Freitag, 17. Februar 2023

Überflüssige Studien – Teil XI

Politiker müssen andauernd reden, werden dabei andauernd aufgezeichnet und ebenso sicher, andauernd von einer anonymen social-Media angegriffen. Verständlicherweise entwickeln sie aufgrund dieser Anforderung, die Fähigkeit inhaltsfreie, aber intelligent klingende Satzfetzen immer aufs Neue zu kombinieren. „Wir gehen davon aus, dass…“  „unser gemeinsames Interesse….“  „ein Eckpunkte-Dialog abstecken…“ Dadurch können sie flüssig daher plaudern, ohne etwas zu sagen, auf das man sie festnageln könne.

Angeblich wünschen sich die Deutschen keine Schwafler, sondern „Klartextpolitiker“.

Das ist aber eine große Selbsttäuschung, denn in Wahrheit werden Meister der endlosen und zweckfreien Schwafelei  - Merkel, Kohl – immer wiedergewählt, weil man alles auf sie projizieren kann und sie niemanden Angst machen. Wer den Bürgern reinen Wein einschenkt (Lafontaine 1990), oder ihnen klar sagt, was notwendig ist und wie er konkret Politik betreiben wird (Steinbrück 2013), kommt gar nicht erst ins Kanzleramt. Steinbrücks schnörkellose Art, direkt die Wahrheit auszusprechen, kam nie an.

Wer nichts zu sagen hat, oder nichts sagen will, beginnt Statements gern mit einem Random Zitat.

Der junge Hugo von Hofmannsthal sagte einmal, daß …. Von Oscar Wilde stammt die berühmte Erkenntnis,….laut einer Umfrage, sind x von y Deutschen der Ansicht…. Studien besagen, dass….

All das klingt nach Bildung Redlichkeit. Da hat einer sich selbst zurückgenommen und vertraut auf qualifiziertere Quellen. All das ist aber auch Bullshit, der nur dazu dient, sich um einen klaren Satz oder seine wahren Absichten zu drücken.

Jeder Mensch mit einem Klugtelefon, kann sich in Sekunden ein passendes Zitat aus jedem Zusammenhang reißen. Umfragedaten sind volatil und selbst die seriösen Umfragen ersetzen keine Fakten. Und wissenschaftliche Studien werden entweder nicht gelesen, oder nicht verstanden. Oder sind generell überflüssig.

Drei Tage nach meinem Bericht über meine eigene Führerscheinprüfung, poppen Berichte über die aktuellen Durchfallquoten auf.

[….]  Der Wunsch nach einem Führerschein in Deutschland bleibt bestehen - 2022 wurde sogar ein Vor-Corona-Stand gerissen. Nach Angaben des TÜV-Verbands wurde ein Rekord bei der Zahl der Fahrerlaubnisprüfungen erreicht. Auffällig aber auch: Die Durchfallquoten sind kräftig gestiegen.  Demnach bestanden Fahrwillige im vergangenen Jahr 39 Prozent der theoretischen Prüfungen für alle Fahrerlaubnisklassen nicht - zwei Prozentpunkte mehr als im Vorjahr, zehn Prozentpunkte mehr als noch 2013. Bei den praktischen Prüfungen für einen normalen Autoführerschein waren es - wie bereits 2021 - 37 Prozent.

Suche nach Gründen für gestiegene Durchfallquote. "Jede nicht bestandene Prüfung belastet die Fahrschülerinnen und Fahrschüler mental und finanziell", sagte Richard Goebelt, Geschäftsführer des TÜV-Verbands. Noch sind die Gründe für die gestiegene Quote nicht ganz klar - dazu brauche es mehr Untersuchungen. Einer ist aus Sicht der Prüforganisationen der komplexer und dichter werdende Straßenverkehr.  [….]

(BR24, 17.02.2023)

Als Mensch aus dem Prä-Klugtelefon-Zeitalter, kann ich mir schon denken, wieso heutige Teenager sich beim Fahren so dämlich anstellen: Weil sie als Kinder ungefähr 15 Jahre lang vom dem elterlichen Autorücksitz auf ihren Minibildschirm starren. Für meine Generation hingegen, war es üblich, das Verhalten der Eltern am Steuer und den Straßenverkehr genau zu beobachten. Wir wurden mit einbezogen, guckten hinten raus, halfen beim Abschätzen von Lücken zum Spurwechsel, achteten darauf, wann man losfahren durfte. Als man so alt war, endlich vorn zu sitzen, ließ einen die Mutter auch mal schalten oder einen Scheibenwischerhebel bedienen. Die Fahrer-Sicht auf den Stadtverkehr war also seit vielen Jahren eingeübt und vertraut, während das für klein Leon-Noah und Emma-Sophie des Jahrgangs 2005 eine völlig neue Perspektive und ungewohnte Situation ist.

