Sonntag, 16. Mai 2021

Der fromme Frank

Natürlich war Frank-Walter Steinmeier der perfekte Bundespräsidentenkandidat für die SPD, weil er trotz seines Parteibuchs alle Bedingungen erfüllte, um auch von anderen Parteien Stimmen in der Bundesversammlung zu bekommen. Fromme Christen sind im Parlament extrem überrepräsentiert, Konfessionslose geradezu marginalisiert.

(…..)  Frank-Walter Steinmeier gilt als Idealbesetzung. Er war und ist beliebtester Politiker Deutschlands – so wie eigentlich alle Außenminister, wenn sie nicht durch extreme Unfähigkeit auffallen wie Guido Westerwelle.

Mehr Establishment als Steinmeier geht eigentlich gar nicht.    (…..)  Seit zwei Jahrzehnten sitzt er an entscheidenden Hebeln der Macht und führt das fort, was wir fast immer im Amt des Bundespräsidenten hatten:

1.   Alt

2.   Mann

3.   Weißhaarig

4.   Ausgesprochen fromm und christlich.

Ich hatte so sehr gehofft, daß mal kein klerikaler Geront ins Schloß Bellevue einzieht, der einmal mehr die Abgehobenheit des politischen Betriebs repräsentiert.

1.   Mit Steinmeier, der schon als nächster Präsident der Synode der Evangelischen Kirche gehandelt wurde, zieht schon wieder ein hardcore-Religiot ins höchste Amt der Bundesrepublik ein.

2.   Im Juli 2016  erhielt er den „Ökumenischen Preis der Katholischen Akademie Bayern“ für die "Kraft seiner christlicher Überzeugung."

3.   Steinmeier focht engagiert für die diskriminierende „Pro-Reli“-Initiative gegen seine eigene Berliner Partei.

4.   Steinmeier predigte am 12.November 2014 beim Eröffnungsgottesdienst der Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.“

5.   Laudator und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm überreichte im September 2016 den Toleranzpreis der Evangelischen Akademie Tutzing an Steinmeier.

6.   Frank-Walter Steinmeier gehört dem Präsidium des Kirchentages an.

7.   Steinmeier forderte beispielsweise 2012 vehement und verfassungswidrig die Einmischung der Kirchen in die Politik.

8.   Steinmeier eröffnete im November 2014 die Synode der Brandenburgischen Kirche.

Zu fromm für meinen Geschmack.    Ich halte es für nahezu ausgeschlossen, daß er eine Art von Aufbruchsstimmung generieren könnte, die auch bisher Politikferne für unsere Demokratie begeistern wird. (….)

(Establishment, 14.11.2016)

Ich sollte mit meinen Prognosen Recht behalten. Steinmeier ist ein Fortschritt gegenüber dem ungebildeten und selbstverliebten Pfarrer Gauck, der seine rechtsnationalen Ansichten immer weniger verbergen konnte. Steinmeier sieht auch nicht so ungepflegt aus wie sein Vorgänger. Er kann sich auf der internationalen Bühne bewegen und man muss nicht ständig befürchten, daß er auf Staatsbesuchen wie Gauck, Köhler, Wulff oder Lübke irgendetwas Hochnotpeinliches von sich gibt.

Es bleibt ein ewiges Faszinosum, daß intelligente, gebildete Menschen an dieser schweren Inselverarmung leiden können, die sie zu extremen Religioten macht.

Steinmeier ist so ein Fall.    Das zeigte sich jüngst, als dem als langjährigen deutschen Chefkatholiken Kardinal Marx, in dessen Erzdiözese besonders übel den Opfern des sexuellen Missbrauchs durch Priester mitgespielt wurde, dringend das Bundesverdienstkreuz umhängen wollte, um die gequälten und vergewaltigten Kinder metaphorisch auszulachen. Sogar der bayerische Bischof selbst begriff, daß Steinmeiers Klerikerliebe zu weit ging.

[…..] Nach massiver Kritik von Missbrauchsopfern verzichtet der Münchner Kardinal Reinhard Marx auf das Bundesverdienstkreuz, das ihm Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier diesen Freitag überreichen sollte. Das geht aus einer Mitteilung hervor, die auf der Homepage des Erzbistums München veröffentlicht wurde. Darin wird über einen Brief berichtet, den Marx an den Bundespräsidenten geschrieben habe. "Meine große Bitte an Sie ist, die Auszeichnung nicht vorzunehmen", schreibe Marx darin an den Bundespräsidenten.   In den vergangenen Tagen hatte es Kritik an der geplanten Auszeichnung des Kardinals gegeben. Der Orden dürfe nur vergeben werden, wenn eindeutig nachgewiesen sei, dass Marx sich nicht an der Vertuschung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche beteiligt oder deren Aufklärung behindert habe, hieß es von mehreren Opferverbänden.   "Diese Auszeichnung ist eine herausgehobene Ehre, für die das gesamte Wirken des zu Ehrenden in den Blick genommen werden sollte", sagte Hermann Schell, Sprecher des Vereins Missbit, der Missbrauchsopfer und Betroffene im Bistum Trier vertritt. Aus Sicht von Missbit entspricht das Verhalten des früheren Trierer Bischofs im Umgang mit sexuellem Missbrauch nicht dem mit der Ehrung verbundenen Vorbildcharakter. Schell forderte Marx daher auf, auf die Auszeichnung zu verzichten. [….]

