Freitag, 16. Juni 2023

Die Jungen, die Alten und das Klima.

In meiner (sicher nicht repräsentativen) Social-Media-Blase brodelt die Stimmung: Die FDP hat es verbockt. So wird das nie mehr was mit dem Klimaschutz in Deutschland, die Grünen sollten jetzt die Koalition platzen lassen, wenn sie ohnehin fast nichts erreichen. Helle Empörung über die alten, saturierten Boomer, die auf Kosten der Jugend die Welt ruinieren.

Die Rage der Aktivisten verstehe ich. Zwar überrascht mich wirklich gar nichts mehr an der heuchlerischen, destruktiven FDP, aber ich könnte dennoch platzen vor Wut über das Vorgehen der Hepatitisgelben.

Wir werden alle sterben.

[….] Warum behauptet die FDP faktenfrei, neuer #GEG Kompromiss führe zu mehr Klimaschutz. Das ist einfach falsch: mehr Gasheizungen -> mehr Gasverbrauch weil H2 in der Breite wohl nie kommen wird. Klimawandel ist existenzbedrohend. Da können wir uns selche Spielchen nicht leisten [….] Koalitionsvertrag:

- 2030er Klimaziel

- 65% Erneuerbare in jeder neuen Heizung ab 1.1.24

- Klimaneutralität bis 2045

Mit dem neuen Heizungsgesetz #GEG werden alle drei Ziele gerissen! Klimaschutzverschleppungshammer der FDP [….] Hitze, Dürre, Waldbrände. Und @fdp setzt Abschwächung des GEG durch.  Änderung verschiebt Wende um bis zu 4 Jahre wo keine Wärmeplanung vorliegt (grob Hälfte der Bundesländer)

Jetzt kommt es darauf an, dass die Besitzer*innen schlau genug sind doch keine Gasheizung einzubauen. [….]

(Prof Niklas Höhne @niklashoehne, 14. Juni 2023)

Es ist zum Verrückt werden. Seit einem halben Jahrhundert wird vor dem Klimawandel gewarnt, seit 40 Jahren gibt es moderne Wärmepumpen.

Aber erst sagten die deutschen Konservativen, es nütze nichts, wenn Deutschland allein handele, ökonomische Nachteile in Kauf nähme, aber die Hauptklimasünder nicht folgten. Inzwischen ist es genau umgekehrt: Deutschland ist auch beim Klimaschutz abgehängt, während China und die USA gewaltige Klimaschutzprogramme auflegen. Unsere europäischen Nachbarn setzen teilweise schon seit zehn Jahren auf Wärmepumpenpflicht. Sogar die konservativen britischen Tories haben schon vor Jahren das Aus des Verbrennungsmotors bis 2035 beschlossen. Aber nachdem wir nun klimapolitisches internationales Schlusslicht sind, bremst die FDP (zusammen mit Union, Springer und AfD) weiter die ohnehin viel zu zaghaften Schritte aus.

Ich habe volles Verständnis für die wütenden Proteste, die FFF und Campact heute vor der FDP-Zentrale veranstalten.

[….] „Wir stehen am Tatort der Klimaschutzblockade“, sagte Lara Eckstein vom Kampagnen-Verein Campact in Richtung FDP-Zentrale, deren Eingang von mehreren Polizistinnen und Polizisten bewacht wurde. Laut Polizei waren 400 Teilnehmende dem kurzfristigen Aufruf von Campact, Fridays for Future (FFF) und der Deutschen Umwelthilfe (DUH) an diesem verregneten Nachmittag gefolgt. Kurzfristig deswegen, weil das umstrittene Heizungsgesetz nach der überraschenden Einigung zwischen den Ampelparteien diese Woche womöglich doch noch vor der Sommerpause im Bundestag beschlossen werden soll. „Diese Woche hat gezeigt, wer die Richtlinien in der Koalition diktiert“, ärgerte sich Matthias Walter, Mitglied der DUH-Bundesgeschäftsführung. [….]

(Berl.MP, 16.06.2023)

Zwei DUH/Campact/FFF/Volksverpetzer-Narrative weise ich aber bei aller Sympathie zurück.

[….] Die Ampel hat das #Heizungsgesetz vierten Mal (!) „nachverhandelt“ und jetzt völlig entkernt. Die Grünen haben fast alles aufgegeben. Es ist jetzt quasi wirkungslos. Die eine Frage, die die #Ampel beim möglichen Kompromissen zum #Heizungsgesetz beantworten muss, ist doch: Werden damit die #Klimaziele erreicht? Oder massiv verfehlt?

