Und inzwischen zeigt der Kalender eine „2“ – wirklich allerhöchste Zeit für mich, den Blödmann des Monats zu küren.
Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine vom 24.02.2022, der offensichtlichen Selbstüberschätzung der eigenen militärischen Kräfte, den hohen Verlusten der ersten Woche und der totalen ökonomischen, diplomatischen und politischen Isolierung des Kremls, kann natürlich nur einer den Titel bekommen.
Präsident Wladimir Putin.
Was für ein Abstieg. Handstreichartig führt er das größte Land der Erde mit 144 Millionen Einwohnern in die internationale Steinzeit, bringt Tod und Zerstörung, macht sich und seine Nation zum Paria der Welt.
Putins Entscheidungen der letzten Wochen bringen enormes zusätzliches Elend in die Welt, er schickt sich an, den Horror und das Elend, das beispielsweise unser Alliierter Saudi Arabien über den Jemen bringt, nach Europa zu holen.
Das ist das Neue seit dem Ende des zweiten Weltkrieges: Es gab immer wieder Kriege mit Millionen Toten, entsetzliches Leiden der Zivilbevölkerung. Jeden Tag verhungern 25.000 Kinder, die in der weltkapitalistischen Agrarpolitik durch die Maschen in den Tod rutschen. Wild gewordene afrikanische Diktatoren schlachten ihre Mitbürger ab, Scharia-begeisterte Golf-Monarchen versuchen sich an Genoziden – stets ausgerüstet mit deutschen Waffen. Die Opfer haben aber eine andere Augenform oder Hautfarbe als wir Europäer. Daher sind sie uns egal und werden gegebenenfalls auch wieder ins Meer geworfen, wenn sie zu fliehen wagen. Ukrainer sind weiß und christlich. Ihr Tod stört uns erheblich mehr.
Wenn Präsidenten, die echte Schwachköpfe sind, Bolsonaro oder Trump zum Beispiel, ihre Länder in so eine Katastrophe führen, ist das für die Betroffenen nicht weniger schlimm, aber für die Beobachter nicht überraschend.
Wladimir Putin umweht aber eine echte Tragik, weil er eben nicht so doof und unvorbereitet wie IQ45 ins Präsidentenamt stolperte. Der Mann ist gebildet, kennt sich bestens mit internationalen Beziehungen aus, war hochdekorierter KGB-Offizier.
Am Abend des Angriffs gab es eine informative Phönix-Runde mit Klaus von Dohnanyi (der mit bald 94 Jahren kein bißchen senil ist) und der Sicherheitsexpertin Agnieszka Brugger (B90/Grüne), die richtigerweise darauf hinwies, daß der Wladimir Putin, der 2001 im Deutschen Bundestag sprach und dem Westen, der EU und Deutschland die Hand zu einer echten Partnerschaft ausstreckte, nichts mehr mit dem Putin von 2022 zu tun hat. Das sind zwei völlig verschiedene Menschen.
Über Jahrhunderte nahm man an, der Charakter eines Menschen bilde sich in jungen Jahren, bevor man 30 werde und verändere sich anschließend nicht mehr.
Inzwischen wissen wir durch psychologische Forschung, wie falsch diese Annahme ist. Menschen können durchaus noch mit über 40, über 60 oder über 70 fundamentale Charakterveränderungen erfahren. Ich denke, genau das ist bei Putin passiert und habe in vielen Postings dargestellt, welche Fehler des Westens dazu beitrugen, den russischen Präsidenten so derartig zu radikalisieren.
Allerdings dienen die Versuche Russland (gemeint ist Putin; es ist absurd Russland mit 144 Millionen Menschen, dem Kreml oder der Person des Präsidenten gleichzusetzen) zu „verstehen“ immer dazu, die russische Regierung zu analysieren, die nächsten Schritte zu antizipieren und nach Möglichkeit, positiv zu beeinflussen.
Der Versuch Putin zu verstehen ist also notwendig, kann aber niemals als Rechtfertigung seiner Methoden oder gar Legitimierung des Krieges führen.
Natürlich gibt es nun Gerüchte, Putin leide an Demenz,
nehme womöglich Drogen, wäre kognitiv eingeschränkt, verlöre den Überblick,
weil er so isoliert sei. Das kann natürlich sein. Kann aber auch nicht sein.
Wie sollen wir das überprüfen?
„Der ist doch krank!“ ist in der Regel der Ausdruck einer denkfaulen
Abscheu-Reaktion. Dabei wäre gerade eine psychische Krankheit, eine
Entschuldigung für eigentlich unentschuldbares Handeln. Ich gehe also davon aus, daß Putin geistig voll
zurechnungsfähig ist. Das macht aber sein Handeln nur noch schlimmer. Im
Gegensatz zu Trump, ist Putins IQ hoch genug, um die militärischen und politischen
Konsequenzen abzuschätzen, um sich das unermessliche Leid vorstellen zu können.
