Freitag, 27. August 2021

Feiglinge in der CDU

Selbstverständlich ist es hilfreich für die SPD-Wahlkampagne, daß die anderen beiden Triell-Kandidaten im Pannenmodus dem 26.09. entgegenstolpern.

Aber das Geheimnis der seit 15 Jahren das erste mal wieder erfreulich aussehenden demoskopischen Zahlen, liegt auch in dem so chronisch unterschätzten Kanzlerkandidaten Olaf Scholz.

Die Hamburger wissen es schon länger; wählten Scholz 2011 mit absoluter Mehrheit (48,4%) und 2015 mit fast absoluter Mehrheit (45,6%) zu ihrem Regierungschef. Das Prädikat „König Olaf“ kam von der überregionalen Presse und war seinen enormen Wahlergebnissen geschuldet. Innerhalb Hamburgs wurde es nicht verwendet, weil „König“ die denkbar unpassendsten Konnotationen für seinen bescheidenen Stil liefert. Scholz spricht stets sehr leise und präzise, tritt zurückhaltend auf, übertreibt nicht, lebte schon immer in derselben Altonaer Mietwohnung, hat keinerlei Interesse an Protz und Statussymbolen, käme nie auf die Idee sich wie Ole von Beust Baudenkmäler zu setzen und sich weitgehend in der Sylter Schickeria, statt in seinem Rathaus-Arbeitszimmer aufzuhalten.

Er ist das diametral entgegengesetzte Modell zum CDU-Kurzzeit-Vorgänger Ahlhaus, dem es gar nicht protzig genug sein Konnte. Der sich mit seiner Frau für die Bunte als adeliger Regent inszenieren ließ, der seine Frau demonstrativ als „FILA“ (First Lady Of Hamburg) ansprach und sich sogleich eine grotesk überdimensionierte Millionen-Villa an der Elbchaussee zulegte, die er auf siebenstellige Steuerzahlerkosten zur Festung ausbauen ließ.

Olaf Scholz versteht sich selbst immer noch als „Diener“, der im Amt dem Volk dient und es nicht etwa wie die CDU-Masken-Raffkes in erster Linie nutzt, um sich zu bereichern und sich über andere zu erheben.

Die Attitüden süddeutscher Sonnenkönig-Bundesländerregenten, die sich  gewaltige Staatskanzleien bauen oder ein Weltraumprogramm starten, welches sie auch noch nach sich selbst benennen, könnte nicht ferner von der schlichten, spröden Unaufgeregtheit des Olaf Scholz sein.

Seine Frau nahm natürlich nicht bei der Eheschließung unterwürfig seinen Namen an, sondern heißt Britta Ernst und ging selbstverständlich weiter ihrem Beruf als Landesministerin weiter nach, statt an der Seite ihres Mannes „First Lady“ von Hamburg zu spielen. Sollte er Kanzler werden, planen sie diesbezüglich keine Veränderungen; Ernst wird weiter ganz unabhängig von ihrem Mann ihre eigene Karriere machen.

Einen Riesenzirkus macht Scholz nie. Das legte man ihm in den südlicheren Landesteilen als Farblosigkeit und Langweile aus.

Mittlerweile dämmert es aber immer mehr Menschen, daß der Fetisch von der Bierzelt-Tauglichkeit, also die Fähigkeit, eine tauendköpfige Masse betrunkener Anhänger in Raserei zu grölen, vielleicht doch weniger wichtig ist, als Regierungskompetenz und Intelligenz.

Die SPD kann mit einem Kanzlerkandidaten, der nicht mit Eitelkeiten und Extravaganzen auffällt, offenbar gut leben. Der linke Flügel hält nicht nur still, erduldet also nicht nur seine Kandidatur, sondern ist mittlerweile davon überzeugt, den richtigen Kandidaten ausgesucht zu haben.

In CDU und CSU das umgekehrte Bild. Hinter den Kulissen wird gehadert. Angesichts der rapide in den Keller purzelnden Umfragewerte, begreifen Laschets Parteifreunde ihren Vorsitzenden mehr und mehr als toxisch. YouGov sieht die SPD heute sogar schon zwei Prozentpunkte vor der CDU/CSU.

Sie kalkulieren inzwischen eine heftige Niederlage und den Gang in die Opposition zumindest mit ein. Wer anschließend noch Karriere machen will, lässt lieber den Finger von der Laschet-Kampagne, um a posteriori nicht mit dem legendären Loser-Team von 2021 assoziiert zu werden.

Nur Ex-Parteichef Schäuble, der (dann) 79-Jährig erneut in den Bundestag einziehen möchte, nachdem er schon seit 1772 im Parlament hockt, setzt sich für den Kandidaten ein.

Was bleibt dem großen Lügner und Zerstörer des europäischen Gedankens übrig? Auf eine Karriere ab der übernächsten Bundestagswahl 2025 kann er kaum bauen. Und so lobt er.

[….] Forderungen nach einem Austausch Laschets gegen CSU-Chef Söder lehnte Schäuble als "ganz falsch" ab. Die Union habe "mit Abstand das beste Angebot - das müssen wir im Wahlkampf geschlossen klarmachen".  Dass Schäuble sich überhaupt zu dieser Frage äußert, zeigt jedoch, wie dramatisch die Lage Laschets ist. Dass einen Monat vor der Bundestagswahl klargestellt werden muss, dass Laschet Kanzlerkandidat bleiben soll, ist nicht gerade ein Zeichen der Stärke.  [….]

