Während
die Politjournalisten nach 24 Jahren Merkel in Bundesregierungsverantwortung,
bzw Oppositionsführerin, immer noch rätseln, ob Merkel eigentlich noch
irgendetwas anderes antreibt als die pure persönliche Machtgier, hat sich für
den Urnenpöbel wenigstens eine Gewissheit herausgebildet.
Das
Merkelsche Gesetz.
Seit Thomas
Oppermann das Merkelsche Gesetz postulierte, stiegen ihre Popularitätswerte
kontinuierlich an und kratzen gegenwärtig an der 80%-Marke.
Sie beläßt es
bei vagen Ankündigungen, wolkigem Gewaber und einigen konkreten Aktionen, die
sie für die Zukunft „ausschließe.“
Merkel treibt planlos vor sich hin - durch ihren
aberwitzigen ZickZack- und Hinhaltekurs hat sie die Eurorettungsaktion zigfach
verteuert.
Ihr abstruses
Spardiktat würgt die Konjunkturen diverser Nationen ab.
So ein
Rezept hätte sie nie für Deutschland gewollt. Hier reagierte sie 2008/2009
völlig gegenteilig auf die Krise; nämlich mit gewaltigen Ausgaben-Orgien, zwei
dicken Konjunkturpakten und Geldrauswurfmaßnahmen wie der Abwrackprämie.
Die
Chaotisierung der europäischen Finanzarchitektur durch Wolfgang Schäuble und
Angela Merkel folgt einer Grundregel, die SPD-Fraktionsgeschäftsführer
Oppermann sehr schön auf den Punkt brachte, nachdem der eben noch endgültig auf
maximal 218 Milliarden Euro begrenzte Haftungsrahmen von Merkel doch auf 280
Milliarden
aufgeblasen wurde.
Wieder einmal,
so Oppermann, komme das "Merkel'sche Gesetz" zur Anwendung: Je
vehementer die Kanzlerin etwas ausschließt, desto sicherer ist, dass es später
doch eintritt. Der Ärger der Genossen erscheint verständlich,
denn es ist beileibe nicht das erste Mal, dass Merkel in der Schuldenkrise eine
Position revidiert. Im Gegenteil: Die meisten Bundesbürger haben angesichts des
Hü und Hott längst den Überblick verloren. Sie registrieren nur noch, dass die
Summen, für die sie einstehen sollen, immer astronomischer werden und dass
mittlerweile halb Europa auf ihre Kosten zu leben scheint. Wut, Frust und
Missverständnisse haben ein Maß erreicht, das geeignet ist, die Demokratie in
ihren Grundfesten zu erschüttern. Die
Hauptschuld daran trägt die Kanzlerin, der es nicht gelingt, mit den Bürgern so
zu kommunizieren, wie es die Schwere der Krise von ihr verlangt. Keine
Fernsehansprache, keine Rede zur Lage der Nation, stattdessen Gemauschel in
Hinterzimmern nebst anschließender Kurskorrektur.
Griechenlandumschuldung,
Wehrpflicht, Atomkraft, Mehrwertsteuer, Gesundheitsreform - wohin man auch
blickt; man kann sich stets darauf verlassen, daß das was die Kanzlerin als
absolut alternativlos einnordet doch nicht kommt, sondern eher das Gegenteil
dessen angepeilt wird.
Dieses Gesetz
scheint allgemeine Gültigkeit zu haben.
Man
erinnert sich an Merkels großartige Ankündigungen ein „No Spy Abkommen“
abzuschließen und ihren Kommentar „Abhören unter Freunden – das geht gar nicht!“,
als ihr Handy abgehört wurde.
Inzwischen
war sie in Washington, erwähnte dort den NSA-Skandal mit keinem Wort, begrub
das No-Spy-Abkommen und sieht jetzt sogar tatenlos dem Kotau des Generalbundesanwalts zu,
der erklärt, daß er noch nicht einmal ermitteln werde.
Das
kanzlerische Handling der Europawahl gestaltet sich also genauso wie man es von
ihr kennt.
Erst
stellt sich Merkel hinter Juncker, wirbt für ihn, verspricht diesmal würde
nicht in Hinterzimmern gemauschelt, sondern das Wählervotum gelte. Stunden nach
der Stimmenauszählung wendet die Kanzlerin den Leitsatz des ersten
CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlers an: „Wat kümmert mich ming Jeschwätz von
jestern?“
Juncker?