Eine heute ebenfalls durch die News schwappende Metastudie, berichtet von einem wahrgewordenen Traum der Männerwelt: Auf wundersame Weise verlängerte sich der Durchschnittspenis in den letzte Jahren um in Viertel!

Konnte Mann noch vor 30 Jahren durchschnittlich 12 erigierte Zentimeter, bewundern, sind es nach Erkenntnissen der Stanford University in Kalifornien nun, passend zum Dickpick-Zeitalter, bereits 15 cm.

Wie praktisch. Genau mit der ersten Teenager-Generation, die per Dick-Pick das Flirten praktiziert, fangen ihre Schniedel an, kräftig anzuwachsen.

Ähnlich wie bei den Führerschein-Durchfallquoten, erigiert.., ich meine, eruiert man erstaunliche Erklärungen.

[….] Über die Gründe für den Anstieg können die Forscher, allesamt Männer, nur spekulieren. Möglicherweise spiele eine Rolle, dass immer mehr Menschen sitzende Tätigkeiten ausüben. Und auch Umwelteinflüsse haben die Forscher im Blick.  Schadstoffe wie Pestizide könnten sich auf das männliche Hormonsystem auswirken – die Wissenschaft spricht von sogenannten endokrinen Disruptionen, die gehäuft in der Umwelt und in Nahrungsmitteln oder Hygieneprodukten vorkommen.  [….]

(SPON, 17.02.2023)

Vom bloßen Sitzen metamorphorisiert also eine Ringelnatter zur Boa?

Als Mensch aus dem Prä-Klugtelefon-Zeitalter, kann ich mir schon denken, was los ist. Wir haben als Teenager zum Mädchen-Kennenlernen üblicherweise, ganz wie Maher mahnt, mit den Objekten unserer Begierde gesprochen. Und das auch noch in 99,9% der Fälle, völlig angezogen. In Ermangelung von Klugtelefon und Kopulations-Apps, fotografierten wir zwecks Kontaktanbahnung niemals unsere Phalli, so daß dessen genaues Maß auch nicht zum Kriterium dafür wurde, ob jemand mit uns gehen wollte. Der social-Media-Druck, bei der Ausstattung untenrum kräftig zu übertreiben, ist also neu.

Noch eine dritte Tageserkenntnis: Wer nichts weiß, gelangt schneller zu konkreten Überzeugungen:


[…] Zucker und Salz sind schlimme Gifte. Gentechnik ist des Teufels. Und die Corona-Impfung macht alle krank. Man kennt diese Alles-Checker, die immer genau Bescheid wissen. Schließlich geht nichts über gepflegte Vorurteile, mit größter Selbstsicherheit vorgetragen. Gerade in Zeiten, da Menschen ungefragt zu Ernährungs- und Gesundheitsfragen Stellung beziehen, macht es sich gut, den Anschein profunder Sachkenntnis zu vermitteln. Das Problem daran: Je entschiedener Position bezogen wird, desto weniger Ahnung steckt meist dahinter. Inkompetenz und eine unerschütterliche Meinung sind ein unzertrennliches Paar.

Die krude Kombination aus Unkenntnis und breitbeinigem Sendungsbewusstsein findet sich besonders oft bei Fragen zu neuen Technologien und medizinischen Erkenntnissen. Britische Forscher um Cristina Fonseca haben gerade gezeigt, dass Extrempositionen zu Wissenschaftsthemen häufiger von jenen eingenommen werden, die gar nicht verstehen, worum es geht - aber dennoch der Überzeugung sind, den Durchblick zu haben. Im Fachblatt Plos Biology belegen die Wissenschaftler aus England dies am Beispiel gentechnologischer Anwendungen, darunter der Herstellung von mRNA-Impfstoffen. […]

(Werner Bartens, 17.02.2023)