Freitag, 11. Januar 2013

Peeeeeeeeeeer - Teil II



Der richtige Spin ist der Casus Knacktus.

Wenn die VERöffentlichte Meinung jemanden liebt, dann kollektiv.
Alle Zeitungen und Magazine bejubelten Karl-Theodor Baron von und zu Guttenberg. 
Alle jazzen Ursula von der Leyen zur möglichen Kanzlernachfolgerin hoch, jeder plappert dem anderen nach, daß Ratzinger ein hochintelligenter bedeutender Wissenschaftler wäre. Alle halten Vroni Ferres für eine der bedeutendsten Schauspielerinnen. Jeder schreibt von Schäubles unbestrittener Finanzkompetenz.
(Ich vertrete in allen Punkten die diametral entgegengesetzte Meinung, aber auf mich hört ja keiner)
Die einhelligen Charakterisierungen führen dazu, daß sich die öffentliche Meinung der veröffentlichten Meinung irgendwann anpasst. 
Die Öffentliche ist ein Tanker. Sie geht viel langsamer auf Kurs, behält aber die einmal eingeschlagene Richtung erstaunlich lange bei.
Als Guttenberg schon seit Wochen der massiven Lügen und Täuschungen überführt war, hielt die große Mehrheit der Deutschen ihn immer noch für gradlinig und grundehrlich.
Einhellig senkt die veröffentliche Meinung derzeit über Peer Steinbrück die Daumen.
Seine unbestrittene Fachkompetenz wird gar nicht mehr zur Kenntnis genommen.
Daß er Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Mehltau-artigen Paralyse reißen könnte, die die Nichtpolitikerin und Lobbyisten-Wunscherfüllerin Merkel der Nation antut, interessiert nicht.

Stattdessen berauscht man sich an „echten Steinbrücks“ - also sprachliche Fauxpas, die dazu geeignet sind in dieser Neidkultur einen Popanz aufzubauen.
Der Urnenpöbel hat längst das Gespür für die wirklich wichtigen Punkte verloren.

Ob Merkel 40 Milliarden Euro oder 400 Milliarden Euro an die Banker verteilt, spielt für den Wähler gar keine Rolle, weil er sich den Unterschied ohnehin nicht vorstellen kann. 
Dabei ist genau das der alles überlagernde Megaskandal des frischen Jahrtausends: Sozialisierung der Verluste, Privatisierung der Gewinne. Gigantische Umverteilung von unten nach oben, Abkopplung einer superreichen Elite, die sich ihren Einfluß problemlos erkaufen kann und nicht den lästigen Umweg über Demokratie und Wahlen gehen muß. 
Das alles nimmt der Urnenpöbel klaglos hin. Aber wehe wenn Steinbrück seine Bundestags-Jahresbahncard einmal für eine private Zugfahrt benutzt.

Das ist so wie mit den Dienstwagen, die für eine Extratour ein paar Hundert Euro kosten. Darüber regen sie sich fürchterlich auf, weil das Größenordnungen sind, in denen sie selbst denken. 
Wenn aber Politiker ein paar Milliarden verschleudern oder wie CDU und FDP an Lobbyisten weiterreichen stört das demoskopisch gar nicht, weil das eh außerhalb des Horizonts des Urnenpöbels liegt.
Dass Steinbrück völlig Recht hat damit, daß Kanzler im Vergleich zu jedem Landeschef einer Kassenärztlichen Vereinigung unterbezahlt sind, spielt keine Rolle mehr.
 Ein Kandidat soll sich dem Neid-Pöbel anpassen.

Am schlimmsten finde ich, zu suggerieren er verlange nach mehr Geld, damit ER SELBST dann mehr verdiene!
Dabei ist bei kaum einem besser nachgewiesen als bei Steinbrück, daß er wesentlich mehr verdienen kann und zwar bei 1% des Aufwands, wenn er eben NICHT Kanzler würde. Ginge es ihm ums Geldverdienen, würde er sich ja nicht bewerben.

Kürzlich diskutierte ich in der Uniklinik mit einer Putzfrau. Sie setzte das Bundeskanzlergehalt auch sofort in Relation zu IHREM Gehalt und meinte es sei ja wohl unverschämt, daß Merkel 15 mal so viel wie sie im Monat verdiene.
Da mußte ICH (ausgerechnet!!!) Merkel verteidigen und antworten „bei aller Liebe, aber die Jobs - Putzfrau und Regierungschefin eines 82-Mio-Volks - sind eben NICHT vergleichbar“.
Daraufhin war sie natürlich beleidigt und meinte so schwer sei der Kanzler-Job ja nun auch nicht, schließlich hätte Merkel doch für alles ihre Leute!

Also, ich hasse Merkel nun wirklich wie die Pest, aber daß ein Regierungschef einen anstrengenden Job mit Dauerarbeit und wenig Schlaf hat, kann man ja nun nicht abstreiten. 
Wenn man nur eine ruhige Kugel schieben will, ist das jedenfalls nicht das Richtige.

