Das „Signaling“ ist ein Begriff aus der Verhaltensbiologie
und spielt eine erhebliche Rolle bei der Kommunikation der Tiere untereinander.
Schließlich muss dem Artgenossen nonverbal eindeutig
mitgeteilt werden, was man gerade will – fressen, streiten, kopulieren, in Ruhe
gelassen werden, warnen.
Es ist sehr kompliziert zu verstehen, wie ehrlich solche
Kommunikations-Signale sind. Jeder kennt Beispiele für falsche Signale, bei
denen Tiere etwas vortäuschen, das sie nicht sind. Zum Beispiel Schmetterlinge,
deren Zeichnung auf den Flügeln wie große bedrohliche Augen wirkt, oder harmlose
Schlangen, die mit drastischen Warnfarben enorme Giftigkeit signalisieren.
Um die Ehrlichkeit zu unterstreichen gibt es
Handicap-Signale, die ganz offensichtlich mit einem großen Aufwand oder
Nachteil verbunden sind, so daß sie nur angewendet werden, wenn sie wirklich
ehrlich sind.
[…..] Die großen, farbenfrohen sexuellen Darstellungen von Pfauen und anderen
Vögeln, mit denen männliche Tiere weibliche Artgenossen anziehen, werden häufig
als Beispiele für das Handicap-Prinzip angeführt. Ab 1975 argumentierte Amotz
Zahavi, dass solche auffälligen Darstellungen „ehrliche“ Indikatoren für die
genetische Qualität von Männern sind, weil ihre Herstellung kostspielig ist und
minderwertige Männer sich den damit verbundenen Aufwand nicht leisten könnten.
Nach dem Handicap-Prinzip entstehen auffällige Signale, weil sie kostspielig
sind und nicht trotz ihrer Kosten, wie bei anderen Merkmalen. Diese Idee war
zunächst sehr umstritten – aber dann änderte sich alles.
1990 veröffentlichte Alan Grafen zwei Arbeiten mit mathematischen Modellen des „Strategic Choice Signaling“, die er als Bestätigung des Handicap-Prinzips interpretierte. Seine Schlussfolgerungen wurden weithin akzeptiert, auch von früheren Kritikern Zahavis. Seitdem hat sich das Handicap-Prinzip als allgemeines Prinzip, das die Entwicklung zuverlässiger Signale erklärt, durchgesetzt und wird als solches auch in Lehrbüchern zitiert. […..]
1990 veröffentlichte Alan Grafen zwei Arbeiten mit mathematischen Modellen des „Strategic Choice Signaling“, die er als Bestätigung des Handicap-Prinzips interpretierte. Seine Schlussfolgerungen wurden weithin akzeptiert, auch von früheren Kritikern Zahavis. Seitdem hat sich das Handicap-Prinzip als allgemeines Prinzip, das die Entwicklung zuverlässiger Signale erklärt, durchgesetzt und wird als solches auch in Lehrbüchern zitiert. […..]
Inzwischen scheint diese Theorie aber auch wieder überholt und
da ich kein Verhaltensbiologe bin, möchte ich nicht tief in die Materie
einsteigen.
Ich war noch nie Pfau oder unechte Korallenschlange, aber
das Prinzip der „kostspieligen Signale“ ist mir aus der jahrzehntelangen Betrachtung von Religionen und Kulten
wohl bekannt.
Man unterstreicht seine Zugehörigkeit zu einer Sekte, indem
man etwas sehr „kostspieliges“ opfert. Das kann mit großem Aufwand, Schmerzen,
Enthaltsamkeit oder aber auch ganz profan finanziellen Opfern verbunden sein.
Ein Guru/Priester/Cult-Leader wäre für seine Jünger weniger
überzeugend, wenn er seine Lehre anstrengungslos verträte.
Es wäre schließlich nichts
Besonderes Katholik zu sein, wenn man masturbieren, verhüten und sonntags
ausschlafen könnte wie alle anderen auch.
Man muss dem Kult diese Anstrengung opfern, um die anderen Gläubigen zu signalisieren dazu zu gehören. Nur so stellt sich das Gefühl der Exklusivität ein.
Man muss dem Kult diese Anstrengung opfern, um die anderen Gläubigen zu signalisieren dazu zu gehören. Nur so stellt sich das Gefühl der Exklusivität ein.
