Montag, 28. Dezember 2015

Wen der Urnenpöbel liebt - Teil I


Das Problem mit der repräsentativen Demokratie ist, daß die Quertreiber, Paniker und Schreihälse vom Wähler überproportional wahrgenommen werden.
Wesentlich mehr erreicht vermutlich der Typ Volksvertreter, der in Ausschüssen und Kommissionen Kompromisse schafft, sich Fachwissen aneignet und nicht seine Arbeitszeit dafür verschwendet für sich als Person Werbung zu machen.

Ein Beispiel dafür ist die äußerst effektive Arbeit des Bundesarbeitsministers Olaf Scholz (2007-2009), der kaum in Talkshows ging und für die Öffentlichkeit relativ unsichtbar blieb. Das brachte ihm miese Beliebtheitswerte und den Titel „Scholzomat“ ein.
Das Gegenbeispiel ist CDU-Bundesvize Julia Klöckner, die politisch noch überhaupt gar nichts geleistet hat, nie eine Wahl gewann, ihren Staatssekretärsjob schnell wieder hinwarf, auf Bundesebene mit besonders sinnlosen Vorschlägen auffällt, aber dafür schon als Kanzlerinnenanwärterin und Hoffnung der CDU gilt.
So eine wird gemocht und garantiert gute Wahlergebnisse.

König der Dampfplauderer ist und bleibt aber Wolfgang Bosbach, der sich immer als aufrechter Kämpfer gegen Bevormundung inszeniert, der als einziger ehrlich seine Meinung sage.
Ihm ist es fast egal um welches Thema es geht, Hauptsache er kann sein Gesicht vor die Kameras bringen. Bosbach ist omnipräsent. Was Bosbach sagt, wird sofort weiterverbreitet.

Wolfgang Bosbach hat seinen Titel verteidigt. Im dritten Jahr hintereinander gelang es ihm, die Talkshow-Studios der Republik häufiger zu bespielen als jeder andere.

Bosbach, der gelernte Einzelhandelskaufmann betätigt sich als Verwaltungsratsmitglied des Kölner Eishockeyclubs „Die Haie“ e.V., sitzt als
Mitglied im Fernsehrat des ZDF, seit 9. März 2010 als Vertreter der CDU und Mitglied im Programmausschuss Programmdirektion und fungiert zudem als Juror bei der Wahl der Miss Germany.

Regierungsverantwortung trug der Berufspolitiker nie.
Er ist eher der Meckerer aus der zweiten Reihe, der aber drei Mal am Tag zur Presse rennt, um sich ins Gespräch zu bringen.
Das klappt besonders gut, wenn er sich konservativer als der Rest seiner Partei gibt.

Den doofen Griechen gönnte er nicht das Schwarze unter den Fingernägeln und biederte sich in schleimigster Weise bei den AfD-Sympathisanten an, indem er dem Affen Zucker gab und natürlich nicht richtig stellte, wo all das Geld tatsächlich hinging.
Zuletzt inszenierte er sich als Märtyrer, der sogar seine Karriere seinen Überzeugungen opfere.

Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach legt sein Amt als Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses nieder. Sein Bundestagsmandat werde er aber behalten. Das teilte der Abgeordnete für den Rheinisch-Bergischen Kreis in Nordrhein-Westfalen am Donnerstag in Bergisch Gladbach mit.
Der CDU-Politiker hatte zuletzt wegen möglicher neuer Griechenland-Milliardenhilfen massive Kritik an seiner eigenen Partei geübt. Er hält das Haftungsrisiko für die Steuerzahler für zu hoch - denn dass Griechenland die Kredite pünktlich und vollständig zurückzahlt, glaubt er nicht.

Der Innenausschuss hat zwar gar nichts mit den EU-Hilfen zu tun und natürlich behielt Bosbach den Job, der das Geld einbringt – das Abgeordnetenmandat.
Aber der Urnenpöbel war begeistert von diesem angeblich so konsequenten Schritt.
Man feierte ihn. Die Hamburger Morgenpost bejubelte ihn als „ehrlichsten Politiker Deutschlands“ und rief alle anderen auf sich ein Beispiel an ihm zu nehmen.

Kein zweiter Politiker ohne Spitzenamt ist so beliebt wie der Ex-Karnevalsprinz aus Bergisch-Gladbach. Seine Talkshow-Auftritte sorgen regelmäßig für Top-Einschaltquoten.
Der Grund: Keiner spricht Klartext wie er, kaum einem anderen Politiker wird so viel Aufrichtigkeit und Unabhängigkeit zugeschrieben wie ihm. Dank Sätzen wie diesem – einem Klassiker im „WoBo“-Repertoire, den er gestern wiederholte: „Früher warst Du ein Rebell, wenn Du eine revolutionäre Bewegung angeführt hast, heute bist Du es schon, wenn du bei Deiner Meinung bleibst.“

Ja, Bosbach redet Klartext.
Er ist klar xenophob, will klar Ausländer loswerden und tritt klar gegen ein solidarisches Europa ein.
Das darf aber eben nicht mit Aufrichtigkeit oder gar Ehrlichkeit verwechselt werden.
Bosbach ist schlicht und ergreifend ein Lügner, der rechte Stimmungen anheizt.

Faktencheck der SPIEGEL-Dokumentation […]
 Kaum ein anderer Politiker ist so häufig in Talkshows zu sehen wie CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. […]  Derzeit äußert Bosbach gern seine Meinung zum Thema Flüchtlinge. Deutschland leiste in "beispielloser Weise" Hilfe und komme "an die Grenzen der Belastbarkeit", behauptet er zum Beispiel. Vergangene Woche gab Bosbach bei einer Veranstaltung in Mönchengladbach zu bedenken, dass wir "nicht alle sozialen Probleme dieser Welt" lösen könnten. […]
FÜR UND WIDER […] Der Großteil geht nicht in die westlichen Industriestaaten, sondern in angrenzende Nachbarländer. Die mit Abstand meisten internationalen Flüchtlinge zählte die Uno Ende 2014 in der Türkei und in Pakistan, jeweils über 1,5 Millionen Menschen.
Teilt man die Summe der Flüchtlinge und Asylbewerber durch das Pro-Kopf-Einkommen eines Landes, rangiert Deutschland weltweit nur noch auf Platz 36. Ganz oben stehen Äthiopien, Pakistan und Uganda. […]
Dem Eindruck, dass Deutschland in "beispielloser Weise" Flüchtlingen Hilfe leisten muss, steht ein weiterer Vergleich entgegen. Dividiert man das in einem Jahr erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt eines Landes durch die Anzahl der anerkannten Flüchtlinge und der Asylbewerber, dann ergibt dies den Betrag, aus dem ein Land seine Kosten pro Schutz- und Hilfesuchenden bestreiten muss. Je kleiner die Summe, desto höher dürfte die jeweilige "Belastung" sein. Gemessen an diesem Indikator steht Deutschland auf Platz 73 von 161 hier erfassten Staaten. […]
FAZIT Der deutsche Staat leistet weder Hilfe "in beispielloser Weise", noch agiert er an den "Grenzen der Belastbarkeit". Deutschland ist daher natürlich nicht das "Weltsozialamt".