Montag, 4. Januar 2021

Und wann werde ich geimpft?

Es ist immer leichter zu kritisieren und zu erklären was man alles für falsch hält.

Die großen politischen Bewegungen entstehen heutzutage auch weniger, weil man gemeinsam etwas liebt, verbessern will.

Die große Klammer ist jetzt der Hass. Man versammelt sich hinter Trump, Farage, der AfD, Hildmann, weil man gemeinsam etwas abgrundtief hasst.

Die Trumpisten halten nicht zusammen, weil sie ihren Cult-Leader so sehr lieben, sondern weil sie alle gemeinsam die gleichen Personen und Ideen wie die Pest hassen.

Daher ist es wichtig und sinnvoll sich immer mal wieder Zeit zu nehmen, um sich darüber bewußt zu werden, was im politischen Bereich funktioniert, was richtig läuft, wer einen guten Job macht und dies auch auszusprechen.

In diesem Zusammenhang möchte ich dringend die SPIEGEL-Titelgeschichte über das Mainzer Biontech-Gründer-Ehepaar Özlem Türeci und Uğur Şahin empfehlen.

Die beiden habilitierten Spitzenforscher haben nicht nur quasi in Eigenregie den weltweit erste hochwirksamen Corona-Impfstoff entwickelt – und zwar schneller als die internationalen Pharmariesen, die mit Milliardenaufwand ebenfalls mit Hochdruck daran forschten, sondern sie sind persönlich auch noch die sympathischsten Menschen, die man sich vorstellen kann.

Völlig zu Recht feiert sie der SPIEGEL-Leitartikel als „Helden der Moderne“ und empfiehlt dem US-Nach­rich­ten­ma­ga­zin »Time« die beiden als Nachfolger von Joe Biden und Kamala Harris zur „Person des Jahres“ zu küren.

[….] Bi­ontech macht aber noch in an­de­rer Hin­sicht Mut: Şahin und Tü­re­ci sind nicht nur ex­zel­len­te For­scher, wie be­ses­sen da­von, die Mensch­heit von Gei­ßeln wie Krebs und töd­li­chen Vi­ren zu be­frei­en; das Paar tür­ki­scher Her­kunft ist auch der bes­te Be­leg da­für, wel­chen Nut­zen Mi­gra­ti­on für eine Volks­wirt­schaft stif­tet. So wie in den USA, wo zahl­rei­che der Tech-En­tre­pre­neu­re eben­falls aus Zu­wan­de­rer­fa­mi­li­en stam­men.

Die Fir­ma aus Mainz legt in­des noch mal ei­nen drauf: Der Kopf der For­scher­trup­pe ist eine Frau. Ohne Tü­re­ci, Şahins Ehe­part­ne­rin seit 18 Jah­ren, wäre Bi­ontech wohl nicht halb so viel wert. Die bei­den sind ein gleich­be­rech­tig­tes Team. Und bei al­lem Er­folg sind sie de­mü­tig ge­blie­ben. Der plötz­li­che Welt­ruhm spornt sie an, der da­mit ver­bun­de­ne Reich­tum be­deu­tet ih­nen per­sön­lich of­fen­kun­dig: gar nichts. Un­ter­neh­mer, wie man sie nicht bes­ser hät­te cas­ten kön­nen. […..]

(Steffen Klusmann, 02.01.2020)

Vor einem Monat war ich verärgert darüber, daß ausgerechnet die drei Länder, die von rechtspopulistischen Lügnern angeführt werden – also Israel, England und die USA – mit dem in Deutschland entwickelten Vakzin Massenimpfungen begannen, während die Bundesregierung geschlafen zu haben schien und in deutschen Pflegeheimen immer noch auf die ersten Biontech-Serumlieferungen gewartet wurde.

In diesem Punkt möchte ich mich korrigieren.

Es gilt zwei verschiedenen Interessen abzuwägen:

Einerseits die eigene Bevölkerung so schnell wie möglich durchzuimpfen, damit das große Sterben zu beenden und Lockdowns überflüssig zu machen.