Und das ist schließlich der Kern eines jeden religiösen
Kultes: Wir sind besser als die.
Daraus speist sich das wohlige Gefühl mehr als die anderen
zu dürfen, mehr wert zu sein, im Recht zu sein, nicht zweifeln zu müssen.
Die religiösen Führer müssen noch mehr als gewöhnliche
Mitglieder opfern, um glaubhaft zu sein.
Daher gibt es den katholischen Zölibat, daher sitzen Gurus
auf Nadelbrettern, fasten Imame - ganz
zu schweigen von den 613 Mizwot-Regeln der Juden.
[…..] Heute gibt es
keine Menschenpopulation, in
deren Mitte nicht
kostspieliges, religiöses Verhalten auftritt. Neuere interdisziplinäre Forschungen, beispielsweise im Rahmen des
Netzwerks der Evolutionary Religious Studies, haben in den letzten Jahren ein
völlig neues Bild der konvergenten und
„biologischen“ Emergenz von Religiosität
entstehen lassen. Der gemeinsame
Glaube an übernatürliche Akteure, die
soziales und insbesondere sexuelles Verhalten
beobachtend, belohnend und bestrafend geglaubt werden, stiftet unter den Glaubenden
Vertrauen und damit Kooperationschancen. Die Einforderung
kostspieliger Signale (wie Rituale, Ge-
und Verbote) wehrt Trittbrettfahrer ab. […..]
Im Zentrum der religiösen Vergemeinschaftung steht dabei neben
dem Überleben insbesondere die
Reproduktion. […..]
Es ging ursprünglich um biologische Grundtriebe wie
Fortpflanzung und Fressen, bei denen die Zugehörig zu einem Kult helfen kann.
Heutige Gläubige wählen gern für Außenstehende besonders
absurd und anstrengende, jedenfalls aber sinnlose Beweise für ihre Treue zum
Kult. Pilgerfahrten, die Hadsch, Geißelungen,
Bußgürtel und Fasten sind Beispiele für kostspielige Signale.
Schon seit Beginn seiner Amtszeit sehe ich Trump-Anhänger
weniger als politische Gruppe, denn als Kult an.
[…..] Es macht keinen Sinn sich
wie die Anhänger des Opus Dei selbst zu geißeln, sich die Neunschwänzige zum
Gefallen Gottes auf den Rücken zu knallen, einen Bußgürtel mit nach innen
gerichteten rostigen Stacheln zu tragen, auf Knien tagelang zur Fatima in
Portugal zu rutschen, oder auf Knien die unzähligen Stufen zur Schwarzen
Madonna von Częstochowa (Tschenstochau) hochzukraxeln. Vier Millionen
Katholiken tun es aber dennoch jedes Jahr, weil sie damit in ihrer Gemeinschaft
beweisen welche Strapazen sie für den Glauben auf sich nehmen.
In Manila lassen sich Katholiken
sogar mit echten Nägeln zu Ostern an ein Kreuz nageln, um Jesus zu ehren.
Derlei Leidensbeweise gibt es in
allen Religionen.
Schiiten fügen sich blutige Verletzungen durch Peitschen und Säbel zu,
um ihre Zugehörigkeit zum Kult zu demonstrieren. Erst wenn
alle blutig sind hören sie auf.
Trumps aberwitzige Lügen zu
glauben, ihn kollektiv anzufeuern, auf seinen Rallys in einen Massenwahn zu
geraten folgt dem gleichen psychologischen Prinzip.
[…..] Das Signal der kostspieligen Hingabe schafft einen starken Zusammenhalt.
Es ermöglicht Fremden der gleichen Fiktionsgemeinschaft, einander
mit Vertrauen zu begegnen; und es hält Trittbrettfahrer fern, die nichts
beitragen und im Zweifelsfall schnell wieder weg sind. Unter günstigen
Umständen können auf diese Weise große verschworene Gruppen heranwachsen
– und die geteilte Fiktion wird zur historischen Macht.
Davon profitieren nicht nur Religionen, sondern in gleichem Maß politische Sekten. Denn auch die Bereitschaft, gegen jede Evidenz zu lügen, ist ein fälschungssicheres Signal der Hingabe – je krasser, desto besser.
