höher als im
Vorjahreszeitraum. [….] Ungeachtet
der Euro-Krise strebt die deutsche Industrie neuen Exportrekorden zu. [….] Dabei sorgen allein die Exporte dafür, dass
die deutsche Industrie weiter wächst. So sind die Aufträge, die deutsche
Unternehmen aus dem Inland erhielten, im Juni um zwei Prozent gefallen. Damit
zieht die Bundesrepublik ihren Profit weiterhin aus Verkäufen in andere
Staaten, die sich letztlich dafür verschulden müssen; in den ersten fünf
Monaten des laufenden Jahres stiegen etwa die deutschen Lieferungen in
Krisenstaaten wie Griechenland (+1,1 Prozent), Italien (+4,6 Prozent), Portugal
(+8,3 Prozent) und Spanien (+9,9 Prozent) teilweise deutlich an. Diese werden
damit tendenziell noch weiter in die Verschuldung getrieben. Die deutschen
Exportgewinne verschärfen damit nicht nur aktuelle Krisen, sie drohen auch zu
Treibern für Verschuldungskrisen von morgen zu werden. [….]
Womit haben wir so einen Parteivorsitzenden verdient?
Die arme SPD.
Es gibt wieder einmal viel Gelegenheit sich intern zu
streiten – und damit die schweigende Kanzlerin des Nichtstuns gut aussehen zu
lassen.
[….] Die nächste Bundestagswahl findet
2017 statt. Das ist nach Berliner Maßstäben noch eine halbe Ewigkeit. Nun kann
aber keine Partei nach innen gerichtete Ewigkeitsdebatten so intensiv führen
wie die SPD; die NRW-Spitzenfrau Hannelore Kraft nennt das "wir gegen
uns" (wgu). Dass die jüngste Wgu-Urwahl-Diskussion von einer aus Bayern
stammenden Juso-Politikerin befeuert wurde, überrascht wenig. Kein
SPD-Landesverband hat so viel Erfahrung in der Organisation erfolgloser
Wahlkämpfe wie die Bayern-SPD.
Die Urwahl-Nummer ist
ziemlich wgu, weil sie sich nicht nur wegen des Zeitpunkts in erster Linie
gegen Gabriel richtet. Den mag einerseits die Parteilinke nicht, die unter
Funktionären nicht unterrepräsentiert ist. Andererseits herrscht in der SPD
auch Frust über die missliche Stabilität der Umfragewerte im Bund. Die Partei
kommt nicht über 25 Prozent hinaus. [….] Die Intellektuellen vom Dienst
erklären das gerne damit, dass Merkel angeblich kaum ernsthaft politisch
attackiert werde. Das ist, mit Verlaub, Kappes. Seit Monaten zum Beispiel sind
die alten und die neueren Medien voll mit Kritik an Merkels angeblichem
Europa-Imperialismus. Dennoch sind ihre (und Wolfgang Schäubles)
Zustimmungswerte noch mal gestiegen. Ihre Politik wird von vielen abgelehnt,
jedoch nicht von der Mehrheit. Das
Problem derer, die Merkel stürzen wollen, wird nicht durch die Urwahl eines
Kandidaten gelöst. Aber wahrscheinlich gibt so eine Debatte im Sommer ein gutes
Gefühl. Das ist ja auch schön.