Wenn es eins gibt, das
mich in der deutschen Trashmedienlandschaft ärgert, dann ist es die Durchmischung
seriöser Themen mit zu B- und C-Promis aufgeblasenen Untermenschen.
Als mit Big Brother im
Jahr 2000 das erste mal ein Trash-Reality-Format gesendet wurde, war man noch
seltsam fasziniert davon, wie ungeheuer langweilig und fern jedes Intellekts
diese zehn Brötchen-Hirne vor sich hin existierten.
Ich sah damals nicht den
Untergang des Abendlandes kommen. Das Abendland ist auch nicht untergegangen.
Qualität läßt sich nach wie vor finden.
Daß aber die Büchse der
Pandora nun so aufgerissen war, daß nur noch Reality-Casting-Trash auf
den Privatsendern lief, hatte ich mir allerdings nicht vorstellen
können.
Es ist inzwischen scheinbar
gar nicht mehr peinlich, wenn Talkshows, Unterhaltungssendungen und andere
Formate mit Lufthirnen besetzt werden, die nichts anderes vollbracht haben, als
überhaupt „im Fernsehen“ zu sein.
Es reicht sogar schon nur
mit einem anderen B-Promi verwandt zu sein, um beim Madenfressen im
RTL-Dschungelcamp mitzumachen.
Nur weil man Mutter von X oder Tochter von Y
ist, kann man vor der Kamera seine Darmgeräusche eruieren und über den
Geschmack von Straßen-Anus und Buschschweinpenis sinnieren.
Und die Sendung ist noch
eine der Besten des deutschen Unterhaltungsgenres.
Die Dompteure dieser
generalenthirnten Exhibitionisten mögen über rudimentären Verstand verfügen,
haben aber längst verlernt ihre Denkmurmel auch öffentlich zu gebrauchen.
So kann dann CDU-Rechtsaußen
Katharina Reiche unablässig wiederholen die Homoehe schade der traditionellen
Ehe und führe zum Aussterben Deutschlands.
Moderator Jauch, der offensichtlich von
den Gedanken an seine 10 Millionen Euro Jahresgage paralysiert ist, läßt sie
unwidersprochen weiterplappern, ohne ein einziges mal nachzufragen, ob es
eigentlich auch nur den geringsten Beweis für so eine absurde These gäbe.
Wer einmal Minister oder
Bischof war, wer einmal ein Buch geschrieben hat oder vor 50 Jahren eine Rolle
im „Tatort“ gespielt hat, gilt für immer als Universalsachverständiger und darf
sinnfrei zu jedem Thema seinen Senf abgeben.
Erstaunt stellten wir - ebenfalls in der Trash-TV-Sendung „Günter
Jauch“ – fest, daß katholische Geistliche zu der Wirkweise von a posteriori
applizierten Kontrazeptiva befragt werden.
Als ob sie dazu auch nur
die allergeringste Qualifikation hätten.
Als ob es nicht total absurd wäre
überhaupt zunächst einen zölibatären Geront im Kleid zu befragen, ob denn mit
staatlichen Geldern bei einem medizinischen Notfall geholfen werden dürfe.
Sollte Kardinal Meisner
eines Tages selbst einmal vergewaltigt werden und befürchten schwanger zu
werden, kann er gerne im Zwiegespräch mit Gott analysieren, ob er eine RU486
einwerfen will.
In jedem anderen Fall ist
seine Meinung irrelevant.
Das ist die Steigerung der
Trash-Schwemme im Fernsehen: Das Abfärben der Verblödung auf weite Teile der
ursprünglichen „Kultur.“
Streng talentlose
Großmäuler wie Til Schweiger und Vroni Ferres gelten allgemein als Deutschlands
Staatsschauspieler, eine schlimme Proletin im Presskleid „singt“ für
Deutschland im Grandprix und Stefan Raab moderiert nun das Kanzlerduell.
Die Grenzen verwischen.
Man sieht mittlerweile so
gut wie keine Regierungspolitiker mehr in Politmagazinen, weil sie sich viel
zu sehr davor fürchten echte Fragen beantworten zu müssen. Stattdessen setzen
sich sinnlose Schwätzer, die erwiesenermaßen hoffnungslos mit ihrem Job
überfordert sind ins seichte Brabbelbrackwasser bei Will und Beckmann.
Dort können Kristina
Schröder, Rainer Brüderle, Ilse Aigner oder die ganz besonders flachgründige Bizarra Käßmann ungeniert ihre einstudierten Kindergartenniveausprüche
absondern, während ein geistig längst entschlummerter Moderator ihnen devot
zuhört.
[…] Sie ist die prominenteste Vertreterin der evangelischen Kirche, auch ohne hervorgehobenes Amt. Sie hat eine Verantwortung, als öffentliche Person und als Christin. Mit dieser Verantwortung geht sie fahrlässig um. In Käßmanns Welt lassen sich komplexe politische Themen auf einen Satz bringen: Nichts ist gut in Afghanistan. Das stimmt nicht, in Afghanistan hat sich vieles verbessert, die Situation der Frauen zum Beispiel. Aber Käßmanns Satz ist einprägsam, deshalb erreicht er die Menschen.