Mit der aktuell vorgeschlagenen Aushöhlung des Gesetzes ist es schwer vorstellbar, wie Deutschland seine Klimaziele erreichen soll. Bis 2030 soll der CO₂ Ausstoß im Gebäudebereich um 40 % sinken, das geht nicht mit fossilen #Heizungen.

In weiten Teilen Deutschlands dürften noch bis 2028, also 4 Jahre länger als geplant, fossile Heizungen eingebaut werden. Diese bleiben dann über Jahrzehnte in Betrieb und stoßen CO₂ aus, welches wir nach dem Pariser Abkommen nicht ausstoßen dürfen. Leute, wir müssen 2045 klimaneutral sein. Wie zur Hölle soll das gehen, wenn wir uns noch 2028 neue Gasheizungen reinknallen?

Darüber hinaus hat sich die Gasindustrie mit der #Wasserstoff-Lüge durchgesetzt. Wasserstoff ist laut praktisch allen wissenschaftlichen Untersuchungen viel zu teuer, um damit zu heizen. Darum geht es auch gar nicht: Wasserstoff wird von der Gasindustrie als Ausrede benutzt, um sogar bis 2045 (!) noch in einzelnen Kommunen Gasheizungen einbauen zu dürfen. Auch Fachverbände und Gewerkschaften vor dem Heizen mit Wasserstoff als „Scheinlösung“.  [….] Kommentar Peter Temminghoff: Die Grünen sollen diese Verarschung von Scholz und Lindner endlich beenden und die Koaltion platzen lassen. Die sind doch von Anfang an nur gedemütigt worden und spielen auch noch mit. Das fing schon mit dem Verzicht auf's Tempolimit an. Von da an war SPD und FDP klar: mit denen kann man alles machen. Dafür wurde extra ein Umweltschmutz-Monisterium für Volker Wissing eingerichtet. Und Lindner, Kubicki und Konsorten hetzen fröhlich weiter. Prinz Valium Olaf soll's Recht sein. Wird er doch so ohne eigenes Zutun Konkurrent Habeck los. […..]

(VVP, 14.06.2023)

Erstens: Das geht nicht. Weder kann Scholz die renitente FDP per order di mufti zurückweisen, noch können die Grünen die Ampel platzen lassen.

Basta-Politik ist nicht möglich, wenn die Kanzlerpartei schwächer als die beiden Koalitionspartner ist und in aktuellen Umfragen sogar noch schwächer als bei der Bundestagswahl ist. Olaf Scholz bleibt nur übrig, zu moderieren, da es angesichts der Häufung von Multikrisen  - es herrscht Krieg in Europa! - vollkommen unverantwortlich wäre, Deutschland durch ein langes Vakuum in der Regierung handlungsunfähig zu machen. Bei der gegenwärtigen Sitzverteilung, ist eine andere Koalition fast undenkbar. Die total verhärteten Fronten zwischen den Parteien sprechen klar dagegen. Rechnerisch gingen entweder Jamaika – dann blieben aber FDP und Grünen zusammen, hätten statt Scholz aber Merz als Kanzler und somit einen rechtspopulistisch tönenden, konzeptionslosen Hetzer, der gegen Klimaschutz ist. Oder es käme zu einer SPD-geführten „Groko“, die ganz ohne Grüne arbeitete, zu einem Aufstand an der SPD-Basis führte, eine regierungsunfähige CDUCSU mit Rückkehr der Chaotenminister Spahn/Scheuer bedeutete und in der exzessiver Streit vorprogrammiert wäre, weil die größere Fraktion (SPD) in allen Umfragen viel kleiner als die CDUCSU ist.

Endloses Chaos wäre unvermeidlich und bei Neuwahlen käme es nach der gescheiterten Ampel unweigerlich zu 20-25% AfD und 25-35% CDUCSU. Damit wären aber nicht nur Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit endgültig erledigt, sondern es würden auch alle gesellschaftliche Liberalsierungen (Diskriminierungsschutz von Minderheiten, Selbstbestimmungsgesetz) rückabgewickelt.

Es hilft also alles nichts; Scholz kann nichts anderes tun, als unaufhörlich mit Engelszungen auf die gelbe Pest einzureden, weil Lindner nach Belieben Grüne und SPD erpressen kann.

Zweitens: Das Bild von den bösen alten Boomern, die in Gestalt der Porsche-FDP, der engagierten Jugend die Zukunft ruiniert, ist falsch.