Das Gespräch endete dann damit, daß ich sagte „Wenn sie der Ansicht sind Bundeskanzler ist so easy und man verdiene so viel, dann werden sie  doch selbst Bundeskanzlerin!“
Steht doch jedem frei.
Schröder hat gezeigt, daß das auch geht, wenn man aus allereinfachsten Verhältnissen kommt.
Aber daß man sich dafür 30 Jahre lang vorher buckeln und fleißig sein muss, jedes Wochenende auf dämlichen Parteiortsvereinssitzungen hocken muß, unendlich viele Hintern küssen muß, war ihr wohl nicht so gegenwärtig!

Es gibt tausende Leute, die ungerechtfertigt zu viel verdienen. 
Insbesondere solche Typen wie die Quandts, die GAR NICHTS tun und zufällig geerbt haben und dann bei einem 25%-Kapitalertragssteuersatz 600 Mio im Jahr verdienen dafür, daß sie zu Hause sitzen und Däumchen drehen.
Ich glaube auch, daß viele Verbands- und Sportfunktionäre sich nicht unbedingt todarbeiten für ihre hohen sechsstelligen Jahresgehälter.
 Man könnte sogar noch um die hohen Beamten in den Ministerien streiten.

Aber ausgerechnet BUNDESKANZLER wird man nicht wegen des Geldes. 
"Mega-schwierig" bis "total beschissen", so beschreiben viele Sozialdemokraten derzeit die Stimmung. Peer Steinbrück und sein schwer lädiertes öffentliches Image zieht die ganze Partei nach unten. Selbst hartgesottene Genossen fragen, wie man unter diesen Bedingungen einen halbwegs anständigen Bundestagswahlkampf überstehen soll.

Die SPD ist in ihrer wechselvollen Geschichte Unbill gewohnt. Die katastrophale Wahlniederlage 2009 war der vorläufige Tiefpunkt der jüngsten Zeit. Aber viel besser ist die Stimmung derzeit nicht. Eigentlich wollte sie im Sommer selbstbewusst ihren 150. Geburtstag feiern und im Herbst dann mit etwas Glück den Kanzler stellen.

Von Selbstbewusstsein ist dieser Tage aber wenig zu spüren, von Glück kann keine Rede sein. Namhafte und gemeinhin wohltemperierte Sozialdemokraten beschreiben den Zustand der Partei in überraschend drastischen Worten. "Mega-schwierig" ist der höflichere, "total beschissen" der gängigere Begriff.

Sollte Steinbrück gefürchtet haben, ihm schlügen in Berlin aus den eigenen Reihen Wogen der Entrüstung entgegen - er hätte nicht bangen müssen. Von Wut und Erregung ist nichts zu spüren, wer im vertraulichen Gespräch das Parteibefinden erkundet, spürt stattdessen Resignation, Ratlosigkeit und Anzeichen von Defätismus, Stimmungen also, die für eine Partei im Bundestagswahljahr gefährlicher sein können als Ärger und Zorn.

[…] Ein Kandidatenwechsel im Wahljahr wäre eine Katastrophe, sagen erfahrene Sozialdemokraten: "Das wäre Selbstmord aus Angst vor dem Tod." Stimmt.
 Sachlich ist aber schon längst nicht mehr.
Die Zeitungen überschlagen sich mit Horrormeldungen über den ungeschickten Peer.

Linke sitzen mit dampfenden, vollen Hosen wie paralysierte Kaninchen vor der Niedersachsenwahl und erklären Steinbrück a priori zum Sündenbock und falschen Kandidaten. 
Dabei hatte es gar keine Alternative gegeben.

Sie hatten ja nun mal de facto nur Steinmeier, Steinbrück und Gabriel zur Auswahl und von denen geht nur Steinbrück, weil Gabriels persönliche Sympathiewerte zu schlecht sind; Steinmeier wollte nicht und hat 2009 bewiesen, daß er Merkels Einlull-Wahlkampfstil absolut NICHTS entgegen zu setzen hat. ("Asymmetrische Demobilisierung")
Steinbrück hingegen ist klug, eloquent und kann auch im bürgerlichen Lager Stimmen holen.

Er ist aber beratungsresistent und haut gerne zur Unzeit Sprüche raus, die beim Wähler schlecht ankommen.

Daß er IN DER SACHE recht hat, interessiert dabei gar nicht mehr. 
Nun steht die ganze Journaille gleichgeschaltet gegen ihn. 
Und gegen so eine Kampagne hat man natürlich kaum Chancen. Insbesondere wenn die gesammelte Medienmacht in Form von Friede und Liz Merkel massiv hochschreiben läßt, obwohl sie NICHTS auf die Reihe bekommt und alle Versprechen gebrochen hat.
Klartext wollen die Wähler aber nicht mehr. Das erschreckt sie ganz fürchterlich.
Beliebt ist nur noch derjenige, der seichtes Geschwurbel ohne Inhalt absondert.
Wulff und Guttenberg sind so auf Platz 1 der Beliebtheitsskala aufgestiegen: Bloß keine politischen Positionen beziehen, niemanden verärgern, zu allem freundlich grinsen.
Der Urnenpöbel sehnt sich geradezu danach verarscht zu werden. ER will nur hören, daß es irgendwie weitergeht, ohne von der lästigen Realität aufgeschreckt zu werden. 16 Jahre Einlull von Kohl und acht Tranquilizer-Merkeljahre und der Verstand des Wahlvolkes ist erfolgreich ausgeschaltet
In der aktuellen ZEIT (von gestern) ist dazu ein interessanter Artikel - leider noch nicht online:

„Die Rhetorik  der Macht.