[…] Durch ihre vereinfachende, moralisierende Art verstärkt sie die Ressentiments, die es ohnehin gegen die Politik gibt. Das sichert ihr Aufmerksamkeit, aber für das politische Klima im Land ist es nicht gut.
(Ralf Neukirch 30.05.11)
Zum Glück habe ich nie ein Buch von Margot Käßmann gelesen; da ich davon
sofortiges Absterben von Gehirnzellen befürchte.
Daher will ich einen Promi-Literaturkritiker zu Wort kommen lassen, dessen Urteile sich weitgehend mit meinen decken; Denis Scheck.
Nie hat er eins der blablaesken Machwerke der mitteilungswütigen Bischöfin zum Gegenstand eines vollen Beitrags gemacht - zu Recht. Aber er erklärt in seinem Kommentar zur Top10 der Spiegel-Bestsellerliste anschaulich, was von Käßmann zu halten ist:
Daher will ich einen Promi-Literaturkritiker zu Wort kommen lassen, dessen Urteile sich weitgehend mit meinen decken; Denis Scheck.
Nie hat er eins der blablaesken Machwerke der mitteilungswütigen Bischöfin zum Gegenstand eines vollen Beitrags gemacht - zu Recht. Aber er erklärt in seinem Kommentar zur Top10 der Spiegel-Bestsellerliste anschaulich, was von Käßmann zu halten ist:
Margot Käßmann: "In der Mitte des Lebens"
So gewinnend die Autorin, so unausgegoren wirkt dieses Machwerk. Zwischen den Buchdeckeln von "In der Mitte des Lebens" findet nun wirklich alles seinen Platz: ob Brustkrebsdiagnose, der Einsatz für zwangsverheiratete iranische Christen oder Sterbebegleitung. Man mag dieses Buch einen Kuddelmuddel, ein Hoppelpoppel oder ein Mischmasch nennen: Unverdaulich ist es in jedem Fall.
(Herder, 160 Seiten, 16,95 €)
Margot Kässmann: "In der Mitte des Lebens"
Aus groupiehafter Sehnsucht nach der medialen Wiederaufstehung einer wegen Trunkenheit am Steuer zurückgetretenen Landesbischöfin und Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland ein grauenhaftes Mischmasch aus Sermon, Erbauungsliteratur und moralisierenden Textautomatenbausteinen über Monate an die Spitze der deutschen Bestsellerlisten zu jubeln – für solch merkwürdige Heiligenverehrung kennt man meines Wissens im Norddeutschen das schöne Wort "katholisch!"
Margot Kässmann "In der Mitte des Lebens"
Changierend zwischen Predigtentwürfen und autobiographischen Notizen, geschrieben in jenem anbiedernden theologischen Kauderwelsch, das zum Niedergang der protestantischen Predigt beigetragen hat, ist dieses in seiner Konzeption nicht nachvollziehbare, in seinen Gedankengängen sprunghafte Büchlein eher eine Art Promigucken als wirklich etwas zum Lesen.
Margot Kässmann: "In der Mitte des Lebens"
In der Kirche schweigen müssen Frauen schon lange nicht mehr. Aber wenn Sie das Wort ergreifen, sollte es etwas konziser geschehen als hier. Dieses schwurbelige Buch der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche übers Älterwerden kommt zwar vom Hölzchen aufs Stöckchen, aber nie auf den Punkt.
Margot Kässmann: "Sehnsucht nach Leben "
In zwölf besinnungsaufsatzähnlichen Texten denkt die Ex-Vorsitzende der EKD über Leben und Liebe, Kraft, Heimat, Stille und ja, auch über Gott nach. Dabei schreibt sie Sätze wie: "Ein Nein ohne jedes Ja – das wurde auf lila Tüchern beim Kirchentag 1983 in Hannover gegen den Willen von Kirchentagsleitung und Evangelischer Kirche in Deutschland zum Symbol." "Ein Nein ohne jedes Ja", auf diesen wirren Nenner könnte man auch meine Meinung zu diesem Mischmasch von einem Buch bringen.
Margot Käßmann: In der Mitte des Lebens
Eine evangelische Bischöfin predigt: über Liebe und Leid, Schönheit und Vergänglichkeit, Arbeit und Erfolg. Ich glaube durchaus, dass dieses Buch vielen Menschen helfen kann. Aber nach 159 sprunghaften Seiten über "Geben-Können" und "Gebraucht-Werden", über Brustkrebs und deutsche Rüstungsexporte, über die Schönheit von Mädchen mit Down-Syndrom und von der Abschiebung bedrohte iranische Christinnen fühle ich mich als Leser wie nach dem Verzehr einer zu fetten protestantisch gefüllten Weihnachtsgans.