Andererseits sind wir als steinreiche Industrienationen verpflichtet an die armen Menschen in Entwicklungsländern zu denken, die ohnehin nur eine rudimentäre Gesundheitsversorgung haben und sich das Vakzin nicht leisten können.

[…..] Schamlos und unter Aufbietung ihrer enormen finanziellen und machtpolitischen Ressourcen haben sich die reichen Nationen der Welt den Großteil der globalen Impfvorräte gesichert. Und tatsächlich gibt es jetzt viel Empörung in der westlichen Öffentlichkeit über die Impfstrategie. Doch leider nur darüber, dass europäische Regierungen in ihrem Bestreben, wenigstens im EU-Verbund zu versuchen, eine gleichmäßige Verteilung des wertvollen Stoffes zu gewährleisten, „wichtige Tage“ verschenkt hätten, verglichen mit den noch größeren Impfstoffegoisten USA, Großbritannien oder Israel.  Die Tatsache, dass sich die Regierungen der wohlhabender Staaten, die lediglich 14 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, bereits jetzt über die Hälfte aller Impfstoffdosen gesichert haben, scheint indes kaum jemanden zu stören.    Wie muss das in den Ohren der Menschen in Brasilien, Indien, Südafrika klingen?   Die Hilfsorganisation Caritas rechnet damit, dass 2021 in 70 ärmeren Ländern nur zehn Prozent der Bevölkerung geimpft werden könnten. […..]

(Harald Stutte, RND, 03.01.2021)

Es war richtig, in Deutschland nicht dem nationalistisch-egoistischen, rücksichtlosen Vorbildern Jerusalem, London und Washington zu folgen.

[…..] Manche Kritiker der deutschen Impfstrategie merken gar nicht, dass die Bundesregierung bei der Beschaffung des Impfstoffs genau das getan hat, was sie von Angela Merkel immer wieder gefordert haben. Als die Kanzlerin nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima den rot-grünen Atomausstieg reaktivierte, wurde ihr vorgeworfen, die europäischen Partner mit der Entscheidung überfallen zu haben. Als Merkel 2015 die Flüchtlinge ins Land ließ, lautete der Vorwurf wieder, sie habe sich nicht mit den europäischen Partnern abgestimmt und spalte damit die EU. Als die Bundesregierung in der ersten Welle der Corona-Pandemie einen Exportstopp für wichtige medizinische Güter verhängte, wurde sie des hartherzigen Nationalismus bezichtigt.   Nun haben Merkel und ihr Gesundheitsminister Jens Spahn im Sommer die Beschaffung des Impfstoffs an die Europäische Union delegiert, und in Deutschland ist jetzt der Aufschrei groß, weil angeblich zu wenig Vakzin geordert wurde. Die Kommission hat offenkundig suboptimal verhandelt, der Geschäftsführer der Firma Biontech hat diesen Verdacht nun in einem Spiegel-Interview verstärkt. Aber ist das wirklich ein Argument gegen die Europäisierung der Beschaffung an sich? Die Alternative wäre ein ruinöser Überbietungswettbewerb der einzelnen EU-Staaten gewesen. Deutschland hätte dieses Rennen dank seiner finanziellen Möglichkeiten wahrscheinlich sogar gewonnen, aber politisch und moralisch wäre es - noch dazu in den Monaten der EU-Ratspräsidentschaft - ein Desaster geworden. […..]

(Nico Fried, SZ, 02.01.2021)

Wir wissen noch nicht genau, ob Geimpfte möglicherweise trotzdem das Sars-CoV2 übertragen können und wie lange der Impfschutz anhält.

Das Biontech-Gründer-Ehepaar Özlem Türeci und Uğur Şahin erwartet dazu aber schon im Laufe dieses Monats erste Antworten.