[…..] Putin ist nicht verrückt – er handelt ideologisch konsequent
Um Putins Handeln zu verstehen, muss man wissen, welche Ideologie ihn antreibt. Russlands Präsident glaubt an einen Endkampf zwischen »Eurasiern« und »Atlantikern«. […..] Damit wurde er nicht nur zu einer Bedrohung der Ukraine und des Weltfriedens, sondern auch zur Leitfigur einer globalen völkisch-autoritären Bewegung. Wer die innere Vernünftigkeit seiner wirr scheinenden Ideen begreifen möchte und wissen will, welche Ideen Putin antrieben, erneut in die Ukraine einzufallen, kann diese bei diversen Vordenkern nachlesen. […..]
In unseren westeuropäischen Social Media-Blasen mag Putin als irrer Kriegstreiber mit Untergangssehnsucht dastehen.
Aber er ist eben nicht total isoliert. Die mächtige russische-orthodoxe Kirche steht bedingungslos zu ihm, feuert ihn noch an.
Das Unbehagen gegen die als sehr heuchlerisch empfundenen Atlantiker ist aber auch in China und den islamischen Ländern groß.
Zudem zahlen sich die Allianzen mit den rechtspopulistischen Parteien Europas und den beiden Amerikas aus. Die US-Republikaner verehren Putin, weil Russland aus ihrer Sicht, das einzige „weiße Land“ ist, in dem Diversität abgeblockt wird.
Bill Maher beschrieb in einer seiner letzten Sendungen, wie er als junger Mann vor 40 Jahren nach Paris und London reiste. Da sah man nur weiße, heterosexuell wirkende Menschen auf der Straße. So war es auch in den USA. Schwarze waren auf Quasi-Ghettos beschränkt, blieben zum Beispiel in Harlem, statt auch in andere New Yorker Stadtviertel zu ziehen. Queere Menschen gab es natürlich auch immer in den Weltstädten, aber sie zeigten sich nur in ganz wenigen bestimmten kleinen Quartieren offen, hatten in wenigen Nachtclubs ihre Refugien.
In den letzten 50 Jahren haben sich aber GLÜCKLICHERWEISE die Gesellschaften in den europäischen und nordamerikanischen Großstädten verändert. Wir sind jetzt divers, die Globalisierung und Liberalisierung wird auf der Straße sichtbar. Ganz normale Männer küssen sich im Supermarkt, die Hausärztin stammt aus Kenia und wenn man den Klempner ruft, kommt vielleicht auch eine Frau.
Selbstverständlich begrüße ich das; ich freue mich über jede kulturelle Bereicherung, die neuen Chancen, die sich ergeben, über die schrittweise Beendung von Diskriminierung.
Die Typen von der GOP, der AfD, der UKIP oder dem Vlaams Blok sehen das aber ganz anders. Die wollen keine Asiaten oder Dunkelhäutigen in ihrer Stadt, die wollen keine glücklichen akzeptierten Schwulenpaare, die wollen keine selbstbewußten Frauen, die es wagen zu widersprechen, wenn man ihnen an die „pussy grabbt“. Für diese rückwärtssüchtige Sicht gibt es aber in der westlichen Welt keine Mehrheiten mehr. Wien oder Chicago oder Hamburg oder Dallas werden ihre People of Color nicht mehr aus der Stadt jagen, werden ihre Queeren nicht einsperren.
Wer das will, hat nur noch ein Vorbild: Putins Russland. Eine rein weiße, heterosexuelle Gesellschaft mit starker Kirche, ohne die lästige Demokratie und Meinungsfreiheit. Polen und Ungarn tendieren auch dazu. Deren starke Männer wollen keine öffentlich-rechtlichen Sender, die widersprechen oder Richter, die sich an Menschenrechten orientieren. Es ist aus Putins Sicht durchaus rational auf diese Kräfte in Europa und Amerika zu setzen. Es ist nicht abwegig anzunehmen, sie könnten eine global einheitliche antirussische Front aufweichen.
Im Moment sieht es so aus, als habe Putin „den Westen“ unterschätzt. NATO und EU stehen enger zusammen, denn je. Aber bald könnte wieder Trump im Weißen Haus sitzen und es wäre Schluß mit der Sanktionspolitik gegen Russland.
Und bei aller Sympathie für die Ukrainer; sie werden letztendlich nicht die russische Übermacht aufhalten können, sondern nur den Krieg verlängern, der viel mehr Zerstörungen mit sich bringt. Putins Chancen stehen deshalb gut, weil er skrupelloser ist als die EU-Regierungschefs. Er wird auch gewaltige Verluste in Kauf nehmen.