Freitag, 14. Januar 2022

Humankapital

Wenn durch äußere Einflüsse ein bestimmtes Konsumverlangen entsteht, verknappt sich das Angebot und die Ware wird teurer.

Das Gute am Kapitalismus ist aber, daß die ominöse unsichtbare Hand des Marktes diese Unwucht sogleich wieder korrigiert.

Wenn eine Ware teurer ist, lohnt es sich umso mehr, sie herzustellen, also wandert das Produktionskapital dahin, fabriziert mehr von dem gewünschten Produkt, so daß das Angebot wieder größer wird und die Preise damit sinken. Bei solchen Kausalketten bekommt Christian Lindner eine Erektion, weil das in der Theorie so geil klingt.

In der Praxis kommt es blöderweise meist doch anders, als in der schönen neoliberalen Theorie. Das bemerkte der betrübte Klein-Lindi, der schon als 18-Jähriger im geliehenen Mercedes, mit Kuh-Krawatte und XXL-Anzug den Unternehmensberater gab, am eigenen Leib.

 [….] Unter dem Motto „Leistung muss sich wieder lohnen“ hatte der blutjunge Lindner nach seinem Landtagseinzug 2000 mit seinem Bekannten Hartmut Knüppel am 29.Mai 2000 die Internet-Firma „Moomax“ gegründet

Das Internet boomte und der schlaue Lindner wollte ein großes Stück vom Kuchen. 

Er brachte 30.000 Euro Eigenkapital auf  und holte sich weitere 1,2 Millionen Euro von der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau. Der Erfolg war rekordverdächtig. 

In nur 18 Monaten hatte Lindi das gesamte Kapital verbrannt.

 

[….] Das ganz dolle Team "von Informatikern, Drehbuchautoren, Psychologen, Linguisten, Journalisten und Betriebswirten" wird sich jetzt wohl was anderes suchen müssen, weil der Markt für Avatare, offen gesagt, ziemlich tot ist. [….]

(boocompany.com14.12.2001)

 

Knüppel und Lindner wurden gefeuert. Der Staat blieb auf den 1,2 Millionen Linder-Miesen sitzen, für seine Eselei blecht nun der Steuerzahler und Lindner machte Karriere in der Marktwirtschaftspartei FDP. 

[….] Lindner gründete noch die zunächst als knüppel lindner communications gmbh firmierende Unternehmensberatung Königsmacher GmbH, die er auch sofort in den Sand setzte.

 

[….] Was Parteichef Andreas Pinkwart als "Achterbahnfahrt der New Economy" beschrieb, ist für Lindner peinlich. Seine Internet-Firma Moomax GmbH ging nach 17 Monaten mit dem Neuen Markt unter. Dabei verflüchtigten sich weit über eine Million Euro öffentlicher Fördergelder. Andere Lindner-Firmen, wie die Unternehmensberatung "die Königsmacher GmbH", kamen erst gar nicht gut genug in Gang, um so viel Geld verbrennen zu können.

(SPIEGEL13.12.2004)

 

Immerhin brachte es der Porsche-fahrende Zivildienstleistende durch seine politischen Verbindungen bis zum Luftwaffen-Hauptmann der Reserve! 

[….] Die Beförderung zum Hauptmann erfolgte im September 2011 durch den Verteidigungsminister de Maiziere persönlich.

Freunde muß man haben.
Politisch war Lindner bekanntlich ähnlich erfolgreich! Unter seiner inhaltlichen Führung als FDP-Generalsekretär surrte die FDP von 15% auf 4% zurück. [….]

(Des Wahnsinns fette Beute, 08.04.2012)

Die verdammte Realität zwang Kapital-Christian immer wieder dazu, wegzurennen, wenn es ihm zu heiß wurde.

Ein Treppenwitz der Geschichte, daß dieser Mann bar auch nur eines Hauches von Regierungserfahrung, der privat nur finanzielle Totalpleiten aufweisen kann, Bundesfinanzminister wurde.

Noch bizarrer: Linder versteht sich als „Sparkommissar“, der für Schuldenbremse und „Schwarze Null“ steht – in einer Kapitalismus-kaputt-Zeit der Negativzinsen, in der man als Belohnung Geld dazu bekommt, wenn man Schulden macht und bestraft wird, wenn man Geld übrig hat.

(….)  Schon Ende 2014 war der Kern des Kapitalismus durch die Negativ-Zinsen implodiert. Den durchaus auch Marktwirtschafts-freundlichen Zentralbanken blieb angesichts der durch die Finanzspekulanten angerichteten Mega-Schuldenkrise gar nichts anderes übrig, als diese Billionen-Verluste in den Staatshaushalten wegzuinflationieren und den Markt  mit ultrabilligem Geld zu überschwemmen. Jakob Augstein brachte es damals auf die wunderbare Formel „Kapitalismus kaputt“!

