Samstag, 26. Oktober 2019

Linke Lektion


Da ich bei der SPD-Mitgliederbefragung ebenfalls für das Team Klara Geywitz & Olaf Scholz gestimmt habe, bin ich natürlich froh über den Sieg im ersten Wahlgang.

Außerdem nehme ich die miesen Ergebnisse der linken „Raus-aus-der-Groko“-Paarungen (Lauterbach, Stegner) mit Genugtuung zur Kenntnis.
Ein Kritiker der Groko bin ich auch, oh ja, manchmal wirkt sie so erbärmlich, daß ich in die Schreibtischplatte beißen möchte.
Aber sie ist bei den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen und den stabilen Wahlumfragen die am wenigsten schlechte Option.
Die CDU allein begeistert sich schon wieder für Kriegseinsätze und will auch garantiert keine sozialen Verbesserungen. Die CDU/CSU wehrt sich gegen die Grundrente, Schwarz und Gelb wollen Multimillionäre und Milliardäre steuerlich entlasten, Geringverdiener wie Paketboten würden ohne Sozis im Kabinett keinerlei Schutz erhalten.
Es wäre sehr schäbig die Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft im Stich zu lassen, indem man sie der schwarz-braun-gelben Willkür überließe.

Der durchsetzungsstärkste SPD-Politiker ist der deutsche Vizekanzler und insofern ist es gut, ihn in guter Startposition für den Parteivorsitz zu wissen.

[…..] Offenbar ist vielen Genossen die Sache mit dem Neuanfang aber auch gar nicht wichtig - das Ergebnis für Scholz zeigt auch einen Wunsch nach Kontinuität, nach ordentlichem Zu-Ende-Regieren in der GroKo und Machtperspektive für die Zeit danach.
Wenn es aber doch auf ein personelles "Weiter so" hinausläuft, hätte die SPD Zeit und Kraft nicht sinnvoller einsetzen können, etwa um Politik zu machen? Vielleicht, wenn der Nahles-Rückzug ein normaler Abtritt in einer in sich ruhenden Partei gewesen wäre. In einer existenziellen Krise ist aber nichts normal. Zumal der Umgang mit Andrea Nahles auch erschreckende Einblicke gab in tiefe Grabenkämpfe, Heckenschützentum, Intrigen und Misstrauen. [….]

Rosig ist die Lage aber nicht für das einzige Schwergewicht der Bewerber, denn Scholz kam nur auf 23%.
Das ist noch ein weiter Weg bis zu den 50%, die er beim zweiten Wahlgang braucht.

[….] Ja, Scholz mag mit seiner Tandempartnerin Klara Geywitz die erste Runde im Mitgliedervotum der Partei gewonnen haben, aber wer genau hinsieht, der erkennt: Das Ergebnis der beiden ist ernüchternd. Mit 23 Prozent liegen sie nicht einmal zwei Prozentpunkte vor den jenseits von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg weithin unbekannten Favoriten der Jusos, Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Und weil überhaupt nur die Hälfte der SPD-Mitglieder abgestimmt hat, hat faktisch nur jeder zehnte Sozialdemokrat für denjenigen gestimmt, der als Vizekanzler und Bundesfinanzminister eine weit größere Bühne hatte als jeder andere im Feld. Autsch. […..]

Aber was will man schon erwarten von einer teilweise fanatisiert ideologischen Parteilinken, die nahezu 20 Jahre nach der Agenda 2010, die ein großer Erfolg war, auf den man stolz sein sollte, immer noch besessen davon ist?
Sie ignorieren Trump, Brexit, Kriege, rechtsextreme Mordanschläge, AfD-Faschisten in den Parlamenten und eine schwere EU-Krise wegen einer sozialpolitischen Entscheidung aus vergangener Zeit.
Dabei war die Hartz-Gesetzgebung nicht nur richtig und daher auch maßgeblich von Gewerkschaftern und anderen Arbeitnehmervertretern mit ausgearbeitet, sondern sie ist auch populär. So populär immerhin, daß die einzige Partei, die immer noch dagegen ist, die Linke, trotz der Megakrise der SPD verkümmert.
Mit „Hartz abschaffen“ verliert man also offenbar massiv Wähler.
Die linke Anti-SPD-Verschwörung hat die Partei infiziert, die Stimmung vergiftet.

[…..] Fast ein Vierteljahrhundert ist es her, dass der frühere SPD-Chef Oskar Lafontaine seinen Amtsvorgänger Rudolf Scharping wegputschte: "Wenn wir selbst begeistert sind", lautete sein legendärer Ausruf auf dem Mannheimer Parteitag des Jahres 1995, "können wir auch andere begeistern."
In diesen Tagen suchen die Genossen wieder eine neue Führung. Diesmal aber folgen sie einer anderen Lösung, das haben die Auftritte ihrer Kandidatenpaare bei den sogenannten Regionalkonferenzen gezeigt. Die Sozialdemokraten wollen sich nicht begeistern, sondern von sich selbst distanzieren, genauer: von der Agenda 2010 ihres einstigen Kanzlers Gerhard Schröder. Dies habe "sozialdemokratisches Profil gekostet", klagt Ralf Stegner. Sie habe in die "neoliberale Pampa geführt", bemängelt Norbert Walter-Borjans. Und selbst Olaf Scholz, der die Reformen einst mitentworfen hat, findet heute kein freundliches Wort mehr für sie. Das Motto, mit dem das SPD-Spitzenpersonal den Neustart schaffen will, lautet offenbar: "Wer sich selbst beschimpft, braucht nicht mehr beschimpft zu werden."
Bei kaum einem anderen Thema tritt die Partei derzeit so geschlossen auf wie bei der Verurteilung ihrer eigenen Politik. Unsolidarisch, entwürdigend, schädlich: So hatte schon die Linkspartei die Agenda niedergemacht, nun verwenden die Genossen gedankenlos dieselben Begriffe. Es ist wie bei einem SED-Parteitag kurz nach dem Mauerfall: Erst mal müssen alle bekennen, wie schlecht es früher war. So verzwergt sich die Sozialdemokratie nicht nur selbst, es ist auch noch falsch. Die Agenda war keine neoliberale Verirrung, sie war eines der erfolgreichsten wirtschaftlichen Umbauprogramme der jüngeren Geschichte.
90 Prozent der deutschen Ökonomen, so zeigen Umfragen, sind überzeugt: Die Hartz-Gesetze haben wesentlich dazu beigetragen, aus dem "kranken Mann Europas" ("Economist") wieder eine bewunderte Exportmaschine zu machen. Die Arbeitslosigkeit, die jahrzehntelang gestiegen war, hat sich innerhalb weniger Jahre halbiert. Millionen Jobs wurden geschaffen, und zwar zum großen Teil sozialversicherungspflichtige Normalarbeitsverhältnisse. Kaum ein anderes Land hat die tiefe Rezession nach der Finanzkrise so rasch und nachhaltig überwunden wie Deutschland. Von einem "Beschäftigungswunder" sprechen globale Organisationen wie die OECD oder der Internationale Währungsfonds.
Weltweit gelten ihre Reformen als Erfolg, und wie reagiert die SPD? […..] (Michael Sauga, 24. Oktober 2019)