Montag, 23. November 2020

Das Weihnachtspolitikum.

Merkel kann (und will?) nicht so zentralistisch regieren wie Trump oder Macron.

Erst Recht nicht wie Putin und schon gar nicht wie Xi.

Daher haben die Sars-CoV-II-Typen auch leichteres Spiel in Europa als in Asien.


   Autokratien haben Vorteile; insbesondere für die Machthaber; daher versuchen die skrupellosesten Regierungschefs in Demokratien (Trump, Erdoğan, Duterte, Putin, Orbán, Kaczyński) eine Metamorphose ihrer Systemen hin zu einer Diktatur.

Für die Regierten, insbesondere diejenigen, die sich politisch nicht auf Linie befinden, sind Autokratien umso weniger schön. Daher nehme ich es auch achselzuckend hin, daß Deutschland in so vieler Hinsicht den Anschluss verpasst, keine Großprojekte umsetzen kann, zehn Jahre braucht, um Stiefel für die Bundeswehrsoldaten zu kaufen und das lahmste Internet aller Industrienationen hat.

Sicher, das frustriert, weil es auch in Deutschland mit fähigeren politischem Personal viel besser laufen könnte, aber es ist dennoch angenehmer als eine russischchinesischtürkische Diktatur.

Die Rücksichtnahme auf das scheue Reh „Wähler“, bei 16 Kommunal-, 16 Landtags-, einer Europa- und einer Bundestagswahl nervt allerdings gewaltig.

 

Während sich irre Aluhut-Trägerinnen aus Kassel schon mit Sophie Scholl vergleichen, weil sie in Geschäften einen Mundschutz tragen soll, hätte ich es gern härter: Drastische Geldstrafen für Maskenmuffel, Impfgegner und Corona-Partyvolk.

Stattdessen sind die 14 Onkel und zwei Tanten aus der Ministerpräsidentenriege leider in einen Kindergärtner-Modus übergegangen.

Es wird appelliert, gebeten, sanft gedroht, gewarnt, ermahnt.

Seit ein paar Wochen wird sogar ein Schreckgespenst an die Wand gemalt:
Weihnachten ohne Großfamilie unterm Tannenbaum! Kein Gottesdienst am Heiligabend! Sogar die meisten Weihnachtsmärkte müssten ausfallen, wenn wir uns nicht alle gut benehmen.

Ich habe volles Verständnis für die ökonomischen Probleme der Branchen des Einzelhandels, die extrem vom Weihnachtsgeschäft abhängen.

Viele Läden der Bekleidungs-, Schmuck- oder Pralinen-Branche tragen sich von Januar bis November kaum und sind daher drauf angewiesen, daß im Dezember richtig die Kassen klingeln, weil plötzlich alle losstürmen, um ihr 13. und 14. Monatsgehalt zu verprassen.

Aber könnte das Weltbild der meisten Politiker und Journalisten vielleicht etwas weniger an die 1950er Jahre angelehnt sein?

Selbst der SPIEGEL, der üblicherweise nicht als Kirchenfreund auffällt, tut in der aktuellen Titelgeschichte „Kampf ums Fest - Ist Weihnachten noch zu retten?“ so, als ob alle Deutschen aus glücklichen, frommen Großfamilien bestehen, die sich das ganze Jahr danach sehnen ihre Kitsch-Traditionen bei der Beschwerung am 14.12. auszuleben.

[…..] Gegen 13 Uhr ist die Patchworkfamilie am 25. Dezember alljährlich versammelt. Zum Empfang gibt es für alle Stutenkerl mit Marmelade – das süße Hefebrot in Form eines Männleins, das in anderen Regionen Weckmann oder Grittibänz heißt.   Danach gehen sie spazieren, anschließend ist Bescherung. Sie singen »Stille Nacht« und »Maria durch ein Dornwald ging«, die Geschenke muss sich jeder erst verdienen, mit einem Gedicht, einem Lied auf der Blockflöte oder Trompete. Der Jüngste fängt an, das ist die Regel. »Wer auspacken darf, muss in die Mitte und die Sprüche der anderen über sich ergehen lassen«, sagt Christiane Pellen-Balgar. Ihr Vater ist mit 86 Jahren als Letzter dran. Vergangenes Jahr dichtete er »O Tannenbaum, du rieselst schon«. […..]

(DER SPIEGEL; 21.11.2020)

Da ich seit 35 Jahren Weihnachten komplett ignoriere, bin ich vielleicht ein Extremist.

Aber das geht auf meine Eltern zurück, die sich wie alle guten Großstädter scheiden ließen als ich ein Kleinkind war und fürderhin sehr glücklich waren sich das Weihnachtstheater zu ersparen.

Ich habe so lange meine Mutter lebte an jedem 24.12. mit ihr telefoniert und wir versicherten uns gegenseitig wie angenehm und entspannt doch die folgenden Tage sind, wenn man nichts vor hat.

Auf die Frage „Was machst du Weihnachten“ pflegte sie zu antworten „Weihnachten? Da gehe ich nicht hin!“

Natürlich irritiert das viele Leute, die denken, man MUSS doch in Familie machen an den Tagen, aber nach meiner Beobachtung beneiden mich die Allermeisten um meine Methode. Wie oft habe ich schon gehört „Ich wünschte, ich könnte das auch so stressfrei machen wir ihr!“

Ich sehe ein; es gibt eine gewisse „Verpflichtung“ des Schenkens und Fressens, wenn man kleine Kinder hat.