(Robert Roßmann, 27.08.2021)

Dramatisch wirkt aber das demonstrative Schweigen der meisten anderen CDU-Größen. Die CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier, Tobias Hans, Michael Kretschmer, Rainer Haseloff und Daniel Günther meiden Auftritte mit Ministerpräsident Laschet wie der Teufel das Weihwasser.  Abgetaucht sind auch die fünf Laschet-Stellvertreter als Bundesparteivorsitzende Volker Bouffier, Silvia Breher, Julia Klöckner, Jens Spahn und Thomas Strobl.  Die Unions-Bundesminister Seehofer, Braun, Müller, Karliczek, Spahn, Klöckner, Scheuer, AKK und Altmaier vermisst Laschet als lautsprechende Unterstützer. An seiner Seite stehen nur noch Paul Ziemiak (der als Generalsekretär muss), Brinkhaus, Söder (der aber in Wahrheit bei jedem Auftritt darauf hinweist, die bessere Wahl gewesen zu sein) und Friedrich Merz, der sich ohnehin für jede Rolle als besser qualifiziert ansieht.

[….] Dennis Radtke [….] ist [….] stellvertretender Bundesvorsitzender des Arbeitnehmerflügels. Vor allem aber verfolgt er von Tag zu Tag verzweifelter, wie die CDU in den Umfragen nach unten purzelt. Und wie tatenlos viele in seiner Partei das hinnehmen.  Er habe die CDU "noch nie so defensiv und mutlos erlebt", sagt Radtke. Derzeit habe man "manchmal den Eindruck, bei einem Schachturnier im Seniorenheim geht's im Vergleich zur CDU geradezu euphorisch zu". Seine Partei müsse jetzt endlich "mit Schwung und Selbstvertrauen" in den Wahlkampf-Endspurt gehen. [….] "Die Offiziere der Partei müssen sich jetzt hinter Laschet versammeln", sagt er. Denn aus der Loge heraus lasse sich keine Wahl gewinnen. [….]

(Robert Roßmann, 27.08.2021)

 

Was für ein Desaster. In der traditionell viel weniger linientreueren und undisziplinierten SPD ist Genörgel am eigenen Kandidaten üblich. Umso erstaunlicher, daß bis zu den linksten Jusos niemand Scholz kritisiert.

Die obrigkeitshörige CDU ist hingegen ein traditionell wenig an Inhalten interessierter Kanzlerwahlverein, der den Spitzenkandidaten bedingungslos bejubelt. Umso schwerer wiegt das dröhnende Schweigen der Unions-Fürsten.

Ihre Laschet-Distanz ist besonders feige, weil der NRW-Ministerpräsident natürlich nicht allein für die totale Konzeptions- und Inhaltslosigkeit der Partei verantwortlich ist. Die CDU hat keinen Plan für die Zukunft und nur noch den einen gemeinsamen Nenner: An der Macht bleiben und möglichst nichts ändern.

[….] Laschet will ins Kanzleramt, er möchte ein ganz Großer werden, in einer Reihe mit Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel. Nur wirkt er im Wahlkampf bisher so klein, dass viele Deutsche ihn mittlerweile nicht einmal mehr zu ihrem Ortsbürgermeister wählen würden. Laschet scheint überarbeitet und den Anforderungen eines modernen Medienwahlkampfs allenfalls teilweise gewachsen zu sein. Aber alle Schuld an der Misere nur ihm zuzuschreiben wäre falsch. Das Problem reicht tiefer. Der CDU sind die Überzeugungen abhandengekommen, ihre Rituale sind veraltet, sie steckt in einer Sinnkrise.  Das ist nicht Laschets Schuld, sondern Angela Merkels. 16 Jahre lang ordnete die Kanzlerin alles dem Machterhalt unter. Bloß kein Stress, das war ihr Grundsatz. Sie überließ den Sozialdemokraten viele Erfolge und gefiel sich in der Rolle der Organisatorin in der politischen Mitte. Mit ihrer Geschmeidigkeit wollte Merkel ihre Gegner einschläfern – nur merkte sie nicht, dass nebenbei auch ihre Partei wegdöste. [….]

(Veit Medick, Spiegel Leitartikel, 28.08.2021)

Als Sozi oder Grüner darf man ausnahmsweise optimistisch sein.

Der traditionell konservative Mainstream macht es den Unionsparteien stets leichter zu gewinnen, weil es ihr reicht irgendwie da zu sein und keine allzu großen Fehler zu machen, während Rote, Rote und Grüne für jede Stimme harte Überzeugungsarbeit leisten müssen. Nun beraubt sich die Post-Merkel CDU selbst dieses Vorteils.

[….]  Der fehlende Rückhalt für Laschet und die Panik sind offensichtlich. Kann die Union also tatenlos abwarten, bis am Ende Olaf Scholz im Kanzleramt einzieht? Wahrscheinlich muss sie, weil Laschet nicht aufgibt und Söder nicht mehr will, auch wenn die Union mit ihm vielleicht ein paar Prozentpunkte mehr bekäme.  Gelassen bleiben können da nur die politischen Gegner der Union, weil diese sich im Frühling sehenden Auges für den falschen Kandidaten entschieden hat, der schon damals in allen Beliebtheitswerten himmelweit hinter Söder lag und der durch eigene Trampeltaten immer weiter abstürzt. Aus linker Sicht kann man der Union für ihre Fehlentscheidung eigentlich nur dankbar sein. Ihre Schwäche eröffnet allen anderen, sogar Rot-Rot-Grün, ungeahnte Chancen. [….]

(Lukas Wallraff, 27.08.2021)