Die
Analyse des Ist-Zustands dieser Regierung exakt ein Jahr nach der Bundestagswahl
2017 ist leicht. Sacharbeit, Koalitionsvertrag sauber umsetzen, fleißige
Minister – all das reicht eben keineswegs, weil die Stimmung unfassbar mies
ist. Dank der drei Parteichefs.
[….]
Horst Seehofer ist außer Rand und Band.
Angela Merkel guckt nur noch zu. Und Andrea Nahles ist schlicht überfordert.
Sie hat erst einen Fehler gemacht - und als sie ihn korrigieren wollte, noch
einen. Es reicht jetzt. Diese Regierung ist am Ende. Sie sollte abtreten. [….]
Soweit
der entrüstete SPIEGEL-Kolumnist, der meinen Einwand von der zu erwartenden
enorm gestärkten AfD vom Tisch wischt.
[….]
Also Neuwahlen! Aber der Ruf nach
Neuwahlen wird heute mit der Warnung vor der AfD beantwortet. Es heißt, die
Partei werde durch Wahlen nur noch stärker. Das ist das traurigste Argument von
allen - und das dümmste. Im Jahr 2013 erreichte die AfD 4,7 Prozent und die SPD
25,7. Heute liegt die AfD in Umfragen bei 18 Prozent und die SPD bei 17. Damit
wäre die AfD die zweitstärkste deutsche Partei. Wenn die AfD so stark werden
konnte, sollte das sogenannte Establishment über die Gründe nachdenken - und
nicht einfach weitermachen wie bisher. […..]
Ein
trauriges Argument fürwahr, aber nicht dumm, sondern bittere Realität!
In
dieser absurden Situation, daß sich ausgerechnet die FDP als Totalverweigerin
inszeniert und die Fraktionsvorsitzende der Linken sich persönlich daran macht
die Linke zu zerschlagen und aufzuspalten, kann eine völlig inhaltslose AfD,
die sich darauf beschränkt xenophobe Stimmungen anzuheizen tatsächlich entspannt
zurückgelehnt beobachten, wie Union, SPD und Linke Wahlkampf für sie machen.
Die
Nazis sind im Osten bereits Volkspartei.
Man mag
sich gar nicht vorstellen wie Thüringer oder Sachsen wählen würden, wenn es dem
Land ökonomisch nicht so ausgesprochen glänzend ginge wie jetzt.
[….] Es
lagern keine Migranten in Zelten auf den Straßen wie in Paris, im Kabinett
sitzen keine Rechten wie in Italien und das politische Personal ist nicht so
planlos wie in London. Wer durch eine deutsche Innenstadt flaniert, muss
fürchten, von panischen Arbeitgebern auf der Suche nach Mitarbeitern belästigt
zu werden. Sämtliche Plagen der letzten Dekaden, noch meiner Studienjahre sind
verschwunden: Niemand fürchtet die Machtübernahme durch die Roten, die Energie
wird uns nicht ausgehen, die Arbeitslosigkeit ist gering, viele Krankheiten
sind besser zu behandeln und die Gesellschaft ist offener. Jede und jeder
können eigentlich treiben, was sie wollen. Und auch die Zahlen sind exzellent.
[….]
Es sind
die handelnden Personen an der Spitze, die den Frust verursachen.
Heute
zeigte sich das deutlicher denn je, als die Unionsfraktion im Bundestag, die
normalerweise als devoter Kanzlerwahl fungiert, dem CSU-Chef, der CDU-Chefin
und dem CSU-Landesgruppenchef, indem sie Volker Kauder,
den großen Hecker&Koch-Waffenlobbyisten und Merkel-Intimus den Mittelfinger zeigte.
Gegen
den ausdrücklichen Willen Seehofers und Merkels ist nun also
Ralph Brinkhaus, der biedere katholische Steuerberater aus Ostwestfalen neuer
starker Mann der CDU/CSU.
Spätestens
jetzt wird auch Frau Merkel einsehen, daß es eine verdammt schlechte Idee war
2017 zum vierten mal als Kanzlerkandidatin anzutreten.
Auch
sie, die angeblich so nüchterne Analytikerin erlag dem Fehlschluss so vieler
Mächtiger, daß sie sich ein Zukunft ohne sich selbst gar nicht mehr vorstellen
konnte.
Natürlich
könnte Deutschland auch mit einem anderen Kanzler weiterexistieren, aber nach
12 Jahren als Kanzlerin verwuchsen offenbar in Merkels Vorstellung Amt und
Person. Sie hielt sich für unersetzbar und muss nun genau das erleben, was die
über viele Jahre so unumstritten herrschenden Kohl, Stoiber, Seehofer erlebten:
Völlige Erosion der eigenen Autorität.
