Wer wie ich Angela Merkel
mit einer großen Portion Missgunst begegnet, ertappt sich selbst gelegentlich
bei Schadenfreude.
Das gönne ich ihr jetzt
aber, die zickende FDP am Hals zu haben.
Das geschieht ihr Recht,
daß sie kurz nach der AKW-Laufzeitsverlängerung alles über den Haufen werfen
muß.
Das hat sie nun davon, daß
sie Wulff unbedingt aus der starken CDU-Vize und Ministerpräsidentensituation
nach Bellevue wegloben wollte.
Na, das ist aber peinlich,
daß kurz nach Merkels Intervention in Brüssel gegen umweltfreundliche Autos dicke BMW-Spenden an die CDU bekannt werden.
Das ist die gerechte
Strafe dafür, daß sie Snowden und NSA so plump ignorierte.
Angeblich soll
Schadenfreude ein rein deutsches Phänomen sein, für das es in den meisten
anderen Sprachen gar kein Wort gibt. Ich weiß nicht, ob das wirklich stimmt.
Jedenfalls ist Schadenfreude sehr unsympathisch und ich erlaube mir solche
Gefühlsregungen nur, wenn ich jemanden wirklich für sehr destruktiv und
gefährlich halte. Merkel zum Beispiel.
Allerdings liegt der
Vorstellung Merkel ärgere sich und leide darunter ein Denkfehler zu Grunde.
Politischer „Ärger“ ist
für sie in Wahrheit nur Business as usual. Davon läßt sie sich ganz
offensichtlich nicht persönlich die Laune verderben.
Von allen bisherigen
Bundeskanzlern ist Merkel bestimmt die am wenigsten Engagierte und am
wenigstens Empathische. Selbst Machtmensch Gerd Schröder hatte durchaus Herz.
Man konnte Entsetzen oder Mitgefühl an seiner Mimik ablesen. Er hatte Projekte,
die er mit Herzblut und Leidenschaft verfolgte – wie zum Beispiel die Entschädigung
ehemaliger Zwangsarbeiter.
Bei Merkel gibt es das
nicht. Sie mag gerne Kanzlerin sein und solange sie das ist, kann sie nichts
berühren.
Hätte sie auch nur
rudimentäres Mitgefühl für Arme, Schwache oder Minderbemittelte, würde sie
nicht konsequent bei jeder Gelegenheit deren Leid vergrößern. Merkel kennt noch
nicht mal ansatzweise Skrupel die Krisengebiete dieser Welt mit deutschen
Waffenlieferungen zu überziehen und es war Merkel, die gestern auf dem
EU-Gipfel so kurz nach den grauenvollen Lampedusa-Bildern a posteriori noch einmal auf den toten Flüchtlingen
herumtrampelte.
Der zweite Grund weswegen
es unangebracht ist bei Merkelschen Problemen Schadenfreude zu empfinden, ist
ihre Fähigkeit aus allem eine Gelegenheit zu machen.
Sie zieht stets
politischen Nutzen aus vermeidlichen Niederlagen.
Der debakulierende
K.O.alitionspartner FDP war ein wunderbarer Sündenbock, um von ihrer
Konzeptionslosigkeit abzulenken. Auch parteiintern hatte sie durch die FDP
immer eine Erklärung dafür, wenn es dem rechten Flügel ihrer Partei nicht
konservativ genug zuging.
Fukushima gab ihr die
günstige Gelegenheit sich endlich der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung
anzupassen, ohne großen Ärger mit der CSU und FDP zu bekommen.
Damit enteierte sie SPD
und Grüne, nahm ihnen ein extrem wichtiges Wahlkampfargument.
Der Totalausfall von Wulff
gab ihr die Möglichkeit sich als Gegenpol, als persönlich bescheidene „ehrliche
Haut“ zu inszenieren.
