Donnerstag, 29. Februar 2024

Pauschalisierungen sind unvermeidbar.

Den Auszug aus Michel Friedmans Buch „Judenhass“ hatte ich vor knapp drei Wochen sehr gelobt, als ich versuchte, die verschiedenen Formen des Antisemitismus zu erklären. Eigenartigerweise fällt es so vielen Menschen schwer, Kritik an Israel, an Israels Regierung oder an Israels Außenpolitik von Antisemitismus zu trennen.

Dabei ist es gar nicht so schwer, sich zu positionieren, ohne in gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit abzudriften.

Erschreckenderweise wurde Friedman inzwischen schon wieder genötigt, einen aufklärenden, aber auch sehr bitteren Text zum Thema zu schreiben, weil die Kunstschaffenden bei der Berlinale unfähig waren, sich richtig auszudrücken, das Publikum viel zu tumb war, um richtig zu reagieren und anschließend die ätzende Kritik an der Veranstaltung weit über das Ziel hinausschoss.

Wer sich Frieden in Gaza wünscht und dies laut sagt, ist natürlich nicht deswegen ein Antisemit.

 [….] Die Solidaritätsaktionen, die Demonstrationen gegen den Judenhass sind in den Wochen [nach dem 07.10.2023] mickrig. Der Funke der Empathie ist bei den meisten in diesem Land, wenn es um Juden geht, nicht übergesprungen. In der Kulturszene setzt sich schon seit Langem Aggressivität gegen den Staat Israel durch, und antisemitische Tendenzen werden immer radikaler. [….] Damit zum Eklat bei der Bärenverleihung in Berlin am Samstag. Diese Bühne wurde ersichtlich missbraucht, Israel wurde als Apartheid-Staat bezeichnet, dafür und für den Vorwurf des Genozids und für das weiträumige Verschweigen der Hamas als Terrororganisation gab es Applaus. Als zwei Menschen aufstanden und riefen: "Peace for Palestine and Israel", wurde gebuht. Was, wenn andere Anwesende diesen beiden Menschen zur Seite gestanden hätten?

Das Publikum in Berlin erinnert an die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Martin Walser im Jahre 1998, als dieser formulierte, die Auschwitz-Keule nicht mehr aushalten zu können. Walser wurde mit standing ovations und rauschendem Applaus belohnt. Ignatz Bubis, seine Frau und ich blieben sitzen: Der Riss war sichtbar, eine Debatte begann. [….] Während aber all die Infamie sich auf der Bühne in Berlin abspielte, saßen Claudia Roth, Kai Wegner, auch Joe Chialo unter den ersichtlich munteren Gästen. (Bei dieser Gelegenheit ein kleiner Hinweis: Wäre es nicht erfrischend konstruktiv, wenn die CDU nicht Claudia Roth zum alleinigen Sündenbock und Schuldigen markieren würde? Gitta Connemann, CDU, und Dorothee Bär, CSU, könnten sich daran erinnern, dass zwei Parteimitglieder da waren und sich genauso verhielten wie Claudia Roth, oder nicht?) [….]

(Michel Friedman, 27.02.2024)

Man muss sich als Deutscher wirklich für den Antisemitismus des Jahres 2024 schämen. Ja, sicher, Judenhass gibt es überall. Aber Deutschland ist nun einmal das Holocaust-Täterland. Kein lebender Deutscher (außer möglicherweise einigen ganz wenigen, die jetzt um die 100 Jahre alt sind) ist Schuld am Holocaust. Aber als Nachfahren der Schuldigen ist man verantwortlich dafür, daß sich so etwas nicht wiederholt.

Es ist schon besonders schäbig, wenn ausgerechnet CDU und CSU nun Claudia Roth des Antisemitismus bezichtigen. Ausgerechnet die CDU mit ihrer Geschichte als Nachfolgepartei der Konservativen, die Hitler an die Macht brachten. Ausgerechnet die CDU, die mit Oberländer oder Globke übelste NSDAP-Figuren in die Adenauer-Regierung holte.

Der CSU-Chef Söder etablierte einen Hitler-Fan und Antisemiten an seiner Seite als stellvertretenden Ministerpräsidenten.

Die CDU duldete in den letzten Jahren mehrfach antisemitische Ausraster in den Reihen ihrer Ost-CDUler. Die CDUCSU-Figuren sollten zum Thema Antisemitismus schweigen und sich schnell ein Loch graben, in dem sie sich verstecken können.

Aber es ist problematisch, „die CDU“ insgesamt, also jedes einzelne Mitglied zu beschuldigen. Natürlich gibt es unter ihnen Vertreter, die ganz sicher keine Antisemiten sind. Ruprecht Polenz beispielsweise. Michel Friedman ist ebenfalls CDU-Mitglied, der sich Pauschalisierungen gegenüber „den Israelis“ verbittet.

[….] Harte, durchaus berechtigte Kritik an der israelischen Regierung ist eine Selbstverständlichkeit und kein Judenhass. Allerdings zeigt sich die sehr vitale israelische Demokratie täglich auf den Straßen Tel Avivs. Viele Israelis zeigen dort ihre kritische Haltung gegenüber ihrer Regierung, sie demonstrieren wöchentlich, und selbst die Gerichte in Israel entscheiden gegen die Regierung, und dies im Krieg. [….] In der Kultur, die es genauso wenig gibt wie die Juden, verrennen sich derweil in Deutschland vor aller Augen zahlreiche Menschen immer weiter hinein in den Antisemitismus. Schon der BDS - jene Bewegung, die alle israelische Künstlerinnen und Wissenschaftler boykottieren will, die also Individuen als Geiseln eines angenommenen Kollektivs nimmt - trägt die Fratze des Autoritären. Und: Warum eigentlich immer Israel in dieser Macht und Lautstärke? Wie wäre es mal mit China? Weißrussland? [….]

