Dienstag, 29. Oktober 2013

Ordnung



Marion Gräfin Dönhoff ist vermutlich immer noch die Person der jüngeren Zeitgeschichte, die ich am meisten bewundere.
Ihr haben wir die besten Zeiten „der ZEIT“ zu verdanken. Als Chefredakteurin und später als Herausgeberin sorgte sie dafür, daß die großen weltpolitischen Themen intensiv diskutiert und analysiert wurden. Sie scheute sich dabei nicht Minderheitenmeinungen anzunehmen. Ihre klare Unterstützung von Willy Brandts Ostpolitik, ihr Eintreten für den endgültigen Verzicht auf alle Ansprüche in ehemaligen deutschen Ostgebieten brachte ihr bei Konservativen breite Ablehnung.
Gerade hier in Norddeutschland kannte eigentlich jeder ehemalige Ostpreußen, die ihren stattlichen Grundbesitz an die anrückende Rote Armee verloren hatten und in Westdeutschland bei Null anfangen mußten. Irgendwie schon ungerecht, daß die Deutschen so ungleichmäßig mit persönlichem Landverlust für die Verbrechen der Nazizeit zahlen mußten.
Und dieses Ostpreußen war ja eine echte landschaftliche Schönheit – und zudem riesengroß. Rechnet man die Flächen aller verlorenen Güter zusammen, kommt man zu dem Ergebnis, daß Ostpreußen ca drei Mal so groß wie Australien war.
Marion Dönhoff war eine der wenigen, die nicht beklagte was sie verloren hatte und nicht absurd übertrieb. Das Dönhoffsche Schloß Friedrichstein war eins der Größten Europas und galt neben Versailles als eins der Schönsten. Die Kaiserfamilie kam gern zu Besuch und bewunderte die sehr viel gebildeteren Dönhoffs. 800 Jahre lebten die Grafen Dönhoff in Ostpreußen. Marion verwaltete jahrelang allein das riesige Schloss Quittainen und das zugehörige Gut, die sich seit dem Jahr 1744 im Besitz der Familie Dönhoff befanden.
Die promovierte Dönhoff hatte schon als Gymnasiastin in den 1920er Jahren Hitler auf einer kleinen Veranstaltung kennengelernt. In einer Diskussionsrunde saß sie nur zwei Plätze neben ihm und fällte schon damals ein Urteil: Der Mann ist ein Verbrecher, wird Europa in einen Krieg stürzen und dafür sorgen, daß sie alle ihre Heimat verlieren.
Sie wurde zur „Roten Gräfin“, weil sie in den Kommunisten die einzigen Verbündeten fand, die wirklich gegen Hitler aktiv waren. Später im Krieg verlor sie als aktive Widerstandskämpferin fast ihren gesamten Freundeskreis, da die meisten im Zuge des Attentatsversuches vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurden. Es grenzt an ein Wunder, daß Marion Dönhoff nicht nur Hitlers Rache überlebte, sondern später auch noch wohlbehalten zu Pferde nach einem 1200 Kilometer langen und sechs Wochen andauernden Ritt bei arktischen Temperaturen bei den Grafen von Metternich auf dem Wasserschloss in Vinsebeck bei Steinheim (Westfalen) ankam.

Als ZEIT-Chefin führte sie später die Tradition ein Themen zur Diskussion zu stellen. Es wurden dann zwei konträre Meinungen veröffentlicht, so daß sich der Leser aufgrund der seriös redigierten Kommentare selbst eine Meinung bilden konnte.
Damals. Es gab noch kein Internet, kein RTL-II und keine Smartphones. Das Bildungsbürgertum LAS tatsächlich die ZEIT, nahm sich die Zeit dafür. Man rätselte eine Woche an dem legendären ZEIT-Rätsel und diskutierte die politischen Artikel.
Inzwischen ist die ZEIT ein Teil des Holtzbrinck-Konzerns, die Artikel werden immer kürzer und dafür poppig bunt illustriert. Der Chefredakteur ist ein katholischer Religiot.
Es kommt zwar immer noch vor, daß ein Pro und ein Contra abgedruckt werden, aber insbesondere bei den religiösen Themen der Rubrik „Glauben und Zweifeln“ wird nur oberflächlich argumentiert und zu 95% eine sehr kirchenfreundliche Sicht eingenommen.
In der Regel wird gleich einem Bischof der Platz überlassen.