Auf den hat sie nun doch keine Lust mehr und was das Parlament möchte, ist ihr
ohnehin egal – es soll wieder ausgeklüngelt werden.
100%
Merkel also. Soweit, so normal.
Das
Eigenartige ist aber, daß dieses völlig erwartungsgemäße Merkelverhalten
urplötzlich einige der altbekannten Politjournalisten gar sehr aufregt.
Rolf-Dieter
Krause konnte im
Tagesthemen-Kommentar kaum noch an sich halten.
Genauso
äußerte sich Heiner Bremer in einem Kommentar für ntv. Die Kanzlerin habe den Wähler in nie dagewesener Weise „desavouiert“
und kümmere sich nicht um ihr Geschwätz von gestern.
Die
Süddeutsche diagnostiziert streng „Merkels Undank.“
Es wäre absurd,
Cameron ein Vetorecht einzuräumen
[….]
Dramatisch
hat die Kanzlerin begründet, warum Jean-Claude Juncker eine zügige Nominierung
zum Präsidenten der Europäischen Kommission verwehrt bleibt und sie selbst
ihrem eigenen Kandidaten nun eine entschlossene Unterstützung versagt. Es drohe
sonst ein Vertragsbruch, der Europa erneut an den Rand der Katastrophe führen
könnte, hat Merkel erklärt. Wenn dem so wäre, bliebe den Staats- und
Regierungschefs nur die Wahl zwischen Vertragsbruch und Vertrauensbruch. So
tragisch ist die Lage nicht.
Merkel würde mitnichten
vertragsbrüchig, bliebe sie nun bei dem, was sie zwar zunächst widerwillig,
aber dann doch eindeutig im Wahlkampf getan hatte: Juncker in seiner Kandidatur
für das Amt des Kommissionspräsidenten zu unterstützen. Der Vertrag von
Lissabon verlangt keine Einstimmigkeit, sondern eine qualifizierte Mehrheit.
Christ- und Sozialdemokraten im Rat erreichen diese Mehrheit leicht. […]
(SZ vom 30.05.2014)
Andere
Kommentatoren sind nicht weniger angewidert vom Verhalten der beliebtesten
Kanzlerin aller Zeiten.
Lavieren, taktieren,
auf die lange Bank schieben – die übliche Merkel-Taktik, könnte man meinen.
Doch diesmal hat die Kanzlerin keine Ausrede. Es ist ihr Job, die nötige
Mehrheit im Rat zu organisieren, der den nächsten Kommissionschef vorschlägt.
Wenn sie das nicht energisch vorantreibt, schießt sie Juncker ab. Denn die Gegner
sind gut organisiert. Angeführt werden sie vom britischen Premier Cameron. Zu
seinen Verbündeten zählen Ungarn, Niederländer und wohl auch Schweden. Die
Kanzlerin kann nicht so tun, als habe sie keine Ahnung.
Schließlich weiß sie
nur zu gut, wie man Kandidaten abschießt. 2004 war sie es, die im Bunde mit
Camerons Amtsvorgänger Blair den Kandidaten der damaligen Bundesregierung
abblockte. Merkel und Blair zauberten den Portugiesen Barroso aus dem Hut – der
sich dann als ausgesprochen schwacher Kommissionschef erwies. Das darf sich
nicht wiederholen, sonst ist die EU am Ende. Und die nächste Europawahl kann
man sich dann auch gleich schenken.
Jakob
Augstein, der als einer der wenigen schon länger die Merkelpolitik deutlich
kritisierte, gibt sich ebenfalls schwer genervt von seiner Kanzlerin. Er fährt
schweres Geschütz auf und bezichtigt sie sogar der Zerstörung der EU.
Leider
ist das nicht besonders übertrieben.
Verachtung? Ist es
das, was unsere Kanzlerin in Wahrheit für die Menschen empfindet? Verachtung
ist das Gegenteil von Respekt - und weniger Respekt als Angela Merkel jetzt den
Wählern in Europa erwiesen hat, kann man als Politiker nicht an den Tag legen.
Zwei Kandidaten wollten Kommissionspräsident werden. Es gibt Wahlen. Der
Konservative gewinnt. Das Europäische Parlament sichert ihm Unterstützung zu.
Aber Angela Merkel sagt: Abwarten!
Das berüchtigte
"demokratische Defizit", das so viele Menschen an Europa beklagen,
hier hat es Gesicht und Namen.
[…]
Merkel
und die anderen Regierungschefs wollen ihre Macht nicht mit dem Volk teilen.
