Nach einem Jahr des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, weiß ich, wie wenig ich weiß. Opferzahlen sind schwer zu verifizieren. Vermutlich sind hunderttausende Menschen tot und Sachschaden in Billionen-Höhe angerichtet.
Am 24.02.2022 dachte ich mit Blick auf die Größe der beiden Nationen, Putins moderne Waffen und die jüngste Erfahrungen mit Auslandseinsätzen beispielsweise in Syrien; das werde sicher ein kurzer Krieg. Putin könne die Ukraine handstreichartig übernehmen. Weil er es a) militärisch kann! Und der Westen b) nichts dagegen unternehmen werde, weil man in Brüssel c) darauf setzen werde, möglichst wenige zivile Opfer zu haben. Schließlich, d) gehörten Russland und die Ukraine früher auch schon in einen Staat. Wieso sollte es die NATO ernsthaft interessieren, wenn es erneut so käme?
Ein paar Wochen oder Monate später, wußte ich, mich gründlich geirrt zu haben. Das war wenig verwunderlich, denn ich weiß kaum etwas über Militärkunde.
Wesentlich verblüffender als meine Prognose-Pleite, erscheint aber Putins Irrtum. Offenbar hatte er ähnlich gedacht; hielt es für machbar, sich die Ukraine schnell einzuverleiben. Es muss doch in der russischen Armee Experten geben, um militärische Stärke einschätzen zu können und den Kriegsverlauf besser prognostizieren zu können.
Innerhalb des letzten Jahres lernt ich Prof. Carlo-Antonio Masala von der Bundeswehr Universität München und viele seiner Kollegen kennen. Die Damen und Herren prognostizieren aus berufenerem Munde. Mal wissen sie von einem baldigen Sieg der Ukraine über die Invasionstruppen zu berichten, mal verweisen sie auf die nach wie vor gewaltige Überlegenheit Putins.
Prognosen sind schwierig; insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Daher werde ich mich nicht mehr daran beteiligen, das Geschehen auf dem Schlachtfeld zu extrapolieren.
Besser beurteilen kann ich die Stimmung in Deutschland. Da lässt sich einerseits einen zunehmende Ablehnung der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen erkennen. MONITOR berichtet von fliehenden Tschetschenen, die sich nicht von „Putins Folterknecht Kadyrow“ im Kampf gegen die Ukrainer verheizen lassen wollen. Ihnen sollte nicht nur aus grundsätzlichen humanitären Erwägungen sofort Asyl in der EU und Deutschland gewährt werden, sondern es liegt in unserem ausdrücklichen geopolitischen und militärischen Interesse, Putin den Truppennachschub abzuschneiden. Das geschieht aber nicht, weil die Ampel sich vor dem erfolgreichen xenophoben Merz-Wegner-Kurs fürchtet. CDU und CSU reden wieder von „Obergrenze“ und verfolgen einen menschenfeindlichen Kurs. Sie tun das, weil es damit viel zu gewinnen gibt. Deutschland ist gespalten.
In meiner social-media-Blase herrscht ein nahezu einheitliches Bild aus Putin-Hassern, die sich für Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen und extrem hart mit Appeasement-Vertretern der russlandfreundlichen Leerdenker-Szene aus Wagenknecht, Käßmann, Schwarzer und Kretschmer ins Gericht gehen.
Das ist aber offensichtlich kein repräsentatives Bild. In allen Umfragen lehnen etwa genauso viele Bürger Waffenexporte ab, wie es Befürworter gibt.
Der Wagenknecht-Putin-Schwarzer-Aufruf, „Manifest für den Frieden“ fand bis heute 461.000 Unterzeichner, die sich an die Seite der 69 Erstunterzeichner-Aluhüte stellen.
Fast eine halbe Million gemeinsam mit Tino Chrupalla, Franz Alt, Eugen Drewermann Peter Gauweiler, Wolfgang Grupp, Gottfried Helnwein, Margot Käßmann, Oskar Lafontaine, Martin Sonneborn, Jürgen Todenhöfer.
[….] Lässt sich die Eskalationsspirale so durchbrechen? Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, Autorin Alice Schwarzer und Russlands Präsident Wladimir Putin haben heute in einem gemeinsamen Aufruf das Ende der deutschen Waffenlieferungen in die Ukraine gefordert. Dazu stellten die drei eine Petition mit dem Titel "Manifest für den Frieden" vor. "Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis", heißt es in der Petition. "Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen?" Zudem, heißt es in der Petition weiter, sei "zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg?" [….]
Satire und Realität lassen sich, wieder einmal, schwer unterscheiden.
Deutschland schickt Panzer, Munition und Panzerhaubitzen; bildet Ukrainische Soldaten aus.
Und Deutschland liefert elektronische Bauteile an die russische Armee, um die deutschen Panzer wieder wegzubomben. Das geht trotz Embargo ganz leicht.
[….] Seit Kriegsbeginn kommen sogar mehr kriegswichtige Chips nach Russland als zuvor. Auch aus Deutschland wurde solche Ware über Drittländer wie die Türkei nach Russland verkauft. [….]
Während sich die vier Nato-Staaten Estland, Lettland, Polen und Litauen intensiv bemühen, der Ukraine militärisch zu helfen, halten drei andere Nato-Länder unverhohlen zu Russland: Türkei, Ungarn und Italien.
Die Türkei trägt keine Wirtschaftssanktionen mit, intensiviert ihren Handel mit Russland – siehe kriegswichtige Chips.
Orbán blockiert härtere Russland-Sanktionen in der EU.
Hinzu kommt nun noch eine putinfreundliche Neofaschisten-Koalition in Rom.
[….] Italiens Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat mal wieder mit Äußerungen zum russischen Angriffskrieg für Empörung gesorgt und die Regierung seiner Koalitionspartnerin Giorgia Meloni in Verlegenheit gebracht. Der 86-Jährige sagte am Sonntagabend vor Journalisten in Mailand, dass er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in der Verantwortung sieht, für eine Feuerpause und damit den Frieden in dem Land zu sorgen. Überhaupt gab Berlusconi Selenskyj - ganz nach Kreml-Lesart - eine Schuld an der Eskalation, weil er Gebiete im Osten der Ukraine angegriffen habe. Und ginge es nach ihm, würden kein Geld und keine Waffen mehr nach Kiew geliefert. […]