Wenn es sich bestätigen sollte, daß Menschen nach der doppelten Verabreichung des Biontech-Vakzins nicht nur selbst gegen Covid19 geschützt sind, sondern auch keine Überträger mehr sein können, stellt sich die Frage, ob diese „sicheren Bürger“ Sonderrechte erhalten.

Bekämen sie ein behördliches Zertifikat „Corona-frei“ auf die Stirn tätowiert, könnte man sie theoretisch vom Lockdown befreien und den um ihr Überleben kämpfenden Branchen der Gastronomie, des Kulturwesens und stationären Handels endlich wieder Kunden zu verschaffen. Dieser Post-Corona-Status wäre zudem ein wunderbares Druckmittel auf Covidioten und Aluhüte, die weiterhin zum Lockdown verdammt wären.

Eigentlich ein reizvoller Gedanke.

Bundesregierung und Bundesländer lehnen aber diese Privilegien für Geimpfte kategorisch ab und zwar MIT RECHT!

[…..] Bundesjustizministerin Lambrecht hält Privilegien für Menschen mit Corona-Impfung zum jetzigen Zeitpunkt für falsch.   Es sei nicht einmal klar, ob das Virus möglicherweise trotz einer Impfung weiterhin übertragen werden könne, sagte Lambrecht der Deutschen Presse-Agentur. Allein deshalb verböten sich gegenwärtig Privilegien für Geimpfte. Solange es nicht genügend Impfstoff für alle gebe, sei es zudem ein Gebot der Fairness, Sonderrechte weder einzufordern noch anzubieten, erklärte die SPD-Politikerin. Parteichef Walter-Borjans meinte dazu ebenfalls: „Wie sollten Privilegien für Geimpfte denn denen erklärt werden, die noch gar keine Chance hatten, sich impfen zu lassen?“   Rechtspolitiker von Union und SPD hatten ein gesetzliches Verbot von Sonderrechten für Geimpfte in die Diskussion eingebracht. Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Fechner, sagte der Zeitung „Die Welt“, es sei nicht hinnehmbar, wenn Fluggesellschaften nur Geimpfte mitnehmen oder Restaurants Nicht-Geimpften den Zutritt verwehren wollten. Eine solche Sonderregelung würde zu Spaltungen in der Gesellschaft führen. Ähnlich äußerten sich die Unionsparteien. […..]

(Deutschlandfunk, 29.12.2020)

Es wäre zutiefst amoralisch solche Sonderrechte zuzulassen, während die allermeisten Menschen sich gar nicht impfen lassen konnten.

Die Vorstellung, daß reiche Geimpfte aus den Industrienationen als Kreuzfahrtouristen immun durch Jamaika oder Marokko spazieren, wo sich niemand in der einheimischen Bevölkerung das Vakzin leisten kann, ist abartig.

Die Richtigkeit eines Verbots von Impfprivilegien zeigt sich schon daran, daß AfD und FDP sich diese Privilegien für sich selbst durchaus vorstellen. Sowohl Lindner als auch Christine Aschenberg-Dugnus, die gesundheitspolitische Sprecherin der Partei der Besserverdienenden haben sich so geäußert.

Es ist richtig keine Sonderrechte zuzulassen, es ist richtig auf eine europäische Lösung bei der Vakzin-Beschaffung gesetzt zu haben und nicht mit deutschen Milliarden Ärmeren und Bedürftigeren das lebenswichtige Biontech-Eloxier wegzuschnappen.

Es ist auch richtig bei der Verteilung des Impfstoffs stringent die vulnerablen Gruppen zu bevorzugen.

Erst müssen die >80-Jährigen in Pflegeheimen mit Corona-Fällen geimpft werden, dann die anderen Pflegeheimbewohner, das medizinische Personal und schließlich die anderen über 80-Jährigen. Dann folgen all die systemrelevanten Menschen, diejenigen, die sehr viele Kontakte haben.

Ich werde mich sehr weit hinten anstellen müssen.

Und auch das ist richtig so.