Absurde Geschichten sind in der Anhängerschaft immer gefragt, und sie verbreiten sich auch noch besonders gut. Das ist kein Zufall. Das Unglaubliche erstaunt, es bleibt leicht hängen – bester Erzählstoff, solange es noch irgendwie stimmig scheint. […..]
Davon profitieren nicht nur Religionen, sondern in gleichem Maß politische Sekten. Denn auch die Bereitschaft, gegen jede Evidenz zu lügen, ist ein fälschungssicheres Signal der Hingabe – je krasser, desto besser.
Absurde Geschichten sind in der Anhängerschaft immer gefragt, und sie verbreiten sich auch noch besonders gut. Das ist kein Zufall. Das Unglaubliche erstaunt, es bleibt leicht hängen – bester Erzählstoff, solange es noch irgendwie stimmig scheint. […..]
(SPIEGEL Nr. 50, 08.12.2018,
s.108 ff)
So wenig man einen überzeugten
Christen/Juden/Muslimen mit wissenschaftlichen Fakten und klaren Beweisen dazu
bringen kann sich aus seiner andere extrem exkludierenden Fiktionsgemeinschaft
zu lösen, so sehr ist es auch zum Scheitern verurteilt Impfgegner,
Homöopathie-Anhänger, Aldebaraner-Jünger, Soros-Verteuflern, Gauland-Fans oder
Trump-Wählern von ihrem offensichtlichen Irrsinn abzubringen. Wer sich die
„Beweise“ für eine gefakte Mondlandung oder eine Unterwanderung durch
extra-terrestrische Reptilien einmal als Beitrittsgeschenk zu einer Hassgruppe
verinnerlicht hat, bleibt auch dabei, weil er die Sphäre des Realen für seinen
Glauben verlassen hat. [….]
Mit jedem Monat im Amt wird Trump bizarrer und
unglaubwürdiger, so daß die Zugehörigkeit zu ihm kostspieliger wird und der
Zusammenhalt nur noch größer wird.
Während wir normalen Menschen fassungslos vor dem Bildschirm
sitzen und seit Tagen staunen, wie Trump damit prahlt einen
Demenz-Test überstanden zu haben, elektrisiert der Irrsinn
seine Basis.
(……) Wer aber dem cult-leader
Trump verfallen ist, wird grundsätzlich nicht von rationalen Erwägungen
getrieben.
Es ist eher ein psychologisches
Zusammenwirken. Die Jünger haben sich einmal dem Propheten verschrieben, weil
sie den Hass auf dieselben Menschen teilen und sich tief im Inneren befriedigt
fühlen, wenn ihr Leader diese bisher vom Über-Ich blockierten Dämonen frei
hinaus-ejakuliert.
Das schafft eine starke gefühlige
Verbindung; eine Solidarisierung unter Bösen.
Man sitzt nun in einem Boot und
empfindet fürderhin alle Angriffe von außen auf den Cult-Leader als Angriff auf
sich selbst.
Bei jeder Meldung aus anderen
Informationsblasen, nach denen Trump gefehlt hat, gehen seine niederen Drohen
automatisch in Verteidigungshaltung, bilden eine Wall.
Einem CNN-Anchor, der von
kriminellen Machenschaften des Anführers berichtet, kann man schon deswegen
nicht glauben, weil das Verrat an den Glaubensbrüdern wäre, die mit einem
zusammen den Abwehr-Wall bilden.
Sehr ähnlich ist es mit
religiösen Gemeinschaften.
Myriadenfach haben katholische
Geistliche kleine Kinder sexuell missbraucht, sie gequält, sadistisch
verprügelt, viele in den Selbstmord getrieben und bei noch viel mehr Kindern
schwere, ein Leben lang anhaltenden psychische Störungen verursacht.
Für die RKK ist das geradezu ein
Geschäftsmodell, denn gequälte und beschädigte Seelen fühlen Schuld und glauben
den Schutz der Geistlichen zu benötigen.
Daher ist es auch so ideal
Masturbation und nahezu alle sexuellen Aktivitäten – mal ganz abgesehen von
homosexuellen Handlungen – als Sünde zu brandmarken. Denn nahezu jeder Gläubige
verspürt irgendwann einmal sexuelle Triebe. Genau dann, wenn kleine Jungs
anfangen zu pubertieren und zu onanieren, erfolgt die Kommunion und damit auch
die erste Beichte, so daß den zukünftigen Erwachsenen a priori ein schlechtes
Gewissen anerzogen wird.