(Michel Friedman, 27.02.2024)

In der Tat, die BDS krankt daran, zu pauschalisieren. Mit ihrem Israel-Boykott trifft sie natürlich auch Israelis, die genauso empört über den GAZA-Krieg sind, die täglich gegen Netanyahu protestieren; Friedensaktivisten, die ihr Leben der Versöhnung mit ihren palästinensischen Freunden widmen.

Boykotte sind ungerecht, weil sie zu sehr pauschalisieren.

Das haben sie aber mit Sanktionen gemeinsam. Die meisten Sanktionen treffen ebenfalls die Falschen. Als Deutsche, als EU, als NATO sind wird stolz auf die immer neuen, immer umfangreicheren und immer strengeren Sanktionen gegen Russland. Brüssel legte so eben sein 13. Sanktionspaket gegen Moskau auf.

Dabei zeigen die nur unsere Hilflosigkeit und wirken noch nicht einmal. Offensichtlich haben Sanktionen zwei Jahre nach dem 24.02.2022 eben nicht Putin dazu gebracht, den Krieg gegen die Ukraine einzustellen. Die Weltbank prognostizierte vor zwei Jahren einen sanktionsbedingten Einbruch der russischen Wirtschaft um bis zu zehn Prozent. Das werde Putin schwer treffen. Aber mit Prognosen muss man vorsichtig sein; insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Tatsächlich wächst die russische Wirtschaft, während die Deutsche schrumpft.

Da hat Sahra Wagenknecht gut lachen. Die Sanktionen lassen darüber hinaus die Russen außer Acht, die ebenfalls gegen Putin und gegen den Ukrainekrieg engagiert sind.

[….] Julia Nawalnaja beschwört vor EU-Parlament bessere Zeiten für Russland

[….] Das Europäische Parlament müsse "aufhören, langweilig zu sein", wenn es Wladimir Putin die Stirn bieten wolle, sagte Julia Nawalnaja am Mittwoch im Plenarsaal in Straßburg.  "Wenn man Putin wirklich besiegen will, muss man innovativ werden. Sie müssen aufhören, langweilig zu sein", sagte Nawalnaja in einer Rede vor Europaabgeordneten. "Man kann Putin nicht mit einer weiteren Resolution oder einer weiteren Reihe von Sanktionen verletzen, die sich nicht von der letzten unterscheiden", fügte sie hinzu. [….] Nawalnaja sagte dem Plenarsaal, dass es "Dutzende Millionen" Russen gebe, die sich dem Kreml widersetzten, aber aus Angst nicht in der Lage seien, ihren Widerstand zu äußern.

"Wir dürfen sie nicht verfolgen", sagte sie, "im Gegenteil, ihr müsst mit ihnen zusammenarbeiten, mit uns." [….]

(Euronews, 28.02.2024)

Im Zweiten Weltkrieg gab es noch keine „intelligenteren Methoden“. Um die von der Deutschen Mordlust bedrohten Juden, Roma, Kommunisten, Sozialdemokraten, Widerständler zu retten, musste man viele von ihnen im Bombenhagel umbringen.

Anders als die linken BDS-Anhänger aus der universitären und künstlerischen Szene, sieht Wolf Biermann die Menschen in Gaza nicht als willenlose Wesen, die durch den Staat Israel quasi gezwungen wurden Hamas zu wählen, 1.200 Unschuldige zu massakrieren und 150 Geiseln zu nehmen.

[….]  Die Alliierten haben die Nazis in Deutschland auch nicht durch Argumente oder Flugblätter oder Geld besiegt. Dafür brauchte es Stalingrad und ein Inferno wie 1943 in Hamburg, wo rund 35.000 Menschen verbrannt sind. Das habe ich überlebt, weil meine Mutter mit mir als Klammerrucksack auf dem Rücken durch den Nordkanal geschwommen ist. Das hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, nichts ist vergessen. Und ich weiß noch, dass meine Mutter mir schon damals, als Hitler noch in ewiger Allmacht stand, erklärt hat: Die Bomben befreien uns von all dem Bösen. Eine absurde Interessenlage. Wir freuten uns über die Freiheitsbomben, die nur den Fehler hatten, dass sie uns selber auf den Kopf fielen. [….]  Das könnte wie meine Mutter auch manche Mutter im Gazastreifen denken. Es war unser grauenhaftes Glück, dass die Alliierten Deutschland zerbombt haben, so entkam ich als sogenannter Halbjude der Vernichtung. Und ja, insofern haben auch die Bomben auf Gaza etwas furchtbar Gutes. Zugleich treffen sie Tausende unschuldige Menschen. So, und endlich kommen wir zu der peinlichen Kernfrage. Wie unschuldig kann ein Volk sein? Sind die Palästinenser ewige Kindmenschen ohne Eigenverantwortung? Nur Opfer des Weltgeschehens? Das ist dieser Romantismus der linksalternaiven Schwärmer, die im Grunde die Palästinenser entmündigen. Wenn man ihre Menschenwürde achten will, muss man auch wissen und bedenken, dass sie für sich selbst verantwortlich sind.  [….] Wir müssen das Volk der Palästinenser als selbstverantwortliches Subjekt ernst nehmen. Sie sind keine unschuldige Opfermasse. [….]

(Wolf Biermann, zitiert aus dem SPIEGEL vom 04.02.2024)