Jens Bergmann, Jahrgang
1964, geschäftsführender Redakteur bei brand eins, zuvor u.a. für Spiegel
Reporter, Bild der Wissenschaft, Merian und Frankfurter Rundschau passt das
genauso wenig wie mir und daher rechnet er in seinem Buch
„Ich, Ich, Ich. Wir inszenieren uns zu Tode“
mit der Schwemme der Unterbelichteten ab. Ursprünglich
unter dem Titel "Die
Promi-Plage" geplant, rechnet Bergmann mit Käßmann, Markus Lanz, Johann Lafer und
Norbert Blüm ab.
Ein überfälliges Buch.
Paris Hilton, Katie Price und Daniela Katzenberger: Nervige Prominente ohne sonderliche Meriten verfolgen uns heute im Fernsehen und füllen Zeitschriften wie auch das weltweite Netz. Viele wollen es ihnen gleichtun und selber bekannt werden. „Wir inszenieren uns zu Tode“, warnt hingegen der Journalist Jens Bergmann in einer Streitschrift gegen Ruhm oder Bekanntheit um fast jeden Preis. Auch mit den Medien geht der studierte Psychologe hart ins Gericht.[…]
„Während früher Talent, unbedingter Glaube an eine Sache und Fleiß notwendig waren, um berühmt zu werden“, sei das „heute deutlich einfacher“, befindet der Journalist Jens Bergmann in seinem ebenso eindringlich wie elegant geschriebenen Buch „Ich, ich, ich“.
Thema darin ist der nervtötende Promi-Kult unserer Tage und der Drang so vieler Unbekannter, selber ganz groß raus zu kommen, und sei es nur für ein paar Wochen oder gar Tage. […] Wer von sich reden machen möchte, selber aber weder Filmstar ist, Symphonien komponiert oder einen Nobelpreis erhält, muss sich eben etwas einfallen lassen. In Frage kommt sehr gerne formschönes Silikon im Doppelpack. Die damit üppig präparierte Ramona Drews wusste sich im Jahr 2000 sehr spritzig zu inszenieren, indem sie während eines Fernseh-Interviews auspackte und eine ihrer Brüste molk – angespornt dazu von ihrem Gatten, dem Schlagersänger Jürgen Drews, der um den geldwerten Markteffekt solcher Enthüllungen selbstredend weiß.
Im Jahr darauf ließ Dieter Bohlens Ex-Partnerin „Naddel“ vor laufender Kamera ihre linke Brust wiegen, auch wenn sie dabei nicht glücklich wirkte. Stefan Raab, Verbreiter von „TV total“ ,zeigt solche Höhepunkte deutschen Fernsehschaffens übrigens sehr gerne all jenen, die sie im Original verpasst haben. Die Brust wog übrigens 1,35 Kilo, ein gewichtiges Argument für weitere Fernsehauftritte.
[…] Jens Bergmann geht das alles mächtig auf den Geist. […] Ihn treiben die Folgen um, „wenn eine Gesellschaft, in der es angeblich um Leistung geht, Blendern, Dampfplauderern und Gummipuppen so viel Aufmerksamkeit schenkt“.
Vor allem bei Privatsendern, aber nicht nur bei ihnen, gelte heute die Maxime „Prominenz schlägt Relevanz“. Das sei „ein schlechtes Zeichen für unsere Mediengesellschaft“, sagt Bergmann.
Zunächst war die
Veröffentlichung des Buches bei der Bertelmannschen Verlagsgruppe Random House
geplant.
Aber Kanzler-Freundin Liz
Mohn schätzt Pluralität nicht ausreichend, um hinzunehmen, daß Bergmann auch eine der schlimmsten Plaudertaschen und notorisch mediengeilen Nichtssagerinnen
kritisiert. Käßmann-Kritik? Das ist aber nicht überall erlaubt!
Lektorat und Rechtsabteilung hatte das Werk bereits passiert - da grätschte auf den letzten Metern vor dem Druck Verlagschef Klaus Altepost dazwischen. Es sei seine Aufgabe, "uns menschlich liebgewordene Autoren" zu schützen, weshalb er "insbesondere bei M. Käßmann" auf Änderung bestehe. Zu kritisch war etwa die Aussage, Käßmann habe "das Betroffenheitsprinzip zur hohen Kunst gebracht". Altepost machte konkrete Änderungsvorschläge. Aus Lanz wurde so plötzlich ein "kluger" Nachfolger von Gottschalk und Kerner. Lafer hatte kein "unnatürliches Dauerlächeln mehr", sondern wurde zur "Frohnatur", die "sehr gefragt" war. Als Bergmann die Änderungen nicht mitmachte, flog das Buch aus dem Programm.(DER SPIEGEL 04.03.13)
Bergmann mußte sich einen
sehr viel kleineren Verlag suchen, um seine blasphemischen Thesen über Lafer,
Lanz und Kässi zu publizieren.
Es gelang.
Buchinweis:
Jens Bergmann: „Ich, Ich,
Ich. Wir inszenieren uns zu Tode“, 228 Seiten, Metrolit Verlag, Berlin, 17,99
Euro.