Aber das sind, zumindest in den Städten, Minderheiten.

In Hamburg wohnen nur in 18% der Haushalte Kinder. Mehr als 40% der Frauen haben keine eigenen Kinder, bei Akademikerinnen ist es über die Hälfte. Mehr als 50% der Wohnungen in Hamburg sind Single-Haushalte. 0,5% der Hamburger gehen regelmäßig in den Gottesdienst. Es gibt Millionen Schwule, Lesben, Muslime, Juden und auch Pflegeheimbewohner, die generell aus dem Raster der traditionellen christlichen gläubigen Vater-Mutter-Kind-Familie fallen.

Millionen müssen an den Weihnachtstagen arbeiten.

Die Chefin an der REWE-Käsetheke, mit der ich immer klöne, sagte mir heute ganz verschwörerisch: „Wissen Sie, wir arbeiten ja immer am 24.12. und dann ist Großkampftag. Dann ist hier derartig viel los, daß ich wenn endlich abends zu Hause bin eins ganz bestimmt nicht will: Noch mehr Leute sehen. Deswegen hoffe ich ja, daß Corona dieses Jahr Weihnachten und Silvester ganz erledigt!“

Aber diese Position, die meiner Ansicht nach, noch nicht mal eine Minderheitenempfindung ist, wird gar nicht repräsentiert im Denken der Söders. Laschets und Zeitungsredaktionen.

[……] Als die Politikerinnen und Politiker Ende Oktober die Corona-Maßnahmen beschlossen, die für den November gelten sollten, wollten sie das Fest retten. »Wenn wir im November alle sehr vernünftig sind, dann werden wir uns mehr Freiheiten zu Weihnachten erlauben können«, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Es klang, als mahnte Knecht Ruprecht die Kinder, brav zu sein, weil es sonst keine Geschenke gibt. […..]

(DER SPIEGEL; 21.11.2020)

Dabei wird sogar in demselben Artikel eine YouGov-Umfrage zitiert, nach der nur acht Prozent der Menschen planen in einen Gottesdienst zu gehen, sieben Prozent auf einen Weihnachtsmarkt wollen und jeweils noch weniger besorgt sind, das könne ausfallen.

  […..]  Aber Weihnachten ausfallen lassen? Nach diesem ohnehin schon einsamen Jahr? Psychologen warnen seit den ersten Wochen der Pandemie, dass Depressive nun besonders gefährdet seien und dass auch Kinder sich zunehmend schlecht in ihrer Welt zurechtfänden.

Traditionen und Rituale der Weihnachtszeit dienten dazu, Identität und Zugehörigkeit zu stiften, heißt es in aktuellen Empfehlungen der Deutschen Psychotherapeutenkammer. »Gerät dies ins Wanken, kann bei all der gesellschaftlichen Unsicherheit in der Pandemie eine zusätzliche psychische Belastung entstehen.« Zudem sei in der »dunklen Jahreszeit« das Risiko einer saisonalen Depression erhöht.

Viele hätten es also nötig, einmal in Ruhe Zeit miteinander zu verbringen. Oder sich auch nur in die vertrauten Weihnachtsrituale fallen zu lassen und in die Auszeit zwischen den Jahren.  Insgesamt stellt die Krise Gewissheiten der modernen Zeit so elementar infrage, dass kaum jemand davon unberührt bleibt. Wir Menschen bekommen unsere eigene Verletzlichkeit vorgeführt.   So gesehen passt Corona zur nahenden Advents- und Weihnachtszeit – Wochen, die immer schon als Übung in Demut gedacht waren; um diesen Gedanken nachzuvollziehen, muss man nicht gläubig sein. Auch deshalb spräche einiges dafür, das Fest in diesem Jahr erst recht zu würdigen. Das Kind in der Krippe: verloren, ungeschützt und doch nicht so allein, wie es erst einmal wirkt, das ist ein Bild, über das sich jetzt gut nachdenken ließe. […..]

(DER SPIEGEL; 21.11.2020)

Was für ein Bullshit. Das klingt für viele Leute wie reiner Hohn.

Natürlich fällt alles Mögliche wegen Corona aus. Runde Geburtstage, Hochzeiten, Beerdigungsfeiern. Es gibt sehr viele Tote und fürchterliche Geschäftspleiten, Arbeitslosigkeit. Sehr viel mehr von ihren Männern und Vätern verprügelte Frauen und Kinder, weil es nun nämlich zu viel von dieser „Familie“ gibt, die Bundestagspolitiker so gern als Hort der Liebe verklären.

Überfüllte Intensivstationen, völlig überarbeitete Menschen in Pflegeberufen.

Das sind echte Probleme.

Aber daß Weihnachten einmal ausfällt?

So what?
Olaf Scholz leiht ohnehin 160 Milliarden Euro. Dann können doch die Geschäftsleute eine finanzielle Hilfe bekommen und wir anderen machen das, was man eben in einer Pandemie tut:
Zu Hause sitzen und abwarten.