[….] Kapitalismus kaputt

Die Commerzbank hat bekannt gegeben, dass sie bei "einzelnen großen Firmenkunden mit hohen Guthaben sowie bei Großkonzernen und institutionellen Anlegern" eine "Guthabengebühr" berechnen will. Was damit gemeint ist: negative Zinsen. Geld bringt kein Geld mehr. Geld kostet Geld. Das ist die Implosion des Kapitalismus. [….] Worum geht es beim Zins? Verzicht wird belohnt. Aber Buße soll tun, wer heute schon ausgeben will, was er erst morgen hat. Das Problem ist: In einer alternden Gesellschaft kippt das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Geld. Früher liehen sich junge Leute Geld, das sie später zurückzahlten. Heute sparen alte Leute für ihr längeres Leben. Die Folge ist das, was Ökonomen "säkulare Stagnation" nennen: Auf den Konten verstaubt das Geld, ungenutzt. Wie zwingt man die Leute dazu, von ihrer Sparsucht zu lassen? Negativzinsen. Die Europäische Zentralbank hat sich schon vor Monaten auf diesen Weg begeben, die Geschäftsbanken folgen jetzt langsam nach. Für Vertreter der reinen Lehre ist das Teufelszeug: "Ein negativer Marktzins ist ein Frontalangriff auf die Marktwirtschaft", hat der Volkswirt Thorsten Polleit geschrieben: "Die Idee, den Zins abzuschaffen, hatten schon die Marxisten und Nationalsozialisten. Ein negativer Marktzins würde das ,antikapitalistische' Zerstörungswerk perfektionieren." Das wäre natürlich furchtbar. [….]

(Jakob Augstein, 24.11.2014)

Während die Kanzlerin noch von der sagenhaft schwachsinnigen und falschen Metapher „der schwäbischen Hausfrau“ spricht, wissen wir heute: Sparen ist schlecht und sollte verboten werden. Die Marktwirtschaft funktioniert nicht ohne einen starken Staat, der sie einhegt, reguliert, kontrolliert.

Neu ist die Erkenntnis natürlich nicht. Die Herausgeber der ZEIT, Marion Gräfin Dönhoff und Helmut Schmidt verfassten darüber schon vor einem Vierteljahrhundert treffende und weitsichtige Analysen, die wie wir heute, nach dem Tod der beiden, wissen erschreckend real sind. Der Wahnsinn des Urnenpöbels zeigt sich darin, daß der Mann, der mit „Mehr Kapitalismus wagen“ dagegenhielt, heute als fähigster Kanzlerkandidat der CDU gilt. (….)

(Neoliberalismus kaputt, 02.08.2020)

Kapitalistisch erwartungsgemäß reagiert „der Markt“ auf Geldschwemme, den Verlust von Anlagemöglichkeiten und die Corona-Lockdowns.
Die reichen Deutschen können ihr Geld kaum noch durch Reisen, Restaurants und Revuen ausgeben, also investieren sie in ihre Immobilien. So weit, so normal. In Folge dessen wurden Baumaterialien wie Holz oder Zement irrsinnig teuer und noch dazu die Handwerker so knapp, daß man Jahre warten muss, bis einem das Traumbad eingebaut wird. Auch das entspricht noch der reinen Lehre.

Nun sollte aber die unsichtbare Hand des Marktes eingreifen.

Findige Unternehmer würden viel mehr Ziegel, Dachpappen, Eichenholz-Dielen und Trockenestrich produzieren, Handwerker viel besser verdienen, so daß die Schulabgänger in Scharen Tischler- oder Maurer-Lehren begännen.

In der echten Realität sind aber Sand und Erdöl knapp. Das Zeug wächst nicht nach und selbst bei typisch nachwachsenden Baustoffen wie Holz, grätscht die Natur hinein, indem sie mit Orkanen junge Bäume entwurzelt oder beim weltweit größten Holzproduzenten Kanada den garstigen Latschenkäfer vorbeischickt, der in kurzer Zeit Holzanbauflächen viermal so groß wie die Schweiz zerstört.

Noch trauriger versagt der Kapitalismus beim „Humankapital“ Handwerker, wie jeder weiß, der versucht einen Termin beim Klempner zu bekommen.

Alle Gewerke suchen händeringend nach Nachwuchs. Der Job ist nicht so schlecht, weil er sicher ist, man inzwischen recht gut verdient und außerdem flexibel bleibt. Ein Maler- oder Elektrikergeselle, der in Wanne-Eickel gelernt hat, kann mit dem Know How auch in St Petersburg, Oregon, Oslo oder Dubai arbeiten.

In der Praxis klappt das aber nicht, weil die bräsige Instagram-Jugend gar keinen Bock hat, sich bei einem Gas-Wasser-Scheiße-Betrieb zu bewerben. Körperliche Arbeit ist anstrengender, als auf dem Hintern zu sitzen und mit der Playstation zu daddeln. Außerdem fehlt es an gesellschaftlicher Anerkennung. Heute will die Mehrheit studieren und blickt verächtlich auf die Typen herab, die in der Baustelle die Straße teeren.