Über weniges regen sich die Medien derzeit mehr auf als über Peer Steinbrücks Interviews. Sollte er vielleicht lieber reden wie die Kanzlerin?“

Journalisten beklagen sowohl politische Nullaussagen als auch unkluge Antworten. Unkluge Antworten sind zumeist konkret

[…]   Steinbrück habe, wie der Spiegel in seiner aktuellen Titelgeschichte noch einmal herausstellt, »den Eindruck« erweckt, sich ein besseres Einkommen verschaffen zu wollen, da er in einem Interview darauf hingewiesen habe, dass das Kanzlergehalt verhältnismäßig niedrig sei. Nun hatte Peer Steinbrück keineswegs gesagt, dass er aufgrund eines finanziellen Vorteils Bundeskanzler werden möchte, er hatte vielmehr stets das Gegenteil behauptet, zum Beispiel im November in der Bild am Sonntag: »Meine Bewerbung um die Kanzlerkandidatur zeigt, dass mir dieses politische Engagement wichtiger ist als Geld. Denn sonst würde ich mehr verdienen, wie ja jetzt jedermann weiß.« Das weiß natürlich auch jeder politische Kommentator, genauso wie er allerdings auch weiß: Darauf kommt es gar nicht an. Es kommt nicht in erster Linie auf die Aussage selbst an, es kommt darauf an, ob sich aus der Aussage ein zweifelhafter Eindruck ableiten lässt, der zu einer öffentlichkeitswirksamen Erzählung taugt. Die Erzählung lautet: Ausgerechnet ein Kanzlerkandidat der SPD, der für seine Vorträge hohe Honorare kassierte, hinterlässt den Eindruck, sich über sein mögliches zukünftiges Gehalt zu beschweren. Nach Steinbrücks Vorgeschichte, so der Spiegel, »wirkte es seltsam«, dass Steinbrück auf das Kanzlergehalt zu sprechen gekommen sei. Seltsam ist allerdings auch, dass die seltsame Wirkung einer Aussage ein Politikum sein soll.

 Genau besehen, lässt sich aus den Steinbrückschen Interviewsätzen vor allem ableiten, dass er sich den Medienmechanismus nicht zu eigen machen möchte, wonach schon der mögliche Eindruck, den eine Aussage hinterlässt, diese sogleich zu einer kritikwürdigen macht. Eine kluge Antwort im Pingpongspiel eines journalistischen Inter views ist heute eine tautologische oder möglichst selbstverständliche, aus der sich, wenn überhaupt, nur indirekt etwas ableiten lässt. In diesem Sinne kluge Antworten kennt man gut von der Bundeskanzlerin. Nur einige allzu typische Beispiele aus den vergangenen Monaten: Am 2. Mai beantwortete Angela Merkel in der Welt die Frage, welche Bedeutung die Landtagswahl in Schleswig- Holstein für sie und die CDU habe, fol gen dermaßen: »Jede Landtagswahl ist wichtig, weil sie darüber entscheidet, welche Politik in einem Bundesland zum Tragen kommt (...).« Am 3. Mai wurde sie von der Hamburger Morgenpost gefragt, ob sie zur Fußballeuropameisterschaft in die  Ukraine fahre: »Ich habe noch keine Reisepläne zu Spielen der EM gemacht, weder nach Polen noch in die Ukraine, so etwas entscheide ich immer kurzfristig (...).« Am 2. Dezember wurde sie in der Bild am Sonntag gefragt, welche Position die Union zur steuerlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare mit Eheleuten habe: »Der Parteitag ist der richtige Ort für eine solche Entscheidung (...).« Wie ernst nimmt sie ihren Herausforderer Peer Steinbrück? »Ich habe immer jeden meiner Konkurrenten und Herausforderer ernst genommen und respektiert (...).« In Angela Merkels Interviewantworten wird entweder auf ein zuständiges Gremium verwiesen (»Parteitag«), die Fragestellung bis zur Unkenntlichkeit ins Allgemeine verschoben (»Jede Landtagswahl ist wichtig ...«, »Ich habe immer jeden meiner Konkurrenten ...«), oder aber die Frage wird als noch gar nicht beantwortbar deklariert, da eine Entscheidung noch aussteht: »Ich habe noch keine Reisepläne ...« [….]
(ADAM SOBOCZYNSKI, DIE ZEIT 10.01.13)