Allein,
diese Erkenntnis nützt ihr heute auch nichts mehr. An wen sollte sie übergeben?
Und welche
Partei könnte die Groko platzen lassen, ohne durch den destruktiven Akt
erhebliche Nachteile bei Neuwahlen zu verursachen?
Und mit
welcher Perspektive sollten neue Wahlkämpfer für sich werben, wenn alle
Umfragen ohnehin nur das hergeben, was schon 2017 zur Auswahl stand: Ampel oder
Groko. Bestenfalls. Es könnte auch angesichts einer 20%-AfD zur totalen
Blockade kommen.
Ich bestreite
ausdrücklich, was so viele Kolumnisten heute schreiben: Die Bürger hätten genug
von der Groko.
Es wird
dabei immer noch fahrlässig geringgeschätzt, daß diese Groko durchaus arbeitet und
dabei auch geschätzt wird.
Diese
Nase voll hat man hingegen von den Führungs-Flitzpiepen Nahles, Merkel,
Seehofer, Dobrindt, Schäuble. Es müssen unbedingt einige dieser seit vielen
Jahrzehnten in der ersten Reihe sitzenden Apparatschiks abtreten. Selbst wenn
sie etwas völlig richtig machen, nützt es ihnen nichts mehr, weil sie nur noch
negativ konnotiert werden. Man muss nur den Namen „Nahles“ erwähnen und schon
winken die Menschen entnervt ab.
Das ist
partiell ungerecht, weil sie gar keine Chance hat es besser zu machen. Aber es
ist auch nicht zu ändern. Ein politisches Reset gibt es nicht durch das
Platzenlassen dieser Groko, sondern durch tabula rasa der Führungsebene.
[….]
Merkel, Nahles und Scholz finden keine
Sprache und keinen Sound, der noch zu vernehmen wäre.
[….]
Per Umfrage werden Probleme erkannt, die
Schritt für Schritt gelöst werden. Aber das ist für ein großes Land zu wenig.
Die am besten ausgebildete, gesündeste und fitteste Bevölkerung, die
Deutschland je bewohnte, wird zugleich über- und unterfordert. Einerseits sind
die Lasten ungleich verteilt: Deutsche Einheit, Agenda 2010 und die
Bankenrettung wurden zum großen Teil von Löhnen und Gehältern bezahlt. Die
Wirtschaft gedeiht, aber viele Arbeiter und Angestellten müssen rechnen, um
über die Runden zu kommen. Die Löhne sind zwar etwas angestiegen, aber die
Kosten umso mehr. In der kühlen Welt der Spiegelstrichaufzählungen sind die
Deutschen wohlhabend und sicher, aber sie fühlen sich nicht so. [….] Längst ist klar, dass der Krieg gegen Drogen
verloren ist, aber Justiz, Polizei und Verbraucher werden wegen dieser irren
Ideologie unnötig belastet. Die großen Digitalunternehmen bedrohen gleich
doppelt unsere offene Gesellschaft: Einerseits, indem sie ein egoistisches
Menschenbild nutzen und extremen politischen Stimmen unkontrolliert
Einflussmöglichkeiten bieten und andererseits, in dem ihre immensen Gewinne von
der Steuer verschont bleiben. Diese Macht zu zivilisieren braucht eben eine
andere politische Anstrengung als den Fleiß schrittweiser Verbesserung kleiner
Sorgen.
[….]
Die Sprache der GroKo ist hermetisch und
unfreiwillig komisch geworden. Bei aller Kompetenz gelingt es ihnen nicht mehr,
die offensichtlichen persönlichen Konflikte in ihrem Kreis zu benennen oder gar
zu lösen. [….]
Ich sehe
angesichts der gegenwärtigen Umfragen nur zwei Möglichkeiten:
1.) CDU, CSU und SPD tauschen radikal
das Führungspersonal aus, schmeißen möglichst jeden, der länger als zehn Jahre
im Bundestag sitzt aus der Regierung und regieren mit ganz neuen Gesichtern
weiter.
2.) CDU, CSU und SPD stellen gemeinsam
fest, daß sie nicht miteinander regieren wollen, lassen ein konstruktives
Misstrauensvotum scheitern und bitten Steinmeier Neuwahlen einzuleiten, bei
denen dann aber keiner der Spitzenkandidaten von 2017 mehr antritt. Dann müssen
Maas, Spahn, Habeck, Kipping und Nicht-Lindner für ganz andere Koalitionen
werben und aufgrund ihrer Frische auf volatilere Umfragen hoffen.