Nun will die Ampel aber nicht nur landesweit Anlagen zur Gewinnung regenerativer Energien aufstellen, sondern auch 400.000 statt knapp 300.000 Wohnungen jährlich bauen lassen. Eine hübsche Idee, aber mit welchen Materialen und welchen Architekten und welchen Handwerkern soll das passieren?

Noch schlimmer sieht es im Bereich der Medizin und Pflege aus.

Seit Jahren wird immer schriller vor dem dramatischen Personalengpass in diesen Berufen gewarnt. Unsere Gesellschaft überaltert rapide. Immer mehr Senioren werden in Heime gesteckt. Dies liegt, anders als Jorge Bergoglio behauptet, nicht nur daran, daß junge Menschen lieber Katzen halten, statt zu kopulieren, sondern ist auch ein Zeichen unseres Reichtums und unserer Freiheit.

Vor hundert Jahren lebte eine Arbeiterfamilie schon deswegen beengt zu mehreren Generationen in einer Wohnung, weil man sich niemals hätte mehrere Wohnungen leisten können. Natürlich pflegt man da die lahme Oma und demente Tante, wenn ohnehin zehn Leute in zwei Zimmern hausen.  Heute ist in den deutschen Großstädten vielfach schon die Mehrheit der Haushalte Singlehaushalte.

Bevor sie alle gestorben sind, bestand meine engere deutsche Familie aus sechs Personen in einer Stadt, die in sechs Wohnungen lebten.

Das waren insgesamt zehn Fernseher, sieben Autos, sechs Waschmaschinen, fünf Trockner, drei Geschirrspülmaschinen, fünf Mikrowellen, zehn Kühlschränke, zehn Betten, unzählige Bügelbretter, Staubsauger, Haartrockner, Badewannen, elf Schreibtische, sowie Wäsche und Geschirr für eine ganze Kompanie. Ökologisch der helle Wahnsinn.

Wenn einer dieser Singles malade wird, ist nicht nur niemand da, der einen aufs Klo bringt und den Schritt abwischt, sondern der Pflegling will das auch gar nicht, weil man sich so an seine persönliche Freiheit gewöhnt hat, daß Intimität einen ganz anderen Stellenwert bekommt. Dieser moderne Mensch wird im Alter professionell gepflegt werden müssen. Und es werden mehr. Viel mehr.

Der Markt sollte nun eigentlich als Reaktion auf die enorme Nachfrage nach Pflegekräften, dafür sorgen, daß dieses Humankapital sehr viel teurer (= wertvoller) wird. Man würde die Pflegekräfte nicht nur sonntags beklatschen, sondern sie so gut bezahlen, bis der Beruf so attraktiv wird, daß genügend junge Leute ihn ergreifen wollen.

In der Praxis klappt auch das nicht, weil wir auf Pflegekräfte herabsehen, sie eben nicht würdigen, beschissen bezahlen und schließlich auch noch durch den Wahnsinn des kirchlichen Arbeitsrechtes und der vielen Heime in kirchlicher Trägerschaft, Tarifverträge und Streiks verboten sind. Noch irrer: Es werden nur Kirchenmitglieder eingestellt, so daß muslimische Migranten oder engagierten Atheisten gar nicht erlaubt wird in einem katholischen Heim zu arbeiten.

[….]  Pflegekräfte fliehen massenhaft aus dem Job

[….]  40 Prozent der Befragten erwögen, aus dem Beruf auszusteigen, sagte Bernadette Klapper, Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe, am Donnerstag zu der gemeinsam mit dem Altenpflege-Fachverlag Vincentz Network initiierten Studie «Altenpflege im Fokus». «Das ist alarmierend. Wir brauchen eine Trendwende in der Altenpflege.» [….]  Nach Angaben des Fachverlags errechneten Experten, dass rund 500.000 Pflegekräfte bis 2030 fehlen werden. 73 Prozent der Befragten meinten, der Personalmangel habe sich in den vergangenen zwei Jahren, also mitten in der Corona-Pandemie, verschärft. 2018 sagten dies noch 71 Prozent. 68 (2018: 60) Prozent urteilten, es werde immer schwerer, eine gute Pflege zu gewährleisten. Das hänge auch damit zusammen, dass zu wenig Zeit für die Bewohnerinnen und Bewohner bleibe, meinten 67 (2018: 65) Prozent der Befragten. 56 Prozent sagten, neue Regeln zur Qualitätsprüfung sorgten für mehr Bürokratie. Die Beschäftigten trügen diese Sorgen nach Hause, denn mehr als jeder oder jede Zweite verspüre negative Auswirkungen auf das Familien- und Privatleben, ergab die Studie. Zusätzlich belasteten seit zwei Jahren die Herausforderungen und Auswirkungen der Corona-Pandemie. 96 Prozent der Befragten glaubten den Angaben zufolge nicht einmal, dass die Politik die Lage verstanden habe und bemüht sei, sie zu verbessern.  [….]

(dpa, 13.01.2022)

Humankapitalismus kaputt.

Mal sehen, wie Finanzminister Lindner das Problem mit Unternehmenssteuersenkungen und Einsparhaushalt lösen wird.