Der Nationalismus ist das Problem. […]
Europagegner wie Marine Le Pen oder David Cameron missachten und missverstehen
das ebenso wie eine Europagleichgültige wie Angela Merkel.
[…] Die große europäische Krise wurde ja nicht
durch die Sinti und Roma ausgelöst, denen Le Pen den Kampf angesagt hat. Sie
wurde auch nicht von den ausländischen Hartz-IV-Empfängern ausgelöst, die
Angela Merkel nicht mehr im Land haben will. Sie wurde von den Banken ausgelöst.
Und gegen die Banken ist La France profonde von Le Pen allein genauso machtlos
wie Merkels Wirtschaftswunderdeutschland. Und das gilt selbstverständlich auch
für den Grenzstreit mit Russland, oder für den Überwachungskonflikt mit der NSA
oder für den Datenkampf mit Google oder für das Handelsabkommen mit den USA.
[…]
Merkels Rechthaberei hat aus Griechen,
Italienern, Spaniern, Portugiesen Bürger zweiter Klasse gemacht und den Stolz
der Franzosen gebrochen.
Hier liegt das große,
historische Versagen dieser Kanzlerin. Sie hat im Moment der Krise nicht wie
Adenauer (Römische Verträge), Schmidt (Europäisches Währungssystem) und Kohl
(Maastricht-Vertrag) den europäischen Weg gesucht - sondern den nationalen. […]
Die
scharfe Kritik an Merkel beschränkt sich nicht auf journalistische Kreise. Im
Zusammenhang mit der deutschen Bundeskanzlerin fiel in anderen Regierungen
sogar das Wort „erbärmlich.“
Es war ein EU-Gipfel, der Schockwellen ausgelöst hat. Das verkappte „Nein, aber...“ der 28 Regierungschefs zum konservativen Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker sorgte selbst in Kreisen der Europäischen Volkspartei für Empörung. „Ernüchternd bis erbärmlich“, schimpfte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn.
Ich
nehme an, daß die Uckermärker Profilügnerin doch ein bißchen verblüfft war, als
ihr Frau Christiansen und Frau Baumann den ungewohnt heftigen Presseshitstorm vorlegten.
Sie tat
das, was ihre leichteste Übung ist: Zurückrudern.
„Merkel
nun doch für Juncker“ meldete SPON heute Nachmittag.
Besser
aufgepasst hatten allerdings die Jungs von der Süddeutschen.
In
Wahrheit war auch diese neuerliche Kehrtwende der Kanzlerin wieder keine
Richtungsentscheidung, sondern ein wachsweiches Wattestatement mit Hintertür.
Soll Juncker Präsident
der EU-Kommission werden? Kanzlerin Merkel beteuert überraschend, sie führe
"alle Gespräche genau in diesem Geiste". Das klingt nach Kehrtwende,
aber Regierungskreise weisen auf die Feinheiten ihrer Formulierung hin. […] Auf dem Katholikentag in Regensburg sagte Merkel am Freitag, die
Europäische Volkspartei sei mit ihrem Spitzenkandidaten als stärkste Kraft aus
der Wahl hervorgegangen. "Deshalb führe ich jetzt alle Gespräche genau in
diesem Geiste, dass Jean-Claude Juncker auch Präsident der Europäischen
Kommission werden sollte."
Mit dieser
Formulierung wollte Merkel nach Auskunft aus Regierungskreisen zweierlei
klarmachen: Ihre Unterstützung für Juncker sei zweifelsfrei, sie sehe sich aber
auch in einem Verhandlungsprozess mit 27 anderen Nationen, dessen Ende sie
nicht absehen könne. Darauf deutet die Formulierung, wonach sie Gespräche
"im Geiste" führe, und dass Juncker den Präsidenten-Posten bekommen
"sollte".
[…] Merkel sagte am Dienstag, die (europäische)
Agenda könne von Juncker, "aber auch von vielen andern durchgesetzt werden".
[…]
Merkel
ist sichtlich darum bemüht die ausufernde Diskussion wieder einzufangen.
Die
Journalisten sollen sich gar nicht erst daran gewöhnen, daß man Angela, die Große,
wie andere Politiker auch nach Kriterien des Anstands und der Vernunft
kritisieren darf.
Der
Urnenpöbel soll gar nicht erst aufwachen.
Sie
könnte wieder einmal richtig liegen mit ihrer Strategie. Gestern war
allgemeines Saufgelage („Vatertag“), jetzt ist Wochenende und ohnehin denken
alle nur noch an die Fußballweltmeisterschaft.