(SZ, 27.04.2021)

Es ist ein klassischer Fall von Realitätsblindheit eines Religioten, wenn inmitten einer weltweiten Debatte um den Myriadenfachen Kindesmissbrauch durch die Katholische Kirche und insbesondere die schwere moralische Schuld der deutschen Katholischen Bischofskonferenz, der Bundespräsident auf die Idee verfällt, dem langjährigen DBK-Chef einen Orden umzuhängen, statt Medaillen und Lametta für diejenigen vorzusehen, die sich um die Opfer und Wiedergutmachung bemühen.

So ein bundespräsidiales Fehlverhalten kann angesichts seines wohlbekannten Kirchismus’ kaum überraschen.

Atheisten können mit ihren humanistischen Überzeugungen prinzipiell alle anderen demokratischen Menschen repräsentieren, weil Religionsfreiheit für sie umfassend gilt: Freiheit von Religion und auch die Freiheit, privat jeder Glaubensrichtung anzuhängen.

Schwere Religioten hingegen erscheinen aufgrund ihrer alleinseligmachenden, also grundsätzlich EXKLUDIERENDEN Ideologie, für hohe Staatsämter in Deutschland  insofern ungeeignet, als sie einen großen Teil der Menschen nicht nur nicht repräsentieren, sondern sie sogar abwerten.

Frank-Walter Steinmeier zeigte das auf dem ökumenischen Kirchentag in Frankfurt leider besonders deutlich.

 […..] Steinmeier ging in seiner Eröffnungsrede zum Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt auf die "schwierige Zeit" ein, in der sich die beiden großen Kirchen befänden. Dabei stellte er die "bange Frage", ob es "je wieder ein Zurück zur Normalität gibt". Wörtlich fuhr er fort: "Ob die Pandemie nicht auch hier als Brandbeschleuniger wirkt, dem Prozess der Säkularisierung zusätzlichen Schub verleiht, die Kirchen aus der Mitte der Gesellschaft drängt."  Offenkundig schätzt der Bundespräsident die Zunahme des religionsfreien Bevölkerungsanteils als bedrohlich ein, denn der Begriff "Brandbeschleuniger" wird fast ausschließlich für gefährliche Entwicklungen wie das Erstarken von Rechtspopulismus, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit verwendet. Der Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) Michael Schmidt-Salomon erklärt dazu: "Wer im Zusammenhang mit der Säkularisierung von einem 'Brandbeschleuniger' spricht, gibt zu erkennen, dass er diesen 'Brand' löschen will. Ein 'Zurück zur Normalität' bedeutet für den Bundespräsidenten offenbar eine Wiederherstellung der christlichen Vormachtstellung in Politik und Gesellschaft. So etwas kann Frank-Walter Steinmeier natürlich als Privatperson denken, er darf es als Bundespräsident aber nicht öffentlich äußern. Denn als höchster Repräsentant des Staates sollte er sich weltanschaulich neutral verhalten. Die Verfassung verbietet es ihm, einseitig Partei für eine Religion zu ergreifen – auch nicht für das Christentum!"

Christen und Kirchen werden benötigt – andere nicht?

Nicht weniger als sieben Mal behauptete der Bundespräsident in seiner Rede: "Wir brauchen die Kirchen, wir brauchen engagierte Christinnen und Christen!" Darüber hinaus sprach er das Publikum als "Schwestern und Brüder" an. "Frank-Walter Steinmeier hat sich in dieser Rede nicht als 'Präsident aller Deutschen' gezeigt", sagt Schmidt-Salomon. "Immerhin sind 39 Prozent der Bevölkerung konfessionslos. Die vielen Millionen religionsfreien Menschen sind auch nicht bloß zu tolerieren, wie es die Rede des Bundespräsidenten nahelegt, sondern als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger zu respektieren. Toleranz, sprich: die Erduldung einer Last, wäre eindeutig zu wenig – zumal offene Gesellschaften auf religionsfreie Menschen in besonderem Maße angewiesen sind. Denn es ist kein Zufall, dass die Menschenrechte im weitgehend säkularisierten Westeuropa stärker geachtet werden als beispielsweise in kirchlich geprägten Ländern wie Polen, in denen 'engagierte Christinnen und Christen' das Sagen haben. […..][…..]

(Michael Schmidt-Salomon, GBS, 15.05.2021)