Es waren aber die Jungen, die FDP gewählt haben. Bei den Erstwählern wurde der Kubicki/Wissing/Lindner-Block sogar (knapp) stärkste Partei.



Boomer wie ich waren gar nicht das Problem. Wir wußten schließlich, was von der hepatitisgelben Pest zu erwarten ist. Von uns kamen die wenigsten FDP-Stimmen.


Die mediale Präsentation in meiner Medienblase stellt immer die jungen empörten Leute wie Luisa Neubauer gegen die bösen alten Säcke wie Wolfgang Kubicki.

Statistisch ist es aber genau andersrum.

Die jüngsten Wähler haben uns die FDP in der Regierung aufgezwungen, während die Älteren durchaus für roten Klimaschutz stimmten.

Das Bild von den ökologisch denkenden Fahrrad-fahrenden Jungen, die sich gegen die umweltverpestenden Omen und Open im SUV im Straßenverkehr behaupten müssen, stimmt ebenso wenig.

Im Gegenteil, die alten Boomer-Männer steigen so massenhaft auf’s Fahrrad, daß Micky Beisenherz sie schon dafür kolumnisiert.

[….] Wenn eines das deutsche Stadtbild nachhaltig geprägt hat, dann Mittfünfziger in genitalwürgenden Radlerhosen, die in Klickschuhen vorm Eiscafé sitzen und mit Fahrradhelm auf an ihrer Kugel Malaga lecken. Vor nicht allzu langer Zeit wurde für eine ganz besondere Spezies Großstadtmensch eine schöne Bezeichnung gefunden: Die MAMILs. Middle-aged Men in Lycra. Unter diesem Akronym versammeln sich – ja, es sind wirklich ausschließlich – Männer, in der Blüte- , bzw Kunstphase(r) ihres Lebens, in der sie sich spielerisch gegen den Verfall stemmen. Mit einer an Realitätsverweigerung grenzenden Leidenschaft und jungenhaftem Wettbewerbseifer holen sie während ihrer Touren Kilometer aus Städten heraus, die die geografisch eigentlich gar nicht hergeben. Das alles in Kleidung, mit der man problemlos bei den Avengers anheuern könnte und so eng anliegend, dass man bei der Vorsorgeuntersuchung beim Urologen nicht einmal ablegen müsste. […]

(STERN, 15.06.2023)

Die bequemen 18-30-Jährigen hingegen sind mehr denn je verliebt in ihre Klimakiller-PS-Monster, mit denen sie durch die Städte brettern.

[…] Renommiergehabe nennen das die Älteren, die darüber den Kopf schütteln, entweder amüsiert oder missbilligend - vor allem dann, wenn auf diesem Kopf ein Fahrradhelm sitzt. Die Jüngeren hingegen nennen es Flexen, vor allem dann, wenn sie sich vor dem Premiumfahrzeug selbst fotografieren. Flexen ist praktisch die Kerntätigkeit der Influencer-Internationale auf Tiktok oder Instagram (für die Älteren: Insta, für die Jüngeren: Gram), und jetzt hat es der Begriff sogar in eine Studie über "Flexkultur in Deutschland" geschafft. Beauftragt von der Firma Baulig Consulting, die selbst von solchen Influencer-Figuren betrieben wird, hat demnach ein Institut für Management- und Wirtschaftsforschung repräsentativ ermittelt, dass 49 Prozent der 15- bis 30-Jährigen heute gesteigertes Interesse für Luxusautos zeigten, in Hamburg sogar 58 Prozent, in Berlin immerhin 55. Mag sein, dass diese Erkenntnis nicht weniger interessegeleitet ist als die jahrelang in den Raum gepredigte Behauptung, dass "die" Jugend sich aus Autos immer weniger mache, was für den ländlichen Raum schon immer unwahrscheinlich klang, und jetzt halt auch in den Städten allem Augenschein widerspricht. Inzwischen sagen schließlich die Statistiken, dass so viele Führerscheine gemacht werden wie lange nicht. In der Popmusik werden mehr Autos in Hymnen besungen denn je, vor allem im Rap. Rund um den Bahnhof Zoo sieht man inzwischen fast genauso viele Flexer wie früher Fixer. In der City West sind sie mindestens so bildbestimmend wie in Teilen Friedrichshain-Kreuzbergs die automobilkritischen Aktivisten.  [….]

(Peter Richter, SZ, 20.04.2023)