Vielleicht hat sich das Konzept der neutralen Herausgeberschaft, die sich Kolumnisten mit unterschiedlichen Überzeugungen leistet auch einfach überholt.
Möglicherweise sind auch die Themen nicht mehr kontrovers.
Marion Dönhoff schrieb schon in den 1990er Jahren ihr bedeutendes Werk „Zivilisiert den Kapitalismus“ und legte damals schon dar, was uns dann richtig offensichtlich 2008 mit der Weltfinanzkrise ereilte.
Welche Gegenmeinung soll man da noch einnehmen, wenn jemand so offensichtlich voll ins Schwarze getroffen hat.
Bezweifelt denn noch irgendeiner, daß den internationalen Spekulanten das Handwerk gelegt werden muß? Ich würde dazu gern eine SERIÖSE Stellungnahme lesen, die mir erklärt weswegen das Derivatehandeln und Spekulieren mit Lebensmitteln eigentlich sein muß.
Es gibt auch Menschen, die sich dafür einsetzen.
So schrieb CDU-Darling Friedrich Merz, den heute noch fast die ganze Partei zurücksehnt, im Jahr 2008 sein Buch „Mehr Kapitalismus wagen“.
Wenn jemand so rechts argumentiert, merkt man allerdings meistens sehr schnell wieso das so ist. In Merz‘ Fall hängt das offenbar damit zusammen, daß er für den Hedgefonds „TCI“ arbeitet und persönlich damit sehr reich geworden ist.
Darauf läuft es fast immer hinaus.
Wenn jemand etwas offensichtlich Unsinniges beschließt, wie zum Beispiel den Merkel’schen Freifahrtschein für CO2-verschleudernde schwere Limousinen, dann erfolgte dies natürlich nicht aus Überzeugung, sondern auf Druck.
Eine Millionenschwere Lobby ist sehr effektiv.
Waffenexporte, AKW-Subventionen, tierquälerische Geflügelzucht – wieso so etwas erlaubt ist, kann relativ leicht beantwortet werden.
Gier, Geld, Macht.
Aber auch bei den eher gesellschaftspolitischen Themen vermisse ich die dezidiert konservativen Argumente.
Ich würde mich gern mit Argumenten PRO Genitalverstümmelung, PRO Kirchensteuer, PRO Marihuana-Verbot  oder PRO Meisterzwang auseinandersetzen.
Es hapert aber daran, daß es solche Argumente oft gar nicht gibt.
Man konnte das sehr gut an der Penis-Beschneidungsdebatte im letzten Jahr sehen. Ja, es gab viele prominente Stimmen, die sich massiv dafür einsetzen.
Aber ihnen war allen gemeinsam, daß sie in Ermangelung von echten Argumenten einfach logen. Da wurden antisemitische Motive unterstellt, geltende Kinderschutzkonventionen negiert und die medizinisch klar erwiesenen und dokumentierten Gefahren bestritten.
Ohne Lüge kommt der Konservative von heute gar nicht mehr aus.
Wer konservativ und ehrlich ist, bekommt irgendwann das Problem des Herausgebers der stramm konservativen F.A.Z.:

Bürgerliche Werte: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“
Im bürgerlichen Lager werden die Zweifel immer größer, ob man richtig gelegen hat, ein ganzes Leben lang. Gerade zeigt sich in Echtzeit, dass die Annahmen der größten Gegner zuzutreffen scheinen.

Da ist es nur natürlich, daß sich die immer noch überwiegend seriösen Blätter irgendwann von ihren rechten Enfant-terrible-Kolumnisten trennen.

Die Süddeutsche Zeitung gab im Jahr 2010 den Feuilleton-Redakteur und zunehmend fanatischer werdenden Ratzinger-Fan Alexander Kissler an den Focus ab. Inzwischen schreibt er für den Cicero, die Beilage Christ und Welt der Zeit und das Vatican Magazin.

Im selben Jahr trennten sich auch DER SPIEGEL und der eigentlich hochbegabte, aber leider wahnsinnig gewordene Henryk M. Broder.
Der immer mehr in bräunlichen Gewässern fischende Broder schreibt inzwischen exklusiv für die stramm konservative WELT-Gruppe. Dort passt er auch besser hin.

Der wahnsinnigste aller Mainstream-Kolumnisten ist sicherlich der Megachrist Matthias Matussek.
Er lügt nicht nur ungeniert, sondern beeindruckt mit extremer Aggressivität, die durchaus auch zu Handgreiflichkeiten führen kann.
Klar möchte ich auch mal die Sicht eines rechten Katholiken lesen, weil ich verstehen möchte, wieso er so ist denkt.
MM ist dazu aber ungeeignet, da er nie bei der Wahrheit bleibt und zudem auch noch sehr schlecht schreibt.
Vor einem Jahr vermutete ich bereits, Matussek müsse den SPIEGEL offensichtlich erpressen, da er immer noch dort angestellt ist.
So einen kann aber eigentlich kein halbwegs seriöses Blatt beschäftigen.

Und siehe da, nach 15 Jahren Seelenpein ist es jetzt tatsächlich passiert:
Der SPIEGEL ordnet sich um. Matussek gesellt sich ab sofort zu Henryk M. Broder zur „WELT“-Gruppe.
Sehr gut. Da ist dann inzwischen wirklich alles versammelt, was man garantiert nicht lesen muß.

Matthias Matussek wechselt zur "Welt"
Der langjährige "Spiegel"-Redakteur Matthias Matussek wechselt zum 1. Februar 2014 zur "Welt". Er wird für uns exklusiv als Autor schreiben.
Nach Henryk M. Broder ist Matussek, der auch zahlreiche erfolgreiche Sachbücher verfasst hat, der nächste profilierte Autor, der vom Hamburger Nachrichtenmagazin zur Axel Springer AG wechselt. "Welt"-Chefredakteur Jan-Eric Peters kommentierte die Personalie: "Ich freue mich auf kraftvolle Texte."
(Die Welt, 28.10.13)