Wer Sex und Masturbation völlig
frei von Schuldgefühlen ausübt, ist umgekehrt ein schlechter Kunde der RKK. (….)
Das Prinzip der kostspieligen Signale trifft natürlich auch
auf verwandte verschwörungstheoretische Kulte, wie den QAnon-Wahn zu.
Während sich frühere Verschwörungstheoretiker, wie
beispielsweise diejenigen, die 9/11 für eine Tat der amerikanischen Regierung
halten und die Mondlandung bezweifeln noch umständlich pseudowissenschaftliche
Theorien geschliffen werden mussten, sind die Verschwörungs-Spinner des social-media-Zeitalters
der Realität vollständig entkoppelt.
Alle Brücken zu Realität und Logik sind bei
Hildmann-Naidoo-QAnon abgebrochen.
Daher spielt es auch keine Rolle mehr wenn Q-Prophezeiungen
nicht eintreten oder Trump sich massiv selbst widerspricht.
Im Gegenteil; das ist geradezu hilfreich für den
Zusammenhalt der Gläubigen, da die Signale noch kostspieliger werden. Man muss
schon sehr überzeugt sein, um den Schwachsinn mitzumachen.
[……] Wer an die große Konspiration glaubt, muss
also an der Faktenlage gar nicht übermäßig interessiert sein. Entscheidend ist
das dumpfe Gefühl, irgendwie von erzbösen Drahtziehern hintergangen zu werden.
Wie die das anstellen, ist nicht so wichtig. Was zählt, ist der Grundverdacht, der
laut dem amerikanischen Politikwissenschaftler Michael Barkun alle
Verschwörungstheorien umtreibt: Nichts ist, wie es scheint.
Bei QAnon geht es nun um nicht
weniger als die Apokalypse, da kommt es erst recht nicht auf Details an. [……]
Die
QAnon-Anhänger glaubten an "eine Verschwörung von fast unbeschreiblicher
Verworrenheit", schreiben zwei amerikanische Politologen, Russell Muirhead
und Nancy Rosenblum. Es gebe keine Brücke mehr zwischen den Anhängern und dem
Rest der Welt, wo noch Fakten zählen.
Tatsächlich gelten in der
Parallelwelt der Gläubigen Dinge als plausibel, die Außenstehenden völlig
närrisch erscheinen. Den Leuten von QAnon hingegen kommt ihre bizarre Erzählung
rundum stimmig vor, das ist ihnen Beweis genug. [……] Aber
wie immer, wenn es um Glaubenssysteme geht, kommt es nicht auf Sinn und Logik
an. QAnon bietet vor allem ein starkes Gemeinschaftserlebnis, wie es für Sekten
typisch ist. Nicht von ungefähr lautet der Leitspruch der Bewegung "Where
we go one we go all", kurz WWG1WGA. Frei übersetzt heißt das: einer für
alle, alle für einen.
Wie die Geschichte der Religionen
zeigt, sind Gemeinschaften, die ihren Mitgliedern eine Menge abverlangen, oft
besonders erfolgreich und langlebig. Das hat der amerikanische Anthropologe
Richard Sosis nachgewiesen. Ein Glaube, der Überwindung kostet, stärkt den
Zusammenhalt – egal ob die Anhänger umständliche Fastenregeln befolgen oder,
wie die Katholiken im Mittelalter, mehrstündige lateinische Messen durchstehen.
In jedem Fall gilt: Mitläufer,
die nichts beitragen, werden abgeschreckt. Nur die wahrhaft Gläubigen nehmen
solche unsinnigen Zumutungen auf sich. Damit beweisen sie einander, dass sie es
ernst meinen mit der Gruppe. Religionsforscher sprechen von "kostspieligen
Signalen".
Auch der Glaube an Unglaubliches
selbst kann ein kostspieliges Signal sein; je krasser, desto stärker der Effekt.
Wer aberwitzige Überzeugungen vertritt, die den Verstand beleidigen, bezahlt
einen hohen Preis. Menschen, die ihn kennen, wenden sich ab, er macht sich zum
Gespött – alles um der Gruppe willen. [……]
(Manfred Dworschak, SPIEGEL Nr 30/ 18.07.2020, s.108)