Die sechsstelligen
Honorare der Automobil-Industrie für Merkels Lobbytätigkeit nutzte die
Kanzlerin als Signal an ihre Großspender, daß sie künftig auch weiterhin gerne
die Hand aufhalten wird und Wünsche erfüllt – auch wenn nun mit der SPD
womöglich keine Koalition eingegangen werde, die in einigen Punkten den
Milliardären Deutschlands wehtun könnte.
Auch die hotnotpeinliche
Handy-Gate-Affäre, die ausgerechnet die Totalausfälle Friedrich und Pofalla zu
Chefaufklärern macht, bedeutet für Merkel nichts anderes als
eine gute Gelegenheit sich bei einem Thema, bei dem sich die CDU verrannt hat,
an die Mehrheitsmeinung des gemeinen Volkes anzupassen. Zudem hat sie endlich
einen Anlass die beiden völlig ungeeigneten und blamablen Minister aus ihrem
Kabinett zu werfen, ohne daß irgendjemand in NRW oder Bayern ihr zürnen könnte.
Last but not least: Viele
Antlantiker der traditionellen Presse und ThinkTanks sind große Obama-Fans und
kreiden (zu Recht) Merkel die dramatische Verschlechterung der deutsch-amerikanischen
Beziehungen an. Aber auch das ist nun Schnee von gestern. Nun ist Obama der
Buhmann und Merkels sträfliche Unterlassung der Pflege der US-deutschen
Beziehungen wirkt auf einmal verständlich. Den Amis traut nun keiner mehr.
Für Merkel ist das Abhören
ihres Handy mal wieder ein Grund alles rosarot zu sehen.
Danke für die Gelegenheit Ein Muster, das es schon mal gab: nach Fukushima
Eine der
großen, auch von Gegnern anerkannten Stärken Angela Merkels ist ihre
Gelassenheit. Kein noch so großer politischer Begriff, keine noch so
beeindruckende Überschrift zu einem Koalitionsvertrag entfalten im Alltag der
Kanzlerin dieselbe Wirkung wie ihr ewiges Motto: Es ist, wie es ist. Je mehr
sich die Öffentlichkeit aufregt, desto stoischer gibt sich Merkel. Wer
versucht, die Kanzlerin aus der Reserve zu locken, scheitert für gewöhnlich an
einer Mischung aus mildem Spott und geradezu bräsiger Souveränität.
[…] Merkel ist
der Kragen geplatzt, aber nicht nur, weil ihr der Hals schwoll, sondern auch
weil es ihr opportun erschien. Die Kanzlerin nutzt die Chance, sich in der
NSA-Affäre aus der Defensive zu befreien. Woran erinnert das bloß?
Das Vorbild
heißt Energiewende - die Ereignisse in Fukushima und der daraufhin von Merkel
im Eiltempo eingeleitete Atomausstieg. Auch damals hatte sie vorher ein
Streitthema bearbeitet, politisch aber nicht erledigen können. Mit der
ursprünglich beschlossenen Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke konnte sie
wenig gewinnen, aber viel verlieren: Jede lose Schraube in Brunsbüttel, jeder
Dampfaustritt in Biblis bedrohte den ohnehin brüchigen atompolitischen Frieden.
Diesen unangenehmen Zustand beendete Merkel im geeigneten Moment mit einem
Marschbefehl in die entgegengesetzte Richtung.
In der
NSA-Affäre kopiert sich Merkel nun selbst. Aus diversen politischen Gründen,
die von der deutsch-amerikanischen Freundschaft bis zum eigenen Wahlkampf
reichten, hatte sie der öffentlichen Empörung lange Zeit eine bisweilen fast
desinteressiert wirkende Beschwichtigungspolitik entgegengesetzt. Aber der
Schlusspfiff, mit dem ihr Kanzleramtsminister Ronald Pofalla die Affäre beendet
sehen wollte, beeindruckte die Whistleblower wenig. […]
Nach ihrem
Aufbegehren gegen Obama steht Merkel nun aber nicht mehr mit dem Rücken zur
Wand, sondern auf der Seite der Guten.
(Nico Fried, SZ vom 26.10.2013)